Eric Shepherd – Mord im Nonnenkloster

shepherd-mord-nonnenkloster-cover-1984-kleinAls sich in einer Klosterkirche ein Mord ereignet, muss sich ein Inspektor von Scotland Yard nicht nur mit der Spurensuche, sondern auch mit der exotischen Realität einer geistlichen Einrichtung auseinandersetzen … – Aus heutiger Sicht zwar ein wenig (zu) fromm aber immerhin in Kenntnis sowohl der beschriebenen Verhältnisse als auch des Krimi-Genres, weiß der Verfasser Spannung mit (schwarzem) Humor zu mischen: ein nostalgisch verstaubter Klassiker der Genres.

Das geschieht:

Das Kloster Harrington ist keine kleine, weltfremde Betgemeinschaft, sondern eine stattliche, straff geführte Einrichtung, die nicht nur die gleichnamige Gemeinde kirchendienstlich betreut, sondern der auch ein Mädchen-Internat angeschlossen ist. Daher ist es die Schülerin Verity Goodchild, die in der St.-Josephs-Kapelle der Klosterkirche nach der Maiandacht die Baronin Sliema vor ihrem Privatbetstuhl findet: tot und mit einem Dolch zwischen den Rippen.

Da ein Mord in einem Nonnenkloster nicht nur kriminologisches Geschick, sondern auch diplomatisches Fingerspitzengefühl erfordert, schickt Scotland Yard den feingeistigen Oberinspektor Andrew Pearson nach Harrington. In der Tat verträgt er sich gut mit der Mutter Oberin, die ihm allerdings eine beunruhigend zahlenstarke Schar möglicher Täter präsentiert. Die Baronin war eine bigotte, streitsüchtige Frau und selbst mit Crauford, dem eigenen Sohn, zerstritten, den sie offensichtlich kurz vor ihrem Ende aus dem Testament streichen wollte. Mrs. Moss, Craufords Amme, blieb in den Diensten der Mutter, obwohl sie diese ebenso hasste wie die Lehrerin Venetia Gozo, das gepeinigte Mündel der Baronin. Selbst die Mutter Oberin muss Pearson berücksichtigen, denn die Ermordete hat ihr beachtliches Vermögen dem Kloster vermacht. Zu schlechter Letzt gibt es nicht wenige Schülerinnen aus fernen Ländern, in denen der Umgang mit Waffen schon in jungen Jahren zum Alltag gehört.

Pearson verlässt sich buchstäblich auf seine Nase, denn er konnte am Tatort einen seltsamen Geruch feststellen. Als Beweis ist dieses flüchtige Indiz jedoch untauglich, bis Pearson den Geruch einer Person zuordnen kann. Bald ist er sicher, den Mörder gefunden zu haben, doch dieser ist nervenstark und wird die Einstellung des Falls abwarten – eine Vorstellung, die Pearson nicht erträgt, sodass er eine Falle stellt, in die sogar ein kaltblütiger Mörder tappen könnte …

Kirchen-Krimi ohne Nonnen-Nonsens

Krimi und Kirche: Schon vor Dan Brown war diese Kombination beliebt. Der Kontrast zwischen der geistigen Weltferne und dem schnöden Verbrechen bot viele Verlockungen, denn der zwar ist der Geist willig, das Fleisch jedoch schwach, wie ein altes aber bekanntes und zur Abwechslung einmal auf den Punkt treffendes Sprichwort besagt. Auch Geistliche sind Menschen, und in unserem Fall sind es sogar Frauen, was vor allem in der Literatur älteren Datums (aber nicht nur dort) für besondere Alarmsignale sorgt, galt doch die Frau als schwach im Fleische und im Geist, was zusätzlich zum Klischee der ulkigen Naiv-Nonne führt, wie es in Filmen wie „Sister Act“ gepflegt wird.

Eric Shepherd lässt es die Mutter Oberin selbst aussprechen: „Ich merke, Sie haben noch immer nicht das rechte Bild von einer Nonne. Sie halten sie alle für von Grund auf gute, liebe Seelen, für beinahe unfähig zu allem, außer im Chor mit piepsender Stimme zu trällern.“ (S. 146) Geschickt lässt der Verfasser mit Inspektor Pearson nicht nur einen Ermittler, sondern in Vertretung des Lesers auch einen mit dem katholischen Klosterleben unvertrauten Menschen in die abgeschiedene aber nicht isolierte Welt von Harrington auftreten. Pearson ist Mitglied der anglikanischen Kirche und deshalb vertraut mit dem Misstrauen, das diese den anti-papistischen Umtrieben der Katholischen entgegenbringen. Mit diesen und anderen Vorurteilen aufzuräumen, ist Shepherd mindestens ebenso wichtig wie das eigentliche Krimi-Geschehen.

Ein weiteres, im Kirchen-Krimi gern in Anspruch genommenes Klischee ist die heimlich aufkeimende, natürlich streng verbotene und deshalb umso köstlichere Liebe zwischen der Nonne und dem Mann von draußen. Begehren bei gleichzeitigem Verzicht erzeugt jene Atmosphäre, die etwa den Anhänger/innen der „Eclipse“-Schmalz-Vampire Wonneschauer beschert. Auch zwischen Pearson und der „haselnussäugigen“ Mutter Oberin funkt es, doch Shepherd belässt es hier bei Andeutungen, und Pearson begnügt sich mit der Erkenntnis: „Sie gaben mir zu verstehen, dass Nonnen keine Heilige seien und dass ich mich in einem Kloster auf viel von dem gefasst machen muss, was mir von der Welt her durchaus vertraut ist.“ (S. 158)

Der Mensch braucht Führung

Der höchstens mit seinem Beruf verheiratete und auch sonst durchaus asketisch wirkende Pearson trifft in Harrington auf eine Welt, die ihn gleichermaßen erstaunt wie anzieht. Dabei fasziniert ihn vor allem das Kloster als Schnittpunkt zwischen Himmel und Erde, der durch die Mädchenschule dargestellt wird. Natürlich sträuben sich dem heutigen Leser die Haare, wenn er verfolgt, wie Shepherd diese ‚Mädchen‘, die eigentlich schon junge Frauen sind, mit kindlicher Naivität und vor allem mit sentimentalen Über-Gefühlen auflädt, die sie in dieselbe Panik versetzt, für die der unerwartete Buh!-Ruf in der industriellen Schweinemast sorgt: Wie dieser die in ihrem Stall von der Außenwelt abgeschirmten Rüsseltiere vor Schreck tot umfallen lässt, versetzen auch in Harrington minimale Abweichungen vom Klosteralltag die Schülerinnen in helle Aufregung.

Was reichlich inkonsequent vom Verfasser ist, der beispielsweise die junge Inez aus der (fiktiven) Bananenrepublik Anaconda diese alltägliche Episode aus ihrer Kindheit erzählen lässt: „Es ist die revoluccione, Señor. Da gibt’s viel Schussen und Bomben – ganz viel Krach. Alte Hazh Bazh kommte heraus … und hält eine Sprech aber mein padre schisste mit den Revolver in dem Bauch von Hazh Bazh. Und dann schissten alle andre Señiores in den Hazh Bazh und steckten Messer in ihm – und dann er ist tot und sie können ihn wegräumen. Und dann mein padre sein der Hazh Bazh.“ (S. 31) Kein Wunder, dass dem Inspektor die Worte fehlen und er eine Verdächtige mehr auf seine Liste setzt …

Doch Shepherd erzählt diese und andere schwarzhumorvolle Schnurren nicht nur der Unterhaltung wegen. Inez repräsentiert einen der weiblichen Zöglinge, den die Nonnen von Harrington auf ein Leben vorbereiten, das christliche bzw. zwischenmenschliche Regeln berücksichtigt. Wenn dies glückt, wird die erwachsene Inez es nicht mehr für selbstverständlich halten, Attentäter mit dem Messer zu erstechen (S. 33).

Verbrechen als Belehrung

Nicht erst an dieser Stelle wird der Leser dieser Zeilen ungeduldig nach dem Krimi-Aspekt des besprochenen Buches fragen. Er kommt nicht grundlos erst jetzt zur Sprache. Shepherd wollte sowohl belehren als auch unterhalten, und er wählte wie so viele akademisch gebildete und in geistlichen Berufen aktive Autoren den Kriminalroman als vermittelndes Instrument. Er fand auch in diesen Kreisen großen Anklang und war als Mittel der intellektuellen Zerstreuung einigermaßen anerkannt. Die Leser kannten die Regeln; mit Vorschriften waren sie ohnehin gut vertraut.

Folglich trägt „Mord im Nonnenkloster“ seinen Titel zu Recht. Hier wird gemordet, vertuscht und ermittelt. Hartnäckig und sich ergebnisretardierend aber spannungsförderlich in denjenigen Sackgassen verirrend, die der dünnen Indiziendecke geschuldet sind, kommt der Inspektor dem Täter schließlich auf die Spur.

Im Finale muss sich der Leser erneut auf eine Abweichung von der Krimi-Norm gefasst machen: Shepherd eifert dem (ungleich berühmteren) Kollegen Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) nach, der mit seinem Pater Brown einen unkonventionellen Detektiv ins literarische Leben rief. Die Frage nach dem Motiv steht bei beiden Autoren im Vordergrund. Vor der irdischen Justiz steht ohnehin die himmlische Gerechtigkeit Der Täter soll verstehen und bereuen, bevor ihn der Arm des Gesetzes oder gar der Tod packt. Die Erkenntnis, dass Verständnis und Vergebung zumindest nach Shepherd oder Chesterton Elemente der Ermittlung sind, ist Teil eines spirituellen Reifeprozesses, den nicht nur der Täter, sondern auch der Ermittler durchläuft.

Erbauliches für fromme Leser?

Der theologische Aspekt legt sich auf diese Weise schwer über die Handlung. Ihn kann der Leser und damit diesen Roman ablehnen. Er kann ihn aber auch als Herausforderung begreifen: Selbst wenn man nicht mit dem Verfasser als Apologeten des (römischen) Christentums übereinstimmt, macht es Spaß zu entschlüsseln, wie er Anregungen und Belehrungen als Kontext und quasi ‚nebenbei‘ einfließen lässt. Aus heutiger Sicht geht er dabei nicht gerade subtil vor. Das wollte oder musste Shepherd auch nicht; seine Leser sollten erkennen und begreifen, während sie gleichzeitig unterhalten wurden.

Kein Wunder also, dass „Mord im Nonnenkloster“ hierzulande Aufnahme in der „Herder-Bücherei“ fand, die seit Jahrzehnten und vielhundertbändig dem frommen Zeitgenossen Rat und Anleitung für eine religiös (= auch politisch) korrekte Denkweise und Lebensführung gibt. Hier wurde dieser Roman (und Shepherds zweiter Klosterkrimi) ein Vierteljahrhundert immer wieder aufgelegt, bis er doch endlich in jenem Staub versank, den der Zahn der Zeit bei seiner Arbeit produziert.

Autor

Eric Shepherd wurde 1892 als Sohn eines Geistlichen geboren. Er studierte an der Universität in Glasgow Englisch und Literatur. In diesen Fächern lehrte er nach seinem Abschluss an der Universität von Malta. Gesundheitliche Probleme führten in den 1920er Jahren zum frühen Ende seiner Dozenten-Tätigkeit. Im Ruhestand blieb Shepherd als Schriftsteller und Dichter aktiv. Dem Kriminalroman widmete er sich allerdings nur noch einmal: 1954 ließ er mit „More Murder in a Nunnery“ (dt. „Noch ein Mord im Nonnenkloster“) Inspektor Pearson dienstlich nach Harrington zurückkehren.

Taschenbuch: 174 Seiten
Originaltitel: Murder in a Nunnery (London – New York : Sheed & Ward 1940)
Übersetzung: Götz Wagner
http://www.herder.de

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