Der beste Privatdetektiv New Yorks in Londons Untergrund. – Die Tochter eines US-Senators ist in London abgetaucht. Privatdetektiv Neal Carey hat neun Wochen Zeit, sie aufzuspüren – unter acht Mio. Einwohnern, mit so gut wie keinem Anhaltspunkt, wo sie stecken könnte. Neal hat auf den Straßen New Yorks gelernt, wie man Menschen ausfindig macht. Doch nichts und niemand konnte ihn auf das vorbereiten, was ihn in London erwartet… (Verlagsinfo)
Der Roman war für den EDGAR Award nominiert und erhielt den „MALTESE FALCON Award“ (benannt nach Dashiell Hammetts verfilmtem Krimiklassiker). Er ist der erste von fünf Neal-Carey-Krimis.
Der Autor
Don Winslow (* 31. Oktober 1953 in New York City) ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, der insbesondere für seine Kriminalromane und deren Verfilmungen bekannt ist.
Mit dem Roman The Death and Life of Bobby Z (1997; dt. Die Auferstehung des Bobby Z, 1997) hatte Winslow einen ersten großen Erfolg. Als sein Meisterwerk gilt der monumentale Roman The Power of the Dog (2005; dt. Tage der Toten, 2010) über den Drogenkrieg in Mexiko, für den er sechs Jahre lang recherchierte.
Als im Juli 2012 die Oliver-Stone-Verfilmung von Savages, für die er das Drehbuch geschrieben hat, in die US-amerikanischen Kinos kam, stieg er endgültig in die Liga der ganz großen amerikanischen Krimiautoren auf. Gleichzeitig erschien sein neuer Roman The Kings of Cool (2012; dt. Kings of Cool, 2012), das Prequel zu Savages. Erzählt wird darin der Ursprung der kompromisslosen Dreiecksbeziehung zwischen Ben, Chon und Ophelia vor dem Hintergrund eines generationenübergreifenden Kampfs um das Dope, den Strand und letztlich ganz Kalifornien.[2]
Winslow sah sich veranlasst, eine Fortsetzung von Tage der Toten zu schreiben. Diesen im selben Jahr 2015 auch in deutscher Übersetzung erschienenen Dokumentarroman Das Kartell widmete er drei Dutzend ermordeten Journalisten. (Quelle: Wikipedia)
Die Neal-Carey-Reihe
1. 1991 A Cool Breeze on the Underground
o Ein kalter Hauch im Untergrund, dt. von Ulrich Anders; München/Zürich: Piper 1997, ISBN 3-492-21895-4.
o Neuübersetzung: London Undercover, dt. von Conny Lösch; Berlin: Suhrkamp 2015. ISBN 978-3-518-46580-6.
2. 1992 The Trail to Buddha’s Mirror
o Das Licht in Buddhas Spiegel, dt. von Ulrich Anders; München/Zürich: Piper 1997, ISBN 3-492-21979-9.
o Neuübersetzung: China Girl, dt. von Conny Lösch; Berlin: Suhrkamp 2015. ISBN 978-3-518-46581-3.
3. 1993 Way Down on the High Lonely
o Das Schlangental, dt. von Ulrich Anders; München/Zürich: Piper 1998, ISBN 3-492-22073-8.
o Neuübersetzung: Way Down on the High Lonely, dt. von Conny Lösch; Berlin: Suhrkamp 2016. ISBN 978-3-518-46582-0
4. 1994 A Long Walk Up the Water Slide
o A Long Walk Up the Water Slide, dt. von Conny Lösch; Berlin: Suhrkamp 2016. ISBN 978-3-518-46583-7
5. 1996 While Drowning in the Desert
o Palm Desert, dt. von Conny Lösch; Berlin: Suhrkamp 2016. ISBN 978-3-518-46584-4
Die Kartell-Saga
• 2005 The Power of the Dog, Knopf, New York, ISBN 978-0-375-40538-9.
o Tage der Toten, dt. von Chris Hirte; Suhrkamp, Berlin 2010, ISBN 978-3-518-46200-3.
• 2015 The Cartel (The Power of the Dog II), Knopf, New York, ISBN 978-1-101-87499-8.
o Das Kartell, dt. von Chris Hirte; Droemer Knaur, München 2015, ISBN 978-3-426-30429-7.
• 2019 The Border. William Morrow (Imprint von Harper Collins), New York, ISBN 978-0-06-266448-8.
o Jahre des Jägers, dt. von Conny Lösch; Droemer Knaur, München 2019, ISBN 978-3-426-30428-0.
Andere Romane
• 1996 Isle of Joy
o Manhattan Blues, dt. von Hans-Joachim Maass; Piper, München/Zürich 1997, ISBN 3-492-03882-4.
o auch als: Manhattan, gleiche Übersetzung; Suhrkamp, Berlin 2013. ISBN 978-3-518-46440-3.
• 1997 Death and Life of Bobby Z
o Die Auferstehung des Bobby Z; dt. von Judith Schwaab; Blessing, München 1997, ISBN 3-89667-020-4.
o auch als: Bobby Z., gleiche Übersetzung; Suhrkamp, Berlin 2011. ISBN 978-3-518-46245-4
• 1999 California Fire and Life
o Die Sprache des Feuers, dt. von Chris Hirte; Suhrkamp, Berlin 2012, ISBN 978-3-518-46350-5.
• 2006 The Winter of Frankie Machine
o Frankie Machine, dt. von Chris Hirte; Suhrkamp, Berlin 2009, ISBN 978-3-518-46121-1.
• 2008 The Dawn Patrol
o Pacific Private, dt. von Conny Lösch, Suhrkamp, Berlin 2009, ISBN 978-3-518-46096-2.
• 2009 The Gentlemen’s Hour
o Pacific Paradise, dt. von Conny Lösch; Suhrkamp, Berlin 2010, ISBN 978-3-518-46172-3.
• 2010 Savages
o Zeit des Zorns, dt. von Conny Lösch; Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-46300-0.
o auch als: Savages – Zeit des Zorns, gleiche Übersetzung; Suhrkamp, Berlin 2014, ISBN 978-3-518-46489-2
• 2011 Satori
o Satori, dt. von Conny Lösch; Heyne, München 2011, ISBN 978-3-453-40808-1.
• 2012 The Kings of Cool
o Kings of Cool, dt. von Conny Lösch; Suhrkamp, Berlin 2012, ISBN 978-3-518-46400-7.
• 2014 Vengeance
o Vergeltung, dt. von Conny Lösch; Suhrkamp, Berlin 2014, ISBN 978-3-518-46500-4.
• 2014 Missing. New York
o Missing. New York, dt. von Chris Hirte; Droemer Knaur, München 2014, ISBN 978-3-426-30428-0.
• 2016 Germany
o Germany, dt. von Conny Lösch; Droemer Knaur, München 2016, ISBN 978-3-426-30430-3.
• 2017 The Force
o Corruption, dt. von Chris Hirte; Droemer Knaur, München 2017, ISBN 978-3-426-28168-0.
Handlung
Neal Carey ist als Sohn einer drogensüchtigen Prostituierten in New York City aufgewachsen, bis er dem falschen Mann die Brieftasche klauen wollte: Joe Graham ist, wenn auch einarmig, selber Meisterdieb. Weil er von der Kunst des Zehnjährigen und seinem Schicksal beeindruckt ist, nimmt er ihn unter seine Fittiche und bildet ihn zum besten Dieb und Einbrecher von New York aus. Das tut er nicht aus reiner Menschenliebe, sondern um für die geheime Organisation „Friends of the Family“ einen neuen Rekruten heranzuziehen.
Diese Organisation wird von Ethan Kitteredge, dem Inhaber eines alteingesessenen Bankhauses in Neuengland, geführt. Er hat seine Adjutanten und seine Ausbilder. Sie alle haben die Aufgabe, den sehr betuchten Klienten der Bank einen Gefallen zu tun, wenn es nötig ist. Diesmal ist ein großer Gefallen nötig, wie es scheint. US-Senator John Chase soll am 1. August zum Vizepräsidenten gewählt werden, hat aber ein kleines Image-Problem: Seine 17-jährige Tochter Alice ist ausgerissen und offenbar nach London gereist, wo sie untertauchte. Jedenfalls wurde sie dort vor drei Monaten !) von einem ihrer Ex-Mitschüler gesichtet. Dass der sich zehn Wochen zeit ließ, dies zu melden, findet John Chase wenig amüsant.
Joe Graham empfiehlt Neal Carey, und Ed Levine, die rechte Hand von Kitteredge, lässt sich überreden. Neal soll eigentlich am nächsten Morgen seine Prüfung als Literaturprofessor ablegen, aber hey, unter „Friends of the Family“ hat man auch prüfende Professoren zu verstehen. Und was ist mit der Lady Diane in seinem Bettchen? Sie werde es verstehen, beteuert Graham.
Also kümmert sich Neal erstmal um Bestandsaufnahme. Sagen alle die Wahrheit? Es sieht nicht danach aus. Warum also sollte ein braves Mädchen wie Alice ausreißen und untertauchen? Das sieht ganz nach einer Flucht aus, findet Neal.
Alice Chase
Alice hat seit ihrem zwölften Lebensjahr, also vor fünf Jahren, angefangen, über die Stränge zu schlagen, aber bis das ihre Eltern mitbekamen und ernstnahmen, verging einige Zeit. Ihre Noten verschlechterten sich, sie wechselte die Schule wie manche Männer ihr Hemd. Und wie eine kleine Durchsuchung – Neals Spezialgebiet – von Allies Zimmer ergibt, war sie eifrige Konsumentin diverser Betäubungs- und Aufputschmittel, darunter auch Kokain. Allies Mutter ist schockiert.
Interessanterweise finden sich keinerlei verdächtigen Substanzen in Allies Auto. Sie war entweder vorsichtig oder hatte gute „Freunde“. Er findet es bemerkenswert, dass weder der Vater noch dessen Anwalt Rich Lombardi viel Mitgefühl für das Töchterlein aufbringen. Sie sind eher besorgt, ob der Termin 1. August eingehalten wird.
Schonend versucht Neal der Mutter beizubringen, dass ihre süße Tochter in London nur wenige Möglichkeiten des Einkommens haben würde. Genauer gesagt, würde Allie als Prostituierte arbeiten müssen. Das erinnert ihn an seine eigene Mutter – um die sich die „Family“ gründlich gekümmert hat. Endlich rückt die Mutter einer weiteren Wahrheit heraus. John Chase ist nicht Allies leiblicher Vater. Doch es sieht ganz danach aus, als habe eine sittenwidriger Handlung Chases – und womöglich anderer – Allies Flucht ausgelöst. Neal vermutet eine Vergewaltigung.
Undercover in London
Allies ehemaliger Mitschüler ist ebenfalls nicht so unschuldig, wie er gegenüber den Polizisten getan hat. Als er auf einer Spritztour in London war, bestellten er und seine Freunde nicht nur Pommes mit Mayo, sondern auch Nutten. Und aus welcher Zeitung hatte er die Telefonnummer? Neal will es ganz genau wissen und bringt den Jungen dazu, auf eine bestimmte Stelle auf der Anzeigenseite zu zeigen: Dort war auch Allies Kontaktnummer. Bleiben höchstens noch etwa ein Dutzend Kontakte übrig. Und er traf sie nicht etwa im Hotel, sondern auf dem Leicester Square, wo ihr Zuhälter sie „vermittelte“.
Kaum hat sich Neal im Piccadilly Hotel, wo der Junge Allie gesehen hatte, bestellt er zehn oder zwölf Profis des horizontalen Gewerbes. Geld genug hat er ja. Alle müssen unverrichteter Dinge wieder abziehen. Doch dafür taucht ein Cop namens Hatcher auf, der seine speziellen Dienste dem Hotel anbietet. Und dazu gehört offenbar auch der Rauswurf unliebsamer Gäste. Neal gibt Allie als seine Nichte aus, die er finden möchte. Doch Woche um Woche vergeht – im heißesten Sommer, den das Vereinigte Königreich je erlebt hat. In den Staaten werden die „Führungsoffiziere“ immer nervöser. Insbesondere Ed Levine scheint Neal gefressen zu haben. Neal zwingt ihn via Graham, seinen Beschatter abzuziehen.
Colin & seine Gang
Bingo! In einem Restaurant am zentral gelegenen Leicester Square tauchen vier Gestalten auf, unter denen Allie durch ihre Schönheit heraussticht. Doch sie ist schwer bekifft. Den Stoff bekommt sie offenbar von ihrem Zuhälter Colin, einen Rugby-Kämpfer, mit dem sich Neal lieber nicht auf einen Zweikampf einlassen würde. Die beiden anderen sind die pummelige Vanessa mit den grell gefärbten Haaren, wohl auch eine Nutte, und ihr Freund Crisp, der immer so dämlich lacht.
Frech wie Oskar setzt sich Neal an den Nachbartisch des Restaurants, um alles genau mitzubekommen. Allie ist schwer süchtig und muss schon nach wenigen Minuten aufs Klo, um sich „die Nase zu pudern“. Als auch Colin, ihr Macker, auf die Toilette geht und seine Jacke über die Tür wirft, ergreift Neal die günstige Gelegenheit und klaut ihm die Brieftasche. Gerade als sich schon die Kellner freuen, den zahlungsunfähigen Gast hochkant hinauswerfen oder, noch besser, den Cops übergeben zu können, rückt Neal mit der Wahrheit heraus: Er habe die Brieftasche dem Kellner gegeben. Colin wird zu Neal gleich viel freundlicher. Er nimmt ihn in seine Clique auf.
Schon die erste Nacht in einem Tanzclub bringt Neal die Erleuchtung. Hier ist Allie glücklich und geht aus sich heraus, während er sie bloß apportieren soll, während ihr Vater mit ihr sein Image reparieren will. An diesem Punkt beschließt, Colin hereinzulegen und Allie unter seine Fittiche zu nehmen.
Flucht
Den Köder, auf die Schnelle mit einem wertvollen Buch 20.000 Pfund zu verdienen, schluckt Colin erst nach einiger Vorbereitung, versteht sich. Was kann Neal dafür, dass Colin gleich zum Chinesen rennt, um dem für diese Summe Heroin abzukaufen? Während die Transaktion über die Bühne gehen soll, versteckt Neal die betäubte Allie im Haus des Besitzers der wertvolle Buch-Erstausgabe. Doch wie ist es Colin nur gelungen, ihn so schnell hier aufzuspüren?
Es kommt zu einem bizarren Kampf, in dessen Verlauf Neal versuchen muss, sowohl die Bücher als auch Allie in einen raren Oldtimer-Sportwagen zu verfrachten, dessen Bedienung ihm wie ein Buch mit sieben Siegeln vorkommt. „Du musst den Choke ziehen“, murmelt Allie hilfreich in ihrem drogeninduzierten Dämmer. Es klappt! Doch auf dem Weg in das Yorkshire-Cottage des Buchliebhabers hat Neal nun einen verzweifelten Colin an den Fersen…
Mein Eindruck
Binnen knapp 30 Jahren ist der Autor in die A-Liga unter dem Kriminalautoren aufgestiegen (s.o.). Aber der vorliegende Roman war sein Debüt und weist noch ein paar Konstruktionsschwächen auf. So ist der Fall von Allie Chase zwar als roter Faden erkennbar, aber der Autor hat noch die Entstehungsgeschichte des Helden draufgepackt. Die entsprechenden Kapitel dehnen die erste Hälfte des Buches bis an die Grenze, an der dem Leser der Geduldsfaden reißt. Da hätte das Buch eine Straffung gut vertragen können. Andererseits ist Joe Graham eine unterhaltsame New Yorker Figur, die stets für einen sarkastischen Spruch gut ist. Fans des Autor werden ihm diese Längen verzeihen.
London
Auch die ersten Londonkapitel strotzen nicht gerade vor Action, ganz im Gegenteil. Stagnation ist wohl eher das Stichwort, um Neals Fortschritt bei der Allie-Suche zu bezeichnen. Erst als sich Neal neben Colins Junkie-Clique pflanzt, geht der Spaß los. Die Story nimmt endlich Fahrt auf. Etliche Wendungen, die der Leser nicht vorhersieht, machen die Lektüre spannend. Werden es Neal und Allie schaffen, Colin und den Chinesen, die ihr Geld haben wollen, zu entkommen? Mit einer letzten Wendung trickst neal seine Verfolger. Und dazu zählt nicht nur Colin.
Subversion
Von Anfang hat Neal das unbestimmte Gefühl, dass an diesem harmlosen Search-and-Rescue-Fall mehr dran ist, als man ihm erzählt hat. Immerhin steht ja eine politische Karriere auf dem Spiel. Dass Ed Levine ihn linken will, ist ihm von vornherein klar, aber da muss es noch jemanden geben, der verhindern will, dass das Mädchen namens Alice Chase den Boden der Vereinigten Staaten in lebendem Zustand erreicht. Deshalb ergreift Neal Maßnahmen, um diesen Unbekannten und seinen Londoner Schergenauszutricksen.
Yorkshire
Der Autor kennt die Yorkshire Moors offensichtlich aus eigener Anschauung. In jeder Zeile formuliert er seine Kenntnis der Leute vor Ort und dass er sie von Herzen liebt. Sie sind auch nicht von gestern, und was sich in der Schrotflinte des Schafhirten Hardin als Munition befindet, ist für den Verlauf der Handlung von entscheidender Bedeutung. Da hätte Colin mal genau nachsehen sollen.
Die Moors, über die deutsche Reisende schon im 18. Jahrhundert lobend geschrieben haben, sind wie geschaffen für eine Romanze: lauschige Wälder, einsame Seen – wer braucht da noch eine Extra-Einladung? Allie Chase verwandelt sich von der drogensüchtigen Lumpenprinzessin (nach einem schmerzhaften kalten Entzug) in eine nackte Sirene von überirdischer Schönheit. Gerade als sie sicher ist, dass Neal ihrem Liebeszauber nicht mehr widerstehen kann, schlägt das Schicksal zu. Damn!
Humor
Der Humor des Autor ist bekanntlich – siehe die Verfilmung von „Savages“ – von schwärzester Natur. Das kommt, wie erwähnt, schon im Mundwerk Joe Grahams zum Vorschein, aber auch die Ausdrucksweise von Colin ist nicht gerade von feinster Eleganz. Da nimmt auch die Neuübersetzung kein Blatt mehr vor den Mund.
Es gibt aber auch Humor, der zwischen den Zeilen durchscheint. Die Beschreibung der hochsommerlichen Londons trieft von eher freundlichem Sarkasmus, was man auch „tongue-in-cheek“ nennen könnte. Aber auch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Welten trägt zu Ironie bei: Londoner Unterwelt trifft idyllisches Yorkshire, Drogendealer treffen auf vergeistigte Buchliebhaber. Wie Colin mit dem chinesischen Drogenboss Dickie redet, ist von erlesener Durchtriebenheit. Da kommt schon die typische Winslow-Tonart durch: Jeder will jeden übers Ohr hauen.
Die Übersetzung
Die Neuübersetzung durch Conny Lösch liest sich flüssig und selbst in der Umgangssprache authentisch – inklusive sämtliche Flüche und Schimpfwörter.
S. 67: „von den Gebirgsausläufern [der] Berkshires“: gemeint sind die Berkshire Hills in Neuengland, nicht die Grafschaft Berkshire in UK.
S. 68: „um [zu] sehen, wer sonst noch da war.“ Hier fehlt ein wichtiges Wörtchen.
S. 132: „Er sah auf die Uhr. Es war 11:30 Uhr.“ Ja, aber p.m., nicht a.m.! Das geht aus dem Kontext hervor. 11:30 p.m. entspricht 23:30 Uhr deutscher Zeit, ist also mitten in der Nacht, zur Schlafenszeit. Entsprechend grantig sind die Angerufenen.
S. 135: „Eine vieldeutige Geste, wie die Auflösung eines Zen-Koan [an].“ Das „an“ ist überflüssig.
S. 215: „besorgte er vier paar Tennissocken.“ Ja, aber sind Paare, daher sollte es „vier Paar Tennissocken“ heißen.
S. 297: „sie fiel i[h]m in die Arme…“ Das H fehlt.
S. 342: „wenn man bedeckt, dass…“ gemeint ist wohl „bedenkt, dass“.
Unterm Strich
Ich habe den Thriller in nur zwei Tagen gelesen und bin sicher, dass man ihn auch an einem einzigen Tag schaffen kann. Gerade die zweite Hälfte des Romans besteht vor allem aus Dialogen und liest sich wie aus einem Guss, so dass man nicht mehr aufhören kann. Im Finale wird auch der Leser exquisit getäuscht, so dass man sich an den Kopf fasst.
Die erste Hälfte kostet noch etwas Mühe, es sei denn, man ist ein Fan von Winslow und New York City. Dann allerdings braucht man vielleicht eine Straßenkarte von Manhattans. Da ich schon paarmal dort war, bereiteten mir Ortsangaben wie Times Square oder Upper West Side keine Mühe. Und den Central Park kennt sowieso jeder. In London war ich schon etliche Male, und die Ortsangaben sind wie herausragende Landmarken: der Eros auf dem Piccadilly Circus, die Kinos am Leicester Square. Ja, selbst in Yorkshire war ich einmal: Die Landschaftsbeschreibung ist astrein gelungen. Man kommt sich vor wie in den Highlands von Schottland.
Die Räuber-und-Gendarm-Story wird von einer Aschenputtel-Romanze veredelt, aber das auf eine sehr subtile Weise. Und dass Winslow offenbar ein Fan des englischen Romans des 18. Jahrhunderts ist, blitzt in jeder Zeile durch. Und er kennt sich mit Erstausgaben aus. Hoffentlich werden auch die fünf Neal-Carey-Krimis einmal in einer TV-Serie verfilmt. Zeit wär’s ja. Dieser Roman ist, wie gesagt, schon fast 30 Jahre alt.
Taschenbuch: 370 Seiten
Originaltitel: A Cool Breeze on the Underground, 2011;
Aus dem Englischen von Conny Lösch.
ISBN-13: 9783518465806
www.Suhrkamp.de
Der Autor vergibt: