Jeschke, Wolfgang / Aldiss, Brian W. (Hgg.) – Titan-23

_Classic SF: Expeditionen ans Ende der Zeit_

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 23 von „Titan“ sind nicht Beiträge zur „Science Fiction Hall of Fame“ gesammelt, sondern klassische SF-Erzählungen der 1950er Jahre – Thema sind „Evil Earths“. Dies ist der zweite von zwei TITAN-Bänden zu diesem Thema. Und der letzte TITAN-Band überhaupt!

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der |Heyne|-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren. TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im |Lichtenberg|-Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science-Fiction-Reihe Deutschlands beim |Heyne|-Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und zum Teil für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Sein erster Roman [„Der letzte Tag der Schöpfung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1658 (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Brian W. Aldiss (* 1925) ist nach James Graham Ballard und vor Michael Moorcock der wichtigste und experimentierfreudigste britische SF-Schriftsteller. Während Ballard nicht so thematisch und stilistisch vielseitig ist, hat er auch nicht Aldiss‘ ironischen Humor.

Aldiss wurde bei uns am bekanntesten mit seiner Helliconia-Trilogie, die einen Standard in Sachen Weltenbau in der modernen SF setzte. Das elegische Standardthema von Aldiss ist die Fruchtbarkeit des Lebens und die Sterilität des Todes. Für „Hothouse“ bekam Aldiss den |HUGO Award|. Er hat auch Theaterstücke, Erotik, Lyrik und vieles mehr geschrieben.

_Die Erzählungen_

|Teil 4: Gestern, morgen und die Wüste|

_1) Henry Kuttner: Die Zeitfalle (The time trap, 1938)_

Kent Mason ist ein junger amerikanischer Archäologe, der schon etliche Länder auf der Suche nach Altertümern besucht hat. Im Jahr 1939 befindet er sich in der Nähe der arabischen Wüste Rubh al-Khali, doch die Grabung nach den sagenhaften Stadt Al-Bekr, in der einst Wissenschaft und Handel geblüht haben sollen, verläuft ergebnislos. Während der Expeditionsleiter den Aufbruch vorbereitet, will Mason noch nicht aufgeben und läuft ein letztes Mal hinaus in die Sandwüste. Als er nach Tagen auch dort nichts findet, bricht er vor Wassermangel an einem Pfeiler zusammen.

Ein Pfeiler? Mason untersucht gerade die uralten Schriftzeichen im Metall, als ein Gewittersturm losbricht. Zwischen Masons und einem zweiten Pfeiler entsteht eine elektrische Spannung – ein Blitz – ein blendendes Licht, dann nichts. Mason findet sich in Al-Bekr wieder, wo ein sumerisch sprechender Krieger ihn ins Innere eines unterirdischen Gebäudekomplexes bringt.

Offenbar haben der Blitz und die Pfeiler Mason in der Zeit versetzt, denn hier leben Menschen, wie sie vor 4500 Jahren existiert haben mögen. Doch mit seinen Sumerischkenntnissen kann sich Mason verständlich machen. Der Krieger heißt Erech, und er berichtet, dass hier ein Tyrann namens Greddar Klon mit seinen Robotern über die versklavten Bewohner von Al-Bekr herrsche. Wer nicht gehorche, dem werde ein grausames Schicksal zuteil, und ihre Königin Alasa sei gefangen.

Eine Priesterin namens Nirvor, ganz in Silber gekleidet und von zwei intelligenten Leoparden beschützt, versucht, Mason zu verführen. Doch gerade als es zum Kuss kommen soll, erblickt er in ihren Augen etwas Fremdartiges, Abstoßendes. Er stößt sie angewidert von sich. Die Zurückgewiesene droht ihm Rache an, und ihre beiden Leoparden suchen ihn.

Unterdessen führt ihn der Krieger Erech, der zu seinem Freund geworden ist, zum Richtplatz, wo Greddar Klon persönlich erscheint, um eines seiner Urteile auf grausame Weise an einer jungen Frau und deren Vater zu vollstrecken. Hier sieht Mason aber auch das eiförmige Gefängnis der jungen Königin. Greddar Klon befiehlt Mason zu sich: Er habe ihn mit seiner Zeitfalle eingefangen, nun soll er ihm helfen, seine Schreckensherrschaft über die Epochen der Zeit, über die der Tyrann mit seinem Zeitschiff gebietet, auszubauen. Und die nächste Epoche, die Greddar Klon angreifen und unterwerfen will, soll das 20. Jahrhundert sein!

Wenig später führt ihn Erech zum Anführer der Untergrundbewegung, einem Astrophysiker namens Murdach. Der hat eine Waffe gebaut, um die Roboter auszuschalten, und gemeinsam mit Mason baut er eine Kopie des Zeitschiffs, mit dem die Rebellen dem Tyrannen nachfliegen können. Zuerst aber müssen sie die Königin befreien.

Wie schön sie ist, denkt Mason, als die nur spärlich bekleidete junge Dame endlich befreit ist – und küsst sie. Und schon muss er sie gegen die Intrigen der perfiden Priesterin Nirvor, die sich mit dem Tyrannen verbündet hat, verteidigen. Kaum sind sie dem Angriff eines Zentauren entronnen, können sie mit Erech und Murdach in ihrem Zeitschiff nachfliegen.

Die Odyssee ans Ende der Erde führt die Liebenden durch zahllose Gefahren. Doch werden sie gegen den Zeittyrannen bestehen und Al-Bekr befreien können?

|Mein Eindruck|

Die 150 Seiten dieses Kurzromans sind voller Abenteuer, Sinnlichkeit und Dramatik. Stellenweise erinnern sie an John Carters Abenteuer auf dem Mars und sein Bemühen, die schöne Marsprinzessin Dejah Thoris zu erobern. John Carter heißt hier allerdings Kent Mason und ist eine Art Indiana Jones, der durch die Zeit reist.

Bedenkenlos kombiniert der Autor die grundlegende Abenteurer-Story mit der [„Zeitmaschine“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3578 von H. G. Wells und sogar mit Motiven aus dessen Roman „Dr. Moreaus Insel“. Nirvor, die silberne Priesterin aus dem 22. Jahrhundert, erscheint unserem Helden völlig zu Recht als etwas Fremdes und Falsches: Sie war einst ein Leopard!

Dieser Clou, der in einem weiteren sinnlichen Rendezvous enthüllt wird, wird nur übertroffen vom Zweikampf Masons mit Greddar Klon, dem Möchtegerntyrannen über alle Zeitalter. Doch auch diesen kann er überlisten. Doch dann erlebt er eine böse Überraschung, als Murdach sein wahres Gesicht zeigt …

Alle möglichen Gefahren wie etwa riesige geflügelte Ameisen sowie Tiermenschen tauchen auf, um die schöne Alasa gefangen zu nehmen. Regelmäßig wird ihr der letzte Fetzen Kleidung vom schlanken Leib gerissen, Kleidung, die sie gerade nach ihrem letzten Abenteuer wiederergattert hat. So wird der Voyeurismus des jungen Lesers, der so um die zwölf Jahre alt sein dürfte, bedient. Wird Alasa, die Königin, am Schluss doch noch Kent Mason gehören und mit ihm gehen? Darauf dürfen wir jede Wette eingehen.

Dieses abenteuerliche Garn strotzt nur so vor Klischees, die uns heute ein Gräuel sind (ganz besonders die verführerischen Mädels). Doch im Jahr 1938 war es (noch) genau diese Art von Pulp Fiction, die reißenden Absatz fand. Noch, denn schon im Folgejahr begann ein gewisser John W. Campbell jr. als Herausgeber von „Astounding Stories“ einen ganz anderen Ton von seinen Autoren zu verlangen. Sie sollten Geschichten über Ingenieure und Forscher schreiben, die nachvollziehbare und plausible Prozesse schildern. Autoren wie Asimov, Heinlein und A.E. van Vogt vollzogen diese Wende nach, andere wie Henry Kuttner schrieben lieber woanders – aber auch nicht schlechter, sondern ebenso einfallsreich.

|Teil 5: Der Nacht entgegen|

_2) Jack Vance: Die Menschen kehren zurück (1957)_

Die Erde passiert vorübergehend eine kosmische Zone, in der die Abfolge von Ursache und Wirkung aufgehoben ist. Alles, was auf dieser Kausalität basiert, also 100 Prozent aller Technik und 90 Prozent aller Verhaltensweisen, funktioniert nicht mehr. Infolgedessen kommen zahllose Menschen um, nur zwei Arten überleben: die Wahnsinnigen, die eh nicht an Kausalität glauben, und die Relikte.

Die Relikte weisen noch Züge von Vernunft auf, können sogar planen, aber weil sich die physische Umwelt so unberechenbar verhält – Obsidian, der hart sein müsste, ist weich -, haben sie denkbar geringe Überlebenschancen. Ein letztes Häuflein von fünf Relikten trifft auf ein Häuflein von „Organismen“, also Tieren. Die beiden Alten gehen schnell drauf, doch dann wollen sich die beiden Frauen auf den letzten Mann, Finn, stürzen: Was für ein Leckerbissen! Und das meinen sie nicht mal sexuell.

Just in diesem Augenblick verlässt die Erde die Chaos-Zone, die Sonne scheint, die gewohnten Naturgesetze aus alter Zeit treten wieder in Kraft – und die letzten drei Menschen können wieder Pläne schmieden. Welche wohl?

|Mein Eindruck|

Diese ironische Geschichte vom Meister des bunten Planetenabenteuers entwirft eine radikal andersartige Zukunftsvariante, nämlich eine, in der alle Kausalität aufgehoben worden ist. Die Idee, dass die Erde eine kosmische Zone durchfliegt, in der andere Naturgesetze gelten, hatte schon Poul Anderson 1954 in „Brain Wave“ aufgebracht.

Vance demonstriert, dass der Mensch nicht auf die neuen Naturgesetze vorbereitet, geschweige denn dafür eingerichtet ist. Außerdem verrät sich in den tödlichen Ereignissen, die er trocken und kommentarlos schildert, ein lakonischer Sarkasmus, wie mir scheint. Am Ende obsiegt amerikanischer Optimismus: „Lasst uns Pläne machen!“ Europäer hätten vielleicht eher darüber nachgedacht, was diese Strafe des Universums zu bedeuten hatte und ob sie nicht vielleicht Buße tun sollten – so wie in der nächsten Geschichte.

_3) Brian W. Aldiss: Die Häresien des riesigen Gottes (1966)_

Harad IV, der Schreiber der Universellen katholischen Opferkirche, bereitet ein Konzil vor und zählt die vier Häresien (Ketzereien) gegen den Riesigen Gott auf. Vor 901 Jahren nämlich landete ein gigantisches Alien auf der Erde. Es war an die 7000 Kilometer lang und dementsprechend schwer. Als es sich zwischen Tunis und Aden im Süden sowie Italien und dem Balkan im Norden niederließ, erschütterten Erdbeben und Flutwellen Südeuropa, von Nordafrika ganz zu schweigen.

Es bewegte sich nicht, was den Verdacht der nicht betroffenen Amerikaner nährte, es könne sich um einen Roboter handeln. Prompt griffen sie es mit Atomraketen an, jedoch ohne sichtbare Wirkung. Die ersten Ketzereien wurden ausgestoßen: Es sei weder lebendig noch heilig, sondern dumm. In den Jahren danach verlagerte es sich, verschwand einmal für 20 Monate, kehrte zurück, verlagerte sich erneut. Die Verwüstungen waren von unvorstellbarem Ausmaß, doch es kam, wie es kommen musste: Zwei Fraktionen der Anbeter des Aliens erklärten ihn zum Riesigen Gott und verlangten seine Anbetung. Unmengen von Jungfrauen wurde in den Vulkanen geopfert, um den Gott zu besänftigen und ihn zur Abreise zu bewegen.

Doch wie sollte die Anbetung korrekt aussehen? Über den Streit, ob der Mensch noch über Technik, Maschinen, ja, sogar Metall und Kleidung verfügen dürfe, entzündeten sich Kreuzzüge und das große Schisma. Erst vor 400 Jahren besiegte die europäische Fraktion die amerikanische, seither herrscht Ruhe in der Kiste. Weiterhin werden Frauen geopfert, die allmählich ausgehen, wie man Harad schreibt. Doch seit zehn Jahren ist das Alien wieder verschwunden. Nun fleht Harad, es möge zurückkehren – die Kirche könne ohne ihren Riesigen Gott nicht existieren.

|Mein Eindruck|

Na, das ist mal ’ne große Küchenschabe! Das dachte ich, als ich die Story las: ein riesiges Insekt (bug) auf dem Erdball, das nichts tut außer Verwüstung anzurichten. Da möchte man doch gleich den kosmischen Kammerjäger rufen.

Aber so einfach macht sich der Autor die Sache nicht, denn er lässt die Nachwelt in Gestalt eines Kirchenschreibers (Vorsicht: parteilich) die Historie von 900 Jahren fremder Besatzung nachzeichnen. Der Unterschied zu gängigen Gottesbeschreibungen à la Bibel: Dieser Gott ist derart konkret, konkreter geht’s gar nicht, und selbstredend will er/sie/es angebetet werden, weiß die neue Kirche.

Aber ist das wirklich so, sollten wir uns fragen. Doch wer so fragt, macht sich per definitionem der ersten Häresie schuldig – der Gott sei gar keiner, sondern bloß eine sehr groß geratene Küchenschabe – und gehört ins Feuer. Mit ein wenig Nachdenken entpuppt sich die Erzählung bzw. das Dokument als Hilferuf einer hilflosen Kirche, der der Gott abhandengekommen ist, der ihre Existenz rechtfertigte. Würde man diese Erkenntnis auf heutige Religionen übertragen, könnte man ganz schön kritische Fragen stellen. Aber am besten nicht in Kabul oder Bagdad …

_4) Arthur C. Clarke: „Wenn ich dich je vergesse, Erde …“ (1951)_

Auf dem Mond ist es meist still, und die Tätigkeiten in der Kolonie finden in aller Regel unter seiner Oberfläche statt. Deshalb findet es der zehnjährige Marvin besonders aufregend, als ihn sein Vater mit hinaus auf die Oberfläche nimmt. Sie rasen im Mondauto übers Plateau, kreuzen den Kraterrand und düsen weiter unterm kalten Licht der Sterne, vorüber an alten Raketen und Kreuzen.

Bis sie zu jener Zone kommen, in die das Licht der Sonne nicht mehr reicht, sondern ein anderer Himmelskörper sein silbernes Licht auf den Mondstaub wirft: die Erde. Marvin schaut bewegt auf die blauen Ozeane und weißen Wolken, die auf der im Halbschatten liegenden Erde zu sehen sind. Doch auf der Nachtseite sind ebenfalls Lichter zu sehen, atomar strahlendes Feuer von glühenden Felsen und toten Städten, die das Armageddon übrigließ. Deren traurige Geschichte erzählt ihm sein Vater.

Nun wird Marvin blitzartig klar, dass er nie selbst auf die alte Heimat des Menschen zurückkehren kann, sondern allenfalls seine Enkel und Urenkel. Und nur diesem Traum kann er sein Leben widmen. Als sie gemeinsam zurückfahren, hat er ein neues Lebensziel.

|Mein Eindruck|

Diese schöne, kurze Geschichte konnte so nur Arthur C. Clarke schreiben. Jeder physikalisch vorgebildete Autor kann eine Fahrt mit dem Mondauto schildern, doch die wehmütige Wendung und die Erkenntnis, dass die Erde nur noch ein Traum sein kann, ist typisch Clarke – oder very British.

Auffällig ist, dass der Vater nur eine kurze Rede zu halten braucht, aber sie wird nie direkt dargestellt. Der Sohnemann kapiert von alleine: die Folgen des Atomkriegs, die auf der Nachtseite glühend und radioaktiv strahlend sichtbar sind; die Unmöglichkeit einer Rückkehr auf Jahrhunderte hinaus; und die Notwendigkeit, die Nachkommen darauf vorzubereiten. All dies erfahren wir ohne eine einzige Dialogzeile. Und es ist dennoch wunderschön.

Wichtig sind zwei Zitate. „Twinkle, twinkle, little star“ ist ein altes englisches Kinderlied. Bemerkenswert ist jedoch Marvins Reaktion auf den Text: „Das Glitzern eines Sterns gibt’s doch gar nicht.“ Kein Wunder, denn auf dem luftlosen Mond kann keine Atmosphäre das Sternenlicht zum „Glitzern“ bringen.

Der Titel ist ein weiteres Zitat, ein jüdisches: „Sollte ich dich je vergessen, o Jerusalem, dann soll meine Zunge an meinem Gaumen festkleben und meine rechte Hand verdorren.“ Diese Bedeutung habe ich jedenfalls im Netz gefunden; es gibt sogar ein YouTube-Video dazu. Und irgendwie passt die Bedeutung genau zur Geschichte.

_5) John W. Campbell, jr.: Nacht (1935)_

Die Erprobung der neuen Antischwerkraftspule scheint schiefgegangen zu sein. Don Talbot rast mit Major Condon zur Absturzstelle. Das Fluggerät, mit dem Bob, der Ingenieur, geflogen ist, ragt zerstört aus dem Boden, und Don und Jeff, der andere Assistent, starren die Trümmer an. Wo ist die Leiche des Piloten?

Erst als sie wieder im Institut sind, erreicht sie die Meldung, dass der Pilot aufgetaucht sei. Sie rasen hin: Bob steckt in einem Stratosphärenanzug, umringt von Bauern. Nur Don hat daran gedacht, eine Sauerstoffflasche mitzunehmen und kann jetzt Bob beatmen. Nach einer Weile erst kommt Bob wieder zu sich und beginnt zu erzählen …

Statt die Schwerkraft aufzuheben, katapultierte er sich mit seinem neuen Gerät geradewegs ans Ende der Zeit. Er landete auf einer kühlen, menschenleere Erde, deren Sonne blutrot am Horizont hing. Selbst die Sterne waren erloschen. Hinter einer Metallmauer entdeckte er eine Stadt, die völlig ohne Menschen, aber voller Maschinen war. Warum aber waren die Maschinen ebenfalls stehengeblieben, fragt er sich, und tippt auf die große Kälte, die den elektrischen Widerstand aufhob. Dieses Ereignis legte alle Stromkreise lahm.

In einem der Gewölbe entdeckt er ein Kommunikationsgerät, mit dem man eine Botschaft zu den anderen acht Planeten des Sonnensystems schicken kann. Er funkt Neptun an – und bekommt tatsächlich eine Antwort. Eine Maschine erscheint, die ihn zum Neptun bringt: Nur dort gibt es noch Wärme und Bewegung. Doch ohne Menschen ist natürlich alles sinnlos. Diese Maschine brachte ihn dann wieder zur Erde und schickte ihn in seine eigene Zeit zurück.

|Mein Eindruck|

Wer, wie ich, John W. Campbell schon immer für einen elenden Zeilenschinder gehalten hat, wird hier vollauf erneut in seiner Ansicht bestätigt. Wer sich die Mühe machen würde zu zählen, wie oft er die Wörter „Tod“ und „Nacht“ bemüht, würde wohl auf jeweils mindestens hundert kommen. Q.e.d. Einen derart repetitiven Stil, um eine spezielle Stimmung zu erzeugen, findet man selten woanders. Die einzige gute Story, die Campbell je geschrieben hat, ist „Who goes there?“, das die Vorlage für den SF-Horror-Klassiker „Das Ding aus einer anderen Welt/Das Ding/The Thing“ lieferte.

Campbell liebt es, düstere Panoramen an die Wand zu malen, in denen die besten Menschen, nämlich Ingenieure, im Bild fehlen. Folglich gibt es nur noch führungslose Maschinen, doch auch denen wird bald der Saft ausgehen. Unter dem Niveau des totalen Untergangs des Universums tut es Campbell nicht. Er wirft mit Begriffen der Atomphysik um sich, lässt auch den fünf Jahre zuvor entdeckten Pluto nicht unerwähnt und bemüht Energie-Masse-Umwandlungen, wie es ihm gerade passt.

Auch Aldiss lässt in seiner Einleitung durchblitzen, dass der berühmte Herausgeber ein Rechthaber war. Campbells Unterstützung des Null-A-Mumpitz eines A. E. van Vogt („nichtaristotelische Logik“, weiß der Geier, was das sein soll) und der Scientology eines L. Ron Hubbard haben Campbell in meinen Augen längst zur Lachnummer werden lassen. Das einzig Gute an ihm ist sein Stall von erstklassigen Autoren, allen voran Heinlein, Asimov und Sturgeon.

_Die Übersetzung _

Wie bei fast allen TITAN-Bänden (ich muss Band 17 erst noch lesen) ist das Quantum an Druckfehlern extrem niedrig. Ich fand nur einen (Seite 160). Aber der Stil, den der Übersetzer Heinz Nagel 1985 noch pflegte, zieht einem schier die Schuhe aus. Er ist viel zu nah dran am Original, so dass manchmal Käse rauskommt. So etwa auf Seite 165, wo von einer „alten kasuellen Dynamik“ die Rede ist. Während völlig nebulös ist, was „kasuell“ sein soll, brauchte man nur „kasuell“ durch „kausal“ zu ersetzen, und schon wird ein Schuh draus: Es geht um den abhanden gekommenen Ablauf aus Ursache und Wirkung.

_Unterm Strich_

Dieser allerletzte Band der TITAN-Reihe hinterlässt bei mir einen gemischten Eindruck. Das Haupt- und Prunkstück des Bandes ist zweifellos Henry Kuttners Roman „Die Zeitfalle“, ein Stück Pulp Fiction der 30er-Jahre, das vor allem junge Leser mit sehr niedrigen Ansprüchen begeistern dürfte. Man merkt der Struktur an, dass sie auf Episoden ausgerichtet ist, und jede Episode bietet mindestens ein gefahrvolles Monster und/oder eine unbekleidete junge Dame. Was könnte also besser sein, wenn Dame und Monster ein und dasselbe sind?! Es kommt eben darauf an, das eine vom anderen unterscheiden zu können.

Kuttner spielt gekonnt mit Urängsten (amerikanischer?) Jungs um die zwölf Jahre, die sich für das andere Geschlecht interessieren und in einen Zwiespalt geraten: Furcht und Anziehungskraft der Schönen wechseln sich ab, und manchmal wird die „gute“ Schöne zur Bestie, bis sich schließlich die „böse“ Schöne als Monster entpuppt. Fall gelöst, Junge kriegt braves Mädchen. Und wenn sie nicht gestorben sind …

Die restlichen vier Erzählungen sind aber auch nicht zu verachten. Während die beiden Amerikaner Vance und vor allem Campbell wenig Eindruck machten, wissen die beiden Briten Clarke und Aldiss mit eigenständigen Ideen zu punkten. Dabei zeigt sich Clarke stimmungsvoll und Aldiss modern-bissig. Diese Geschichten sollte man zumindest einmal gelesen haben – mit Campbell als abschreckendem Gegenbeispiel.

|Originaltitel: Evil Earths (II), 1975
235 Seiten
Aus dem Englischen von Heinz Nagel|
http://www.heyne.de

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