Przybyszewski, Stanislaw – Gnosis des Bösen, Die

„Stanislaw Przybyszewski (1868-1927) wurde als Sohn eines polnischen Dorfschullehrers in Lojowo geboren, studierte in Berlin und arbeitete als Journalist. Er gehörte dem Berliner Dichterkreis um Richard Dehmel, August Strindberg und Ola Hansson an und galt als führender Vertreter der naturalistisch-symbolistischen Bewegung des ‚Jungen Polen‘.“ Przybyszewski’s Werk „Die Gnosis des Bösen“ ist eine radikale, provokative Streitschrift und kulturhistorische Analyse aus der Sicht des ‚Bösen‘. Das Buch erschien zunächst 1897 als Aufsatzfolge in „Die Kritik“ und wurde 1900 unter dem Titel „Die Synagoge Satans“ als Separatdruck aufgelegt, ein Titel, der auch von der 2. Auflage 1979 übernommen wurde.

Dieser Auflage entstammt auch das enthaltene Vorwort des Theologen Josef Dvorak, der 1989 sein Monumentalwerk [„Satanismus“]http://www.powermetal.de/book/anzeigen.php?id_book=86 herausbrachte. Dvorak ist eine ausgezeichnete Wahl als Vorredner, denn auch er betrachtet seine Form von Satanismus als künstlerische Ausdrucksform, als Psychodrama, als kulturhistorische Kampfansage an das träge Bürgertum, als rebellisch-spirituelle Weltsicht im positiven Sinne des satanischen Begriffes. In seinem Vorwort nun präsentiert er selbst einen kurzen Abriss über die ’neuere Geschichte‘ (seinerzeit) der satanischen Strömung und ist dabei ebenso wenig zimperlich wie Przybyszewski, wenn nicht nur konservativ-christliches Bürgertum, sondern auch allerlei satanische Auswüchse ihre Packung kritischer Medizin verabreicht bekommen. Aus heutiger Sicht vielleicht etwas eigentümlich zu lesen, aber gerade dadurch so wertvoll, frei von modernen Medienimpulsen und inzwischen verwaschenen Kommentaren und Analysen zum Phänomen des Satanismus.

Dies ist auch eine der Bedeutsamkeiten von Przybyszewski’s Werk, denn, entstanden um 1900, bietet es eine besondere, vom heutigen Terminus abweichende Darstellung, frei von den neueren Einflüssen eines Aleister Crowley auf den Satanismus, philosophisch-psychologisch vereinfacht und auf einen handlich-überschaubaren Überzeugungskomplex gebracht von Vorreitern der ‚gesellschaftsfähigen Öffentlichkeitsarbeit‘ wie LaVey. Interessanterweise hatte der Autor bereits seit der Jahrhundertwende mit ähnlicher Medienaufmerksamkeit und eher verständnisloser Fremdschubladisierung zu kämpfen wie weiland LaVey oder Crowley und darf als einer der Vorreiter einer öffentlichkeitswirksamen Präsentation satanischer Prinzipien und Strömungen der Moderne betrachtet werden, inspiriert durch den literarischen Satanismus, der letztlich Urquell der modern-satanischen Ausrichtung ist.

Sein Schreibstil ist beeindruckend. Prosaisch, mythologisch, geradezu in Form einer biblischen Offenbarung geschrieben, präsentiert er in den Kapiteln „Die Entstehung der Satanskirche I & II“ einen kulturgeschichtlichen Abriss der naturphilosophisch-religiös-heidnischen Ursprünge dieser Strömung, die letztlich stets existent war, in verschiedenen Ausformungen menschliche Wesensarten repräsentierte, die zur Entwicklung jeder (westlichen und arabischen) Kultur gehörte. Die Wurzeln sieht er in den noch vorchristlichen, später besonders durch die Manichäer radikalisierten gnostischen Vorstellungen einer notwendigen, unvermeidbaren Dualität und Koexistenz von Licht und Dunkelheit, ‚Gut‘ und ‚Böse‘, Materie und Transzendenz, die letztlich durch allzu starke Ausformung in der einen Richtung zu einem umso kraftvolleren Aufbegehren der ‚Gegenseite‘ führte und sich in Wellen durch die Geschichte zieht. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der für unseren Kreis relevanten Epoche christenkirchlicher Dominanz und ihrem Wechselspiel mit heidnischen Ursprüngen, archetypischen und natürlichen Trieben, Sehnsüchten und Bedürfnissen.

Die pikanten, teils schon unappetitlichen Details über kirchliche Verfehlungen und das allgemeine Gebahren der Ecclesia lassen die Grenzen zwischen Heilslehre und Satanismus besonders im ausgehenden Mittelalter unüberschaubar verschwimmen und sind Triebkraft geradezu absurder satanistischer Auswüchse jener Zeit, die wohl in Schwarzen Messen gipfelten, die von hohen klerikalen Würdenträgern abgehalten wurden und zu einem Gutteil letztlich nur einem gelangweilten, erfahrungshungrigen und machtgierigen Adel zweckdienlich sein sollten. Aber das einfache Volk hat seine naturreligiösen Wurzeln nie vergessen und lebt seine Triebe und Bedürfnisse in ausgelassenen Zusammenkünften aus, gibt sich alten Bräuchen und Ritualen hin und bewahrt Geheimnisse der Kräuter- und Heilkunde, die stets mit magischen Aspekten versehen waren und bei denen wie allgegenwärtig die sexuellen Komponenten und Symboliken primär bedeutsam sind. Unter dem Eindruck von Amtsverfehlungen, Pest, Kriegen, Unterdrückung und Ausbeutung – besonders all dessen, was natürlich, triebhaft, unvermeidbar, aber dennoch per Dekret ’sündhaft‘ (‚Sünde‘ leitet sich von ‚absondern‘ her) ist – verwaschen all diese Wellenschläge einer heuchlerischen, von Tod und Strafe dominierten Knechtschaft von Geist und Leib zu einer befreienden und geradezu orgiastischen Gesellschaftsströmung, derer niemand mehr wirklich Herre werden konnte. Und so kommt es immer wieder zur Rebellion der Unfreien, der Verfolgten, der ‚Widersacher‘, blutig niedergeschlagen von kirchlicher Nächstenliebe, wie sich in der Auslöschung von Templerorden oder Katarern (Albigensern, zu Zehntausenden dahingeschlachtet) besonders deutlich zeigt. Diese Namen führen auch direkt zum europäischen ‚Quell des Bösen‘ und allem Ketzerischen; dem Kulturkreis, der Wurzel aller Rebellion, allen Umsturzes, aller häretischer Gedanken und Bestrebungen war: die französischen Lande.

Sehr hilfreich sind übrigens gerade in diesen Passagen die zahlreichen Anmerkungen von Übersetzer und Verleger, die Details zu benannten Persönlichkeiten, Gruppierungen oder Mythen anfügen, wo der Leser heutigentags mit Przybyszewski’s Darstellungsweise überfordert wäre. An dieser Stelle seien auch die zahlreichen beigefügten Bildwerke erwähnt, die wohlgewählt sind.

„Der Kult der Satanskirche I – III“ gibt ein unorthodoxes Bild der satanischen Kultur und Lebensweise, ein orgiastischer, sinnentaumelnder, traumtänzelnder Sabbat der Urtriebe. Interessant sind hier des Autors Ausführungen zum Gebrauch pflanzlicher halluzinogener Drogen, die viele Aussagen der Hexen erklären können, eine Form erfüllender Wirklichkeitsflucht in die Reiche geistiger, gemeinschaftlicher Extase. Allerdings geht er für meine Begriffe an der Stelle zu weit, wo er der Ansicht ist, die meisten Hexenmorde seien insofern berechtigt und in der Tat von solch magisch-dunkler Art gewesen, wie die Inquisition es darstellte. Er lehnt sich damit gegen die aufklärerische Pauschalisierung auf, alle Verfolgungen wären letztlich rein machtpolitisch gewesen und bar jeden religiös-ernsthaften Hintergrundes. Das ist verständlich und vieles dieser Verfolgungen wurzelt sicherlich in dem verzweifelten Versuch, dem satanischen Freiheitsdrange des Volkes Herre zu werden, aber ins andere Extrem umzuschlagen, erscheint mir keineswegs besser, sinnvoller oder glaubhafter.

Dem Werk ist ein späteres Nachwort beigefügt, entnommen dem 1985 erschienenen „Von Ferne komm ich her… Erinnerungen an Berlin und Krakau“. Dies macht des Autors Standpunkt noch einmal etwas deutlicher, da der eher parteilose Rundumschlag seiner Ausführungen zuvor diesbezüglich etwas verwirrt. Er relativiert hier seine frühe Schrift als „seinerseits noch sehr oberflächliche dämonologische Studien“ und bringt einen naturphilosophischen, künstlerisch wirkenden Satanismus zum Ausdruck, der wieder greifbarer und nachvollziehbarer erscheint; zugleich ist es eine kurze Verteidigungsschrift gegen frühe Vorwürfe und Unverständnisbezeugungen der Außenwelt.

Insgesamt handelt es sich bei „Die Gnosis des Bösen“ um ein kulturhistorisch bedeutsames Zeitdokument, das zu einem Verständnis satanischer Strömungen unbedingt gelesen sein sollte; nicht oft hat man noch Gelegenheit, speziell satanische Darstellungen aus der ‚Sicht des Bösen‘ zu erfahren, die so lange zurückliegen und nicht fremdgefärbt sind (auch wenn der Einfluss von Nietzsche oder den satanischen Literaten und Poeten seiner Zeit natürlich spürbar ist).

Dank an [Second Sight Books]http://www.second-sight-books.de für die Überlassung des Rezensionsexemplares.