Despentes, Virginie – Bye Bye Blondie

Virginie Despentes hat sich in den letzten Jahren vom Schmuddelkind zu einer der beliebtesten Autorinnen Frankreichs gemausert. Mit „Bye Bye Blondie“ möchte sie diesen Status weiter ausbauen.

Hauptperson ist die Mitdreißigerin Gloria, eine Chaotin, die für ihre Wutanfälle gefürchtet, in ihrer Stammkneipe „Royal“ bei den Stammgästen aber sehr beliebt ist.

Eines Tages, als sie gerade von ihrem Freund rausgeschmissen worden ist, trifft Gloria auf Eric, eine Jugendliebe, die sie damals bei einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik kennengelernt hat. Nachdem sie beide entlassen wurde, verbrachten sie eine glückliche Zeit, bis Eric plötzlich wie vom Erdboden verschwand und sich nicht mehr bei ihr meldete. Das brach Gloria das Herz und als sie ihn, der mittlerweile ein bekannter Fernsehmoderator ist, auf der Straße verheult und außer sich wiedertrifft, hat sie überhaupt keine Lust, sich wieder auf ihn einzulassen.

Trotzdem folgt sie ihm nach Paris in sein schmuckes Appartement und in ein Leben voller Glitzer und Glamour, in dem sie sich als rotzfrecher Altpunk nicht gerade wohlfühlt und das auch zeigt. Ob die beiden trotzdem eine Chance haben?

Das Buch spielt in zwei verschiedenen Welten. Neben dem aktuellen Handlungsstrang erzählt die französische Autorin auch aus der Jugend der Punkerin Gloria aus anständigem Elternhaus, gegen das es sich zu rebellieren lohnte. Sie beschreibt dabei einen ganzen Lebensstil. Von spontanen Fahrten nach Paris, ohne einen einzigen Cent in der Tasche, und dem Leben auf der Straße bis hin zu Prügeleien mit Skinheads ist alles dabei und Gloria präsentiert sich als alles andere als ein liebes, nettes Mädchen. Das stößt den Eltern von Eric, die der höheren Schicht zugehörig sind, natürlich sauer auf, besonders weil Gloria noch nicht mal damit zurückhält, was sie von diesen Spießern hält.

Die Gloria von heute ist vielleicht keine Punkerin mehr, aber ganz normal ist sie trotzdem nicht. Als Sozialhilfeempfängerin mit einem Faible für Alkohol und das Anpöbeln fremder Menschen in der Öffentlichkeit lebt sie bei ihren ständig wechselnden Freunden, die sie zumeist deshalb rausschmeißen, weil sie ihre Wutanfälle nicht mehr ertragen.

Gloria ist nicht glücklich. Sie ist kaputt und gleichzeitig auf der Suche nach ein bisschen Wärme. Diese nicht ganz alltägliche Protagonistin weiß Virginie Despentes sehr schön darzustellen, ohne dabei seitenlange Beschreibungen abzuliefern. Sie beschreibt ihre Figur lieber aus deren Erinnerung heraus, so dass der Leser versteht, wieso sie handelt und was sie schon hinter sich hat.

Auch die anderen Charaktere in dem Buch wissen aufgrund ihrer Authenzität zu gefallen, und trotzdem schleicht sich da eine kleine Frage in den Kopf des Lesers, der gerne mal einen der modernen französischen Autoren wie Pille oder andere Bücher von Despentes liest. Wieso kommt einem die Konstellation eines armen Mädchens, das in die höheren Schichten aufsteigt, weil es irgendeinen neureichen jungen Mann kennenlernt, so bekannt vor? Eine gewisse Klischeehaftigkeit lässt sich folglich nicht verbergen.

Die Handlung ist auch nicht immer so goldig, wie sie laut den Kritiken glänzen sollte. Glorias Jugenderinnerungen, die einen Großteil des Buches einnehmen, sind wirklich sehr gut gelungen. Dicht, ohne Längen und sogar mit einer gewissen zwischenmenschlichen Spannung gewürzt, sorgen sie dafür, dass man das Buch lange nicht aus der Hand legen will. Besonders, wenn man von dem dargestellten Lifestyle weit entfernt ist, ist es sehr interessant zu lesen, wie die junge Gloria ihre Freizeit verbringt.

Der Erzählstrang, der sich mit der aktuellen Beziehung von Gloria und Eric beschäftigt, wirkt dagegen zum größten Teil wie die lästige Pflicht nach der Kür. Arme Sozialhilfeempfängerin trifft schneidigen Moderator und landet auf VIP-Feiern – das ist wirklich nichts Neues mehr und der Großteil der Erlebnisse von Eric und Gloria ist furchtbar vorhersehbar und langweilt dementsprechend ein wenig.

Da hilft teilweise noch nicht einmal der überzeugende Schreibstil Despentes‘. Despentes schreibt einfach, trocken, alltäglich, manchmal obszön, aber immer treffend. Sie gibt den Emotionen ihrer Charaktere nicht wirklich viel Raum, aber gerade das lässt die Emotionen umso authentischer wirken. Sie benutzt auch hier die für sie typischen Beobachtungen der kleinen Dinge des menschlichen Zusammenlebens und schmückt sie oft mit nüchternen, aber passenden Metaphern wie auf Seite 53 aus:

|“Sie nahm wohl wahr, dass sie am ehesten einem durchgeknallten Vogel glich, der für alle anderen unsichtbar Skateboard fuhr und mit gesenktem Kopf gegen alle Wände um sich herum knallte.“|

Derartige rhetorische Mittel lockern das Buch auf, auch wenn die Jugendsprache in der deutschen Übersetzung stellenweise eher grenzwertig ist. (|“Seine Nase ist rot verquollen, voll die Erbeere.“|, Seite 16).

„Bye Bye Blondie“ ist dementsprechend ein durchwachsen anmutendes Buch mit einer positiven Tendenz. Die Handlung hat ihre Höhepunkte, aber auch ihre Tiefpunkte, und die Personen sind, solange sie nicht Gloria heißen und unglaublich gut ausgearbeitet sind, manchmal etwas klischeehaft. Der Schreibstil kann sich dagegen mit seinen feinsinnigen Anspielungen, Metaphern und Beobachtungen lesen lassen.

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