Jess Walter – Stummes Echo

In der Provinz-Großstadt Spokane werden entlang eines Flussufers die Leichen ermordeter und rituell ausgestellter Prostituierter gefunden. Von Politikern und den Medien bedrängt und von ‚Fachleuten‘ nur bedingt gut beraten, versuchen zwei Polizisten dem Serienkiller das Handwerk zu legen … – Natürlich schwebt dieser quasi unsichtbar aber allwissend über der Szenerie und ist praktisch nicht zu fassen, bis er im Finale trotzdem aufgespürt wird – Routine-Thriller; gut recherchiert, aber inhaltlich überfrachtet mit privaten Problemen der Hauptfiguren: durchschnittlich.

Das geschieht:

Jenseits der Metropole Seattle an der Pazifikküste wird der US-Staat Washington von mittelgroßen Städten mit ulkig klingenden Namen geprägt: Snokomish, Walla Walla – oder Spokane. Letzteres liegt tief im Landesinneren und damit erst recht in einer Art Niemandsland: Wer hier lebt und arbeitet, legt offenbar keinen Wert auf die ganz große Karriere oder wäre ihr ohnehin nicht gewachsen. Auf Detective Caroline Mabry trifft im Moment beides zu. Für die Beamtin der Special Investigations Unit der Polizei von Spokane wird ein Routine-Einsatz zum Fiasko: Bei einer Drogen-Razzia im Riverfront Park der Stadt stürzt ein Verdächtiger in den Spokane River. Carolines Rettungsversuch missglückt. Die Suche sorgt für eine böse Überraschung: Entlang der Flussufer tauchen die Leichen junger Frauen auf, gewürgt und erschossen, mit zwei 20- Dollar-Scheinen in der rechten Hand. Der „Southbank Strangler“, wie ihn die Medien taufen, mordet Prostituierte in Serie, und er geht seiner Passion schon länger nach.

Derweil ermittelt Carolines Freund und Kollege, Sergeant Alan Dupree, gegen den Gewalttäter Lemmy Ryan. Es dauert einige Zeit, bis Dupree und Mabry merken, dass sie denselben Täter verfolgen. Ryan ist kein simpler Mörder, sondern ein gemeingefährlicher Psychopath. Dies meint jedenfalls Curtis Blanton, medienerprobter Profiler und reisender Fachmann in Sachen Serienmord. Er entwirft das Bild eines irren, aber klugen und kontrollierten Mannes, der auf Caroline Mabry geprägt ist. Er präsentiert der Polizistin immer wieder neue Leichen, bis es ihr irgendwann gelingen wird ihn zu stoppen.

Da er als Ermittler erfolglos blieb, wurde Alan Dupree mit Schimpf und Schande aus der „Task Force Serienmorde“ in den Streifendienst versetzt. Eines Tages nimmt er einen scheinbar simplen Einbruch auf und stößt dabei auf Hinweise, die ein völlig neues Licht auf die Morde des „Southbank Stranglers“ werfen …

(Serien-) Mord ist ihr Geschäft

Selbstverständlich will ihm niemand Glauben schenken außer der (heimlich angehimmelten) Kollegin, die im Alleingang die wahren Schurken hetzt und dabei in Lebensgefahr gerät – und so weiter, und so fort. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Erwartung des Lesers, mit einem aufregenden Cops-jagen-Serienmörder-Thriller beglückt zu werden, endgültig gelegt: „Stummes Echo“ ist ein solider, gut geplotteter und flüssig geschriebener, aber ganz gewiss kein innovativer Thriller. Ist das Jahrzehnte nach Hannibal Lecters furiosem Aufstieg zur modernen Ikone überhaupt noch möglich?

In gewisser Weise schon. Jess Walter erzählt nicht nur von den Übeltaten eines weiteren Unholds, sondern reflektiert über die mannigfaltigen Schrecken, die das „Schweigen der Lämmer“ über uns brachte. Er konzentriert sich dabei auf die unheilige Allianz von Serienmord und Medien-Industrie, in deren Windschatten allerlei unerfreuliche Nutznießer kräftig ins Kraut geschossen sind. Dazu gehört eine Gruppe von „Profilern“, jenen aus Kriminalistik, Psychologie und Zauberei geborenen Fachleuten, die es verstehen, aus simplen Tatortspuren konkrete Rückschlüsse auf die Person des Täters zu ziehen. Damit liegen sie manchmal fürchterlich daneben, oft aber eben nicht.

Das hat sie besonders in den USA zu wichtigen Mitarbeitern der Polizei und des FBI werden lassen – und zu den Lieblingen der Medien, die in diese modernen Nachfahren von Sherlock Holmes und Sigmund Freud geradezu vernarrt sind. Es hat nicht lange gedauert, bis dieses Interesse als lukrative Marktlücke erkannt wurde. Nicht wenige Profiler haben dem Öffentlichen Dienst Ade gesagt und sich selbstständig gemacht. Für wesentlich mehr Geld verdingen sie sich nun als freie Spezialisten und füllen ihre Börse durch gut dotierte Fernsehauftritte. True Crime-‚Dokumentationen‘ finden auch hierzulande ihr treues Publikum.

Schwachstellen hinter der Thriller-Fassade

Die reißerischen Möchtegern-Reportagen schmücken sich gern mit einem ‚Fachmann‘, dessen Marktwert sich wiederum nach seiner Prominenz richtet. Diese muss durch in regelmäßigen Abständen durch neue Bücher oder Zeitschriftenartikel angefacht werden. Da irgendwann aber alles erzählt ist, was der Profiler erlebt hat, muss er neue Serienmorde begutachten. Deren Zahl ist relativ beschränkt, während die Zahl der Presse-Profiler zunimmt. Es geschieht, was Walter so deprimierend kundig schildert: Diese Profiler reisen den ‚guten‘, weil publikumswirksamen Bluttaten hinterher und raufen um die besten Knochen. Solche Passagen sind dem Autoren wie gesagt gut gelungen; kein Wunder, kann er doch auf eigene Erfahrungen zurückgreifen: Als Journalist beschäftigte sich Walter mit dem Phänomen des Serienmordes und schrieb mit einem Kollegen selbst ein Buch über die „Pacific-Northwest“-Morde, die er in „Stummes Echo“ mehrfach anspricht.

Dagegen sorgen die ständigen Nackenschläge, denen sich die Königskinder Mabry und Dupree, die einander suchen und doch nicht finden können, ausgesetzt sehen, bald für Langeweile. Zwar gehört es seit jeher zum guten Ton, dass Detektive und Polizisten chronisch unglücklich sind und vom Pech verfolgt werden. In den letzten Jahren drohen die Seifenoper-Elemente im Thriller-Genre allerdings überhand zu nehmen: Der tägliche Arbeitsstress droht Mabry aufzufressen, die Mutter liegt im Sterben, der zwölf Jahre jüngere Lebensgefährte neigt zur Treulosigkeit. Die allzu breit ausgewalzten Sorgen und Nöte unserer beiden etwas zu kalkuliert tragischen Helden lassen jedenfalls ziemlich kalt.

Die Handlung wartet kaum mit Überraschungen auf. Dass sich hinter dem „Southbank Strangler“ nicht der rächende Liebhaber verbirgt, ahnt oder weiß wohl auch der schläfrigste Leser schon weit vor dem obligatorisch dramatischen Finale. „Stummes Echo“ bietet durchschnittliche Krimikost, nicht mehr, nicht weniger. Bleibt die ungewöhnliche Kulisse, aber auch hier stellt sich über kurz oder lang die Gewissheit ein, dass sich die Straßen Spokanes nicht dramatisch von denen San Franciscos unterscheiden. Ob die Roman-Übersetzung wohl auch deshalb ‚umgetauft‘ wurde? Aus „Sündenfall“ wurde für die Taschenbuch-Ausgabe „Stummes Echo“. Der Inhalt blieb unverändert.

Autor

Jess Walter wurde am 20. Juli 1965 in Spokane, US-Staat Washington, geboren. In dieser Stadt wuchs er auf, hier (sowie an der Eastern Washington University in Cheney) studierte er, und hier lebt er heute mit seiner Familie. Walter schreibt als Journalist über Kriminalfälle. Sein Debüt als Schriftsteller gab er 2001 mit dem Thriller „Over Tumbled Graves“ (dt. „Sündenfall“/„Stummes Echo“). Vor allem für seine Kurzgeschichten wurde Walter mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet bzw. nominiert.

Taschenbuch: 495 Seiten
Originaltitel: Over Tumbled Graves (New York : Regan Books/HarperCollins Pub. 2001)
Übersetzung: Wolfgang Müller
http://www.randomhouse.de/heyne

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