Der bekannte deutsche Autor Ralf Isau bezeichnet seine Bücher selbstbewusst als „Phantagone“, was laut eigener Aussage bedeutet, dass seine Romane verschiedener Genres angehören und nicht immer sicher bestimmt werden kann, welche das sind. Jeder Leser soll selbst entscheiden, wo er die Bücher von Isau einordnet.
Ganz schön mutig, für seine Bücher ein eigenes Genre zu kreieren. Doch wer „Die Galerie der Lügen“ (oder auch ein anderes Werk des Autors aufschlägt), wird sehen, dass dies durchaus seine Berechtigung hat. Es fällt tatsächlich schwer, Isaus Romane einzuordnen, vor allem, wenn sie sich mit komplexen Themen wie in „Die Galerie der Lügen“ beschäftigen.
Die Eingangsszene erinnert an „Sakrileg“ von Dan Brown. Schauplatz ist das Pariser Louvre-Museum, Heimat von berühmten Gemälden wie der Mona Lisa von da Vinci. Es findet ebenfalls ein Einbruch statt, aber es wird nichts gestohlen. Stattdessen sprengt der Täter sich und die antike Statue eines Hermaphroditen in die Luft. Doch das soll nicht der einzige Vorfall bleiben. Genau sieben Tage später verschwindet in der Londoner |Tate Gallery of Modern Art| ein Bild des belgischen Malers René Magritte, „Der unachtsame Schläfer“. Von da an finden weitere Einbrüche im Wochenrhythmus statt, und jedes Mal hinterlässt der Täter einen Gegenstand am Tatort, der mit dem Bild des Schläfers in Verbindung steht.
Schnell hat man eine Verdächtige zur Hand. Die Fingerabdrücke der jungen, rebellischen Journalistin Alex Daniels wurden im Louvre gefunden. Alex, die in ihren Arbeiten die Evolutionstheorie kritisiert und deswegen nicht gerade beliebt ist, bestreitet, am Tatort gewesen zu sein. Zeugen hat sie dafür allerdings keine. Deshalb wird sie vorläufig in Gewahrsam genommen. Die Versicherung |ArtCare|, die alle gestohlenen Kunstwerke betreut hat, schickt Darwin Shaw zu Alex, um den Fall zu lösen. Der Versicherungsdetektiv stößt bei ihrer ersten Begegnung gegen den Dickkopf der jungen Dame, doch im Gegenteil zur Polizei glaubt er, dass Alex etwas weiß. Die beiden freunden sich an und es stellt sich heraus, dass Alex, wenn schon nicht selbst, wenigstens verwandtschaftlich in den Fall verwickelt ist: Das DNS-Profil des Louvre-Täters stimmt fast zur Gänze mit ihrem überein. Das ist eigentlich nur bei eineiigen Zwillingen der Fall, doch Alex ist als Einzelkind bei Adoptiveltern aufgewachsen. Haben ihre Eltern ihr etwas verschwiegen? Und was ist es, das sie Darwin Shaw, der die junge Frau allmählich liebgewinnt, verschweigt?
Ralf Isau präsentiert in seinem 2005 im Hardcover bei |Ehrenwirth| erschienen Roman einen bunten Strauß von Themen. Neben Alex Daniels‘ wissenschaftlichen Ansichten, auf die besonders am Anfang sehr ausführlich eingegangen wird, geht es außerdem um die Interpretation von Kunstwerken und vorrangig um Hermaphroditismus. Plump gesagt versteht man darunter „Zwitter“, also Menschen, deren Geschlecht sich nicht so einfach feststellen lässt. Anders als beispielsweise Jeffrey Eugenides, der mit seinem Roman [„Middlesex“, 916 welcher genau dieses Thema behandelt, einen hohen Bekanntheitsgrad gewonnen hat, wendet sich Isau eher der wissenschaftlichen Seite zu. Dementsprechend sollte man nicht nur dafür, sondern auch für die übrigen genannten Themen ein gesundes Interesse mitbringen.
Gerade der Anfang ist stellenweise etwas informationsüberladen, aber das gibt sich mit der Zeit. Ist erstmal alles erklärt, entwickelt sich eine spannende Handlung; das Buch kommt in Fahrt und punktet durch überraschende Wendungen. Isau schafft es immer wieder, Elemente in die Geschichte einzubringen, die zusätzliche Spannung bringen, wie zum Beispiel die angebliche Verwandtschaft Alex‘ zum Louvre-Täter. Dadurch bekommt der Roman stark thrillerhafte Züge, was ihm definitiv nicht schadet.
Ein weiteres Kennzeichen von „Die Galerie der Lügen“ ist Isaus sorgfältige Arbeit. Die Handlung ist haarklein ausgetüftelt hat. Alles hat einen Grund, alles lässt sich nachvollziehen, und gerade das macht Spaß bei der Lektüre von „Die Galerie der Lügen“: die Transparenz. Diese schlägt sich auch den beschreibenden Teilen des Textes nieder. Sogar die alltäglichsten Dinge werden seziert und in ansprechende literarische Form gebracht. Manchmal grenzt diese Genauigkeit geradezu an Pedantismus, wenn Isau sogar die Fluglinie namentlich erwähnt, mit der Darwin Shaw ins Ausland fliegt.
Der Anspruch, alles zu erklären, zeigt sich auch im Schreibstil. Dieser ist eher kühl und distanziert, intellektuell und rational – passend zum Sujet des Buches eben. Und auch wenn man dadurch manchmal das Gefühl hat, die menschliche Seite der Protagonisten könnte etwas zu kurz kommen, so ist trotzdem fraglich, ob dieses Buch besser hätte geschrieben werden können. Der Schreibstil passt wie die Faust aufs Auge. Jeder andere hätte die Ernsthaftigkeit und die Denkanstöße, die Isau im Buch transportiert, sicherlich nicht so gut darstellen können.
Die Charaktere in „Die Galerie der Lügen“ vereinen alles, was bis jetzt gesagt wurde. Sie sind sehr genau ausgearbeitet, aber, ähnlich wie der Schreibstil, öffnen sie sich dem Leser nicht zur Gänze. Gerade Alex, deren gesamtes Leben von schwerwiegenden Geheimnissen belastet wird, gibt sich zugeknöpft. Sie taut mit der Zeit zwar auf, aber der Eindruck der mysteriösen, unnahbaren Frau bleibt. Und gerade das macht sie für den Leser interessant. Die übrigen Charaktere, einmal abgesehen von Darwin Shaw, bleiben durch den distanzierten Schreibstil eher verschlossen. Von ihnen erfährt man kaum mehr als sie durch ihr Auftreten und ihr Gesagtes von sich preisgeben. Das könnte man negativ deuten, aber es hat auch einen entscheidenden Vorteil: In dem Buch, das sowieso schon prall gefüllt ist mit allerlei Informationen, stehen dadurch die beiden oben genannten Personen im Vordergrund und niemand anderer.
„Die Galerie der Lügen“ ist sicherlich keine einfache Bettlektüre. Dazu konzentriert sich Isaus Phantagon zu sehr auf komplexe, anspruchsvoll aufbereitete Themen, für die man, wenn schon kein besonderes Interesse, dann doch wenigstens eine gewisse Aufgeschlossenheit mitbringen sollte. Wer sich auf das Buch einlässt, bekommt im Gegenzug einiges geboten. Isau recherchiert akribisch und weiß das Recherchierte umzusetzen. Er konzentriert sich auf zwei Personen und legt sie anhand seines sezierenden Schreibstils offen. Alles zusammen presst er anschließend in einen sorgfältig abgesteckten Handlungsrahmen, der neben einer thrillerhaften Spannung außerdem manchmal geradezu sachbuchartige Züge und kriminalistische Ermittlungsarbeit aufweist. Ein Phantagon eben, eine gelungene Mischung aus vielen verschiedenen Genres, bei der man stets aufs Neue nach ihren Einflüssen suchen kann.
[Website von Ralf Isau]http://www.isau.de
http://www.bastei-luebbe.de
_Ralf Isau auf |Buchwurm.info|:_
[„Das gespiegelte Herz“ 1807 (Die Chroniken von Mirad 1)
[„Der König im König“ 2399 (Die Chroniken von Mirad 2)
[„Das Wasser von Silmao“ 3014 (Die Chroniken von Mirad 3)
[„Das Jahrhundertkind“ 1357 (Der Kreis der Dämmerung, Teil 1)
[„Der Wahrheitsfinder“ 1502 (Der Kreis der Dämmerung, Teil 2)
[„Der weiße Wanderer“ 1506 (Der Kreis der Dämmerung, Teil 3)
[„Der unsichtbare Freund“ 1535 (Der Kreis der Dämmerung, Teil 4)
[„Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ 1095 (Die Legenden von Phantásien)