John Ronald Reuel Tolkien – Die Briefe vom Weihnachtsmann (Lesung)

Abenteuer am Nordpol: Von Elfen und Kobolden

Von 1920 bis etwa 1940/41 schrieb Professor Tolkien für seine vier Kinder ganz besondere Briefe zu Weihnachten: die Briefe vom Weihnachtsmann. Hier erfuhren sie, was sich an sonderbaren, lustigen oder auch beängstigenden Begebenheiten am Nordpol zutrug. Auch mit Elfen.*

Der Autor

Professor John R. R. Tolkien (1892-1973) hat das „wichtigste Buch des 20. Jahrhunderts“, so die Umfrageergebnisse, geschrieben: „Der Herr der Ringe“ (1954/55). Doch dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit 1916, als er noch in den Schützengräben Frankreichs und später im englischen Lazarett lag, schrieb er an seiner privaten Mythologie, die die riesige Leinwand bildet, vor der sich die Handlung von „Der Hobbit“ und HdR abspielt.

Inhalte

John junior, Michael, Priscilla und schließlich der etwas schwächliche Christopher (der später seines Vaters Werke komplett herausgab und veröffentlichte) – sie alle hatten das Glück, vom Weihnachtsmann alljährlich einen Brief zu erhalten, komplett mit einer oder mehreren Zeichnungen. Diese oftmals wunderbar detailfreudigen und witzigen Zeichnungen sind im Booklet des Hörbuchs abgedruckt, in hervorragender Qualität und mit Vergrößerungen.

Mit diesen Briefen folgte Professor Tolkien einer Familientradition. Lange Jahre waren die Werke weggesperrt, bis sie von Baillie Tolkien im Jahr 1976 veröffentlicht wurden. Darunter befinden sich manchmal recht umfangreiche Episteln, deren Vorlesen mitunter länger als fünf Minuten dauert: Minidramen. Das gesamte Hörbuch ist dadurch rund 65 Minuten lang, denn es umfasst alle Briefe ab 1925.

Wovon der Weihnachtsmann und der Elf erzählen

Der Weihnachtsmann, Father Christmas, lebt am Nordpol, aber nicht allein: Ihm leisten die Rentiere und der Nordpolarbär namens Karhu Gesellschaft. Dieser allerdings neigt zu Schabernack, denn er ist erstens sehr neugierig und zweitens unvorsichtig. Der North Pole ist ein richtiger „pole“, das heißt ein Mast von beträchtlicher Höhe. Einmal führt einer von Polarbärs Streichen dazu, dass dieser Mast direkt auf Father Christmas‘ Haus fällt. Es muss verlegt werden. (1925) Er ist auch schuld, dass manche Geschenke so spät oder gar verkehrt bei den Kindern eintreffen: Knabensachen für Mädchen – nicht auszudenken!

Father Christmas ist genau wie Gandalf und die Hobbits ein großer Fan von Feuerwerk. Einmal schafft es Polarbär, dass alle Raketen gleichzeitig losgehen (1929). Später kommen auch die beiden Neffen Karhus zu Besuch; Paksu und Valkotukka (das klingt sehr finnisch; ist es wohl auch: „paksu“ bedeutet „fett“), wollen aber nie wieder weg.

Weil die Arbeit immer mehr wird, nimmt sich der Weihnachtsmann einen Sekretär: den Schnee-Elfen Ilbereth. In den späteren Briefen aus den dreißiger Jahren ist häufiger vom Elfenvolk die Rede, wenn es darum geht, das Haus und die Vorratskeller gegen Angriffe der bösen Kobolde zu verteidigen. Auch Rote Zwerge, Schneemänner und Höhlenbären kommen vor. Dieses ganze Personal erinnert schon ziemlich an die Figuren im „Hobbit“, der 1937 mit großem Erfolg veröffentlicht wurde.

Der letzte Brief

In England herrscht seit zwei Jahren Krieg, und die deutsche Luftwaffen bombardiert eine Großstadt nach der anderen – bis Sommer 1941. Der Weihnachtsmann beklagt die mangelnden Lebensmittelvorräte, die zunehmende Not und die fortwährende Angst vor den Angriffen. Die Kobolde, die erstmals 1932 und 1933 massiert auftraten, sind offenbar auf dem Vormarsch. Der Brief von 1938 und der letzte Brief weisen nur noch sehr einfache Illustrationen auf. Der Spaß ist vorbei.

Mein Eindruck

Mit seinen unauffällig platzierten, aber stilecht mit der Briefmarke der Nordpolpost frankierten Briefen hat Tolkien nicht nur seinen eigenen Kindern eine Freude gemacht. Allerdings wurde das spätere Buch nicht so ein Bestseller wie der „Herr der Ringe“, denn vor allem Kinder ab 6 Jahren werden dafür zu begeistern sein: Sie glauben noch an den Weihnachtsmann.

Und so erfahren sie, was er bei der Erfüllung seiner anspruchsvollen Aufgabe erlebt, welche Pannen bei den schwierigen Weihnachtsvorbereitungen passieren können – woran der Polarbär nicht ganz unschuldig ist – und warum es einige Weihnachtsfeste fast nicht gegeben hätte.

Dass sich die Wirklichkeit außerhalb der kuscheligen Mauern des Tolkienschen Professorenheims nicht ganz aussperren ließ, dürfte einleuchten. Und so finden sich eben auch (verschlüsselte) Hinweise auf das politische Geschehen in Europa in den Jahren 1932/33 und 1938-1941. Ich denke da vor allem an das Auftauchen der Kobolde (goblins) in Father Christmas‘ Haus. Diesen stehen die guten Geister und Helfer, die Elfen, entgegen. Sie sorgen dafür, dass alle Kämpfe gut ausgehen.

Der Sprecher; ein Tipp

Der Theaterschauspieler Christian Hoening erzählt mit verschieden hohen Stimmen vom Nordpol: Der Weihnachtsmann spricht in mittlerer, normaler Tonlage. Während der Elf Ilbereth in einer recht hohen Stimme spricht, brummelt der Nordpolarbär in der tiefsten Tonlage, die Hoening zustande bringt. Kinder werden darüber entzückt sein. Ansonsten befleißigt sich Hoening einer klaren, akzentuierten Aussprache. Wird das erzählte Geschehen also dramatischer, merkt man das auch.

Tipp

Allerdings sollte man nicht alle Briefe auf einmal anhören, sondern höchstens drei bis vier hintereinander. So erinnert man sich auch später noch an das Erzählte.

Unterm Strich

Ich bin mit diesem Hörbuch rundum zufrieden. Auf der CD befinden sich immerhin 65 Minuten gut gesprochene Lesung, und das sauber getextete und gedruckte Booklet enthält alle zu den Briefen gehörenden Illustrationen Tolkiens, mitsamt vergrößerten Ausschnitten.

Das Hörbuch eignet sich für Kinder ab 6 Jahren und ist ein nettes Weihnachtsgeschenk. Vielleicht kann es auch als Vorbereitung auf den „Hobbit“ dienen, den es ja auch als Hörbuch gibt. Der ist aber mit einer Laufzeit von 276 Minuten ein größeres Kaliber.

Originaltitel: The Father Christmas Letters, 1976
The Father Christmas Letters, 1976.
ISBN-13: 9783899400069

https://www.penguin.de/Verlag/der-Hoerverlag/70000.rhd

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