Holt, Anne – Gotteszahl

_Story:_

Der Mord an der renommierten, aber aufgrund ihrer teils radikalen Meinungen umstrittenen Bischöfin Eva Karin Lysgaard beschäftigt Presse und Medien gleichermaßen. Yngvar Stubø vom Osloer Kriminaldezernat wird nach Bergen berufen, um dem Mann und dem gemeinsamen Sohn der Verstorbenen auf den Zahn zu fühlen – doch beide hüllen sich in Schweigen. Fast parallel zum rätselhaften Verbrechen wird im Osloer Hafenbecken ein homosexueller Asylant tot aufgefunden. Und auch der Tod des drogensüchtigen Künstlers Niclas Winter scheint nicht suizidaler Natur zu sein. Insgesamt beschäftigen immerhin sechs rätselhafte Todesfälle die norwegischen Kriminalisten, jedoch besteht keine einzige Spur zu Tätern, Verdächtigen oder grundlegenden Motiven. Ausgerechnet Yngvar Stubøs Ehefrau Inger Johanne Vik, die ebenfalls als Beraterin mit den Ermittlern zusammenarbeitet, stößt schließlich auf eine Paralelle: Alle Opfer haben eine homosexuelle Vergangenheit. Doch was ist mit der ermordeten Bischöfin? Wie passt sie in dieses Raster? Und warum hüllt sich ihr Witwer Erik Lysgaard in konsequentes Schweigen?

_Persönlicher Eindruck:_

Anne Holt und ihre Charaktere: Nachdem sie Hanne Wilhelmsen verletzungsbedingt in Rente geschickt hat, konnte die norwegische Bestseller-Autorin mit Yngvar Stubø und seiner Frau Inger Johanne Vik relativ schnell zwei neue Serienfiguren etablieren, die sowohl in ihren literarischen Ermittlungsarbeiten, als auch auf privater Ebene von vornherein eine richtig gute Figur abgegeben haben. In ihrem vierten gemeinsamen Abenteuer stoßen die beiden jedoch erstmals auf Widerstand. Denn rein inhaltlich verrennt sich ihre Schreiberin viel zu häufig in verwirrenden Entwicklungen, die auch durch den rasanten Schlussteil nicht mehr angemessen aufgearbeitet werden können.

Bereits in den ersten Kapiteln tauchen reichlich Fragen auf: Warum zum Beispiel beschreibt Holt derart viele Charaktere, nimmt sich aber nie einmal die Zeit, ihnen auch Raum und Zeit zu gönnen, Zutritt in die Story zu bekommen? Und wie soll man überhaupt folgen können, wenn so viele düstere Szenarien aneinandergereiht werden, die (zumindest anfangs) in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen. Da erfährt man vom reichen Erben Marcus Kroll, der irgendein Geheimnis mit sich trägt. Man lernt den schweigsamen Erik Lysgaard un seinen hilflos anmutenden Sohn Lukas kennen, die auch mehr zu sagen hätten, als sie Yngvar Stubø gegenüber preisgeben. Man erfährt von einer komischen Anwaltskanzlei, die nicht wirklich in die Gänge kommt. Überdies wird die Familie der Protagonisten immer mal wieder beleuchtet, vor allem ihre autistische Tochter Kristina, die schließlich auch noch eine besondere Position im Plot zugeschoben bekommt. Aber irgendwie läuft alles nebenher, findet nicht zueinander. Selbst wenn die Übergänge zwischen den einzelnen Sinnabschnitten immer wieder gekonnt entworfen werden, steht man oft vor einer riesigen, schier unüberwindlichen Logik-Mauer. Was hat das alles miteinander zu tun?

Erst zu einem sehr späten Zeitpunkt lässt Kollegin Holt den Zufall entscheiden und sorgt dafür, dass die Puzzlestücke langsam Verwendung finden. Doch die Art und Weise, wie die offenkundige Mordserie aufgeklärt wird, ist sehr stark konstruiert und erschließt sich nicht auf glaubwürdigen Wegen. Eher zufällig nimmt Inger Johanne wieder Kontakt zu einer alten amerikanischen Freundin auf, die ihr von einer religiösen, radikalen Vereinigung berichtet, den 25ers. Und auch wenn biss dahin nie ein Wort über rassistische Motive gefallen ist, nimmt genau diese Tatsache den Roman mit einem Mal in Beschlag, somit auch die weibliche Hauptakteurin, und führt schließlich zur Lösung vieler inhaltlichen Ungereimtheiten. Nicht der smarte Way, Frau Holt, zumindest nicht, wenn man sich vorab bereits durch zwei Drittel des Buches gekämpft hat und viele Ereignisse mit einem Mal bedeutungslos erscheinen.

Doch genau so künstlich sind leider viele Passagen des Romans aufgebaut, vor allem in der Mitte von „Gotteszahl“. Immer wieder kommen urplötzlich neue Fakten zum Vorschein, die eine enorme Tragweite haben, aber ziemlich ruckartig in die Story eingeflochten werden. Nahezu alle entscheidenden Tatsachen schleichen sich aus dem Hinteerhalt an und müssen nicht, wie es der Krimi-Leser ja eigentlich bevorzugt, langsam erarbeitet werden – und das ist schließlich auch das große Manko dieser Erzählung.

Dabei könnte es sich die Autorin so einfach machen. Die Detailliebe könnte weniger verworren an den Leser herangetragen werden, die Charaktere könnten bei einem etwas stringenteren Abriss wesentlich zugänglicher gemacht werden, und auch die sicher gut durchdachten Verstrickungen unter den zahlreichen Personen würden mehr Spaß machen, wenn sie verständlicher dargestellt wären. Doch diese Chancen verbaut sich Anne Holt alleine dadurch, dass sie alle Fakten immerzu in den Vordergrund rücken möchte, dabei aber übersieht, dass man irgendwann nicht mehr wirklich folgen kann.

Insofern ist „Gotteszahl“ nicht der verdiente Bestseller-Kandidat, den man von der renommierten Erfolgsautorin erwarten würde. Eher ist es ein anständiger Krimi, der sich jedoch in vielen Passagen in sich selbst verliert und sich inhaltlich das Leben viel zu schwer macht!

|Taschenbuch: 464 Seiten
Originaltitel: Pengemannen
ISBN-13: 978-3492273619|
http://www.piper-verlag.de

_Anne Holt bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Wahrheit dahinter“ 1523
[„Was niemals geschah“ 1971
[„Der norwegische Gast“ 5168
[„Der norwegische Gast“ (Lesung) 5923

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