Simon Scarrow – Die Brüder des Adlers (ROM-Serie 4)

Militär-Action: Die Römer in Bedrängnis

Sommer 44 n.Chr.: Die Eroberung Britanniens durch die Römer verläuft nicht mehr nach Plan. Der gegnerische Feldherr Caratacus ist dazu übergegangen, die wichtigen römischen Versorgungswege zu unterbrechen. Die Zenturios Macro und Cato sind in Calleva stationiert und werden beauftragt, eine einheimische Hilfstruppe aufzustellen und zum Kampf auszubilden. Dabei müssen sie sich mit grausigen Gepflogenheiten der keltischen Krieger anfreunden.

Nicht genug damit, dass der greise König der Atrebates in Calleva, Verica, von Thronrivalen bedroht wird, kommt nun auch noch aus dem Hauptquartier des Generals ein ehrgeiziger Tribun. Dieser droht nicht nur Macro und Cato, sondern auch noch dem König höchstpersönlich: Sollte Verica von Rom abfallen, droht seinem Reich die Annexion als römische Provinz. Das trägt nicht gerade zur Beruhigung der Lage bei. Auf einer Jagdpartie kommt es daher zu dramatischen Ereignissen…

Der Autor

Simon Scarrow wurde 1962 im gerade unabhängig gewordenen Nigeria geboren. Mit seinen Eltern zog er durch die Welt, bis die Familie sich in England niederließ. Nach seinem Schulabschluss ging Scarrow in den öffentlichen Dienst, begann jedoch nach zwei Jahren ein Geschichtsstudium. Anschließend lehrte er dieses Fach in Norfolk.

Parallel zu seiner akademischen Laufbahn begann Scarrow zu schreiben. Er spezialisierte sich auf historische Stoffe. Den Durchbruch brachte ihm die 2000 begonnene Serie um die ungleichen Gefährten Quintus Licinius Cato und Lucius Cornelius Macro, die im Römischen Imperium des ersten nachchristlichen Jahrhunderts geheimagentenähnliche Aufgaben übernehmen.

Seit 2005 ist Scarrow hauptberuflicher Schriftsteller. Parallel zur genannten Serie begann er die „Revolution“-Reihe, die im 18. Jahrhundert spielt und den Aufstieg der späteren Kriegsgegner Napoleon Bonaparte und Arthur Wellesley, 1. Duke of Wellington, thematisiert. Sein Roman „Schwert und Säbel“ spielt 1565 auf Malta.

Mit seiner Familie lebt Simon Scarrow weiterhin in der ostenglischen Stadt Norfolk. Mehr Info: http://www.scarrow.co.uk/

Die „Rom“-Serie:

1. (2000) Im Zeichen des Adlers (Unter the Eagle) – Blanvalet TB 38054
2. (2002) Im Auftrag des Adlers (The Eagle’s Conquest) – Blanvalet TB 38070
3. (2002) Der Zorn des Adlers (When the Eagle Hunts) – Blanvalet TB 38158
4. (2003) Die Brüder des Adlers (The Eagle and the Wolves) – Blanvalet TB 38272
5. (2004) Die Beute des Adlers (The Eagle’s Prey) – Heyne TB 47118
6. (2005) Die Prophezeiung der Adler (The Eagle’s Prophecy) – Heyne TB 47119
7. (2006) Die Jagd des Adlers (The Eagle in the Sand/The Zealot) – Heyne TB 47120
8. (2007) Centurio (Centurion) – Heyne TB 43505
9. (2007) Gladiator (The Gladiator) – Heyne TB 43506
10. (2009) Die Legion (The Legion) – Heyne TB 43620
11. (2011) Die Garde (Praetorian) – Heyne TB 43621
12. (2013) Die Blutkrähen (The Blood Crows) – Heyne TB 47121
13. (2014) Blutsbrüder (Brothers in Blood)
14. Britannia (dito)
15. Invictus (dito)
16. Imperator (dito)
17. „Invasion“ enthält die Vorab-Episoden „Invasion“ 1-5 gesammelt in einem Band: Das Blut Roms

Inzwischen hat Scarrow einen neuen Zyklus um Napoleon Bonaparte gestartet.

Vorgeschichte

Für Gaius Julius Cäsar endete der Britannien-Feldzug des Jahres 54 v. Chr. mit einer doppelten Niederlage. Der spätere Herrscher des Römischen Imperiums wurde von den Inselbewohnern vertrieben. Knapp einhundert Jahre später (42 AD) befiehlt der auf den Thron gekommene Imperator Claudius eine neue Invasion Britanniens. Außerpolitischer Erfolg tut Not, denn der stotternde Herrscher ist unbeliebt; es gab in Dalmatien bereits eine erste Verschwörung und Meuterei.

Vier Legionen werden in Marsch gesetzt. Darunter befindet sich auch die in der germanischen Provinz am Niederrhein stationierte Zweite Legion, genannt „Augusta“: fünfeinhalbtausend Männer, die zu den besten Soldaten des Reiches gehören. Ihre Flotte landet in Rutupiae unweit der Mündung des Flusses Tamesis. Im Eiltempo gelingt es, drei Schlachten (Band 2) siegreich zu beenden und die feindliche Hauptstadt Camulodunum einzunehmen. Doch damit beginnen erst die Schwierigkeiten, denn der gegnerische Feldherr Caratacus verlegt sich fortan auf den Guerillakampf und greift die langen Nachschublinien der Römer an.

Handlung

Unter den Legionären der Augusta-Legion befinden sich Lucius Cornelius Macro, Befehlshaber der Sechsten Zenturie, und sein mittlerweile gleichrangiger Freund Quintus Licinius Cato. Beide liegen nach ihrem blutigen Abenteuer in Band 3 („Der Zorn des Adlers“) im Lazarett des Lagers in Calleva (dem späteren Winchester). Dies ist die Hauptstadt des verbündeten Stammes der Atrebates. Sie beherbergt eine Königsburg, in der König Verica residiert, der die Römer in seinem gallischen Exil zu Hilfe gerufen hat. Nun ist er ihnen etwas schuldig, und das Mindeste ist Treue. Doch der König ist alt, und um seinen Thron schleichen die Rivalen…

Als erneut ein Nachschubzug direkt vor den Toren von Calleva angegriffen und um ein Haar völlig vernichtet wird, hat Legat Vespasians, Befehlshaber der 2. Legion, die Nase endgültig voll. Er macht Macro zum Garnisonsbefehlshaber und befiehlt ihm und Cato eine Kampftruppe aus zwei Kohorten (je 90 Mann) aufzustellen und auszubilden. Der Haken dabei: Die Atrebates lehnen die römischen Besatzer ab, weil die ihnen alle Nahrungsmittel genommen haben. Zweitens haben die keltischen Krieger eine ganz andere Kampfesweise als die Römer und auch ganz andere Waffen. Beidem lässt sich abhelfen. Man muss den Kelten nur genügend zu essen versprechen und ihnen das Tragen römischer Waffen in Aussicht stellen. Die 180 bis 200 Mann sind schnell beisammen. Sie bestehen darauf, zwei heilige Totemtiere als Standartensymbole zu bekommen, statt des Adlers. Man einigt sich auf Wolf und Keiler. Cato bekommt die „Wölfe“.

Das erste Scharmützel verläuft äußerst erfolgreich. Zusammen machen die nun voll ausgebildeten Rekruten 500 Mann von Caratacus‘ Kriegern nieder. Nur mit dem Abschneiden der Köpfe als Trophäen kann sich Cato nicht so recht anfreunden. Leider schreibt Macro in seinen Bericht an General Plautius einen folgenschweren Satz: „…wenn auch die Loyalität nicht aller Atrebates gewährleistet werden kann.“ Plautius wittert Verrat und schickt einen ehrgeizigen junge Tribun nach Calleva, dem er die Vollmachten eines Prokurators überträgt.

Was das bedeutet, bekommen bald nicht nur Macro und Cato zu spüren, den die arrogante Verachtung eines adligen Römers gegenüber einfachen Soldaten entgegenschlägt, sondern auch die Atrebates selbst. Quintillus entblödet sich nicht, König Verica unverhohlen mit der Absetzung und der Annexion seines Landes als römische Provinz zu drohen. Falls Verica nicht hundertprozentig treu zu seinem Bündnis stehe und seinen pflichten nachkomme.

Allerdings ist die Nachfolge des greisen Königs vielversprechend. Es gibt zwei junge Männer, die beide in den Kohorten der Wölfe und Keiler dienen. Artax erscheint Cato als sehr aufmüpfig, daher gilt ihm Vericas Neffe Tincommius als der kommende Mann, zumal Tincommius Latein kann und in Rom gelebt hat. Er könnte sich nicht mehr irren. Auf der Jagdpartie, die König Verica anberaumt, unterläuft ihm daher ein folgenschwerer Fehler: Er rettet den falschen Rivalen. Immerhin: Der König überlebt den Anschlag, und so erscheint die Lage nicht hoffnungslos.

Falsch gedacht! Wenig später steht nach einer verlorenen Schlacht eine britische Armee vor den Toren Callevas. Und an ihrer Spitze steht nicht etwa Caratacus selbst, sondern einer der beiden Rivalen um Vericas Nachfolge…

Mein Eindruck

Die Belagerung kann beginnen. Und es ist ein wahrlich harter Kampf, der das ganze dritte Viertel des Buches einnimmt. Im Mittelpunkt des Geschehens, das vor allem Catos persönlicher Blickwinkel wiedergibt, stehen nicht etwa strategische Überlegungen (die Macros Sache nicht sind), sondern vielmehr die Frage der Loyalität. Werden die Wölfe und Keiler zu den Römern halten oder sich vielmehr auf die Seite ihrer Stammesgenossen schlagen?

Der Besuch des Tribuns hat dem König ja quasi das Messer auf die Brust gesetzt: Bei Treubruch folgen Besetzung und Annexion. Da sollte man meinen, dass die Rekruten in Scharen die Truppe verlassen. Doch erstaunlicherweise ist eher das Gegenteil der Fall. Zwar verlassen etwa 50 Rekruten die Kohorten, doch der Rest bleibt. Die Frage ist: warum?

Einerseits können sie zwar davon ausgehen, dass ein siegreicher Caratacus, wenn er Calleva erobert, alle Königstreuen abmurksen lassen würde. Doch der König lebt und seine Burg ist noch längst nicht erobert. Also muss es einen anderen Grund geben. Dieser zeigt sich kurz vor Ende der Belagerung der Königsburg. Der Verräter und seine atrebatischen Anhänger haben einen römischen Legionär gefangengenommen. Nun soll diesem Figulus wie schon seinen keltischen Vorgängern Gewalt angetan werden, indem man ihm seine Knochen bricht.

Zur Verblüffung des Verräters weigern sich der Folterknecht ebenso wie seine atrebatischen Anhängern, diese Folter vorzunehmen. Offenbar gibt es ein emotionales und ehrenhaftes Band, das stärker ist alle Befehlsgewalt, die ein Verräter ausüben könnte. Es ist das Band, das Waffenbrüder miteinander verbindet, die bereit sind, ihr Leben füreinander zu geben. Dies sind die „Brüder“, die der Titel meint. Und als Vespasian Cato befiehlt, die Wolfs-Kohorte aufzulösen und alle Rekruten zu entwaffnen, kommt dies Cato wie der ultimative Verrat vor. Aber Befehl ist Befehl. Man sieht: Es gibt anrührende Momente in dieser Geschichte.

Action

Natürlich gibt es auch jede Menge Action. Aber diese wird in sorgfältig abgemessenen Dosen verabreicht, so dass von einem Landser-Roman keine Rede sein kann. Die Action dient in der Regel der Verteidigung: erst zweimal Calleva, dann die Königsburg, schließlich die 2. Legion. Nur einmal könnte man von einem Angriff sprechen: Wie oben erwähnt kesseln die neuen Atrebates-Kohorten 500 Caratacus-Krieger ein und reiben sie auf.

Das glorreiche Finale ist zweifellos die Verteidigungsschlacht der 2. Legion unter Vespasian, die sich ihrerseits auf einem Hügel hat einkesseln lassen. Da hat wohl jemand nicht genügend Späher ausgeschickt! Doch wie ich schon viele Male bei David Gemmell gelesen habe, kann auch eine unterlegene Truppe den Sieg davontragen, wenn sie eine strategisch günstige Position (Hügelspitze) einnimmt und mit Entschlossenheit gegen den Feind vorgeht, und zwar selbst dann, wenn die Lage bereits aussichtslos erscheint. Merke: „Das Glück ist mit dem Tüchtigen“ – dieses Motto ist auch auf dem Rücken von John Wick eintätowiert.

Historisches Wissen

Als Historiker hat der Autor den Hintergrund seiner Handlung fein säuberlich recherchiert und präsentiert ihn so wirkungsvoll, dass sein Kenntnisreichtum offenkundig wird. Das Wissen reicht von den militärischen Rängen über die ausgefeilte Organisation und diverse Kampftaktiken bis hin zur Organisation der römischen Politik, die Claudius zu schaffen macht. Die Invasion Britanniens ist für ihn lediglich ein Schachzug seiner Propaganda, der den Plan seines ermordeten Vorgängers Caligula aufgreift. Er will die Kritiker zum Verstummen bringen; es gelingt ihm, weitere zwölf Jahre (bis 55 AD) am Leben und an der Macht zu bleiben. Kein Wunder also, dass eben diese Gegner eine Verschwörung nach der anderen gegen ihn betreiben.

Kleine Helden

Es sind die kleinen Leute, die Legionäre und Sklaven, für die der Autor unser Mitgefühl und Verständnis weckt. Da sind die hungernden Bewohner von Calleva, im Gegensatz zu den wohlgenährten Besatzern aus Rom. Da sind die zahlreichen Figuren aus der Hilfstruppe der Atrebates, die der Autor ganz genau schildert. Sie zeigen das Dilemma der Eroberer auf: Man muss die Einheimischen unterwerfen, aber kann man ihnen trauen, wenn sie sagen, sie seien loyal und treu?

Die Briten

Im Vergleich dazu bleiben die Briten des Caratacus recht blass. Man kann sie sich als entfernte Vettern der Gallier vorstellen, die ja ebenfalls keltische Vorfahren haben. Doch die Briten weisen einige Eigenschaften auf, die sie einzigartig machen. Ihre keltischen Streitwagen sind effektive, wenn auch veraltete Waffen. Die Räder lassen sich leicht mit einem Speer blockieren bzw. aus der Bahn werfen und die Kämpfer sind gegen Pfeile ungeschützt. Die Kämpfer selbst haben ihre langen Haare weiß gekalkt (gegen Läuse), sind mit Tattoos bemalt und bieten mit ihrer oft riesigen Statur einen furchteinflößenden Gegner. Dass sie ihren Opfern den Kopf abschlagen, gehört zu den grausigsten Details des an blutig-realistischen Details nicht armen Romans.

Die Übersetzung

Der Text der Übersetzung ist flüssig zu lesen. Der Übersetzer hat die zahlreichen Ausdrücke der militärischen Realien ausgezeichnet ins Deutsche übertragen – dies ist allerdings eine Leistung seiner Vorgängerin. Deshalb konnte er auf Fußnoten, Endnoten und ein Glossar verzichten. Eine Zeittafel wäre indes recht nützlich gewesen, denn sie hätte die Landkarte ergänzt.

Das Buch enthält eine Landkarte Südenglands mit der Südostküste, desweiteren ein Organigramm der Ränge einer Legion, ihrer sechs Kohorten und einer exemplarischen Zenturie – insgesamt rund 8500 Mann.

S. 352: „Einen Moment lang konnte er nicht Atmen…“ Das Wort „Atmen“ ist hier kein substantiviertes Verb, sondern ein ganz normales Tunwort, das klein geschrieben wird.

S. 466: „In deren Innere[n] arbeiteten die Tribune…“: falsche Kasusendung. Korrekt sollte es „in deren Innerem“ heißen. Es heißt ja auch „in dem“, wenn ein Ort angegeben wird (mit dem Dativ), und nicht „in den“, wobei eine Richtung angegeben wird (mit dem Akkusativ).

Unterm Strich

Auch dieser vierte band der ROM-Serie kombiniert militärische Action mit einer spannenden, bis zuletzt undurchsichtigen Agentenhandlung. Umso größer ist die Überraschung, wenn sich die Identität des wahren Verräters herausstellt. Und dem römischen Schnösel Quintillus gönnt man jeden Tadel, den ihm General Plautius verpasst. Der Tribun hat nicht nur König Vericas Lage verschlechtert, sondern sich auch noch im Kampf als Feigling erwiesen. Hoffentlich muss er bald nach Rom zurück.

Die Handlung konzentriert sich aber wie stets auf den Blickwinkel der gewöhnlichen Soldaten, unter ihnen unsere Serienhelden Macro und Cato. Letzterer ist erst 20 Jahre alt, muss sich aber schon wie ein doppelt so alter Legionär bewähren. Sein Leben ist aber ganz anders als das seines Freundes Macro verlaufen, und so ergänzen sich die beiden ganz hervorragend.

Der im Kaiserpalast (wo sein Vater der Majordomus war) aufgewachsene Cato ist meist der schlaue Denker, der mit Typen wie Quintillus schon unangenehme Bekanntschaft gemacht hat. Doch solche Tribunen sagen nie die ganze Wahrheit – und dafür muss Cato mit einem schweren Fehler bei der Einschätzung der möglichen Verräter um Verica herum bezahlen.

Für solche zerebralen Entgleisungen kennt Macro jedoch ein Patentrezept: Saufen, saufen, bis zum Umfallen! Damen kommen leider überhaupt nicht mehr vor, was ich sehr schade finde.

Die Tücken der Übersetzung habe ich oben erwähnt. Keiner der ersten fünf Bände enthält eine Zeittafel der historischen Ereignisse.

Taschenbuch: 478 Seiten
Originaltitel: The Eagle and the Wolves, 2003
Aus dem Englischen von Barbara Ostrop
ISBN-13: 9783442382712

www.randomhouse.de/blanvalet

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