Joseph Delaney – Spook – Der Schüler des Geisterjägers

Spannend: Tom gegen die Hexen von Lancashire

Der 13-jährige Tom Ward ist der siebte Sohn eines siebten Sohns und daher zum Geisterjäger qualifiziert. Der Spook nimmt ihn in die Lehre und zeigt ihm, was Tom über Hexen, Boggarts und Poltergeister wissen muss. Das Wissen bewahrt Tom aber nicht vor einer Riesendummheit. Dafür muss nicht nur er selbst bezahlen, sondern schließlich auch seine Familie.

Der Autor

Joseph Delaney lebt mit seiner Frau in der englischen Grafschaft Lancashire. Dass er kein junger Hüpfer mehr sein kann, wird daraus ersichtlich, dass er bereits vier Enkelkinder von seinen drei Kindern geschenkt bekam. Weitere biografische Details verrät das Buch kaum – nur dass er „mitten im Territorium der Boggarts“ wohnt und seine Heimatstadt einen Boggart beherbergt, der DER HAUSKLOPFER genannt wird. Der liege dort gebannt unter der Schwelle eines Hauses nahe der Kirche (genau wie im Roman beschrieben).

Sogar das Geisterhaus aus dem vorliegenden Roman soll es geben. „Als Kind lebte J. Delaney in einem ähnlichen Haus, in dem er einen immer wiederkehrenden Albtraum hatte: In diesem Traum sitzt er in einem der vorderen Zimmer auf dem Teppich, seine Mutter strickend neben sich. Dann, plötzlich, wird es eiskalt und ein Schattenwesen kommt aus dem Kollenkeller, ergreift ihn und nimmt ihn mit sich in die Dunkelheit. Und was noch viel gruseliger ist: Sein Bruder hatte den gleichen Albtraum …“ Schuhu!

Handlung

Der 13-jährige Tom Ward ist der siebte Sohn eines siebten Sohns und daher etwas Besonderes. Sein Vater ist ein einfacher Vater, aber seine Mutter stammt aus Griechenland und weiß Bescheid: Tom sollte etwas Besonderes lernen. Jemand muss das Land und seine Menschen vor den bösen Geistern beschützen – warum nicht Tom? Jemand muss es ja tun. Tom ist zudem der Jüngste und muss irgendetwas anderes tun als seine Brüder. Sein Bruder Jack wird den Hof erben und eine Familie gründen.

Deshalb kommt der Besuch von Mr. Gregory, dem Geisterjäger, gerade zur rechten Zeit. Er ist bereit, Tom für einen Monat auf Probe auszubilden, und wenn Tom danach bei ihm bleiben will, soll er fünf Jahre lang sein Lehrling sein. Tom ist nicht sicher, ob er diesen Job machen will, denn die Arbeit ist relativ stressig: Die Geister der Gehenkten im Wald und die Klopf- und Poltergeister in den Häuser können schon etwas auf die Nerven gehen. Außerdem will absolut niemand etwas mit Geisterjägern zu tun haben. Einsam sind die Tapferen.

Unheimliche Wesen erwarten Tom. Mr. Gregory zeigt sie ihm in den drei Gärten seines Sommerhauses nahe Chipenden. Da wären also die drei verschiedenen Sorten von Hexen (gutartige, bösartige, fälschlich beschuldigte und unwissende), mehrere Sorten von Boggarts – siehe Toms Tagebucheintrag dazu – und dann noch diverse Monster, Schemen und Geister. Alles klar? Ach, noch was: Tom soll sich ja vor Mädchen in spitzen Schuhen in Acht nehmen. Verstanden, mein Junge?

Tom besteht eine erste Prüfung in einem von einem Geist heimgesuchten Stadthaus (siehe „Autor“). Zum Glück bekommt er mit Hilfe von Vaters Feuerstein die Kerze wieder zum Leuchten, sonst wäre es ihm schlecht ergangen: Das Grab für ihn lag schon bereit – im tiefsten Keller. Auch den unsichtbaren Boggart, der als Köchin in Mr. Gregorys Haus dient, weiß er aufgrund seines gesunden Menschenverstandes so zu nehmen, wie er ist.

Doch dann lernt er Alice kennen. Sie ist ein Mädchen mit spitzen Schuhen, vor denen ihn Mr. Gregory immer gewarnt hat. Alice wohnt bei der Hexe „Knochenlizzie“ im Wald und besitzt sogar die Macht, Rabauken aus der Stadt zu verjagen. Nur Tom hält ihrem Blick stand. Sie schafft es, ihm ein Versprechen abzuluchsen. Als es soweit ist, ihr einen Gefallen zu erweisen, wird er übel hereingelegt.

Wider Willen befreit er Mutter Malkin, die grausamste Hexe weit und breit, aus ihrem Befängnis in Mr. Gregorys Garten. Mutter Malkin praktiziert Blutmagie, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Hexen, die „bloß“ Knochenmagie ausüben. Während Mr. Gregory auf Reisen ist, muss Tom selbst seine Angst überwinden, um Mutter Malkin unschädlich zu machen …

Mein Eindruck

Die Hexen, die der Autor beschreibt, sind mächtige Wesen, die prinzipiell sogar unsterblich sind: Selbst wenn man ihren Körper tötet, leben sie als Geist weiter und können sich eines anderen Menschenkörpers bemächtigen. Diesen Besessenen gilt es jedoch erst einmal zu erkennen, bevor man ihn bekämpfen kann. Hexen sind also bei Delaney eine Kombination aus der hässlichen russischen Hexe Baba Yagá und einem Vampir. Und wie Hexen und Vampire mögen sie kleine zarte Kinder und deren Blut. Mit so etwas ist nicht zu spaßen, wie Tom ein wenig spät herausfindet.

Der Autor hat sich diese Art von Hexen nicht aus den Fingern gesogen, sondern in seiner eigenen Nachbarschaft Vorbilder dafür gefunden. Im Jahr 1612 fand – vier Jahre vor Shakespeares Tod – in der Grafschaft Lancashire ein berühmter Hexenprozess statt, der es locker mit den späteren Salemer Hexenprozessen von 1692 aufnehmen konnte.

Immer wieder wurden die Lancashire-Hexen literarisch verewigt, so etwa schon 1620 in einem Bühnenstück namens „The Witch“ von John Middleton und 1681 in „The Lancashire Witches“ von Thomas Shadwell. Den gleichnamigen Roman dazu schrieb 1848 W. Harrison Ainsworth und 1951 veröffentlichte Robert Neill seinen Roman „Mist over Pendle“. Pendle ist eine in Delaneys Roman erwähnte Ortschaft, wo der Spook Arbeit zu erledigen hat. Auch das Wort „boggart“ ist für die Gegend nahe der Grenze zu Schottland belegt.

So weit also die historischen Wurzeln und ihre literarische Tradition. Was macht nun aber Delaney daraus? Der Schauplatz ist das vorindustrielle 17. Jahrhundert. Hier gibt es zwar Kirchen, aber keinen einzigen Landbesitzer (außer Bauern) oder gar Ritter. Es muss aber Schlachten gegeben haben, sonst wäre der Wald nicht voller Geister von Gehenkten. Die Perspektive ist also sehr eng begrenzt. Es ist, als wäre Frodo nie über die Grenzen von Hobbingen hinausgekommen. Das ändert sich aber hoffentlich noch, sobald Tom Meister-Spook geworden ist.

Tom verhält sich manchmal weniger wie ein Dreizehnjähriger als wie ein Neunjähriger. Das kann aber auch an den Formulierungen in der Übersetzung liegen. Er redet seine Mutter stets mit dem kindlichen „Mama“ an und verlässt sich völlig auf ihren weisen Rat. Seinem erwachsenen Bruder Jack hat er überhaupt nichts entgegenzusetzen außer Schläue. Ein Sexleben hat Tom grundsätzlich nicht, und in dieser Hinsicht hilft auch die Begegnung mit der zwielichtigen Alice nicht. Auch der Spook hat so etwas nicht, was daran liegen mag, dass er früher mal Pfarrer war. Er spricht oft abfällig über die verräterische Natur der Frauen, worauf ihm Tom vehement widerspricht und seine „Mama“ als strahlendes Beispiel anführt. Ob der Boggart, der dem Spook den Haushalt führt, weiblich ist, bleibt unklar. Der Boggart kann sich zwar als Katze sichtbar machen, aber das ist sicherlich kein Beweis für das Geschlecht des Boggarts.

Wir erfahren ziemlich wenig über Tom als Individuum, gerade so, als wolle uns der Autor davon abhalten, zu viel über ihn nachzudenken. (Ich wünschte, eine Frau hätte ihn eingehender beschrieben.) Deshalb ist es umso wichtiger, darauf zu achten, was andere über Tom sagen und denken. Er hat ein gutes Gedächtnis, das ihm in brenzliger Lage mehr als einmal gute Dienste leistet, aber grundsätzlich fehlt es ihm noch an Menschenkenntnis und gesundem Menschenverstand, wahrscheinlich ein Resultat seines Aufwachsens auf einem abgelegenen Bauernhof. Dass er deshalb weder Latein noch Griechisch beherrscht, die Sprachen der Gelehrten, verwundert daher wenig.

Aber wenigstens ist Tom kein Hasenfuß oder Dummkopf. In brenzliger Lage entwickelt er erstaunlichen Mut – den er sich wahrscheinlich selbst nicht zugetraut hätte – und eine Impulsivität, die den Gegner stets überrascht. Im Laufe seiner Entwicklung und Ausbildung können wir also noch mit weiteren Überraschungen rechnen. Das ist ja bei Harry Schotter auch nicht anders.

Die Aufmachung

Die Ausstattung dieses Bandes umfasst eine Menge nützlicher Texte und Bilder. Da wäre beispielsweise die Landkarte am Schluss, die die Lage von Spooks Haus in Relation zu Chipenden und dem Gebirge anzeigt. Die Karte hat nur einen Schönheitsfehler: Ihr fehlt ein Maßstab.

Sodann enthält Thomas J. Wards Notiz- bzw. „Tagebuch“ (es enthält keine Datumsangaben) jede Menge zusammenfasste Informationen über Boggarts, Mädchen mit spitzen Schuhen, Hexen und Geister. Außerdem gibt es eine Liste der Symbole, die der Spook verwendet, um den Ort zu kennzeichnen, wo ein übernatürliches Phänomen auftritt und wie stark dieses ist. Ein Boggart wird mit einem Beta angezeigt, ebenso seine Stärkeklasse, sein Typ und ob und wie er gebannt wurde. Ähnliches gilt für Hexen, die mit einem Omega, und für Geister, die mit einem Gamma bezeichnet werden. Stets unterschreibt der jeweilige Spook, in diesem Fall „Gregory“.

Von Alice hat Tom Wissen über bestimmte Pflanzen erhalten. Natürlich treten auch hier übernatürliche Phänomene auf. So etwa gibt es giftige Tollkirschen, aus denen sich Belladonna gewinnen lässt, und ebenso giftige Alraunen, die auch Mandragora genannt werden. Mit Belladonna „fliegen die Hexen in Pendle“. Das erinnert an tatsächlich im Mittelalter von Frauen gebrauchte „Hexensalben“, mit denen sich Flugträume herbeiführen ließen. Aber Alice hat noch nie eine Hexe fliegen sehen.

Der Buchumschlag ist einem alten Folianten nachbildet. Die Farbe entspricht dem von dunklem Leder, in das in erhabenen Buchstaben die diversen Titeln eingeprägt wurden. Auch die Titelillustration des Spooks – mit einem genial gestalteten Licht-und-Schatten-Spiel – ist geprägt. Unter dem Obertitel „Spook“ erkennt man eine englische Ziffer „7“. Englisch deshalb, weil ihr der Querstrich fehlt, den die kontinentale Ziffer 7 aufweist. Auf der Rückseite ist ein Stückchen „Pergament“ angebracht. Darauf steht: „Bonus: Enthält Tom Wards geheimes Tagebuch“.

Die Übersetzung

Wie schon erwähnt, erweckt die Wortwahl der Übersetzung den Eindruck, als sei Tom erst neun statt dreizehn. Ständig wird seine Mutter auf kindliche Weise als „Mama“ bezeichnet. Ist er ein Muttersöhnchen?, fragt man sich unwillkürlich.

Dass Schweine als „haarig“ bezeichnet werden, mag ja im Original hinhauen, aber im Deutschen sagt man definitiv und ausschließlich „borstig“. Das fehlte noch, dass Schweine ein Fell haben.

Unterm Strich

Zuerst dachte ich bis Seite 120, dass hier rein gar nichts passiert, aber dann ging’s richtig los. Und was noch besser ist: Nichts, was einmal passiert ist oder gesagt wurde, geht verloren. Alles wird später wieder aufgegriffen. Deshalb lohnt es sich, sich alles zu merken und genau aufzupassen, welche Fehler Tom begeht. Dass Mutter Malkin zurückkommen werde, ist keine leere Warnung des Spook. Und die Folgen machen Tom deutlich klar, was erstens seine Bestimmung ist und worin zweitens seine große Verantwortung liegt. Das Land braucht ihn, sonst keinen. Das ist der Stoff, aus dem Legenden geschnitzt werden.

Fantasy und Horror vereinen sich in diesem Buch mit der historischen Realität, die durch die Hexenprozesse von 1612 verbürgt ist. Für dreizehnjährige Leser ist es gut geeignet, sowohl für Jungs wie auch für Mädchen. Und jedem Leser bietet das spannende und actionreiche Finale genug Ansporn, auch die hoffentlich noch kommenden Bände in der Serie über den Geisterjäger zu lesen.

Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Originaltitel: The Wardstone Chronicles – The Spook’s Apprentice, 2004

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen