Harris, Robert – Ghost

Robert Harris ist ein absoluter Ausnahme-Autor. Punkt. Ob man nun seine erschreckenden Zukunftsvisionen „Vaterland“ oder „Aurora“ zur Hand nimmt oder ihn durch ein Stück antike Geschichte in „Pompeji“ oder „Imperium“ begleitet: Der Mann erstaunt immer wieder mit einer begeisternden Tiefe, die weit über die eigentliche Geschichte des jeweiligen Romans hinausgeht. Mit „Ghost“ hat der britische Bestseller-Schreiber ein weiteres ambitioniertes Projekt aus der Taufe gehoben. Eine Art Abrechnung mit der Politik soll es sein – allerdings eine, die sich erwartungsgemäß nicht auf die üblichen Klischees des Polit-Thriller-Sektors stützt.

_Inhalt:_

Der kürzlich aus dem Dienst geschiedene britische Premier Adam Lang bereitet traditionsgemäß eine Nachlese zu seinem Abschied vor. Michael McAra, ein langjähriger Begleiter des Staatsoberhaupts, soll die Memoiren des einstigen Ministers schreiben und ihn so noch einmal als Ehrenmann würdigen. Doch McAra kommt auf mysteriöse Art und Weise ums Leben und räumt seinen Platz für einen Skandal-Biografen, der dafür bekannt ist, selbst die glattesten Karrieren bloßzustellen.

Doch als McAras Nachfolger seinen Dienst antritt, wird er mit zahlreichen ominösen Hindernissen konfrontiert. Er darf das Manuskript seines Vorgängers nicht aus seinem zeitweiligen Arbeitsplatz entnehmen, sieht sich einer verschworenen Mannschaft um den geschiedenen Politiker ausgesetzt und erlebt zudem, dass die Familienbande im Hause Lang deutlich angeknackst sind.

Verheerender als dies scheint jedoch der Umstand, dass die Gerüchte um einen unnatürlichen Tod McAras nicht abflauen. Unbedarft forscht Langs neuer Memoiren-Spezialist inkognito im Skript des Dahingeschiedenen und begibt sich schließlich auf dessen Spur. Als Lang dann auch noch öffentlich angeklagt wird, mit der CIA gemeinsame Sache gemacht zu haben und bei der Entführung und Folterung vier mutmaßlicher Terroristen beteiligt gewesen zu sein, scheint der Eklat perfekt. Ränke und Intrigen scheinen sich im Umfeld es Ex-Premiers zu manifestieren – und mittendrin steht ein Mann, der einen Mythos analysieren soll, der als solcher womöglich gar nicht existiert.

_Persönlicher Eindruck:_

Auf dem Buchrücken von „Ghost“ hat der Verlag die Anmerkung platziert, dass dieses Buch die endgültige Abrechnung mit dem Politiker Blair sein soll. Diese Suggestion weckt natürlich gewisse Erwartungen, die Harris jedoch nur bedingt erfüllen kann, vor allem aber auch nur bedingt erfüllen möchte. Der Autor beschäftigt sich nämlich im Wesentlichen keinesfalls mit einer Politiker-Biografie, sondern entblättert vielmehr das Leben einer Führungspersönlichkeit und die merkwürdigen Gerüchte und potenziellen Skandale, die sich um eine solche Existenz aufbauen können.

Der Ansatz ist dabei mal wieder unheimlich interessant und eröffnet dann auch die Parallele zu besagtem früheren Premier: Harris unterstellt eine Art Selbstbetrug durch die offensichtliche Fälschung des eigenen Handelns in der literarischen Nachlese. Mittels der karriereträchtigen Memoiren soll die politische Führung nicht nur beschönigt, sondern die gesamte Autobiografie ins Rosarote verschoben werden, damit die verdeckten Skandale und Affären unter dem Schwarzweiß-Druck für immer ins Reich der Mythen befördert werden. Gewohntermaßen hat der Autor hierzu wieder einige kluge Charaktere in den Plot eingebaut, wie etwa den Protagonisten, der die Geschichte aus seiner eigenen Perspektive erzählt, hierbei anonym bleibt, aber eben nicht den naiven Typen mimt, den die Lang-Familie für diesen Posten gerne gehabt hätte. Seine Ermittlungen und Analysen der Historie des Premierministers stoßen alsbald auf Widersprüche, die er wiederum dem peniblen Forschungsdrang seines offensichtlich nicht natürlich umgekommenen Vorgängers zu verdanken hat. Und hier beginnt die Geschichte eigentlich erst richtig …

Zu Beginn zieht sich die Handlung allerdings erst einmal ziemlich träge vorwärts. Die Zusammenkunft des Ghostwriters, der hier im Hintergrund für die rechte Politur der Memoiren sorgen soll, mit seinem Auftraggeber ist unspektakulär und langwierig, vor allem aber noch nicht besonders stimmungsvoll. Die Geschichte baut sich verhalten auf, wird dabei Gott sei Dank mit Harris‘ typischem, beißendem Zynismus vorangetrieben, kommt aber erst relativ spät auf den Punkt. In der Zwischenzeit zeichnet der Autor ein feines Diagramm des Lebens in der High Society und beleuchtet hierbei die menschlich-emotionalen Anteile, dies aber wiederum mit einer Nüchternheit, die zuerst abschreckt, dafür aber umgehend den Zugang zu den Personen verschafft. Viele paradoxe Gegebenheiten kommen in „Ghost“ zusammen und stellen letzten Endes die solide Basis für den Plot.

Die (politische) Brisanz hat sich Harris indes für den letzten Teil seines Romans aufgespart, dem Grand Finale, in dem er aber weiterhin auf Effektreichtum und große Ausschweifungen verzichtet und stattdessen ein echtes Drama ausmalt, das genauso rasant wieder beendet wird, wie es kontinuierlich bis zu einem gewissen Höhepunkt wahrlich begeisternd authentisch geschildert wurde.

Die Krux der Rezension besteht nun darin, auf dieses stille Meisterwerk aufmerksam zu machen, ohne jedoch die wesentlichen Inhalte zu verraten. Während dies allgemein jederzeit eine lösbare Aufgabe scheint, tut man sich diesbezüglich mit „Ghost“ unheimlich schwer. Es passiert im Grunde genommen gar nicht viel, doch das, was passiert, ist von einer solchen Tragweite, dass es durchaus auch langfristig zum Nachdenken anregt. Die Story ist pikant, der Umgangston meisterhaft, die Erzählung informativ, aber dennoch lebhaft und der tiefgründige Humor fabelhaft. Oder um es anders zu sagen: Harris hat es wieder geschafft, ein Buch zu schreiben, das gerade deshalb so gut zu ihm passt, weil es eigentlich gar nicht zu ihm zu passen scheint. Paradox? Auf jeden Fall. Aber das sind die Bücher des begnadeten Briten eigentlich immer – und dennoch so beängstigend realistisch.

_Fazit:_

„Ghost“ ist im Gesamtkatalog vielleicht das unauffälligste Buch von Robert Harris, deswegen aber sicher nicht weniger lesenswert. Enttäuschend ist lediglich das Ende, aber das womöglich auch deshalb, weil man ein Spektakel erwartet, das dieser Autor jedoch bewusst nicht liefert. Lässt man diesen Aspekt außer Acht, darf man sich wirklich über ein neues Klassewerk des Bestseller-Garanten freuen.

|Originaltitel: Ghost
Originalverlag: Heyne
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
Taschenbuch, Broschur, 398 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-40614-8|
http://www.heyne.de

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