Barker, Clive / Hernandez, Gabriel – Dieb der Zeit, Der

Wer kennt Alice im Wunderland nicht? Kleines Kind stolpert in ein Traumreich und erlebt Abenteuer. Seit Lewis Carroll wurde dieses Thema vielfach kopiert und variiert. Der kürzlich bei |Ehapa| erschienene Band „Der Dieb der Zeit“ ist im Prinzip darauf zurückzuführen. Die dazugehörige Pressemitteilung möchte der Geschichte zwar gerne nachsagen, dass sie das Fantasy-Genre revolutioniere, aber das ist eindeutig zu hoch gegriffen. Dennoch: „Der Dieb der Zeit“ ist keine langweilige Kopie, sondern eine interessante Variation eines altbekannten Themas. Und irgendwie hat schließlich alles seine Vorgänger.

Anstelle von Alice begegnet dem Leser der zehnjährige Harvey Swick. Er steht nicht vor einem Kaninchenbau, sondern vor einer Mauer. Den Weg hierher hat ihm der ominöse Rictus gezeigt, ein hagerer Kerl mit Zwicker, Taschenuhr und Zylinder. Er sagt, dass hinter der Mauer ein Paradies für Kinder läge, in dem alle Wünsche wahr würden und jeder Tag ein Fest sei. Als Ausweg aus seinem langweiligen Leben kommt Harvey diese Gelegenheit sehr recht.

Harvey macht einen Schritt nach vorne, dringt durch die Mauer und findet sich in einem Traumreich wieder. Was er sieht, entspringt allerdings nicht seiner eigenen Phantasie, sondern der eines anderen. Mister Hood ist der Erbauer und hat hier ein Ferienhaus allererster Güte errichtet. Nachdem Harvey die beiden Kinder Lulu und Wendell und die Köchin Mrs. Griffin kennen gelernt hat, merkt er schnell, dass mit dem Traumreich etwas nicht in Ordnung ist. Was bei Alice die Spiegelung ihres Innenlebens und Unterbewusstseins war, wird bei „Der Dieb der Zeit“ zu einem Instrument des Bösen. Alles ist Blendwerk. Mister Hood und sein Monster-Quartett Rictus, Jive, Marr und Carna verfolgen finstere Pläne, denen seit Jahrhunderten ahnungslose Kinder zum Opfer fallen. Harvey will daran etwas ändern.

Vielleicht liegt hier der größte Schwachpunkt der Geschichte. Was als wunderbare reflexive Spiegelung beginnt, endet schließlich in einem schnöden Kampf Gut gegen Böse. Harvey streitet gegen Hood, und wir ahnen schon, wer gewinnen wird. Nicht, dass das keinen Spaß machen würde, aber ein wenig flach kommt es einem trotzdem vor. Ein weiterer Schwachpunkt liegt in der Feinarbeit bei der Gestaltung des Plots. Die Geschichte läuft rund, aber vielleicht ein wenig zu glatt. Liebevolle Einzelheiten wie die blaue Katze oder Carnas Reißzähne gibt es zwar, doch sie werden nicht als Träger der Handlung verwendet. Die Details sind austauschbar, nur Kolorit, kein essenzieller Bestandteil der Geschichte.

Die Folge ist eine gewisse Distanz zwischen Leser und Geschichte. Das ist schade und hätte nicht sein müssen, zumal die grafische Umsetzung von Gabriel Hernandez so exzellent ist, dass ein entsprechender Inhalt dazu gepasst hätte. So hat die Geschichte von Clive Barker ihre Stärken und Schwächen. Lesenswert, aber nicht unbedingt empfehlenswert.

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