Vonda McIntyre – Superluminal

Fast schon STAR TREK: Im Team ab in die 7. Dimension

Das Problem der Überlichtgeschwindigkeit ist gelöst. Die Menschen bereisen die Galaxis. Man benötigt dafür Piloten, die auf einen Teil ihres Körpers verzichten müssen, um den harten Anforderungen gerecht zu werden. Man ersetzt ihr Herz durch einen speziellen Apparat, der verhindert, dass ihr Organismus altert, während sie mit Überlichtgeschwindigkeit fliegen.

Alle nehmen sie dieses Opfer gern in Kauf, um dieser stolzen Elite anzugehören. Zu spät erkennen die meisten, dass ihnen nicht nur das Herz, sondern auch ein Teil ihres Menschseins genommen wird und dass es dem Menschen gelingen kann, die Grenzen des Universums zu erreichen, ohne sich zu verstümmeln. (Verlagsinfo)

Die angehende Raumpilotin Laenea setzt alles daran, an Bord eines überlichtschnellen (= superluminalen) Raumschiffes zu kommen. Doch beim ersten Testflug geht ihr Raumschiff im „Transit“ verschollen. Ihr Freund Radu, ein mit einem besonderen Talent begabtes Crewmitglied, geht sie an Bord eines anderen Schiffes suchen. Doch wie soll man ein Raumschiff finden, dessen Position niemand kennt?

Die Autorin

Geboren 1948 in Kentucky, wuchs Vonda McIntyre an der amerikanischen Ostküste auf und studierte an der Uni von Washington, D.C., Biologie. Als eine der ersten Absolventinnen des berühmten Clarion Workshop für angehende SF-Schriftsteller legte sie bereits 1970 ihre bekannteste Erzählung „Of Mist, and Grass, and Sand“ vor, die 1973 gedruckt erschien und 1974 prämiert wurde (Nebula). Die Story bildet den ersten Teil ihres mit Nebula und HUGO ausgezeichneten Romans „Traumschlange“ (1978, siehe meinen Bericht).

Neben Joan D. Vinge und Marta Randall gewann die Science-Fiction mit Vonda McIntyre eine würdige Kollegin der Wegbereiterinnen Ursula K. Le Guin und Joanna Russ. Sie schreibt atmosphärisch dichte und emotional packende Science Fiction. „The Exile Waiting“ (Die Asche der Erde) war 1975 ihr erster Roman, der aber wenig bemerkenswert ist, denn „Traumschlange“ ist wesentlich besser. 1976 gab McIntyre zusammen Susan Anderson die feministische SF-Anthologie „Aurora: Beyond Equality“ heraus.

Seitdem hat sie zahlreiche Romane veröffentlicht, darunter den STARFARER-Zyklus (ab 1986, dt. bei Bastei-Lübbe) sowie zahlreiche Titel im STAR TREK Universum.

Handlung

Die Astronautin Laenea Trevelyan hat sich das biologische Herz herausoperieren und ein mechanisch-elektronisches Herz mit Kreiselpumpe einsetzen lassen. Bislang war sie zehn Jahre lang als Crewmitglied zwischen den Sternen geflogen, doch nun hat sie ein großes Ziel in Greifweite: Sie will den Transit, den Sprung zwischen Sternen, ganz bewusst erleben statt wie bisher im Kälteschlaf. Sie ist nun Pilotin.

Welche Konsequenzen ihre Wandlung hat, erfährt sie gleich am eigenen Leib. Auf dem Weg zum Raumhafen von Seattle, der draußen auf dem Meer liegt, erkennt ein Kleiderhändler, was sie ist. Das passende Kleidungsstück für einen Piloten kann nur ein edler Umhang sein. Anstelle einer Bezahlung möchte das Geheimnis des Transits erfahren. Offenbar war er früher selbst Astronaut. Sie kann es ihm nicht sagen.

Ihre ehemalige Crew, die sie am Grund des Raumhafens wiedersieht, schneidet sie jetzt: Minoru, Alaina und Ruth nehmen sie nicht mehr in die Arme. Sie ist kein Crewmitglied mehr. Aber zu wem gehört sie dann? In einer anderen Zone stößt sie auf Piloten, die sie freundlich begrüßen. Ramona und Miikala sind von der ersten Generation, Laenea von der zweiten. Sie weigern sich, sie mitzunehmen. Sie müsse noch einen Monat warten.

Bei der nächsten Station auf ihrem Rundgang trifft sie einen Schläfer an, einen Piloten von der rauen Welt namens Twilight. Dieses Narbengesicht nennt sich Radu Dracul und sie fragt sofort, wo sein Bruder Vlad sei. Sie lädt ihn auf ein Mittagessen ein. Er ist so viel Freundlichkeit nicht gewohnt, doch allmählich taut er auf. Nachdem sie eine Unterkunft bei ihrer Freundin Kathell Stafford gefunden hat, findet sie überrascht heraus, wie heftig sie sexuell von ihm angezogen ist, und der Sex ist schnell und überraschend intensiv. Es muss an ihrem neuen Herzen liegen, sagt sie sich.

Doch es gibt auch Momente, in denen sie keine Luft bekommt und die Kontrolle üb er ihren Körper verliert. Es dauert geschlagene sechzig Sekunden, bis ihr Wille über das neue Herz die Oberhand behält. Das ist wirklich beunruhigend. Doch sie weigert sich auch weiterhin, sich der Fürsorge des Krankenhauses anzuvertrauen. Aber auch ein zweites und ein sehr langes drittes Liebesspiel mit Radu bringt keine Lösung. Das erkennt schließlich auch er. Und als er versucht, ins Pilotenprogramm aufgenommen zu werden, wird er abgelehnt. Es kann keine gemeinsame Zukunft geben. Also reist er ab.

(Zweiter Teil)

Radu fliegt mit dem erstbesten Frachtschiff durch den Transitraum nach der erstbesten Welt. Er kennt eines der Crewmitglieder bereits: Atna stammt von der Zielwelt. Auch dort klappt alles wie am Schnürchen: Die Fracht besteht aus Schmuckstücken, die hier wie Warzen an den Bäumen wachsen. Doch beim Abschied bittet Atna seinen Kollegen Radu, nicht mit diesem Schiff zurückzufliegen. Doch der Pilot, Wassilij Nikolajewitsch, lacht über solchen Humbug nur. Also fliegt Radu zurück.

Doch seine Alpträume von Laenea, für die er fürchtet, sorgen dafür, dass das Betäubungsmittel, das die Besatzung den Transitraum überstehen lässt, versagt: Er erwacht, sehr zum Entsetzen des Piloten. Wegen dieses Vorfalls hat das Schiff den Transit verlassen und befindet sich an unbekannter Position. Offenbar hat die Psyche viel mit der Transitfähigkeit zu tun. Radu ist der einzige Mensch, der auch im Transit stets genau die Uhrzeit weiß, so merkwürdig dies Wassilij auch anmutet.

Zwei weitere Betäubungsversuche schlagen fehl, und Radu fliegt bei vollem Bewusstsein durch den Transit. Der Pilot ist außer sich: So etwas habe es noch nie gegeben. Wenn jeder Beliebige mit einer solchen Fähigkeit im Transit fliegen können – wer braucht dann noch Piloten?! Piloten, die immerhin ihr Herz geopfert haben…

Auf der Erde sind die anderen Piloten hinter Radu her, doch eine ans Meer angepasste Frau, die Teil der Besatzung war, hilft ihm – bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Unterdessen hat Radu erfahren müssen, dass Laenea auf einem Trainingsflug verschollen ist – seit zwei Wochen. Seine Intuition, ausgedrückt in einem Alptraum, hat ihn nicht getrogen. Nachdem er den Piloten alles erzählt hat, was er zu berichten weiß (außer über seine Liebe zu Laenea), macht er ihnen ein ungewöhnliches Angebot: Er will Laeneas Schiff im Transitraum wiederfinden. Das ist bislang noch keinem gelungen.

Die Piloten lassen sich auf das Angebot ein, denn es sind schon viele der Ihren im Transit verlorengegangen. Wassilij Nikolajewitsch, die Pilotin Ramona-teresa und schließlich Orca, die Meerfrau, kommen mit auf einen Raumflug, wie es ihn noch nie gegeben hat…

Mein Eindruck

Selten wurde die kybernetische Umgestaltung eines Menschen so einfühlsam und nachvollziehbar dargestellt und in eine Liebesgeschichte eingebaut. Außerdem spielt die Geschichte im Raumfahrer-Milieu, was sie in den Augen der Leser automatisch zu einer Science-Fiction-Story macht. Dabei ist der Schauplatz die ganze Zeit hindurch die Erde. Erst in der Fortsetzung „Transit“ (1978) verlässt Radu, nunmehr die Hauptfigur, den Planeten.

Cyborg

Womit so mancher SF-Leser nicht gerechnet haben dürfte, ist der Mangel an physisch einschneidenden Erfahrungen und Erkenntnissen. Vieles, das schließlich zur Trennung Radus von Laenea führt, ist rein psychologisch bedingt: die Erkenntnis, dass die traditionelle Trennung zwischen den Piloten und den Mannschaften durchaus ihre Berechtigung hat. Sicherlich spielt zusätzlich auch die holprige Anpassung von Laeneas Körper an das biomechanische Herz eine Rolle – die Technik hat sie im Griff statt umgekehrt. Wie soll sich darauf eine verlässliche Beziehung aufbauen lassen?

Radu

Auch Radus sich entwickelnde Beziehung zu der Taucher-Mutantin Orca ist schön aufgebaut und nach dem Höhepunkt des Fluges und der Rückkehr folgerichtig weitergeführt. Radu ist ein Außenweltler, der die Erde praktisch gar nicht kennt. Er kann mit Vorschriften und Bürokraten nichts anfangen, ähnlich wie Orca, die lieber mit den Walen spielt und spricht. Statt sich also von Wissenschaftlern der Erde sezieren zu lassen, begibt er sich lieber unter Orcas Volk und beginnt den Übergang zum Taucher-Dasein: ein Rebell, ein Mann, der sich selbst treu bleibt. Kein Wunder, dass das Buch vielen Lesern Vergnügen bereitet.

Spannung

Der Roman ist sorgfältig und folgerichtig aufgebaut, und die nah an den Figuren erzählte Handlung zieht den Leser in ihren Bann. Manchmal ist es etwa so, als würde man einer ziemlich fortschrittlichen Episode „Star Trek“ folgen. Die Spannung wird auf der psychologischen Seite aufgebaut und beruht auf der romantischen Beziehung zwischen Radu, dem Bauernsiedler von der rustikalen Welt Twilight (wo er fast Opfer der Pest wurde), und dem im Vergleich geradezu zerbrechlich wirkenden Piloten Wassilij, Crewmitglied Orca und natürlich der fernen Laenea.

Realismus

Der Realismus in der Beschreibung der Schiffsführung und des Verhaltens an Bord reicht beinahe schon an den von C.J. Cherryh heran, die in dieser Disziplin unschlagbar ist. Das trägt zur Glaubwürdigkeit des Plots bei, obwohl an keiner Stelle auch nur der Versuch unternommen, den Antrieb zu erklären, der den Transit überhaupt erst ermöglicht. Denn mit den Hyperraum-Sprüngen, die bei Cherryh gang und gäbe sind, hat diese Fortbewegungsweise nichts zu tun: Sonst würde nämlich die seelische Verfassung von Figuren wie Radu keine Rolle spielen.

Die siebente Dimension

Der Leser fragt sich selbstverständlich, wozu dieses ganz Abenteuer gut sein soll, wenn es kein Erkenntnisgewinn gibt. Den gibt es zum Glück, ähnlich wie in einer STAR-TREK-Episode: Laenea und Radu bringen ihre jeweiligen Raumschiffe in die siebte Dimension, die sich nur so beschreiben lässt, dass sie räumlich gesehen jenseits der Expansionsgrenze des bekannten Universums liegt. Wo ist das?

Da die entferntesten Objekte ca. 14,5 Mrd. Lichtjahre entfernt sind und ihr Licht sich mit entsprechender Geschwindigkeit ausbreitet, beträgt der Radius dieser Sphäre (vorausgesetzt, das Universum IST überhaupt eine Sphäre, was angesichts der Dunklen Materie nicht so sicher ist) 14,5 Mrd. Lichtjahre und der Durchmesser folglich das Doppelte: 29 Mrd. Lichtjahre. (Das Volumen lässt sich mithilfe von Pi mal dem Quadrat des Radius errechnen – eine ziemlich große Zahl.)

Befindet sich die Erde wirklich im Mittel dieser Sphäre, mag sich so mancher Zeitgenosse fragen. Das ist relativ unwahrscheinlich. Unser Sonnensystem ist nur Teil unserer Galaxis, die mit großer Geschwindigkeit Richtung Sternbild Herkules rast. Doch von all diesen Dimensionen kommt im Buch absolut nichts vor, außer den obligatorischen Galaxiehaufen. Daher lässt sich das Buch auch ohne Probleme von absoluten Laien in Sachen Technik, Physik oder Astronomie verstehen.

Die Übersetzung

Die Übersetzung wurde von Ingrid Herrmann mit großer Sorgfalt angefertigt. Das merkt man u.a. daran, dass sie viele Ausdrücke des Umgangsdeutschen eingeflochten statt das englische Original eins zu eins zu übersetzen, wie es früher manche unterbezahlte Übersetzer taten. So ist hier von „Mief“ die Rede, von „abseilen“ (sich verdünnisieren) und zahlreiche Beschreibungen von Empfindungen, Gefühlen und Gesichtsausdrücken wie etwa „mürrisch“ usw. Aber was eine „Fugue“ als psychischer Zustand ist, muss der Leser schon selbst wissen.

Dennoch kann man nicht umhin festzustellen, dass der Text zu viele Druckfehler aufweist, vor allem bei falschen Wortendungen. Zudem unterliefen ihr fiese Fipptehler wie folgende:

S. 324: „Flutlicht taucht den Platz in gleitende Helle“. Es müsste wohl korrekt „gleißende Helle“ heißen.

S. 390: >>“Erstaunlich“, fiüsterte Quentin.<< Es müsste „flüsterte“ heißen.

Unterm Strich

Wer Action und Drama erwartet, ist hier auf dem falschen Dampfer. Psychologie und Einfühlungsvermögen werden vom Leser erwartet, und der ist wohl vorzugsweise weiblich. Denn was die Autorin vom Leser erwartet, um die Geschichte zu verstehen und nachzuvollziehen, ist Einfühlungsvermögen. Nur wenn der Leser bereit ist, sich in die immer wieder geschilderten Gemütszustände der Hauptfiguren – es sind ja bloß drei: Laenea, Radu, Orca – der kann auch an ihrem Schicksal anteilnehmen.

Die Autorin bereichert somit die klassische Science-Fiction-Thematik der überlichtschnellen Reisen um eine ungewöhnlich plausibel und anrührend geschilderte menschliche Facette. Sie hält sich nicht mit Beschreibungen ohnehin fiktiver Technik auf, sondern wendet sich vielmehr der emotionalen Seite solcher Reisen zu. Genau schildert McIntyre das Miteinander der einzelnen Gruppen und zeigt, dass alle Beteiligten letztlich gezeichnet sind durch diese Missionen. Aber am Schluss finden Radu und Orca einen Weg, auch mit diesen Veränderungen fertigzuwerden.

Der Roman bietet wesentlich mehr Stoff, viele mehr Figuren und damit auch mehr Gehalt und Aussagekraft als die einzelnen Novellen, wenn man sie aneinanderfügen würde. Daher kann ich jedem SF-Leser den Roman empfehlen. Wer ein Abenteuer erleben will, das an die Grenze des Universums führt und doch auch weiterentwickelte Menschen wie Radu, Orca und Laenea – als mögliche Wege der menschlichen Evolution – zeigt, der ist bei „Superluminal“ richtig.

Leider fand ich das verspielte Titelmotiv etwas zu verspielt, als dass es einen Hard-SF-Freund anziehen könnte. Es führt eher in die Irre, als einen Hinweis auf den Inhalt zu geben. Auch die Fehlerzahl im Text hätte wesentlich niedriger sein können. Dafür gibt es Punktabzug.

Taschenbuch: 397 Seiten
Info: Superluminal, 1983
Aus dem US-Englischen von Ingrid Herrmann.
www.heyne.de

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