Der scheinbar zufällige Tod eines Geistlichen erweist sich als Glied einer komplex verschlungenen Kette krimineller Taten, mit der einer alten Tragödie mörderisch neues Leben eingehaucht wird … – Im 16. Roman um den Privatermittler Hercule Poirot zeigt sich Agatha Christie auf der Höhe ihrer Krimi-Kunst: Plot, Story und Figurenzeichnung wirken nicht altmodisch, sondern zeitlos.
Das geschieht:
In Loomouth, einer Hafenstädtchen an der Küste der englischen Grafschaft Cornwall, lädt Sir Charles Cartwright zu einer seiner beliebten Gesellschaften ein. Der ehemalige Theaterstar hat sich vor zwei Jahren von der Bühne zurückgezogen, ist aber keineswegs in Vergessenheit geraten. Kommen werden nicht nur Cartwrights alter Freund, der Nervenarzt Sir Bartholomew Strange, die Schauspielerin Angela Sutcliffe, die Autorin Muriel Wills, das Ehepaar Dacres und der Journalist Oliver Manders, sondern auch einige Honoratioren aus Loomouth: Mr. Satterthwaite, Lady Mary Lytton Gore, ihre Tochter Hermoine – genannt „Egg“ – sowie Pfarrer Stephen Babbington und seine Gattin. Hinzu stößt noch ein Feriengast: der Privatdetektiv im (angeblichen) Ruhestand Hercule Poirot.
Damit nicht 13 Personen zusammenkommen, setzt sich Cartwrights Hausdame Miss Milray mit an die Tafel. Die Vorsichtsmaßnahme bleibt nutzlos, denn nachdem der Pfarrer an einem Cocktail genippt hat, fällt er tot um. Sir Charles vermutet ein Verbrechen und wird in dieser Vermutung von Egg Gore bestärkt, doch selbst Poirot winkt ab: Ein Mordmotiv lässt sich beim besten Willen nicht finden.
Einige Zeit später stirbt Dr. Strange in seinem Landhaus in Yorkshire auf ähnlich abrupte Weise. Dieses Mal wird der Körper untersucht und als Todesursache eine Dosis Nikotin offenbart. Dringend der Tat verdächtig ist Butler John Ellis, der nach der polizeilichen Vernehmung zu Inspektor Crossfields großem Ärger verschwindet. Sir Charles sieht sich in seinem Verdacht bestätigt, zumal diverse Gäste, die in seinem Haus Zeugen von Babbingtons Ende geworden waren, sich auch unter Stranges Dach getroffen hatten. Mit dem ähnlich beunruhigten Mr. Satterthwaite sowie Egg Gore im Schlepptau macht sich Sir Charles nach Yorkshire auf, wo sich die drei als Privatdetektive versuchen. Viel Erfolg haben sie nicht, bis ein illustrer Vierter zu ihnen stößt: Hercule Poirot, der es nicht ertragen kann, sich getäuscht zu haben bzw. getäuscht worden zu sein …
Zwischen Aufbruch und Routine
1934 konnte Agatha Christie bereits auf eine mehr als zehnjährige Laufbahn als professionelle Schriftstellerin zurückblicken. Sie war erfolgreich und berühmt, und sie hatte ihr Handwerk inzwischen so gut gelernt, dass sie nicht nur ihre Ideen umzusetzen wusste, sondern dabei experimentieren konnte.
Das Spiel mit dem Leser ist ein generelles Merkmal des Rätselkrimis, der den ermittelnden Detektiv angeblich im Wettstreit mit dem Leser zeigt. Einige Autoren haben die Kunst, entsprechende Hinweise zu streuen und dabei unauffällig im Textzusammenhang verschwinden zu lassen, um der Konkurrenz die Sache so schwer wie möglich zu machen, bis zur Vollendung gebracht. Christie gehörte bekanntlich zu dieser Elite, auch wenn das lesende Publikum des 21. Jahrhunderts Christies Zeitgenossen einige Jahrzehnte des trickreichen Täuschens und getäuscht Werdens voraus und deshalb nicht mehr so leicht zu leimen ist.
Trotzdem soll denen, die „Tragödie in drei Akten“ – frühere Ausnahmen trugen den Titel „Nikotin“ – noch nicht gelesen haben, das Lektüre-Vergnügen keinesfalls geraubt werden, was eine Besprechung freilich zum Drahtseilakt werden lässt. Allzu gern würde der Rezensent die Kniffe enthüllen, mit denen Christie arbeitet. So muss er sich auf das nüchterne Urteil beschränken, dass der Autorin in ihrem 16. Kriminalroman um und mit Hercule Poirot bis ins Detail bewusst war, was zu tun war, um das Publikum auf die Folter zu spannen. Die zeitgenössische Presse war denn auch voll des Staunens und der Bewunderung über Christies Auflösung, die – man kann es heute kaum glauben – damals tatsächlich neu (oder wenigstens nicht allgemein bekannt) war.
Spiel mit dem Schicksal
Christie gestaltet „Tragödie in drei Akten“ als Drama in drei Akten. Das Theater-Milieu war ihr vertraut; Christie schrieb selbst Stücke für die Bühne. Für eine Kriminalgeschichte eignen sich Schauspieler besonders gut; sie sind es gewohnt Figuren zu verkörpern und können deshalb ebenso überzeugend lügen wie in andere Rollen schlüpfen; Sir Charles beginnt als Privatdetektiv sogar unbewusst zu hinken, weil er einen derart behinderten Detektiv auf der Bühne gespielt hatte.
Dem Spiel mit dem Leser unterwirft Christie sogar die ‚Realität‘, die sich sonst kaum in die genannten drei Akte gegliedert hätte. Als Autorin kann Christie nicht nur Indizien und Hinweise, sondern auch die Handlung insgesamt manipulieren. Also werden die Ereignisse in Sir Charles‘ Ruhesitz „Krähennest“ inklusive des Mordes an Pfarrer Babbington zur Exposition, in der die Weichen für den zweiten Akt, die Entwicklung, gestellt werden. Nachdem die Handlungselemente durchgespielt sind, spitzen die Ereignisse sich auf das dramatische Finale zu, das hier wiederum theaterklassisch in einer Tragödie gipfelt: Schließlich wird eine der Figuren als Mehrfach-Mörder entlarvt, was im England des Jahres 1934 nur am Strang des Henkers enden konnte.
Die Handlung wird von Christie nicht nur in drei Großkapitel geteilt. Jeder Teil ist tatsächlich ein Akt, d. h. steht für sich allein. Wenn sich der Vorhang wieder hebt, wird die Handlung an anderer Stelle fortgesetzt. Ungeachtet dessen ergibt erst der Zusammenhang die ganze Geschichte.
Verdacht ist schnell gesät
Nach dem ersten Mord sieht sich der Leser 14 Verdächtigen gegenüber, deren Schar nach Mord Nr. 2 auf sieben schrumpft – scheinbar, denn natürlich legt uns Christie abermals herein. Dies wird uns jedoch bis zum Finale nie bewusst, da uns die Verfasserin einem Trommelfeuer möglicher Motive aussetzt. Entsprechend verwirren und auf falsche Fährten locken lassen sich auch Sir Charles, Mr. Satterthwaite und Egg Lytton Gore, die zwar eifrige aber unerfahrene Ermittler sind.
Hercule Poirot lässt sich dagegen nicht aufs Glatteis führen. Ein Detektiv seines Kalibers würde diesen Fall ziemlich rasch aufklären. Christie bedient sich deshalb eines dramaturgischen Kunstgriffs: Poirot tritt zwar bereits in Akt 1 auf, ist aber meist handlungsabwesend und zeitweise nicht einmal in England, sondern macht Ferien in Monte Carlo.
Als er nach England zurückkehrt, beharrt er darauf, dass die drei Amateure ihre Ermittlungen fortsetzen. Er selbst behält sich die Rolle der grauen Eminenz im Hintergrund vor. Die Gründe kommen dem Leser recht fadenscheinig vor. Tatsächlich hat uns Christie längst auf neues Glatteis gelockt. Poirot hat selbstverständlich seine Gründe.
Blick in des Detektivs Karten
Obwohl Hercule Poirot als Figur seine Unnahbarkeit unter Agatha Christie nie verloren hat und nie verlieren durfte, weil er sonst den Status des Besonderen eingebüßt hätte, wurde er im Laufe der Jahre menschlicher. Die ‚Denkmaschine‘ der frühen Jahre, der allein der Eierkopf, der Schnurrbart sowie eine Reihe kurioser Manierismen Profil gaben, zeigte sich zugänglicher und beantwortete sogar manchmal Fragen, die sich die Leser ebenfalls stellten.
Wieso lebt ein Mann, der sich so belgisch oder: ausländisch gibt wie Hercule Poirot, praktisch ständig in England? In „Tragödie in drei Akten“ nimmt Poirot die Frage nach seiner erstaunlich wechselhaften Beherrschung der englischen Sprache als Anlass, sich und sein bizarres Auftreten als Maske zu erklären: Wer sich als Fremder quasi outet, wird von den gesetzten Angelsachsen nicht ernstgenommen. Poirot darf auch indiskrete Fragen stellen; man nimmt es ihm nicht übel, er weiß es ja nicht besser.
Ebenfalls thematisiert wird abermals Poirots Jagdtrieb. Als reicher und berühmter Mann hat er sich zur Ruhe gesetzt, wie er es sich immer wünschte – und ist kreuzunglücklich, was Christie in einem ‚Zwischenakt‘, der in Monte Carlo spielt, ungewöhnlich symbolträchtig verdeutlicht. Später rät Poirot einem Gesprächspartner, sich Herzenswünsche niemals zu erfüllen, weil sich das Ziel womöglich als trügerischer Gipfel erweist. Poirot hat in „Tragödie in drei Akten“ seine Lektion gelernt. Bis zu seinem Tod wird er von nun an Kriminalfälle lösen, was seine eigentliche Passion ist.
„Tragödie in drei Akten“ im Film
Obwohl bereits 1934 veröffentlicht, wurde „Tragödie in drei Akten“ erst spät verfilmt. Immerhin schlüpfte 1986 Peter Ustinov in die Rolle des Hercule Poirot, die er 1978 in „Death on the Nile“ (dt. „Tod auf dem Nil“) erstmals mit großem Erfolg gespielt hatte und die er bis 1988 fünfmal aufgriff. An seiner Seite sah man leicht verwelkte Film-Prominenz; so gab Tony Curtis den Schauspieler und Lebemann Charles Cartwright, Diana Muldaur die Schauspielerin Angela Stafford. Poirot als Stichwortgeber und Fragensteller stand nicht Mr. Satterthwaite, sondern der aus anderen Christie-Romanen bekanntere Poirot-Chronist Hastings zur Seite. Die Geschichte wurde ins mondänere Acapulco verlegt.
Gänzlich gestrichen wurde die Rolle des Chronisten, als Poirot, nun verkörpert von David Suchet in der Rolle seines Lebens und in der zweiten Folge der 12. Staffel von „Agatha Christie’s Poirot“, 2010 die Morde an Pfarrer Babbington und Bartholomew Strange untersuchte.
Autorin
Agatha Miller wurde am 15. September 1890 in Torquay, England, geboren. Einer für die Zeit vor und nach 1900 typischen Kindheit und Jugend folgte 1914 die Hochzeit mit Colonel Archibald Christie, einem schneidigen Piloten der Königlichen Luftwaffe. Diese Ehe brachte eine Tochter, Rosalind, aber sonst wenig Gutes hervor, da der Colonel seinen Hang zur Untreue nie unter Kontrolle bekam. 1928 folgte die Scheidung.
Da hatte Agatha (die den Nachnamen des Ex Gatten nicht ablegte, da sie inzwischen als „Agatha Christie“ berühmt geworden war) ihre beispiellose Schriftstellerkarriere bereits gestartet. 1920 veröffentlichte sie mit „The Mysterious Affair at Styles“ (dt. „Das fehlende Glied in der Kette“) ihren ersten Roman, dem sie in den nächsten fünfeinhalb Jahrzehnten 79 weitere Bücher folgen ließ, von denen vor allem die Krimis mit Hercule Poirot und Miss Marple weltweite Bestseller wurden.
Ein eigenes Kapitel, das an dieser Stelle nicht vertieft werden kann, bilden die zahlreichen Kino- und TV-Filme, die auf Agatha Christie Vorlagen basieren. Sie belegen das außerordentliche handwerkliche Geschick einer Autorin, die den Geschmack eines breiten Publikums über Jahrzehnte zielgerade treffen konnte (und sich auch nicht zu schade war, unter dem Pseudonym Mary Westmacott sechs romantische Schnulzen zu schreiben).
Mit ihrem zweiten Gatten, dem Archäologen Sir Max Mallowan, unternahm Christie zahlreiche Reisen durch den Orient, nahm an Ausgrabungen teil und schrieb auch darüber. 1971 wurde sie geadelt. Dame Agatha Christie starb am 12. Januar 1976 als bekannteste Krimi Schriftstellerin der Welt.
Taschenbuch: 237 Seiten
Originaltitel: Three Act Tragedy (London : Collins 1935)/Murder in Three Acts (New York : Dodd, Mead & Company 1934)
Übersetzung: Henning Ahrens
http://www.agathachristie.com
http://www.atlantik-verlag.de
eBook: 876 KB
ISBN-13: 978-3-455-17122-8
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