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Röhrig, Tilman – Ein Sturm wird kommen von Mitternacht

_Romantisch: die Pferdeflüsterin und der Hunnenprinz_

Europa im fünften Jahrhundert: Die Völkerwanderung stellt die alten Verhältnisse auf den Kopf, denn das alte römische Reich gehört der Vergangenheit an. Die vordringenden Hunnen aus Zentralasien haben ein weiteres Heer geschlagen: Die Stadt Worms am Rhein wird geplündert. Auf dem Schlachtfeld hat die junge Goldrun ihren Vater verloren, und ein Hunne namens Keve nimmt sie als Sklavin mit nach Osten, ins Hauptquartier.

Goldrun entdeckt ein besonderes Talent, das sie bei den Hunnen, die mit ihren Pferden so verbunden sind, sehr geschätzt macht: Sie ist eine Pferdeflüsterin. Als ein junger Prinz, Attilas Sohn, auf sie aufmerksam wird, wird auch sie in die Staatshändel der Hunnen mit den Römern und Galliern hineingezogen.

_Der Autor_

Tilman Röhrig, geboren 1945 in Hennweiler/Hunsrück, besuchte die Staatliche Schauspielschule in Frankfurt/Main und hatte Engagements in Frankfurt, Bon und Hannover. Außerdem war er sieben Jahre bei den Städtischen Bühnen Köln. Seit 1973 arbeitet er als freischaffender Schriftsteller, Film-, Funk- und Fernsehautor. Für sein literarisches Schaffen wurden ihm zahlreiche Auszeichnungen verliehen, darunter der deutsche Jugendliteraturpreis und der Große Kulturpreis NRW. Röhrig lebt in der Nähe von Köln. (Verlagsinfo)

_Die Sprecher / Die Inszenierung_

Die Hörspiel-Inszenierung prunkt mit mehr als dreißig Sprechern und einer ausgefeilten Orchestermusik. Auf der Liste der Sprecher findet man Angelika Domröse, Friedrich Schoenfelder (dt. Stimme von David Niven), Cathlen Gawlich, Till Hagen (dt. Stimme von Jonathan Pryce), Jürgen Kluckert, Manfred Lehmann (dt. Stimme von Bruce Willis), Jürgen Thormann (dt. Stimme vieler Aristokraten) und viele andere.

Die Bearbeitung des langen Romans erfolgte durch Siegfried Antonio Effenberger. Regie, Hörspielmusik und Ton besorgte Christian Hagitte und Simon Bertling, wobei Hagitte auch das Berliner Filmorchester und den Kammerchor leitete. Tonnachbearbeitung und Schnitt erfolgten durch Sonja Harth, als Produktionsassistenz fungierte Katalin Hartke.

Die besonders schöne Frauenstimme gehört Lili Zahavi, und die prägnante Percussion spielte Tom Marberg. Die mittelalterlichen Instrumente Dulcimer, Cister, Lyra und Monochord bediente Norbert Dobisch. Sie tragen wesentlich zu einem zeitgenössischen Eindruck vom Geschehen im fünften Jahrhundert bei.

_Handlung_

Ein Entsetzensschrei ertönt: „Die Hunnen kommen!“ Und tatsächlich hat Worms am Rhein, die Hauptstadt des Burgunderreiches, allen Grund, entsetzt zu sein. Die Reiterhorden der Eroberer aus den Steppen Asiens haben bereits ganz Osteuropa nördlich des Römischen Reiches unter ihr Joch gezwungen und schicken sich nun als nächstes an, auch die römische Provinz Gallien anzugreifen. Worms ist lediglich eine Station auf dem Weg dorthin, doch es entbrennt eine Schlacht, bei der auch die Hunnen Federn lassen müssen. Das verschafft dem Westen eine Atempause von 15 Jahren. Man schreibt das Jahr 436, als das Reich Burgund untergeht. König Gunther ist in der Schlacht gefallen.

Die zehnjährige Goldrun verliert in der Schlacht ihren Vater, und nur ihre Mutter, ihre Schwester und ihr kleiner Bruder Giselher überleben von ihrer Familie. Sie findet eine verwundete Stute, die sie mit ihrer Stimme besänftigt. Ein Rabenkrächzen schreckt Goldrun auf dem Schlaf empor. Ein Hunne steht über ihr. Er hält sie für einen Blutgeist, denn sie ist über und über mit dem Blut der inzwischen gestorbenen Stute bedeckt. Keve nimmt Goldrun mit. Weinend muss sie von ihrer Mutter Abschied nehmen, die ihr ihr eigenes Kleid gibt.

Auf einem Planwagen treten die gefangenen Burgunderinnen, die für die Hurenzelte der Eroberer bestimmt sind, die lange Reise gen Osten an, zu Großkönig Bledas Hauptquartier. Dieser soll über ihr Schicksal entscheiden. Die Matrone Fulla ruft die Frauen zu Durchhalten und Solidarität auf, und Goldrun findet in dem Mädchen Hildegund eine liebe Freundin. Hildegund ist die Tochter eines königlichen Beraters und recht gebildet. Beide setzen sich für den Junker Walter ein und retten ihm das Leben. Später entsteht zwischen Hilegund und Walter eine feste Bindung.

Bledas (Manfred Lehmann) Bruder Attila konnte die Burgunder nur angreifen, weil es ihm 434 gelungen ist, mit dem Oströmischen Reich unter Kaiser Theodosius II Frieden zu schließen. Attila ist der über den Ostteil des Hunnenreiches herrschende Unterkönig und gönnt Bleda den ganzen Ruhm des Burgunderfeldzuges, doch insgeheim grollt er, dass er zwei Drittel seiner Kriegsbeute an Bleda abgeben muss. Obendrein hat Bleda eine Abmachung Attilas mit den Römern gebrochen und seinen Bruder somit bloßgestellt. Attilas Berater Onogesius (Jürgen Thormann) rät dazu, Bleda sukzessive zu entmachten. Attila giert bereits nach Bledas Blut.

Nach der gewaltsamen Trennung von allen Freunden wird Goldrun im Haushalt Keves untergebracht. Der verheiratete Keve tut dem jungen Mädchen nichts an, sondern lässt es auf dem Gestüt seiner Schwägerin Tarcal arbeiten. Dort erweist sich Goldruns spezielles Talent als Pferdeflüsterin als von großem Nutzen. Sie heilt eine kranke Stute, und deren Stutenfohlen Wildrose wird ihre treue Gefährtin.

Im Jahr 440 trägt ein Schamane Unterkönig Attila die Führerschaft über die Hunnen an. Das Symbol dieser Führerschaft ist ein dem Kriegsgott Mars geweihtes Silberschwert. Das ist ein subversiver Akt und Onogesius rät sofort zur Zurückhaltung – doch der Tag wird kommen, an dem das Schwert jenen Dienst verrichten wird, für den es geschmiedet oder entdeckt wurde …

Nur zwei Jahre später greift Bleda Ostrom an und macht es tributpflichtig. Unmengen von Beute fließen fortan in das königliche Hauptquartier. Die inzwischen 16 Jahre alte Goldrun erhält erstmals Besuch von Hildegund, die nicht nur schon einen Busen hat, sondern auch einen Schatz: Junker Walter. Goldrun hat inzwischen ihre Stellung gefestigt und keine Pläne mehr zu entfliehen (im Gegensatz zu Walter und Goldrun). Keve ist für sie ein Ersatzvater geworden und Tarcal eine Mentorin.

Da kommt der schwärzeste Tag in Goldruns Leben. Auf dem Fest Bledas zu Ehren eines römischen Senators ist ein Narr namens Zerkon aufgetreten, dessen Aufgabe es war, die Römer tödlich zu beleidigen. Das ist ihm vollauf gelungen. Als Belohnung darf sich Zerkon mit Bledas Erlaubnis eine wertvolle Stute aussuchen. Seine Wahl fällt unglücklicherweise auf Wildrose, Goldruns beste Freundin unter den Pferden. Doch von der Mutter getrennt zu werden, würde den Tod von Wildroses Fohlen bedeuten, und so protestiert Goldrun dagegen. Zerkon will es töten lassen, doch Goldrun schreit auf. Als er merkt, wen er zuerst zähmen muss, zerrt er Goldrun in einen Stall, um ihr Gewalt anzutun …

Fünf Jahre später führt Attila den langen geplanten Putsch gegen seinen Bruder aus. Im Jahr 451 greift eine halbe Million seiner Reiter Gallien an, und in Worms und Umgebung hallt wieder einmal der Schrei „Die Hunnen kommen!“ wider. Es kommt zur Entscheidungsschlacht auf den Katalaunischen Feldern bei Paris.

_Mein Eindruck_

Der historische Roman schildert eine für die nachrömische Zeit entscheidende Epoche: den Einfall der Hunnen in Westeuropa sowie ihr ebenso plötzliches Verschwinden. Natürlich ist Attila, die „Geißel Gottes“, nicht nur durch das Nibelungenlied, wo er als König Etzel auftritt, zu einer Legende geworden. Auch in Italien und anderswo erinnert man sich der Grausamkeit seiner Herrschaft nur allzu gut. Es gibt daher auch italienische Monumentalschinken, in denen Attila zur Bedrohung Roms schlechthin hochstilisiert wird.

Der vorliegende Roman ist uns leicht zugänglich, sobald wir einmal eine Verfilmung von „Die Nibelungen“ gesehen oder eine Nacherzählung gelesen haben. Burgunder, Hunnen – alles da. Dass die Hunnen aber eine eigene, durchaus verständliche Kultur und Lebensweise hatten, haben bislang nur die wenigsten Schriftsteller anzudeuten und zu beschreiben gewagt. Zu verpönt ist dieses Volk. (Die Engländer setzten im 1. Weltkrieg sogar die Hunnen mit den Deutschen gleich: „Beware of the Hun out of the sun!“ mahnten die Fliegerinstruktoren. Die deutschen Luftwaffenpiloten nutzten die Sonne in ihrem Rücken, um ihre Gegner, die dadurch geblendet waren, zu überraschen.)

Und nun scheint der Autor dieses berüchtigte Volk sogar zu romantisieren. Die Burgunderin Goldrun verliebt sich gar in einen dieser Barbaren. Herrje, was kommt als Nächstes? Attila auf dem Kaiserthron? Beinahe hätte er es sogar geschafft, sich auf den Thron Westroms zu setzen, sobald er Bleda aus dem Weg geräumt hatte. Doch eine listige Frau machte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung. Das ist recht kompliziert erzählt und leider nicht sonderlich anschaulich. Die Folgen sind es umso mehr: Attila greift nun auch die weströmische Provinz Gallien an. Hat er sie erobert, wird ihn sein Weg unweigerlich nach Spanien, Oberitalien und Rom führen. Wie die Geschichtsschreibung lehrt, kam es nicht dazu.

Die zwei völlig verschiedenen Handlungsstränge, die sich nur an ein oder zwei Stellen treffen, dienen dazu, einerseits Frauen – durch Goldruns Schicksal und Romanze – anzusprechen, zum anderen auch Männer, die sich wohl eher für die Rivalitäten unter den Herrschern und Reichen interessieren. Auf dieser Ebene spielt eine ausländische Pferdeflüsterin eine denkbar untergeordnete Rolle. Doch für den Leser wird Goldrun wichtig als Beobachterin.

Die Hunnen erscheinen uns als ein Nomadenvolk, das seine Pferde liebt. Schon von klein auf lernen die Knirpse, ein Pferd zu reiten und zu pflegen, so dass sie schließlich eine Einheit bilden. Je edler die Pferdezucht, desto größer daher auch das Ansehen desjenigen, der diese Pferde reiten und zur Verfügung stellen kann: der König in der Regel. Zerkon braucht Attilas und Bledas ausdrückliche Erlaubnis, sich so ein edles Tier unter den Nagel zu reißen.

Nun erscheinen uns durch Goldruns Augen die Hunnen als ein tierliebes und naturverbundenes Volk, doch das bedeutet überhaupt nichts, wenn es um Menschen und insbesondere um unterworfene Ausländer geht. Für Letztere gelten keine Blutsbande und die üblichen familiären Rücksichten. Frauen werden in der Regel versklavt und daher von jedermann benutzt. Goldrun ist also eine seltene Ausnahme. Dass ein hunnischer Fürstensohn um sie freit, grenzt an ein epochales Wunder. Wenn das mal gut geht.

|Die Sprecher / Die Inszenierung|

Die Sprecher spielen und sprechen ihre Rollen recht gut. Ganz besonders gut gelingt dies Jürgen Thormann, der die Rolle des einflussreichen und listigen Ratgebers Attilas spricht: Onogesius. Auch Manfred Lehmann, der Synchronsprecher von Bruce Willis, hat eine eindrucksvolle Rolle auszufüllen, doch die demütigende Arroganz, die er seinem Bleda verleiht, macht diese Figur weiß Gott nicht sympathischer.

Mit Angelika Domröse und Friedrich Schoenfelder (Erzähler) sind zwei Altstars vertreten, die nicht allzu sehr ins Gewicht fallen, weil sie Nebenrollen zu sprechen haben. Auch die Sprecher von Keve, Zerkon und dem Fürstensohn stehen nicht im Vordergrund, aber sie müssen ebenso glaubwürdig erscheinen wie der Rest des Teams. Fällt einer aus, so fällt ein Schatten des Zweifels auf den Rest der Riege. Glücklicherweise gibt es hier wenig zu krisitieren. Zerkon als Schurke ist natürlich wieder mal der Unsympath in Person, aber sein Sprecher scheint seine fiese Rolle zu genießen.

|Musik und Geräusche|

Geräusche und Hintergrundstimmen gibt es relativ wenige, so zum Beispiel in der Schlacht um Worms, die am Anfang steht, oder während der Gelage, die an König Bledas Hof stattfinden. Diese Szenen sind natürlich besonders lustig. Dafür gibt es aber umso mehr Musik, die wirklich mitreißend ist. Ich könnte mir solche fetzigen Klänge durchaus in einer der Verfilmungen über Attilas Leben – da war doch was in 2004 – vorstellen. Die volkstümlichen Instrumente und Melodien tragen viel zum Zeitkolorit bei, das der Glaubwürdigkeit des Hörspiels gut tut. Allerdings gibt es hin und wieder auch Mönchschoräle und klagende Frauenstimmen, die ich fehl am Platz fand, obwohl sie natürlich auch in die Zeit passen (durften Frauen damals schon solo singen?).

_Unterm Strich_

Die dramaturgische Umsetzung der literarischen Vorlage erscheint mir in der gebotenen Kürze durchaus gelungen. Das Hörspiel durfte nicht zu lang sein – erstens wegen der möglichen Ermüdung des Hörers und zweitens wegen der Produktionskosten. Denn so ein Hörspiel mit Musik, Geräuschen und einer riesigen Schar Sprecher ist wie eine Theaterproduktion und verursacht entsprechende Kosten. Daher hat Lübbe die Produktion an das Studio STIL ausgelagert und fungiert lediglich als Vertriebspartner. Die Leute von STIL verstehen etwas von diesem Geschäft.

An Spannung lässt das Hörspiel aber erheblich zu wünschen übrig. Denn einerseits weiß man schon frühzeitig, dass Attila seinen Bruder irgendwann kaltmachen wird, denn Bleda taucht in der Überlieferung überhaupt nicht auf. Die halbwegs spannende Frage ist, wann Attila zuschlagen wird. All die Händel mit Ost- und Westrom interessieren im Grunde nicht und werden auch dementsprechend in Erzählerprosa abgehandelt. Die Zusammenhänge sind für das Verständnis der folgenden Szenen allerdings notwendig.

Ist aber wenigstens Goldruns Handlungsstrang spannend? Freunde von „Hanni und Nanni auf dem Pferdehof“ kommen hier voll auf ihre Kosten, und auch Anhänger von heißen Liebesnächten mit wilden Männern gehen nicht leer aus. Doch es kommt der Tag, an dem auch die junge Goldrun vor der Wahl steht abzuhauen oder zu bleiben. Sie schließt einen Kompromiss, doch ihr Hunnenlover kommt ihr auf die Schliche. Was für ein weiches Herz er nun an den Tag legt! Die List der Frauen erweist sich mal wieder als erfolgreich. Ganz besonders dann, wenn sie zusammenstehen.

Das Hörspiel ist unterhaltsam und lebhaft gestaltet. Freunde historischer Romane können sich auf eine gelungene Umsetzung freuen, aber vielleicht wünschen sie sich auch eine vollständige Lesung der literarischen Vorlage. Sicherlich hat der Dramaturg etliches weggelassen, was Leser des Buches vermissen dürften. Aber das war ja auch schon bei Hörspiel von Ken Folletts [„Die Säulen der Erde“ 1227 so.

|257 Minuten auf 4 CDs|

Tilman Röhrig – Die Ballade vom Fetzer

Mathias Weber war das, was man heute wohl unter dem Begriff ‚mieses Schwein‘ einsortieren würde. Zu Lebzeiten war er im Rheingebiet einer der gefürchtetsten Räuber, der vor keiner Brutalität zurückschreckte, um an sein Ziel zu gelangen.
Tilman Röhrig fasziniert die Geschichte des Mannes, der sich damals schnell den Beinamen ‚Fetzer‘ einhandelte, von jeher so sehr, dass er irgendwann beschloss, das kurze Leben des Mathias Weber bzw. den Lebensabschnitt, in dem er vom Tagedieb zum Anführer einer Räuberbande wurde, in einem Buch aufzurollen und den in Vergessenheit geratenen ‚Fetzer‘ der heutigen Generation vorzustellen. Die Arbeit des Autors stellte sich dabei als äußerst schwierig und langwierig vor. Nach intensiver Recherche, die fast schon aussichtslos erschien, fand er unter dem Namen ‚Schinderhannes‘ schließlich erste Informationen zu Weber, die er später in einem 61-seitigen Bericht näher intensivieren konnte. Eine halbe Ewigkeit hat Röhrig schließlich damit verbracht, Daten zu sortieren, Informationen zu bündeln, Einzelheiten im Detail zu erforschen und das Leben einer Person, die gerade mal 25 Jahre alt geworden war, lückenlos darzustellen – was ihm schließlich auch hervorragend gelungen ist!

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