Jennifer Fallon – Kind der Magie (Dämonenkind Band 1)

Seit vor ungefähr zweihundert Jahren das Volk der Harshini ausgemerzt wurde, herrscht in Medalon die Schwesternschaft des Schwertes. Die sogenannten Heiden, die trotz allem immer noch wagten, die alten Götter anzubeten, waren deshalb immer wieder erneuter Verfolgung ausgesetzt, denn Staatsreligion ist nun der Atheismus. In zweihundert Jahren ist es der Schwesterschaft gelungen, ein kleines, aber schlagkräftiges Heer aufzubauen: die Hüter, die aber hauptsächlich mit zeremoniellen Aufgaben oder mit Grenzscharmützeln im Süden beschäftigt sind, wo die benachbarten Hythrier ihnen regelmäßig das Vieh stehlen. Die Nordgrenze schützt ein Friedensvertrag, der noch aus einer Zeit stammt, als sowohl Medalon als auch das Nordreich Karien ziemlich am Boden lagen.

Jetzt allerdings ist die Erste Schwester Trayla verstorben. Ihre Nachfolgerin Mahina ist eine mütterliche und sehr gemäßigt denkende Frau, äußerst beliebt bei den Hütern, aber mit eher geringer Unterstützung innerhalb der Schwesternschaft. Eine höchst ungünstige Konstellation in einem Land mit geringer Bevölkerungszahl und nur einem kleinen Heer, während die Nachbarn, von denen die südlichen an die alten Götter glauben und die Harshini verehren und die nördlichen fanatische Anhänger eines einzigen Gottes sind, jeweils über große Streitkräfte verfügen. Es dauert nicht lange, und der Stuhl der Ersten Schwester Mahina gerät ins Wanken …

R’shiel ist in der Zitadelle aufgewachsen. Seit ihrer Kindheit wird sie dazu ausgebildet, einmal eine Schwester zu werden. Ihre Mutter ist Mitglied des Quorums, des vierköpfigen Rates der Schwestern, der gemeinsam mit der Ersten Schwester die Geschicke Medalons lenkt. Allerdings ist R’shiel nicht besonders gut auf ihre strenge, dominanten und geradezu lieblose Mutter zu sprechen. Ihr Vater Jenga, der Hochmeister der Hüter, hält kühle Distanz zu ihr. Nur ihrem Halbbruder Tarjanian fühlt sie sich verbunden, doch der wurde unter Traylas Regentschaft an die Südgrenze strafversetzt. Aber Trayla ist tot, und so bittet R’shiel ihren Vater, Tarjanian zurückzuholen.
Ihr Bruder kehrt tatsächlich zurück, sehr zum Missfallen seiner Mutter. Kaum ist er wieder da, schickt Jenga ihn zur Inspektion der Grenze nach Norden. Denn der karische Botschafter liegt der Schwesternschaft ständig damit in den Ohren, es gäbe immer noch zu viele Heiden, und fordert eine weitere Säuberung. Karien ist seit dem Abschluss des Friedensvertrages längst wiedererstarkt, und Jenga sieht in den Beschwerden des Kariers die Suche nach einem Vorwand, in Medalon einzumarschieren. Ein Gewitter braut sich zusammen, und mittendrin macht Tarjanian auch noch eine Entdeckung, die zunächst nur für R’shiel von Bedeutung scheint, aber bald Kreise durch das ganze Land zu ziehen droht …

Diese Zusammenfassung beschreibt keinesfalls den Inhalt des Buches, lediglich die Situation zu Beginn. Jennifer Fallon hat eine Welt mit einer Menge Parteien und einem vielschichtigen Beziehungsnetz untereinander entworfen.
Die ehrgeizige Frohinia will das Amt der Ersten Schwester. Den Kariern ist es gleich, wer dieses Amt gerade inne hat, denn in ihren langfristigen Plänen existiert es ohnehin nicht mehr. Vorerst aber wollen sie das sogenannte Dämonenkind, ein Halbblut, das sowohl von den Mensch als auch der königlichen Linie der Harshini abstammt. Auch die Harshini, die entgegen des Volksglaubens noch nicht völlig ausgerottet sind, suchen nach diesem Kind. Denn es hat die Macht, einen Gott zu stürzen! Das ist genau das, was die Götter der Harshini wollen, während die Karier es zu verhindern suchen.
Von all dem haben die Schwesternschaft und Frohinia nicht die geringste Ahnung, außerdem würden sie es sowieso nicht glauben!

Die Ausarbeitung der Charaktere ist einigermaßen gelungen.
Der karische Gesandte ist zwar für Frohinias Intrige von Bedeutung, ansonsten aber eher unwichtig und kommt dementsprechend selten persönlich vor. Insofern stört es nicht, dass die Charakterzeichnung hier nicht besonders ins Detail geht. Seine überhebliche Art und seine Lüsternheit kommen auch so ausreichend rüber.
Sein Kaplan ist das komplette Klischee eines fanatischen Priesters, aber das ist wohl so gewollt. Auch seine Person ist eigentlich eher unwichtig, bedeutsam ist eher der Stab, den er wie alle Priester des karischen Gottes bei sich trägt.
Die wichtigeren Charaktere sind besser getroffen.

R’shiels Charakter ist dabei den meisten Wandlungen unterworfen. Zunächst ist sie das wohlerzogene, wenn auch insgeheim manchmal leicht aufmüpfige junge Mädchen, dann mutiert sie für eine Weile zur wütenden Rachefurie, bis sie schließlich mit den Harshini konfrontiert wird. Ihre Flucht aus der Zitadelle ist durchaus nachvollziehbar, warum ihre Rachsucht aber dermaßen ausartet, ist nicht ersichtlich. Frohinia hat sie benutzt und intrigiert, für einen so abgrundtiefen Hass, wie R’shiel ihn gegen Frohinia hegt, dürfte das aber nicht unbedingt ausreichen. Dass sie Hass gegen ihren Peiniger Loclon empfindet, ist da schon logischer. Die auf ihren Kampf mit Loclon folgende Verwirrung wiederum ist durchaus glaubwürdig, auch ihre Empfindungen im Zusammenhang mit den Harshini.

Tarjanian ist ein rebellischer junger Mann, der seine eigene Meinung hat und seine eigenen Entscheidungen trifft. Seiner Mutter ist er so spinnefeind, dass er sich weigert, unter ihr weiterhin im Hüterheer zu dienen, selbst wenn er dafür seinen Diensteid brechen muss. Er ist der typische Krieger: durchaus intelligent, aber mit einem leichten Hang zu übertriebenem Heldentum und einem Blickwinkel, der die Welt immer zuerst wie ein Schlachtfeld betrachtet. Umso seltsamer wirkt es deshalb, dass ihm zu Anfang eine Rotte Hythrier entgeht, obwohl er wusste, dass sie da war und versuchen würde, über den Fluss zu kommen. Ein Neuling hat, indem er aus Ungeduld aus dem hohen Gras aufstand, die Anwesenheit der Hüter vorzeitig verraten. Na und? Die Hythrier haben es durch die Furt geschafft, weil die Hüter zu weit entfernt waren, um ihnen den Weg abzuschneiden! Da sie aber im Gras nur herumlagen und warteten, anstatt sich in dieser Deckung anzuschleichen, spielte das wohl keine Rolle. Eine Stunde später wäre es ihnen nicht besser ergangen! Und wenn Tarjanian schon weiß, dass es nicht Jengas Art entspricht, auf Wachposten zu verzichten, warum in aller Welt betritt er dann trotzdem die Gasse?

Vollständig in sich schlüssig ist die Person des Hochmeisters, einem Mann von Ehre, der seinen Eid unendlich ernst nimmt, auch wenn die Konsequenzen daraus ihm überhaupt nicht behagen. Sein allmähliches Umkippen angesichts Frohinias Regime vollzieht sich unter größten Bedenken und Gewissensbissen, ist aber angesichts seines im Grunde ehrlichen Charakters unaufhaltsam.

Eine der interessantesten Figuren ist Brakandaran. Die Tatsache, dass Medalon die Harshini für ausgerottet hält, führt dazu, dass er sich immer bedeckt hält und eine Menge Fragen höchstens ausweichend beantwortet. Kein Wunder, dass Tarjanian ihm nicht traut, aber die Wahrheit würde er auch nicht glauben! Überhaupt ist Brakandarans Verhältnis zu Tarjanian etwas gespalten. Eigentlich mag er den jungen Hauptmann, trotzdem lässt er ihn gelegentlich hängen. Brakandaran gehört zu denjenigen Personen, deren Gedanken man gelegentlich erfährt. Aber Gründe sind darin nicht unbedingt enthalten.

Der gelungenste Charakter aber bleibt Frohinia. Sie besitzt einen kühlen Verstand und große Selbstbeherrschung, ist nicht nur skrupellos, sondern auch intelligent und geschickt. Sie lügt, indem sie Teile der Wahrheit verdreht oder Zusammenhänge herstellt, wo keine sind. Alle ihre Ziele erreicht sie auf Umwegen und ohne dabei selbst ins Rampenlicht zu rücken. Deshalb hat es mich ziemlich erstaunt, dass sie gegen Ende so plötzlich die Beherrschung verliert, nur weil Tarjanian ihr ins Gesicht lächelt. Eigentlich sitzt sie doch am längeren Hebel. Sie könnte ihn ohne größere Probleme heimlich ermorden oder nach einem Schauprozess hinrichten lassen. Also kein Grund, auszurasten und vor einer Menge Zeugen dem Hochmeister einen Befehl zu geben, der sie vollständig entlarvt! Schade um diesen Knacks, er wäre nicht nötig gewesen.

Über die Handlung gibt es leider nicht viel zu sagen. Die eigentliche Geschichte ist eine ziemliche Odyssee durch den Kontinent und bestimmt von ständiger Flucht und immer neuen Gefangennahmen. Nachdem R’shiel und Tarjanian die Zitadelle verlassen haben, werden sie insgesamt viermal gefangen genommen und mehrere Fluchtversuche vereitelt. Zwar sind die einzelnen Etappen unterschiedlich gestaltet, trotzdem macht sich mit der Zeit beim Leser ein gewisser Überdruss bezüglich der ständig wiederkehrenden Muster des Einfangens und Weglaufens und Wiedereinfangens breit. Kein einziges Mal erreichen Tarjanian und R’shiel tatsächlich das Ziel, zu dem sie sich auf den Weg gemacht haben, weder geographisch noch sonstwie! Jedes Mal kommt etwas dazwischen. Auf Dauer ist das etwas ermüdend und unbefriedigend.

Einzige Farbtupfer, die das Geschehen vor der Eintönigkeit bewahren, sind die Teile, die mit den Harshini zusammenhängen. Ihre Götter sind aufgrund ihrer „Zuständigkeit“ für bestimmte Bereiche wie Liebe, Krieg und Diebstahl naturgemäß etwas stereotyp geraten; so ist es wahrscheinlich kein Wunder, dass mich Zegarnald in seiner Einstellung an Wotan und Dacendaran und Kalianah an Talen und Flöte aus Eddings‘ |Elenium|-Saga erinnerten. Die Harshini und ihre Dämonen jedoch erscheinen interessant. Da sie noch nicht allzu ausführlich vorkamen, besteht hier noch eine Menge Potenzial, das die Autorin für ihre weiteren Folgen nutzen kann. Die Entwicklung gegen Ende des Buches steuert auf einen Krieg zu. Die Tatsache, dass R’shiel zu diesem Zeitpunkt zu den Harshini ins Sanktuarium gebracht wird, lässt Vermutungen über einen weiteren Ausbau der Magie zu, die bisher ein ziemliches Randdasein führte. Auch Karien und sein Gott wurden bisher nur oberflächlich gestreift, genau wie die Fardohnjer bieten sie noch viele Ausbaumöglichkeiten. Vielleicht wird dadurch der Verlauf der Handlung noch ein wenig lebendiger und verliert etwas von dem monotonen Touch eines Hamsterlaufrades.

Bisher kann man von der „Dämonentrilogie“ nicht unbedingt behaupten, dass sie der große Wurf wäre. Dafür bleibt sie zu sehr innerhalb der üblichen Schemata: „böser Gott versucht, mit Hilfe seiner fanatischen Priester die ganze Welt zu unterdrücken und alle anderen Götter zu verdrängen, wogegen diese sich nicht selbst wehren können, weshalb sie die Menschen und andere Völker für ihre Zwecke einspannen“ und enthält zu wenig eigene Ideen im Entwurf der Welt und der Handlung. Nette Unterhaltung bietet aber zumindest der erste Band durchaus, nicht zuletzt durch die gelungene Darstellung von Intrige und Geschacher zwischen den Mächtigen. Bleibt zu hoffen, dass der zweite Band sich dahingehend steigert. Die Möglichkeit dazu besteht allemal.

Ganz abgesehen vom Buch an sich, war das Lektorat leider unter aller Kanone! Schon lange sind mir nicht mehr so viele Fehler in einem Text begegnet, vom einfachen Tippfehler bis zu mittendrin abgebrochenen oder fehlerhaft zuende geführten Sätzen, die dadurch keinen Sinn mehr ergaben! |Heyne| sollte sich für den dritten Band einen anderen Lektor suchen, falls das nicht schon beim zweiten Band geschehen ist!

Jennifer Fallon stammt aus einer großen Familie mit zwölf Geschwistern. Sie hat in den verschiedensten Jobs gearbeitet, unter anderem als Kaufhausdetektivin, Sporttrainerin und in der Jugendarbeit. Letzteres scheint ihr immer noch nachzuhängen, unter ihrem Dach leben außer drei eigenen Kindern einige obdachlose Jugendliche als Pflegekinder. Schreiben tut sie nebenher. Die Trilogie |DemonChild| war ihre erste Veröffentlichung und gleich oben auf den Beststellerlisten. „Kind der Magie“ und „Kind der Götter“ sind bereits auf deutsch erschienen, auf den dritten Band „Kind des Schicksals“ müssen die Leser noch bis zum Herbst warten.

Taschenbuch: 750 Seiten
www.jenniferfallon.com
www.heyne.de