Matthew Sturges – Midwinter. Action-Fantasy-Roman

Die Midwinter-Chroniken:

1) „Midwinter“
2) „Schattenspäher“

Action-Fantasy mit neuen und bewährten Elementen

Mauritane ist Hauptmann in der Elfenarmee der Seelie. Einst als Kriegsheld gefeiert, sitzt er nun wegen Verrats im Kerker, zu lebenslanger Haft verurteilt. Trotz seiner Unschuld sind seine Tage gezählt. Doch dann unterbreitet die Königin ihm ein einmaliges Angebot: Mauritane soll eine Elitetruppe zusammenstellen und einen geheimen Auftrag für sie erledigen. Hat er Erfolg, will sie ihn und seine Gefährten begnadigen. Doch die Sache hat einen Haken. Der Auftrag ist ein Himmelfahrtskommando … (Verlagsinfo)

Der Autor

Matthew Sturges, geboren Oktober 1970 in Rhode Island, USA, ist das Pseudonym von Lilah Sturges: Sie ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und verfasste bereits Comic- und Fantasyromane. Im Juni 2010 erschien ihr zweiter Roman „The Office of Shadow“. Anno 2010 erschien ihre Storysammlung „Beneath the Skin and Other Stories“, die Horrorerzählungen umfasst. Zurzeit lebt sie in Pflugerville, Texas. Mehr Info.

Sturges ist bekannt geworden durch ihre Nominierung für den begehrten „Eisner-Award“ – für einen ihrer Comic-Books, „Jack of Fables“. In den 1990er Jahren war sie ein kollektives Mitglied des „Clockwork Storybook“, zu dessen Mitgleider unter anderem Bill Willingham, Chris Roberson und Finn Mark zählen.

Handlung

Die Fae-Festung Crere Sulace ist kein Ort für einen netten Urlaub. Ganz im Gegenteil, hier ist das Hochsicherheitsgefängnis der Seelie-Elfen, über die Titania Regina herrscht, und es ist immer saukalt. Unter den Gefangenen finden immer wieder Messerkämpfe statt, bei denen Mauritane, ein ehemaliger Hauptmann der Königlichen Leibwache, als Schiedsrichter fungiert.

Er ist es auch, an den sich Hauptmann Purane-Es, der aus der Hauptstadt Smaragdstadt gekommen ist, wendet. Mauritane hat seinen Bruder Purane-La getötet, und Purane-Es muss auch gleich einen Angriff abwehren. Erst dann kann er dem widerwärtigen Mauritane das königliche Angebot unterbreiten: eine geheime Mission zur grünen Stadt Sylvan, quer durch die Umfochtenen Lande, an den Wachen des Unseelie-Königreichs von Königin Mab vorbei. Dort solle Mauritane etwas abholen und es der Königin überbringen. Als Dank würden er und seine Gefährten danach freigelassen. Aber nur wenn er die Frist einhält.

Da Mauritane nichts anderes übrig bleibt, zieht er (nach einem kleinen Zwischenfall im Nordturm, der erst am Schluss seine Erklärung findet) mit fünf Gefährten los: Die Fae Honigborn, Silberdun und die Avalonerin Raieve sind ausgebildete Schwertkämpfer, doch der Mensch Slattery ist das nicht. Folglich muss er ihn ausbilden. In der Stadt Weißendorn trifft er den vertrauenswürdigen, aber melancholischen Fae-Kämpfer Graugänger, der sich ihnen anschließt.

Schon wenige Tage nach dem Aufbruch stellt Mauritane fest, dass eine seiner Botenfeen geklaut wurde. Es muss also einen Verräter in seiner Truppe geben. Da Honigborn sich im Kampf mit Unseelie-Truppen für sie opfert, kann er es nicht sein. Slattery, der erst seit zwei Jahren in den Faereichen ist, kennt sich hier nicht aus, scheidet also aus. Wenig später zeigt sich, dass auch Raieve nicht in Frage kommt, was Mauritane veranlasst, seine Frau Anne, die in Smaragdstadt auf ihn wartet, mit der Avalonerin zu betrügen. Bleiben noch zwei Verdächtige.

Mauritane ahnt nicht, dass sich Lady Anne inzwischen von Purane-Es umworben sieht und dieser Aufmerksamkeit gerne nachgibt, um der sozialen Ächtung zu entgehen, in die Mauritanes Verhaftung sie gestürzt hat. Erst im Finale erreicht ihn diese Nachricht, die ihm sein schlimmster Feind ins Gesicht schleudert, wie ein Hammerschlag.

Doch die Zeit läuft ihnen davon, und sie können keine Scharmützel mit Goblins, Unseelie-Patrouillen und Thulemännern mehr riskieren. Schon in vier Tagen müssten sie eigentlich in Sylvan sein, bräuchten aber sieben Tage für die Strecke. Also müssen sie es riskieren, einen der beschleunigenden Unbeständigen Orte aufzusuchen und dazu nutzen, eine größere Strecke zurückzulegen – hoffentlich in der richtigen Richtung …

Unterdessen

An Bord der schwebenden Stadt von Königin Mab bereitet der Schwarzmagier Hy Pezho seinen Coup vor. Offenbar gibt es Spione der Seelie-Königin Titania und sogar Rebellen unter den Untertanen Ihrer Majestät. Marar, der Steuereintreiber, sei so einer, behauptet Hy Pezho und lässt ihn mit Mabs Erlaubnis köpfen. Doch wo sind Marars Komplizen? Womöglich an Bord der schwebenden Schwesterstadt Gefi, die er mit seiner neuen Waffe, dem Schießpulver, angreifen lässt. Hy Pezhos Rang steigt, bis er neben Mab sitzen darf. Doch auch dieser privilegierte Ort reicht ihm noch nicht, denn seine Rache verlangt nach Königin Mabs Kopf …


Mein Eindruck

Ich habe mehrere Wochen für dieses hochgelobte Fantasygarn gebraucht. Erst der dritte Teil, der mehrere Finali auf actionreiche Weise schildert, konnte meine hochgespannten Erwartungen erfüllen. Davor aber muss sich der Leser durch diverse Scharmützel kämpfen. Das Kurioseste davon ist sicherlich das Lager der in die Faelande geratenen modernen Amerikaner, die es durch einen der Unbeständigen Orte an diesen Ort verschlagen hat. Sie nehmen die Fae gefangen. Nun schlägt Slatterys große Stunde der Bewährung.

Slattery, der unbeholfene und ängstliche Mensch unter lauter magiebegabten Elfen, ist jedoch keineswegs der Held der Geschichte. Das Abenteuer hat mehrere Helden, und der Autor präsentiert nacheinander die Perspektiven von Mauritane, dem Anführer, seiner kämpferischen Geliebten Raieve und dem Menschen Slattery. Silberduns Blickpunkt bekommen wir selten präsentiert – dafür spielt er die Hauptrolle in der Fortsetzung „Schattenspäher“.


Tolkien bleibt unerreicht

Wie in „Herr der Ringe“ wird eine recht unterschiedliche Gruppe von Gefährten auf eine gefährliche und mysteriöse Mission geschickt. Um diese zu überleben, müssen alle Gefährten ihre jeweiligen Stärken zur Geltung bringen und einsetzen. Dabei gibt ausgerechnet der Mensch eine klägliche Figur ab, was uns gar nicht recht ist. Erst spät darf er als Naturwissenschaftler ein Glanzstück vollbringen: Er bringt einen irdischen Sportwagen zum Laufen und rast mit sagenhaften 50 km/h durch die elfische Pampa gen Hauptstadt.

Da war mir doch Mauritane wesentlich lieber. Er ist das Gegenstück zu Aragorn in diesem Abenteuer und führt die Seelie in die Entscheidungsschlacht gegen die Unseelie-Truppen Ihrer Majestät Königin Mabs. Der Hintergrund für die Feindschaft zwischen Mab und Titania wird zwar erklärt, aber si skizzenhaft, dass man die Erklärung gleich wieder vergessen hat.

Ein Tolkiensches Gefühl geschichtlicher Tiefe soll zwar erweckt werden, wird aber an keiner Stelle erreicht. Tolkien hat sich eben die Mühe gemacht, ein ganzes Universum zu erfinden und es in den bekannten Anhängen zu beschreiben (wo dann auch Arwen auftaucht). Hierfür hätte sich Sturges noch einiges mehr an Zeit gönnen müssen, etwa für ein Glossar. Stattdessen kommt immer wieder ein Gefühl der Verwirrung auf. Das hat mich genervt und verunsichert.

Mab

Recht interessant ist Königin Mab. Sie ist, wie in der „Merlin“-Verfilmung, eine mächtige Hexe (aus der keltischen Mythologie), der diverse Arten von Magie zur Verfügung stehen, so etwa die über die Schwerkraft und die Elemente. Sie kann so etwas wie eine Atombombe einsetzen. Allerdings können Mauritane und Co. in einer Art Kommandounternehmen die Quelle dieser speziellen Magie erstaunlich leicht ausschalten. Mab weist die übliche Arroganz der Macht auf. Das könnte noch ihr Untergang sein.

Die Schlacht

Wie in „Die linke Hand Gottes“ und „Herr der Ringe“ bringt eine große Schlacht die Entscheidung darüber, wer in den Seelie-Landen herrscht. Das Drehbuch für die Schlacht kam mir nicht vertraut vor, wenn auch Zentrums- und Flankenangriffe sicherlich zum Standardrepertoire gehören (Cannae, Gettysburg, Philippi usw.) Interessant ist jedoch der Einsatz von magischen Schirmen und magischen Geschossen durch die Thaumaturgen beider Seiten. Das erinnerte mich an die Entscheidungsschlacht in „Die Heiligtümer des Todes – Teil 2“. Natürlich wird die Entscheidung durch eine List herbeigeführt. Die darf hier aber nicht verraten werden.

Mission erfüllt?

Aber eigentlich fragte ich mich die ganze Zeit: Wieso zum Geier ist es auf dieser Welt die ganze Zeit Winter? So was ist ja nicht normal. Sylvan, die grüne und warme Stadt, der Mabs Invasion gilt, ist das beste Gegenbeispiel. Etwas ist aus dem Lot geraten. Ist Sylvan so grün und warm, weil hier der Gott Aba-e in einem großen Tempel verehrt wird, oder liegt es an der Abwesenheit von Titanias Kräften in dieser rebellischen Stadt?

Wie sich herausstellt (so viel darf verraten werden), besteht Mauritanes Mission darin, in dieser Stadt eine junge Frau, eine Baronesse, zu finden, zu entführen und zu Titania zu bringen. Zu welchem Zweck, ahnt er nicht. Doch es hat etwas mit dem fortwährenden Winter zu tun. Kein Wunder, dass der Feind nichts davon erfahren darf. Allerdings landet Mauritane samt Anhang erst einmal im Kerker. Das Ende der Mission? Natürlich nicht!

Romantik

Dass Romantik nicht fehlen darf, versteht sich von selbst. Von Anfang an ist klar, dass diesbezüglich etwas zwischen Mauritane und der Avallonerin Raieve laufen wird. Doch ihr Techtelmechtel steht unter keinem glücklichen Stern. Dafür wird es was mit Lady Anne, Mauritanes Noch-Gattin, und seinem Erzfeind Purane-Es. Allerdings nur solange, bis Mauritane davon informiert wird und seinen Feind zum Duell stellt. Dann ist Schluss mit lustig.

Die Übersetzung

Die Übersetzung ist durchaus flott zu lesen und scheint der Vorlage recht genau zu entsprechen. Auffällig sind die zahlreichen PPA-Konstruktionen: „zupfend“, „gehend“, „kämpfend“ etc. Sie signalisieren einen anhaltenden Zustand oder eine Handlung im Verlauf, die also noch nicht abgeschlossen ist (dass wäre ja PPP). Allerdings werden PPA-Konstruktionen generell nicht als guter deutscher Stil erachtet.

(PPA: Partizip Präsens Aktiv oder Erstes Partizip, PPP: Partizip Präsens Perfekt oder zweites Partizip; siehe dazu „DUDEN: Gutes und richtiges Deutsch“.)

S. 166: „als hätte sie etwas gesehen, das sie erschrak“. Genau die falsche Form von „erschrecken“. „Erschrak“ ist intransitiv, verlangt wird aber die transitive Form „erschreckte“. Deutsch müsste man können!

S. 252: „zu jung, am alles zu verwalten“ – statt „um“. Nur einer von etlichen Dreckfuhlern und Fipptehlern.

S. 267: „Ereignis, dass während der Zeit, die die Seelie Midwinter nennen, stattfand.“ Korrekt wäre „das“ statt „dass“.

S. 301: „den getrockneten Wachs von den Fingern zupfend“: Korrekt wäre „das Wachs“.

S. 402: „beobachtete die kleine Flamme, wie sie [sich] hin und her bewegte“. Das Wörtchen „sich“ fehlt.


Unterm Strich

Man sieht also, dass die Story trotz der offensichtlichen Anlehnung an den „Herrn der Ringe“ doch eine ganze Reihe von Neuerungen aufweist. Titania, Mab und ihr ganzes Elfenpack stammen nicht aus Shakespeares Stücken, sondern sind wesentlich älter, nämlich keltischen Ursprungs. Dennoch oder gerade deshalb spielt Religion eine wichtige Rolle für die verschlungene Handlung. Die Seelie vergöttern Titania, doch die Arkadier tun dies ebenso wenig wie die Avallonier – gute Gründe für die Kriege der Vergangenheit und die Invasion durch Königin Mab.

Eine Mission, die von innen und außen gefährdet ist, kennen wir schon von Tolkien. Doch die Unbeständigen Orte erinnern mehr an die Fantasy von Michael Moorcock, dessen Multiversum durchlässige Ebenen aufweist: Der Durchgang von Ebene zu Ebene ist an diesen Orten zwar leicht, aber nur mit einem Trick zu bewerkstelligen. Interessanterweise geht Slattery, der Mensch, nicht zurück in seine Welt, sondern bleibt der Mission treu. Ein feiner Zug an ihm.

Richtig spannend wird das Buch allerdings erst auf der Zielgeraden. Dazu gehört der gesamte dritte Teil (S. 311 bis 443), den ich ratzfatz hintereinander weglas. Hier fällt doch ein ziemlich hoher „bodycount“ an, mit recht üblen Morden, einem Kommandounternehmen, einer magischen Konfrontation Mabs – und nicht zu vergessen: die obligatorische Entscheidungsschlacht.

Zurück bleibt der Eindruck eines relativ interessanten Action-Fantasyromans, der einige nette Ideen vorzuweisen hat. Insbesondere die unkonventionelle Handhabung der Zeit spielt dabei mehrfach eine Rolle. Dabei werden nicht einmal die Regeln der Vorlage, die im „Herrn der Ringe“ vor über einem halben Jahrhundert aufgestellt wurden, verletzt. Denn die Besuche im Alten Wald, in Moria und Lothlorien sind zugleich Ausflüge in andere Zeiten.

Man muss abwarten, was der Autor bzw. die Autorin noch aus seinem bzw. ihrem Privatuniversum macht. Ein Glossar, das als Nachschlagewerk für die zahlreichen neuen Begriffe dienen könnte, hätte den Büchern jedenfalls gut zu Gesicht gestanden. Auch in „Schattenspäher“ findet sich keines.

Fazit: vier von fünf Sternen.

Taschenbuch: 445 Seiten
Originaltitel: Midwinter (2009)
Aus dem US-Englischen von Michael Neuhaus
ISBN-13: 978-3404285471

www.luebbe.de

Schreibe einen Kommentar