James Byron Huggins – Cain: Golem des Satans

Ein gezüchteter Super-Soldat macht sich selbstständig und wird von seiner ‚Mutter‘ und einem Priester verfolgt, die seinem nicht nur mörderischen, sondern womöglich höllischen Treiben Einhalt gebieten wollen … – „Christian Science Fiction“ der üblichen Art, d. h. genretypisch bierernst, unfreiwillig komisch, mit holzschnitthaften Figuren und peinlichem Halleluja-Pathos: Lektüre als Form der Selbstkasteiung.

Das geschieht:

Roth Tiberius Cain, der Super-Killer der CIA, ist tot – umgekommen durch einen spektakulären Unfall, bei dem viel Elektrizität im Spiel war. Dieses Ende kommt seinen Auftraggebern durchaus gelegen, denn gibt es ein besseres Versuchsobjekt für den schon lange in der Schublade liegenden, streng geheimen Plan der Agency, einen biomechanischen Super-Soldaten zu erschaffen? Dr. Martha Milton ist der moderne (weibliche) Frankenstein, der das Unmögliche versucht und Erfolg hat! Cain kehrt zurück aus dem Reich der Toten: stärker und schlauer als je zuvor!

Einige unerwartete Nebenwirkungen werden da gern in Kauf genommen. Schon vor seinem frühen Ende war Cain kein besonders liebenswerter Charakter. Nach seiner Wiederauferstehung hat sich seine Seele endgültig verflüchtigt. Dafür scheint er telepathische Fähigkeiten zu entwickeln. Außerdem muss der Cyborg die Zellstruktur seines Körpers stabil halten, indem er regelmäßig frisches Blut zu sich nimmt. Dennoch: Der perfekte Soldat scheint endlich geboren zu sein, doch bevor seine Herren die Sektkorken knallen lassen können, bricht ihr Geschöpf aus und versetzt plötzlich nicht nur islamistische Terroristen, südamerikanische Drogenbarone und ähnliches USA-feindliches Gezücht, sondern außerplanmäßig die gesamte Welt in Angst und Schrecken.

Dabei kann die bedrohlichste Entdeckung der Öffentlichkeit immerhin verheimlicht werden: In Cains Blut kreist ein Virus, der sich binnen zehn Tagen in den tödlichsten Krankheitserreger aller Zeiten verwandeln wird. Und als ob dies nicht schon mehr als genug ist, schlüpft auch noch ein Dämon aus der Hölle in Cains seelenlosen Körper und plant die Apokalypse. Höchste Eile ist also geboten, den monsterhaften Übermenschen wieder einzufangen.

Der ehemalige Soldat Solomon wird mit dieser Aufgabe betraut. Schon vor langer Zeit hat er den Dienst quittiert, nachdem er seine Familie auf tragische Weise ums Leben kam. Begleitet wird der Ex-Colonel von Father Marcelle, einem Priester, der seinen Glauben verlor, und Dr. Milton, die ihr Geschöpf zurückholen möchte. Die Jagd beginnt, bei der das Opfer alle Trumpfkarten zu besitzen scheint. Hochintelligent, rücksichtslos und von unüberwindlicher Stärke, trickst Cain seine Verfolger immer wieder aus …

Gottes moderne Krieger auf Erden

Die Military (Science) Fiction ist ein beliebtes und besonders in den USA sehr erfolgreiches literarisches Genre, das von der Kritik eher naserümpfend zur Kenntnis genommen, wenn nicht überhaupt ignoriert oder verdammt wird. Es gibt eigene Stars dieser Szene, zu denen beispielsweise die auch in Deutschland bekannten Jack Campbell, John Ringo oder David Weber gehören.

Der unterhaltsame Missbrauch des Krieges als Abenteuerspielplatz für wahre Männer (und längst auch Frauen), die sich mit ‚dem Feind‘ spannende Katz-und-Maus-Spiele liefern und die Waffen nur zum Wohle ihrer edlen Mission sprechen lassen, erregt naturgemäß den Zorn politisch korrekt denkender Zeitgenossen. Gern wird darüber verdrängt oder vergessen, dass schon sehr lange Krieg zwischen Buchseiten geführt wird und sich immer wieder anerkannte Schriftstellergrößen auf diesem Gebiet hervorgetan haben.

Mit ihren Werken sollte man „Cain“ lieber nicht vergleichen. Der Roman ist eine mehr als fünfhundertseitige Verfolgungsjagd zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Auf dieser Ebene funktioniert die Geschichte durchaus und verspricht einige angenehme Lektürestunden, die das Leserhirn auch auf Sparflamme wohl zu meistern weiß. Doch Huggins ist als Autor nicht ohne Ehrgeiz, und er handelt im göttlichen Auftrag. Zwar schleicht er – s. u. – des Nachts nicht mehr mit einem Sack voller Bibeln über rumänische Rübenfelder, aber die Jahre im christlichen Untergrund haben dennoch tiefe Spuren hinterlassen.

Subtilität ist für Schwächlinge

Cain (schon der Name verweist auf das „Buch der Bücher“) ist nicht einfach ein schlichter Cyborg, dem ein paar Sicherungen durchgebrannt sind. Nein, Cain ist das Instrument Satans höchstpersönlich, der eine Chance sieht, endlich die ganze Welt zur Hölle zu schicken. Unter solchen Umständen verwandelt sich eine schlichte Jagd in einen Kreuzzug. So verhalten sich die Protagonisten des vorliegenden Romans denn auch: Jede Aktion erfolgt in bedeutungsschwangerer Zeitlupe, wird ausführlich angekündigt und nach Vollzug weitschweifig kommentiert, jeder Dialog könnte einem Bibel-Comic (in der „Marvel“-Bearbeitung) entnommen sein.

Die ‚Guten‘ sind streng nach Proporz besetzt: der denkende Krieger, aus der hintersten Ecke der Klischee-Kiste der vom Glauben abgefallene Priester (der auf die harte Tour lernen muss, dass GOTT der HERR Defätisten gar nicht schätzt) und selbstverständlich die hübsche und aktive (aber nicht zu selbständige) Heldin. (Sie trägt den Nachnamen „Milton“ und soll an den gleichnamigen Dichter erinnern, der 1667 mit „Paradise Lost“ eine Geschichte vom Sturz der gefallenen Engel und der Vertreibung aus dem Paradies erzählte.)

Je intensiver Autor Huggins sich bemüht, seinen Figuren Leben einzuhauchen (oder besser einzuprügeln), desto eindimensionaler erscheinen sie. Was bedeutsam und dramatisch und als Allegorie auf den Ewigen Kampf zwischen Gut und Böse wirken soll, versinkt immer wieder in hohlem Pathos und stellt durch den bitteren Ernst, mit dem sie erzählt wird, die Absurdität der Geschichte um so peinlicher heraus. Ein gutes Beispiel dafür, welche Breite die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit erreichen kann, ist der Spielfilm „Der Exorzist II“, der in seinem Versuch, Spannung und Religion ‚mit Niveau‘ zu verknüpfen, ähnlich spektakulär scheitert wie Huggins mit seiner Mär um den „Universal-Soldier“/Golem/Gefallener-Engel-Klon Cain.

Der grandiose Gipfel wird in Cains Todesszene erreicht, wenn dieser seinen erschütterten Widersachern von den Wundern berichtet, die er in dieser und der nächsten Welt schaute – und sich der noch halbwegs im Besitz seiner Sinne befindliche Leser das Lachen ob des pompösen Kitsches endgültig nicht mehr verkneifen kann: „… und ich weiß, wo der Blitz verwahrt wird … ich bin über Saturn und Mars geflogen und habe lange in die Augen Gottes gesehen … ich habe diese verhärtete Welt gekannt, ehe sie so schrecklich verflucht wurde …“

Mission als Fluch

Dabei ist der Roman durchaus nicht ohne Reiz. Gerade weil Huggins als Schriftsteller ein Quereinsteiger ist, nimmt er keine allzu große Rücksicht auf eingefahrene Regeln und Gewohnheiten des Science-Fiction-Genres. Seine Kenntnisse militärischer Sitten und Gebräuche merkt man ihm an, und wenn er seinen roboterhaften Bösewicht nicht gerade düster-dumpfe Prophezeiungen über das nahe Ende der Welt ausstoßen lässt, hat auch keine Furcht, ihn breite Schneisen des Todes und der Verwüstung durch eine Welt voller Kanonenfutter ziehen zu lassen. So etwas muss man natürlich unterhaltsam finden, sonst wird man mit „Cain“ wenig anfangen können.

Die Übersetzung müht sich redlich, den Rummelplatz-Charakter der Geschichte ins Deutsche zu retten. Damit auch der dümmste Leser merkt, dass wir es hier mit authentischen US-Helden zu tun haben, werden in die knappen Dialoge reichlich ‚originale‘ Wort- und Satzfetzen eingestreut („Yeah!“). Ansonsten beschränkt sich die Arbeit des Übersetzers weitgehend darauf, in ausreichend großer Zahl Verben und Adjektive zu finden, mit denen sich Bewegung, Zerstörung und Totschlag möglichst anschaulich schildern lassen.

Fazit: Wer sich die Fähigkeit bewahren konnte, echten Trash zu schätzen, wird sich mit „Cain“ gut unterhalten. Für Feingeister, die sich über (echte oder eingebildete) Untiefen der modernen Trivialliteratur erhaben fühlen, gilt dagegen: lieber Finger weg!

Autor

James Byron Huggins (geb. 1959) gehört zu jenen Autoren, deren Biographie deutlich interessanter ist als die Bibliographie. Im US-Staat Alabama geboren und aufgewachsen, arbeitete er zunächst als Journalist, bevor er 1985 nach Europa ging, um dort für eine christliche Untergrund-Organisation tätig zu werden. Dort betreute er Gläubige, die in den damals noch jenseits des Eisernen Vorhangs liegenden Ländern Osteuropas wegen ihrer Religion unterdrückt und verfolgt wurden.

Huggins wagte sich bald persönlich ins kommunistische Feindesland. So ging er 1987 nach Rumänien, wo er B die Geheime Staatspolizei angeblich stets auf den Fersen B einen regen Informationsaustausch zwischen West und Ost organisierte. Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten arbeitete Huggins wieder als Journalist, dann fünf Jahre als Streifenpolizist für das Polizeirevier von Huntsville, Alabama. Dort stieg er bis zum Detective sowie zum hochdekorierten Ausbildungsoffizier auf, bevor er sich Anfang der 90er Jahre aus dem aktiven Dienst zurückzog, um fortan mit dem für ihn typischen Engagement und Erfolg eine Schriftsteller-Karriere zu starten.

Speziell für den christlichen Buchmarkt – so etwas gibt es – entstanden die Romane „Leviathan“, „The Reckoning“ und „A Wolf Story“, bevor Huggins mit dem rasanten Military-SF-Thriller „Cain“ die Bestsellerlisten erklomm, die er seitdem regelmäßig mit weiterer Halleluja!-Phantastik sowie Thrillern beschickt.

Taschenbuch: 541 Seiten
Originaltitel: Cain (New York : Simon & Schuster 1997)
Übersetzung: Heinz Zwack
www.randomhouse.de/goldmann

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