Katzenbach, John – Professor, Der

Schockierende Inhalte zu entblößen, ist die eine Sache, sich der Schockwirkung bewusst zu sein die andere. Läuft es jedoch darauf hinaus, dass der Schockeffekt die einzige nennenswerte Triebfeder ist, die sogar dahingeht, den Inhalt dessen zu vertünchen, was eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte, sind Bedenken absolut angebracht.

Damit leiten wir schließlich zu John Katzenbachs aktuellem Thriller „Der Professor“ über, der sich mit einigen gewagten Thematiken auseinandersetzt, sicherlich auch schockiert, letzten Endes aber ganz und gar außer Acht lässt, was eigentlich hinter der Story stecken sollte; nämlich ein knallharter Kriminalroman, der als Psycho-Thriller getarnt, für Aufsehen sorgen sollte. Dies tut „Der Professor“, soweit darf man vorgreifen, schließlich auch. Allerdings auf einem ganz anderen, weniger vorteilhaften Niveau …

_Story:_

Für den alternden Pathologie-Professor Adrian Thomas kommt das Urteil nicht unerwartet, scheint aber vernichtend. Als bei ihm eine besondere Form der Altersdemenz diagnostiziert wird, scheinen die Tage seines Lebens gezählt. Längst ist er nicht mehr bereit, das Dilemma seiner verstorbenen Angehörigen alleine zu tragen, doch nun scheint der letzte Sargnagel für ihn parat zu liegen – und er denkt an Selbstmord. Doch noch auf dem Heimweg wird Thomas Zeuge einer ungewöhnlichen Begebenheit. Ein junges Mädchen wird offenkundig von einem Pärchen in einen Lieferwagen gezerrt und entführt. Was nun?

Der Professor entschließt sich schließlich dazu, seine eigene Krise zurückzustellen und die verbliebene Geisteskraft zu nutzen, um die jugendliche Jennifer wieder aufzustöbern. Allerdings kann er seine Krankheit nur schwer verbergen, so dass Terri Collins, die zuständige Ermittlerin, sich nicht so recht auf eine Kollaboration mit dem Professor einlassen mag. Doch Thomas ist fest davon überzeugt, seinen Job kompromisslos fortzusetzen. Denn er ist es am Ende, der in dieser Sache nichts mehr zu verlieren hat. Nicht einmal mehr sein Leben …

_Persönlicher Eindruck:_

Um es gleich vorwegzunehmen: „Der Professor“ ist ein Buch, das sich durchaus gut liest und einen Fluss bietet, dem man so schnell eigentlich gar nicht entkommen mag. Die Story hat eine angenehme Struktur, die Wechsel sind flüssig, die vielen Szenen schließlich ein Sinnbild für die Vielseitigkeit dessen, was Katzenberg in seinem aktuellen Werk beschreiben mag. Aber, und auch das leuchtet ein, dies alleine reicht keinesfalls, um den hohen Anspruch, den man mittlerweile an den Bestseller-Autoren Katzenberg haben darf, zu befriedigen.

Leider stellt sich nämlich schon relativ schnell heraus, dass es in „Der Professor“ vorrangig darum geht, das menschliche Grauen in einer alternierenden Variante darzustellen und vor allem die Abgründe des kranken Fetischs des 21. Jahrhunderts ins Gedächtnis zu rücken. Katzenberg beschäftigt sich heuer mit einer ganz besonderen Form der pornografischen Darstellung, dem Snuff-Metier, welches oft zur Legende stilisiert wurde, aber gerade aufgrund des rasanten Fortschritts in der digitalen Medienlandschaft präsenter denn je ist. Und gerade ein solches Thema bedarf etwas mehr als einer plumpen, gewaltverherrlichenden und vor allem sehr oberflächlichen Betrachtung. Traurig daher, dass dieser Umstand dem Autor bei der Konzeption dieses Buches entgangen ist.

Inhaltlich will „Der Professor“ dabei offenkundig Grenzen der Vernunft sprengen und auf einer Ebene aufrütteln, die unser gesamtes Zeitalter in Frage stellt. Dass sich weltweit tausende Menschen daran ergötzen, wie in einem Real-Life-Format ein junges Mädchen eingesperrt, gefoltert, misshandelt und schließlich vergewaltigt wird, ist harter Tobak, der alleine inhaltlich schon extrem schockiert. Katzenbachs Problem besteht allerdings nun darin, diese knallharten Fakten auch in eine Story einzubauen, bei der man nicht ständig den Eindruck haben muss, dass sie ohne derart verschreckende Elemente ihren Wert voll und ganz aufgeben würde. Aber hier scheitert der Autor massiv, da es ihm einfach nicht gelingt, die tiefgreifend brutalen Details in einen lebendigen Thriller einzubauen. Immer wieder kristallisiert sich die Alibiwirkung der Ereignisse heraus, sei es nun in Passagen, in denen die Handlung als solche wieder feststeckt, oder aber in den Szenen, in denen sie an Glaubwürdigkeit verliert. Beides ist in fast jedem Kapitel der Fall, was sicherlich auch auf die eher unbefriedigende Inszenierung zurückzuführen ist. Obwohl hier kein krankes Interesse geweckt werden soll, sind die Episoden um Jennifers Befinden im Verlies eher Reißbrett-Geschichten ohne jedwede Langzeitwirkung. Das abschreckende Element soll alleine durch den Fakt betont werden, geht aber in der Performance des Autors vollends verloren. Man hat manchmal sogar das Gefühl, dass viele inhaltliche Entwicklungen quasi selbstverständlich sind und lediglich aufgesogen werden müssen, ohne dass Katzenbach hierbei jedoch berücksichtigt, welche pikante Geschichte er seinem Publikum tatsächlich erzählt. Und das ist nur eine der vielen fragwürdigen Seiten von „Der Professor“.

Derweil ist der Titelheld Adrian Thomas nämlich in seiner Charakterentwicklung immer weniger glaubhaft. Seine Demenz wird eigentlich in der gesamten Story gutgläubig überspielt, da ihn das Adrenalin ständig aufputscht. Hin und wieder wird in einer weiteren Alibi-Funktion davon gesprochen, wie schwierig ihm plötzlich verschiedene Situationen und Aktionen fallen, doch letzten Endes ist auf den nur hintergründig kranken Professor immer Verlass – und das gibt Anlass zu der Tatsache, dass hier mit vielen provokanten Dingen gearbeitet, am Ende aber nur weniges davon brauchbar in die Story integriert wird.

Ein letzter Makel ist der sehr zähe Spannungsaufbau, sofern man überhaupt davon sprechen darf. Im Grunde genommen ist man der Handlung immer einen Schritt voraus, da Katzenbach seinem Publikum die Bälle passend zuspielt und gar keinen Raum für spontane Breaks lässt. Das Gros der inhaltlichen Wendungen ist vorhersehbar und wird lediglich durch die Schockwirkung mancher Szenen ein bisschen aus den Angeln gehoben. Es ist ein bisschen mager, was der Autor im Pool seiner vorzeigbaren Argumente vorzuweisen hat, gerade vor dem Hintergrund der schweren Thematik. Deshalb wird man auch kaum jemandem verdenken können, „Der Professor“ schon frühzeitig aus der Hand zu legen. Sieht man nämlich einmal von der dramatischen Finalszene ab, wird man nichts verpassen, was außerhalb von Effekthascherei und lahmen Charakterzeichnungen noch geschehen wird. Okay, ein paar Klischees womöglich noch, aber dass Katzenbach einen ehemaligen Sexualstraftäter im Stillen zum Helden der zweiten Halbzeit kürt, sagt eigentlich schon genug über das Dilemma dieses Romans aus. Und daher bleibt das Fazit auch konsequent: Dieses Buch muss man sicher nicht gelesen haben!

|Taschenbuch: 560 Seiten
Originaltitel: What Comes Next
ISBN-13: 978-3426198247|
[www.droemer-knaur.de/home]http://www.droemer-knaur.de

_John Katzenbach bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Anstalt“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=2688
[„Der Patient“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=2994
[„Das Opfer“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=3414
[„Der Fotograf“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=4360
[„Das Rätsel“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=4627
[„Das Rätsel“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=5843
[„Die Rache“ (Lesung]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=6463

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