Gear, Kathleen / Gear, Michael – Lucifers Erbe

Genetik. DNS. Replikation. Chromosomen. Alles Begriffe der Vererbungslehre, die spätestens seit dem Klonschaf „Dolly“ in der Diskussion stehen. Genetik ist immer wieder gern der Hauptdarsteller einer phantastischen Handlung, sei es nun im Film oder in Romanen. Aber nicht nur in negativ behafteten Anwendungen und Forschungen: Ein genetischer Fingerabdruck ermöglicht es in der Kriminologie, den schuldigen Täter anhand seines genetischen Codes zu überführen. Erbkrankheiten können verstanden und behandelt werden. Diese Bausteine des Lebens sind dabei, erforscht und gegebenenfalls manipuliert zu werden.

Wissenschaftler in aller Welt sind dabei, Gottes Puzzleteilchen verändern und bauen zu wollen. Wo aber bleiben der ethische und moralische Aspekt? Einerseits kann man durch die Erforschung von Erb- und Zellkrankheiten völlig neue Therapien und Lösungsansätze erwarten. Ein Segen, eine Hilfe für die Menschheit? Oder werden spätere Generationen das „Leben“ nicht mehr zu schätzen wissen, eben weil man es geschafft hat, eine relative Unsterblichkeit zu erwirken, indem man Krankheiten gar nicht mehr ausbrechen lässt oder durch eine Zelldusche eliminiert? Wird es oder gibt es bereits privatisierte Forschungen, die jegliche Gesetze umgehen, da sie staatlich nicht kontrolliert werden?

In dem hier besprochenen Roman von Gear & Gear, „Lucifers Erbe“, ist die Genetik wieder einmal der Hauptdarsteller in der komplexen und sehr spannenden Handlung. Der Roman ist, und dazu komme ich am Ende meiner Rezension, inhaltlich gar nicht so abwegig, zudem wird er sicherlich zum Nachdenken anregen.

_Die Story_

Dr. Jim Dutton ist ein bekannter und inzwischen recht berühmter Anthropologe mit einem eigenen Forschungsbereich. Im Rahmen einer Langzeitstudie hat dieser an einer von dem privaten Pharmakonzern SAC finanzierten Forschung teilgenommen. Dreizehn Jahre lang war die Bonobo-Schimpansin „Umber“ vollwertiges Mitglied einer kleinen Familie und wuchs mit der etwa gleichaltrigen Brett Dutton auf. Umber ist für Dr. Dutton mehr Tochter als Tier und für Brett mehr Schwester als einfacher Affe.

Umbers Entwicklungsfortschritte wurden von ihrem Jim Dutton dokumentiert und in regelmäßigen Abständen dem rechtmäßigen Besitzer von Umber, SAC, gemeldet. Doch Dr. Dutton manipuliert die Ergebnisse, um den tatsächlichen Fortschritt Umbers nicht erklären zu müssen, denn die Ergebnisse sind alles andere als die erwartete Norm und sprengen damit alle anderen Versuchsreihen.

Umber verfügt über einen Sprachsynthesizer, auf dem sie komplexe Sätze verfassen kann, weiterhin über eine komplizierte Gebärdensprache und sie kann lesen und schreiben. Selbst abstrakte Gedanken über sich selbst und die Gegenwart Gottes sind ihr nicht fremd. Zwar ist sie Besitz des Pharmakonzerns SAC, aber Dutton und seine Tochter sehen sie mehr denn je als menschlich an.

Als SAC dahinter kommt, dass das Entwicklungsstadium von Umber sich außerhalb der kalkulierten Werte befindet, üben sie harten Druck auf Dr. Dutton aus. Schließlich ist dieses Projekt ein milliardenschweres, und sollte etwas an die Öffentlichkeit gelangen, so könnte dies unangenehme Folgen haben und natürlich staatliche Nachforschungen nach sich ziehen. Dies will man in jedem Fall vermeiden, egal mit welchen Mitteln, egal, ob legale oder illegale.

Dr. Dutton soll Umber ihrem „rechtmäßigen“ Besitzer zurückbringen beziehungsweise im Kongo-Gebiet in der Wildnis ansiedeln. Zusammen mit seiner Tochter Brett und der Bonobo-Schimpansin reist er nach Afrika in ein recht geheimgehaltenes Forschungslabor des Konzerns.

Dabei kommt es heraus, dass es noch mehr genetische Versuchsreihen gegeben hat. Nicht immer mit dem gleichen Ergebnis wie bei Umber. Bei einigen Versuchstieren wurde nicht nur die Intelligenz gefördert, sondern auch die Aggressivität kam hierbei nicht zu kurz. Als die ersten Menschen innerhalb des Gebietes vermisst werden, läuft SAC Gefahr, dass die schon skeptische Presse Fragen stellt.

Warum sind die Affen auf einmal so gefährlich und was steckt hinter den genetischen Versuchsreihen? Wo ist noch der Unterschied zwischen einem emotional reagierenden Menschen und einem intelligenten Tier, das jenseits aller Moralvorstellungen reagiert, weil es diese gar nicht kennt?

_Kritik_

Vom ersten Augenblick an ist die Handlung sehr, sehr spannend gehalten und entwickelt sich logisch weiter. Selbst wissenschaftliche und genetische Forschungen werden dem Leser plausibel erklärt. Interessant ist, dass dem Leser die moralische und ethische Verantwortung immer wieder vor Augen geführt wird und dabei nicht ins Reich der Fantasie übergeht.

Der wissenschaftliche Hintergrund zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman und lässt nicht viele Fragen offen. Das Autorenduo Gear & Gear, und wahrscheinlich hier besonders W. Michael Gear, der Anthropologie studierte, setzt sein erlangtes Fachwissen genial um. Forensik und die Evolution von Primaten werden dem Leser auf sehr spannende Weise erklärt.

Der private Pharmakonzern wird dabei im Roman sehr negativ dargestellt und nur nach Profitgier der Manager gemessen, die sich der Verantwortung entziehen wollen. Die Tiere, die Bonobos, allen voran natürlich die sympathische Umber, werden dem Leser als sehr menschlich skizziert. Mit all ihren Schwächen und Stärken, ohne aber in irgendwelchen Klischees und Vorurteilen zu münden.

Ich bin recht begeistert von diesem Buch; für mich eines der besten der Autoren. Der Roman ist absolut empfehlenswert, nicht nur aufgrund der Spannungskurve, sondern auch wegen der guten Mischung von Thriller und Wissenschaft.

_Die Autoren_

Die Eheleute W. Michael Gear und Kathleen O’Neal Gear sind beide Wissenschaftler. Wie schon erwähnt, ist W. Michael Gear Anthropologe und Mitglied der American Association of Physikal Anthrologie. Einige Studien aus den Bereichen der menschlichen Osteologie, Forensik und Evolution von Primaten stammen von ihm.

Seine Frau Kathleen O’Neal Gear war Referentin für Archäologie und Geschichte im US-Innenministerium. Zweimal wurde sie für herausragende Arbeiten mit dem Regierungspreis geehrt.

|Anmerkungen und Hintergrund|

Schon bei intensiver Lektüre wurde mir wieder bewusst, wie gefährlich die genetische Forschung sein könnte und wie sie vielleicht auch hinter versteckten Labortüren, in geheimen, nicht unbedingt staatlichen Instituten ausgeübt wird.

Es gibt sicherlich Wissenschaftler, die in einer moralischen und ethischen Grauzone operieren, finanziert von Pharmafirmen, die auf der Suche nach einer Spur Gottes sind. Sicherlich sind ihre Ideen und ihre Motivation nicht nur negativer Natur, es gibt viele Möglichkeiten in der Gentechnologie: Hier könnten Krankheiten wie Krebs oder AIDS besiegt werden, Erbkrankheiten wie Diabetes ausgelöscht. Nahrungsmittel könnten oder werden schon optimiert, und zu guter Letzt die Reproduktion von Nutztieren. Auch die Militärs hätten das eine oder andere Wunschprogramm.

Wie alles im Leben hat auch diese Forschung und Entwicklung an den kleinsten Bausteinen des Lebens immer zwei Seiten. Im Grunde verstehen wir Durchschnittsbürger die rechtlichen Hintergründe nicht, wir kennen sie gar nicht, genauso wenig lesen wir das (ohnehin nur unvollständige) Kleingedruckte auf unseren Lebensmitteln. Noch weniger wissen wir über die medizinischen Präparate, die wir beim kleinsten Wehwehchen für eine rasche Linderung zu uns nehmen. Im Laufe der nächsten fünfzig Jahre werden alle unsere Hoffnungen und manche unserer Ängste uns vielleicht einholen und jeden Tag Einfluss auf unser Leben nehmen.

Ich hoffe, dass der Leser sich am Ende des Romans ein wenig mit dem Thema beschäftigen wird, denn das ist es wirklich wert. Selten hat mich ein wissenschaftlich gut recherchierter Roman so in den Bann ziehen können.

Als einzigen Kritikpunkt muss ich allerdings das rasche Ende erwähnen. Hier hätte ich mir noch einige Erklärungen gewünscht. Aber vielleicht, so hoffe ich, folgt da noch ein weiterer Teil. Ich würde gerne erfahren, wie es mit den Experimenten weitergeht.

|Bonobos (Zwergschimpansen)|

98.4 %. Nur eine Zahl – aber genau dieser Prozentsatz sagt aus, dass Schimpansen unsere engsten Verwandten sind, denn zu 98.4 % verfügen wir über das gleiche Genom.

Im Roman wurde beschrieben, dass die Affen einen begrenzten Wortschatz haben; das ist durchaus wissenschaftlich belegt. Etwa 500 Wörter können die Tiere intelligent anwenden, genau wie der Gebrauch von Werkzeugen und Kreide ihnen möglich ist.

Einige Forscher setzen sich zudem dafür ein, den Tieren individuelle Rechte geben zu dürfen. Die These, die also im Roman dargestellt wird, ist auch in diesem Punkt nicht so abwegig, denn sollte man wirklich genetische Experimente durchführen, so sind diese uns nahen Verwandten prädestiniert dazu.

Bonobos (Zwergschimpansen) gehören der Gattung der Menschenaffen an und leben zumeist in größeren Gruppen im Kongo-Gebiet. Ihre Art ist aber stark dezimiert worden und gehört damit zu den gefährdeten Tierarten.

http://www.gear-gear.com/
http://www.heyne.de

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