Japrisot, Sébastien – Mord im Fahrpreis inbegriffen

Sébastien Japrisot, dessen bürgerlicher Name eigentlich Jean-Baptiste Rossi lautete, hat sich in seiner französischen Heimat durchaus den Ruf eines guten und beachtenswerten Autors erarbeitet. Japrisots Werke wurden teilweise verfilmt. Hierzulande dürfte sein bekanntestes Werk „Mathilde“ sein, eine Geschichte, die Jean-Pierre Jeunet vor ein paar Jahren Audrey Tautou in der Hauptrolle auf Zelluloid gebannt hat. Japrisot starb 2003. „Mord im Fahrpreis inbegriffen“ ist ein Krimi, den Japrisot 1962 schrieb und der nun im |Aufbau Taschenbuch Verlag| auf Deutsch erschienen ist.

Die Handlung ist schnell erzählt: Es ist 07.50 Uhr, als der Nachtzug aus Marseille in Paris ankommt. Alle Fahrgäste steigen aus, bis auf eine: Georgette Thomas, die erwürgt in ihrer Schlafwagenkoje liegt. Inspektor Grazziano macht sich zusammen mit seinem smarten Kollegen Gabert an die Arbeit. Es gilt, die fünf anderen Fahrgäste des Schlafwagenabteils Nr. 4 zu finden. Doch Grazziano und Gabert sind immer einen Schritt zu langsam. Ein Zeuge nach dem anderen wird ermordet, bevor die Polizei seine Aussage aufnehmen kann. Den beiden ermittelnden Beamten läuft die Zeit davon …

Japrisot strickt einen sehr klassisch anmutenden Krimiplot. Sehr direkt und unvermittelt steigt er in die Handlung ein. Kaum ist die Leiche gefunden, nimmt Grazziano auch schon seine Ermittlungen auf und schon wenig später gibt es die zweite Leiche. Japrisot schildert die Ereignisse in einem sehr schlichten Stil. Beschränkt auf das Wesentliche, beobachtet er die Figuren präzise und schildert den Plot punktgenau.

Sein Erzählstil wirkt dabei mitunter seltsam distanziert. Man braucht seine Zeit um damit warm zu werden, wird dann mit zunehmender Seitenzahl dennoch durch den spannenden Plot und die offene Frage nach dem Täter gefesselt. Scheinbar unbeteiligt gibt Japrisot die Ereignisse aus stetig wechselnden Perspektiven wieder und ist dabei doch mitten im Zentrum des Geschehens. Mit einem Tempo, wie es einer Agathe Christie würdig wäre, liefert er seine Opfer ans Messer und lässt die ermittelnden Beamten dabei anfangs ziemlich dumm aussehen. Bis diese überhaupt merken, was passiert, ist der Mörder richtig warmgelaufen und schon etwa die Hälfte der Fahrgäste aus Schlafwagenabteil Nr. 4 dahingemeuchelt.

Japrisot setzt in der Erzählweise immer wieder neu an, wechselt den Betrachtungswinkel und serviert dem Leser eine Rückschau der Ereignisse in besagtem Schlafwagenabteil aus unterschiedlichen Sichtweisen. Mit jedem Mal verändert sich das Bild, doch lässt Japrisot den Leser genauso im Dunkeln tappen wie Grazziano und Gabert, was Motiv und Täter angeht.

Erst ganz am Ende lässt Japrisot die Bombe platzen, präsentiert den Täter und sorgt damit definitiv für eine Überraschung. Raffiniert löst er die Geschichte auf und liefert einen Täter, auf den man von selbst nicht so schnell kommt. Selbst versierte Krimileser dürften sich an dieser harten Nuss die Zähne ausbeißen. Japrisots Auflösung kommt wirklich überraschend und lässt sich auch nicht mit dem sonst meist sehr erfolgsversprechenden kritischen Suchen nach dem unverdächtigsten (Nicht-)Verdächtigen entlarven. Das Motiv hat mich dabei zwar nicht bis in den letzten Winkel überzeugt, aber raffiniert und ungewöhnlich ist die Auflösung allemal.

Die Ahnungslosigkeit, mit der der Leser über weite Strecken durch das Buch wandelt, sorgt in jedem Fall dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Japrisots Stil ist ohnehin sehr kalkuliert und präzise. Kein Satz ist zu viel, und so läuft der Autor keine Gefahr den Leser mit Spannungsabfällen zu langweilen. Kontinuierlich dreht er an der Spannungsschraube, um sie zum Ende hin, wenn der Leser sich schon ganz nah an der Lösung glaubt, noch einmal kräftig anzuziehen.

Was obendrein fasziniert, ist, wie Japrisot die Protagonisten skizziert. Oft wirkt die Betrachtung im ersten Moment eher oberflächlich, zumal Japrisots Wortwahl oft so klingt, als schildere er Dinge, die er von jemand gehört hat, die dieser von jemand anderem gehört hat. Dennoch kann man sich von so manchen Figuren ein erstaunlich deutliches Bild machen. Trotz seiner distanziert wirkenden Erzählweise schafft Japrisot also eine erstaunlich dichte Atmosphäre, und auch wenn er am Ende nicht in allen Aspekten seine Sache hundertprozentig gut macht, so bleibt doch ein überwiegend positiver Eindruck zurück.

Fazit: Japrisot schafft es, mit einer raffinierten Auflösung zu überraschen und erzählt seine Geschichte spannend und stets mit wechselnden Blickwinkeln. Wer klassische, flott und präzise erzählte Krimis mag, dem sei Sébastien Japrisots „Mord im Fahrpreis inbegriffen“ durchaus ans Herz gelegt.

http://www.aufbauverlag.de

Schreibe einen Kommentar