Doyle, Arthur Conan / Gruppe, Marc – Sherlock Holmes: Der Fall Milverton / Der Teufelsfuß (Krimi-Klassiker 5)

_Auf Großwildjagd nach Cornwall_

London in den 1880er Jahren: Lady Brackwell steht kurz vor ihrer Hochzeit mit dem Earl of Dovercourt, als sie Opfer einer infamen Erpressung durch Charles Augustus Milverton zu werden droht. Kann es der Meisterdetektiv mit dem Erzschurken aufnehmen?

Im zweiten Fall, „Der Teufelsfuß“, werden Holmes und Dr. Watson mit äußerst mysteriösen Vorgängen in Cornwall konfrontiert, wo Holmes eigentlich in Kur ist. Geht dort wirklich der Teufel um? Pfarrer Roundhay ist überzeugt davon und hat einen Großwildjäger um Beistand gebeten …

_Der Autor_

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um sein Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: „The Lost World“ erwies sich als enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt. Bereits 1913 ließ Doyle eine Fortsetzung unter dem Titel „The Poison Belt“ (dt. als Im Giftstrom, 1924) folgen.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Sherlock Holmes: Joachim Tennstedt (dt. Stimme von John Malkovich)
Dr. John H. Watson: Detlef Bierstedt (dt. Stimme von George Clooney u. a.)

|In „Der Fall Milverton“:|

Charles Augustus Milverton: Hans-Werner Bussinger (dt. Stimme von Michael Caine)
Madame X (eine Unbekannte): Rita Engelmann (dt. Stimme von Kim Novak)
Inspektor Jones: Christian Rode (dt. Stimme von Sean Connery)

|In „Der Teufelsfuß“:|

Pfarrer Roundhay: Heinz Ostermann
Mortimer Tregennis: David Nathan (dt. Stimme von Johnny Depp, Christian Bale, Leonardo DiCaprio)
Mrs. Porter: Dagmar Altrichter (dt. Stimme von Angela Lansbury)
Dr. Leon Sterndale: Jürg Löw

Die orchestrale Musik stammt von Manuel Rösler, Ko-Produktion, Buch & Regie steuerten Marc Gruppe und Stephan Bosenius bei, Aufnahme und Abmischung erfolgten durch Kazuya @ Bionic Beats.

_Handlung von „Der Fall Milverton“_

Holmes ist angewidert: Charles Augustus Milverton hat sich bei ihm zu Besuch angesagt. Und wer ist diese Person?, möchte der gute Doktor Watson wissen. Der „König der Erpresser“, lautet die erboste Antwort. Milverton kauft Briefe an, die Personen der „feinen Gesellschaft“ kompromittieren. Die Verkäufer sind meist Leute aus deren Haushalt, treulose Dienstboten und dergleichen.

Lady Brackwell steht kurz vor ihrer Hochzeit mit dem Earl of Dovercourt, doch Milverton hat mehrere kompromittierende Briefe der Dame gekauft, die sie in jugendlicher Verliebtheit geschrieben hatte – an einen mittellosen Gutsherrn. Nicht auszudenken, wie peinlich dem Earl die Kenntnis der Briefe wäre, vor allem dann, wenn sie schon bald, wie Milverton droht, in der Zeitung stünden. Der Erpresser fordert von Holmes, der für die Lady vermittelt, schlappe 7000 Pfund Sterling, also ein kleines Vermögen.

Doch Holmes‘ und Watsons Versuch, den Widerling festzuhalten und der Polizei zu übergeben, schlägt leider fehl: Der Kerl ist sogar bewaffnet! Derartigen Affront kann der Meisterdetektiv nicht auf sich sitzen lassen und organisiert einen einfachen aber wirkungsvollen Plan. Er verkleidet sich als agiler Klempner und gewinnt Vertrauen und Zuneigung von Milvertons Hausmädchen. Seine Ankündigung, sich verloben zu wollen, versetzt seinen Freund und Partner in beträchtliches Erstaunen. Kleiner Scherz am Rande, lieber Watson!

Mit den so erhaltenen Informationen kann es Holmes nun ohne größeres Risiko wagen, bei Milverton in Hampstead einzubrechen, dessen Safe zu knacken und die Briefe zu vernichten. Doch Watson will unbedingt mitkommen, um bei dem Coup dabei zu sein. Holmes freut sich schon darauf, in der potenziell auf sie wartenden Gefängniszelle auf so angenehme Gesellschaft hoffen zu dürfen.

Ein nächtliches Abenteuer mit etlichen Überraschungen und einer rasanten Fluchtszene beginnt.

_Handlung von „Der Teufelsfuß“_

Im Frühjahr 1887 fühlt sich Holmes völlig erschöpft und geht auf Anraten seines Arztes und besten Freundes nach Cornwall in Kur. Dort an der Küste soll die Luft ja besonders gut sein. Bei einem ihrer Spaziergänge werden Holmes und Watson von zwei Einheimischen abgefangen: Es sind Pfarrer Roundhay und Mortimer Tregennis, ein Bürger aus der Gegend.

Etwas Furchtbares habe sich ereignet, und ob der berühmte Detektiv wohl so freundlich wäre, bei der Aufklärung des mysteriösen Falles zu helfen? Holmes zögert keine Sekunde und eilt mit den anderen an den Tatort, während diese ihm berichten. Tregennis hat seine Schwester Brenda tot vorgefunden, nachdem er eine Weile hinausgegangen war, und seine Brüder Owen und George haben den Verstand verloren. In der Tat: Als Holmes die verstorbene Brenda ansieht, beschleicht ihn ein leises Grauen. Sie starrt entsetzt drein, als habe sie den Leibhaftigen erblickt.

Holmes analysiert messerscharf den Tatort – eine ungewöhnlich stickige Luft, die die Haushälterin fast das Bewusstsein verlieren ließ – und ein mögliches Motiv: Es gab Streit unter den vier Geschwistern. Doch warum überlebte Mortimer als einziger, und worin besteht die Tötungsmethode?

Die Lage wird komplizierter, als am nächsten Tag Leon Sterndale auftaucht, herbeigerufen vom Pfarrer, seinem guten Freund. Er habe sogar seine Abreise nach Afrika verschoben. Er wollte auf den dunklen Kontinent fahren, um auf Großwildjagd zu gehen. Holmes ist erstaunt, als sich Sterndale nach dem Stand seiner Ermittlungen erkundigt, doch Sterndales Angaben stellen sich alle als korrekt heraus. Dennoch traut ihm Holmes nicht hundertprozentig.

Dass Holmes nichts herausfindet, hat tragische Folgen: Mortimer Tregennis wird tags darauf tot aufgefunden. Wieder fällt Holmes die ungewöhnlich stickige Luft am Tatort auf. Vom Schirm der Lampe kratzt er ein wenig schwarze Substanz ab und verwendet sie, um ein Experiment auszuführen.

Er ahnt nicht, wie verheerend die Folgen dieses Selbstversuchs für ihn und Dr. Watson sind …

_Mein Eindruck_

Die beiden Episoden unterscheiden sich in ihren Erzählmitteln, der Thematik, dem Schauplatz und der verwendeten Ermittlungsmethode.

|“Der Fall Milverton“| präsentiert uns einen staatstragenden Meisterdetektiv (er schützt die Ehre einer Adligen in spe), der sich dennoch nicht scheut, in die Rolle eines einfachen Arbeiters zu schlüpfen, um den Bediensteten des verfolgten Schurken Informationen zu entlocken.

Am Tatort seines nächtlichen Einbruchs wird er sodann richtig kriminell aktiv, muss sich verstecken und wird unwillentlich Zeuge noch weitaus kriminellerer Machenschaften. An Action besteht hier kein Mangel, und mich erfreute vor allem der ironische Humor, den der Autor an den Tag legt.

Das Sahnehäubchen bildet praktisch der abschließende Besuch eines verzweifelten Inspektor Jones‘, der zwei Einbrecher sucht, die in Hampstead einen gewissen Milverton umgebracht haben sollen. Da ist er natürlich bei Holmes genau an der richtigen Adresse – aber anders, als er denkt. Er gibt sogar eine akkurate Beschreibung eines der Gesuchten, die auf Watson passt – und der kommt doch glatt ins Schwitzen!

|“Der Teufelsfuß“| befleißigt sich ganz anderer Methoden und Umstände. Zum einen befinden sich Holmes und Watson weit weg von der Großstadt, und die Beziehungen zwischen ihren zeitweiligen Nachbarn sind leicht durchschaubar. Das Leben verläuft hier meist in geregelten Bahnen, und so erregen der zweifache Mord und der Wahnsinn der zwei Brüder im Hause Tregennis enormes Aufsehen. Trotz aller Beobachtungen usw. kommt Holmes jedoch nicht weiter – bis zum zweiten Mord.

Dass Holmes zunächst keine Ermittlungsergebnisse erlangt, mag ihn dazu verleiten, nach diesem Mord den verhängnisvollen Selbstversuch mit der unbekannten Substanz aus dem Lampenschirm zu unternehmen. Diesmal übernimmt also die Chemie die Rolle, die in der anderen Story dem Einbrechen & Safeknacken zugefallen ist: Sie fördert die Wahrheit ans Licht, jedoch, wie es fast immer der Fall ist, um einen hohen Preis. Erst dann klärt sich der Begriff auf, der der Geschichte ihren Titel verleiht. Wer genau zuhört, wird bemerken, dass laufend von Teufelswerk und teuflischen Dingen die Rede ist, es aber in Wahrheit um einen Menschen geht, der sich wie ein Teufel verhält – und hiervon geht die Spannung aus: Was brachte jemanden dazu, die wunderschöne Brenda Tregennis auf so grauenerregende Weise zu töten?

Ich fand diese Episode beim ersten Anhören weniger prickelnd als die erste, und dass nicht nur Geld, sondern auch eine tragische Liebesbeziehung eine Rolle spielt, hätte ich mir fast denken können. Interessant ist jedoch die Verwendung von zwei Rückblenden, um die Motive des Täters darzulegen. Erst diese Rückblenden steigern die Spannung und führen im eigentlichen Sinne zu einem grauenhaften Höhepunkt: Mortimers Ermordung.

Bei beiden Episoden fällt auf, dass Holmes seine ganz individuelle Auffassung von Gerechtigkeit und Bestrafung hat. Er (ver)urteilt nie nach dem Buchstaben des Gesetzes, sondern folgt seinem „Herzen“, also seinem persönlichen moralischen Empfinden. Das ist recht bemerkenswert bei einem Mann, der sich kühler Logik rühmt.

_Die Inszenierung_

Mir hat, wie gesagt, „Der Fall Milverton“ hervorragend gefallen. Der Konflikt, die Gegenmaßnahmen, die Lösung des „Falles“ – alles ist so einfach, doch elegant inszeniert, dass ich dachte, einer Art Actionkomödie zuzuhören. Dabei kommt es jedoch nie zu Klamauk, wie man das vielleicht von Edgar-Wallace-Filmen aus den Sechzigern kennt.

Nur an einer Stelle fragte ich mich, ob es nicht unplausibel ist, wenn Holmes und Watson sich laut flüsternd unterhalten, während sie sich hinter einem Vorhang vor dem Objekt ihrer Neugier, nämlich Milverton, verstecken. Das erinnerte mich an die guten alten Karl-May-Hörspielplatten (antikes Vinyl!) wie etwa „Der Schatz im Silbersee“. Darin quasseln die heldenhaften Trapper (Sam Hawkins, Hobble-Frank und Tante Droll usw.) und Indianer selbst dann noch wie die Weltmeister, wenn sie sich gerade an den jeweiligen Gegner heranschleichen.

Über die Stimme des „Sean Connery“ – Christian Rode – wunderte ich mich ebenfalls. Sie klingt hier überhaupt nicht nach dem alten distinguierten Gentleman, als den man Connery in den letzten Jahren gesehen hat, und noch nicht einmal nach dem jungen Connery der frühen Bond-Filme.

In „Der Teufelsfuß“ bestehen keinerlei in akustischer Hinsicht heiklen Situationen, wohl aber eine hohe Gefährdung von Leib und Leben für Holmes und Watson. Wie das ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Die Szenen spielen sich meist in Innenräumen ab. Vermittelt „Milverton“ den Eindruck einer Actionkomödie, so erscheint mir „Teufelsfuß“ eher wie ein kleines Drama, das sich über lange Zeit hin entwickelt hat und nun, in Holmes‘ Beisein, seinen tragischen Höhepunkt findet. Entsprechend ernst ist der Ausdruck der Darstellung auf allen Seiten. Dies ist der Punkt, an dem Jürg Löw als Dr. Leon Sterndale glänzt.

Auch dem Zyniker Holmes vergeht der Humor ziemlich schnell. Gäbe es irgendeine Art von Humor, so klänge er wohl wie das wahnsinnige Gelächter der beiden Brüder Brenda Tregennis‘. Die fahren johlend und kichernd in einer Kutsche an Holmes und Watson vorbei, schon auf dem Weg in die Irrenanstalt.

|Musik und Geräusche|

Schüsse fallen! Oh ja, doch bekanntlich gibt es Schüsse und Schüsse, genauso wie Revolver, Gewehre und Pistolen. Allerdings sind wir hier nicht bei Sergio Leone und reiten nicht durch die Prärie bei Flagstone in „Spiel mir das Lied vom Tod“. Demzufolge sind in Londoner Interieurs geradezu zivilisiert klingende Pistolenschüsse zu erwarten. Das ist auch der Fall, allerdings kommen sie wohl eher aus einer Pistole mit Platzpatronen als aus einer echten 9mm Beretta. Jedenfalls kommen Aficcionados von dreidimensionalen Soundwundern hier kaum auf ihre Kosten.

Brave Hausmannskost stellen die zahlreichen kleinen Hintergrundgeräusche dar: Türen quietschen, die hölzernen Bodendielen knarren, Teetassen klirren und hin und wieder zündet Holmes das Streichholz für eine neue Pfeife an (ein erstaunlich cooler Sound). Möwengekreisch und Meeresrauschen empfangen uns in Cornwall, aber auch auffallend viele Singvögel. Doch wie schade, dass man giftige Dämpfe nicht soundtechnisch darstellen kann.

Das ist vielmehr Aufgabe der Musik – und beileibe keine einfache. Der Verlauf des riskanten Selbstversuchs, den Holmes und Watson unternehmen, fordert den Einfallsreichtum eines Komponisten, gilt es doch unsichtbare Dinge wie Ängste und Wahnvorstellungen zu vermitteln, ja, sogar Todesangst. Manuel Rösler setzt als Einleitung zunächst Streicher ein, doch sobald die Albträume beginnen, werden sie durch elektronisch erzeugte Töne in sehr tiefer Lage abgelöst. Das Ergebnis kann sich hören lassen, und nur wer eiskalt ist, wird nicht davon berührt werden.

Dieser Moment wird übrigens später in der zweiten Rückblende wiederholt, und so ist der Hörer in der Lage, sich den Horror vorzustellen, den Mortimer in den letzten Augenblicken seines Lebens erlebt haben muss. Da sind die Schreie kaum nötig, die sich seiner Kehle entringen. David Nathan macht das recht realistisch, ohne jedoch zu übertreiben.

_Unterm Strich_

Mutet „Der Fall Milverton“ wie eine humorvoll inszenierte Actionkomödie an, so haben wir es bei „Der Teufelsfuß“ quasi mit einem kleinen Drama zu tun – alles Weitere siehe oben. Wieder einmal treffen Welten aufeinander: In „Milverton“ sind es die feine Gesellschaft und ihre weniger feinen Bediensteten sowie deren krimineller Nutznießer. In „Teufelsfuß“ muss sich Holmes mit einem Tötungsmittel aus exotischen Gefilden herumschlagen, ähnlich wie schon in „Das gefleckte Band“. Merke: je ausgefallener das Mordinstrument, desto kniffliger der Fall – und umso größer Holmes‘ Ruhm nach dessen Lösung. „Teufelsfuß“ bietet auch zwei echte Horrormomente (siehe oben).

Wer Gefahr läuft, auf der Jagd nach neuen Sherlock-Storys zu verhungern, kann gerne zu diesen wenig bekannten Erzählungen greifen. Der wahre Holmes ist das noch nicht, sondern eher ein – oder besser gesagt: zwei – Appetithäppchen. Dennoch kann das Hörbuch Vergnügen bereiten, wenn man sich auf einer kurzen Fahrt von 75 Minuten Dauer befindet.

Für den bescheidenen Preis von acht Euronen erhält man immerhin keinen Aufguss einer uralten Radiosendung von anno dunnemals, sondern neue Hörspiele mit aktuellen Sprechern, die etwas von ihrem Handwerk verstehen. Und selbst Zwölfjährige sollten den Text ohne Mühe verstehen und begreifen können. Schließlich stellt Watson stets die richtigen Fragen …

|75 Minuten auf 1 CD
Empfohlen ab 12 Jahren|