George, David R. III. – Star Trek Crucible 1: Feuertaufe: McCoy – Die Herkunft der Schatten

_Das geschieht:_

Im Jahre 2267 wird ein Forschungsteam des Föderations-Raumschiffs „Enterprise“ unter dem Kommando von James T. Kirk auf einem namenlosen Planeten aktiv. Dort stieß man auf den „Hüter der Ewigkeit“, ein Wesen oder eine Maschine, die als Portal in die Zeit funktioniert.

An Bord der „Enterprise“ kommt es derweil zu einem folgenschweren ‚Arbeitsunfall‘: Schiffsarzt Leonard McCoy injiziert sich während einer Routinebehandlung versehentlich ein Medikament, das überdosiert paranoide Wahnvorstellungen hervorruft. In diesem verwirrten Zustand flüchtet er auf den Planeten und gerät durch das Zeitportal in das irdische New York des Jahres 1931. Kirk und sein Wissenschaftsoffizier Spock folgen McCoy. Sie können ihn finden und an Bord der „Enterprise“ zurückbringen. Der bald geheilte McCoy er- und überlebt in den nächsten Jahrzehnten viele abenteuerliche Missionen.

Mehr als 300 Jahre in der Vergangenheit versucht sich ein ‚alternativer‘ McCoy damit abzufinden, dass er nach einem versehentlich verursachten Zeitparadoxon für immer im 20. Jahrhundert gestrandet ist. Zu allem Überfluss hat er den Ablauf dieses Zeitstrangs beeinflusst, sodass die Ereignisse ab 1931 einen neuen Verlauf nehmen. McCoy gelingt es, sich in dieser Welt eine neue Existenz aufzubauen. Im Gegensatz zu seinem Leben in der Zukunft ist er auch privat glücklicher, bis er ein Opfer des hier auch im Jahre 1955 noch tobenden II. Weltkriegs wird.

In der Zukunft suchen den ‚originalen‘ McCoy verstärkt Albträume heim, die ihm mit beunruhigender Klarheit ein völlig anderes Leben suggerieren, das er in einer Vergangenheit geführt hat, die niemals Realität wurde. Unterstützt durch Spock bemüht sich McCoy, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen …

|Remake als Relaunch?|

Mehr als vier Jahrzehnte „Star Trek“ fordern ihren Tribut. In fünf mehr oder weniger langlebigen TV-Serien (plus eine Zeichentrick-Version), nach vielen hundert Episoden sowie zehn Kinofilmen, zu denen sich ebenso zahlenstark Romane und Comics gesellen, ist jene Zukunft, die Gene Roddenberry einst schuf, bis auf den Grund ausgelotet. Um dem dennoch weiterhin lukrativen Franchise neues Leben einzuhauchen, wurde „Star Trek“ 2009 erfolgreich „rebootet“, d. h. die Geschichte von Kirk, Spock & Co. mit jungen Darstellern und in einer ‚frischen‘ Zukunft neu gestartet.

David R. George III. schrieb die „Crucible“-Trilogie 2006/07. Sie entstand, um das damals anstehende 40-jährige Jubiläum der ‚klassischen‘ Serie zu zelebrieren, die 1966 erstmals auf Sendung gegangen war, was das Franchise wie üblich als Aufgabe verstand, für ein Produkt zu sorgen, das möglichst viele Käufer finden würde. Falls „würdig“ auch mit „umfangreich“ übersetzt werden kann, hat George die ihm gestellte Aufgabe glänzend gelöst: Einen Buch-Brocken wie diesen gab es zuvor nur in Gestalt von „Star-Trek“-Sammelbänden.

Normalerweise werden „Star-Trek“-Serien auf mehrere Bände verteilt. Auch „Crucible“ ist ein Dreiteiler. Nichtsdestotrotz ist „Feuertaufe: McCoy“ ein abgeschlossener Roman. In einem Vorwort beschreibt der Verfasser sein Problem, in jener dicht geknüpften Chronologie, die den offiziellen „Star-Trek“-Kanon markiert, noch eine Ereignislücke zu finden, die ein ’neues‘ Abenteuer ermöglichte. George wollte bereits aufgeben, als er eine Möglichkeit fand: Mit „Feuertaufe: McCoy“ schlug er einen Parallelkurs zum Kanon ein.

|Bekanntes wird garniert|

In der Tat bietet der in der Zukunft spielende Handlungsstrang über viele hundert Seiten eine Nacherzählung von Ereignissen, die der „Star-Trek“-Fan kennt. Sie werden zur Grundlage einer Geschichte, die sich ansonsten vor allem der Psyche der Hauptfigur widmet: Wer ist Leonard McCoy wirklich, der zwar mit Kirk und Spock zu den „großen Drei“ der klassischen „Star-Trek“-Saga gehört, ohne sich bei seinen zahlreichen Auftritten wirklich in die Karten bzw. hinter die sorgfältig gepflegte Maske der knurrigen ‚Landarztes‘ blicken zu lassen?

Dies führt zu einer ersten Folgefrage: Müssen oder wollen wir den ‚privaten‘ McCoy überhaupt in wahrhaft epischer Breite kennenlernen? Die Antwort ist einfach und für George bitter: eigentlich nicht – und sicher nicht so, wie der Autor es sich und uns McCoy vorstellt. Er tappt dabei in eine für „Star Trek“ typisch gewordene Falle: Die wohl bekannten Helden werden zumindest in ihrer literarischen Version allzu heftig von einem weihevollen Hauch quasi historischer Bedeutsamkeit umweht; schon die Untertitel der drei „Feuertaufe“-Romane sind in ihrem hohlen Pathos nur lächerlich. Dabei ist vor allem die Crew der ersten „Enterprise“ durch ihre Entschlussfreudigkeit und den Hang zum riskanten Abenteuer bekannt und beliebt geworden. Dass George sie nunmehr pompöse Gedanken durch die Köpfe wälzen lässt, bekommt ihnen nicht. Sie sollten weniger denken und mehr handeln, sonst werden sie langweilig.

Aus dem Kanon bekannte Ereignisse werden aufgegriffen, dramatisch vertieft und erläutert. Dabei fügt George ihnen erneut unnötig Schaden zu. Nimmt man vor allem die „Star-Trek“-Abenteuer der ersten Fünfjahresmission unter die Lupe, enthüllen sie einen überaus trivialen Kern. McCoys kurze aber heftige Liebesbeziehung mit der Hohepriesterin Natira („For the World Is Hollow, and I Have Touched the Sky“, dt. „Der verirrte Planet“, Staffel 3, Folge 8) ist ein gutes Beispiel. Sie ist nicht tragisch sondern gefühlsduselig und eine Kette reiner Klischees, die sich als 45-minütiges TV-Spektakel goutieren aber beim besten Willen nicht ‚aufwerten‘ lassen.

|Durch die Pforte, durch den Spiegel|

Alternative Leben sind im „Star-Trek“-Universum keine Seltenheit. Vor allem Jean-Luc Picard würde dies unterschreiben, der in „Inner Light“ (dt. „Das zweite Leben“, ST: The Next Generation, Staffel 5, Folge 25) eine entsprechende Erfahrung machte. Allerdings war dieser Spuk nach 30 TV-Minuten vorüber. McCoys Leben im 20. Jahrhundert zieht sich dagegen nicht nur über viele, viele Seiten, sondern generell in die Länge.

McCoy lernt sogar auf zwei Zeitebenen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Ist dies ein Prozess, der besonderes Interesse weckt? Erneut muss man antworten: nicht so, wie George die Sache angeht. Bis ins Detail dürfen oder müssen wir miterleben, wie McCoy eine Suppenküche renoviert, in einer Getreidemühle schuftet, Rassisten verprügelt sowie als (dieses Mal echter) Landarzt praktiziert. Dabei hält er sich tunlichst abseits der ‚großen‘ Geschichte, um nicht noch größeren Schaden anzurichten; die „Enterprise“ und ihre Besatzung hat er ohnehin aus der Geschichte radiert und Adolf Hitler den Weg zur Weltherrschaft geebnet.

Stattdessen lernt McCoy, sich den Menschen und hier besonders den Frauen zu öffnen, mit denen er stets Schwierigkeiten hatte. Schön für ihn, dass es gelingt, aber ‚gutes‘ = unterhaltsames „Star Trek“ ist das nicht, sondern langweilige Soap-Opera. Wie man die Strandung in der Vergangenheit nicht zur Geschichte macht, sondern in eine (spannende) Geschichte einbettet, zeigt u. a. Barbara Hambley in ihrem 1990 entstandenen „Star-Trek“-Roman „Ishmael“.

Nicht einmal vorgeblich gibt es in „Feuertaufe: McCoy“ eine vergleichbare Hintergrundgeschichte. George arbeitet ausschließlich an seinem doppelten McCoy-Psychogramm. Irgendwann merkt der Leser, dass die Fülle von Details nicht auf kommende Ereignisse vorbereitet, sondern Selbstzweck ist. Spätestens nach diesem Moment der Erkenntnis beginnt er auf der Suche und in der Hoffnung auf ein großes, spannendes Finale den Text zu überfliegen und zu überblättern.

|Moral statt Finale|

Ihm steht eine Enttäuschung bevor, denn in dieser Hinsicht kommt nichts. Der „originale“ und der „alternative“ McCoy begegnen sich nie, der alternde McCoy aus der Zukunft beginnt irgendwann, von seinem ‚anderen‘ Leben zu träumen. Das war’s dann schon. Statt die beiden Handlungsstränge definitiv getrennt zu lassen, konstruiert George diese feigenblattartige Verbindung, die weder logisch noch sinnvoll im Rahmen der erzählten Geschichte ist.

Unendlich viele Seiten widmet George der Vita des ‚alternativen‘ McCoy. Urplötzlich sticht ihm ein notgelandeter Nazi-Pilot ins Herz, woraufhin er tot umfällt. Ende dieser Geschichte, der auf diese Weise jeder Sinn genommen wird. Der Leser fühlt sich nicht grundlos betrogen, wenn ihn der Autor ausschließlich mit der frohen Kunde entlässt, dass McCoy seine chronische Bindungsangst zuvor überwunden hatte.

In der Zukunft geht es ähnlich gänseblümchenhaft weiter. Obwohl George angeblich außerhalb des Kanons schreibt, klebt er dennoch an dessen Vorgaben. Was ihm selbst einfällt, ist belanglos. Das eigentliche Mirakel ist die damit verbundene Entstehung eines Romans, der in seiner deutschen Übersetzung mehr als 800 Seiten umfasst. Es wird noch seltsamer: In zwei (allerdings deutlich seitenreduzierten) Bänden geht das „Feuertaufe“-Epos weiter – freilich definitiv ohne diesen Rezensenten!

_Autor_

David R. George III. gehört zu jenen „tie-in“-Autoren, die sich (bisher) gänzlich der Lohnarbeit für das Star-Trek-Franchise widmeten. In dessen Ereignishorizont geriet er erstmals 1995, als es ihm gelang, ein Skript für die ST-Serie „Voyager“ zu schreiben, das unter dem Titel „Prime Factors“ (dt. „Das oberste Gesetz“) als Episode 10 der ersten Staffel verfilmt wurde.

Während dies Georges einziges (umgesetztes) Drehbuch blieb, begann er ab 1998 Romane und Storys zu schreiben, die im „Star-Trek“-Universum spielten. 1998 stellte man ihn zunächst dem „Deep-Space-Nine“-Darsteller Armin Shimerman an die Seite, der seine Rolle als Ferengi Quark so verinnerlicht hatte, dass er sie in Buchform wieder aufleben lassen wollte.

Nachdem George abermals seine Tauglichkeit als zuverlässig und pünktlich liefernder, sich an die Franchise-Vorgaben haltender Autor, unter Beweis gestellt hatte, wurde er ab 2000 verstärkt mit Aufträgen bedacht. Er arbeitete sich hoch, nahm sich keine Freiheiten heraus oder wurde gar originell und wurde deshalb 2006 für würdig befunden, zum 40. Jahrestag der „klassischen“ ST-Serie „Raumschiff Enterprise“ die Jubiläums-Trilogie „Crucible“ zu realisieren. Da die Leser zufrieden waren bzw. fleißig kauften, rekrutierte das Franchise George 2010 für die neue ST-Buchreihe „Typhon Pact“.

|Taschenbuch: 813 Seiten
Originaltitel: Star Trek Crucible: McCoy – Provenance of Shadows (New York : Pocket Books/Simon & Schuster 2006)
Übersetzung: Anita Klüver
ISBN-13: 978-3-942649-51-3|

|eBook: Dezember 2011 (Cross-Cult-Verlag)
1576 KB
ISBN-13: 978-3-942649-97-1|
http://www.cross-cult.de
http://www.startrekromane.de

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