Kalla, Daniel – Pandemie

In der chinesischen Provinz Gansu entwickelt sich eine neue Supergrippe, die sich womöglich als Pandemie über die ganze Welt ausbreiten wird. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schickt Dr. Noah Haldane, Spezialist für Infektionskrankheiten, und weitere Spezialisten als medizinische Verstärkung in den Osten, welche dies in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden verhindern sollen und können.

Doch inzwischen haben sich islamische Terroristen in China reichlich mit virenverseuchtem Rotz eingedeckt. Vom fanatischen Scheich Hassan angestachelt, organisiert der ägyptische Zeitungszar Hazzir Al Kabaal im Auftrag der „Bruderschaft der einen Nation“ eine biologische Attacke gegen die verhassten Ungläubigen aus dem Westen. In Somalia haben er und seine skrupellosen Schergen, unter denen sich der irre Mörder-Major Abdul Sabri besonders unrühmlich hervortut, ihre Attentatszentrale und Virenfabrik eingerichtet. Von dort aus schicken sie absichtlich infizierte ‚Märtyrer‘ in ausgewählte europäische und nordamerikanische Großstädte, wo sie sich als Virenschleudern tummeln und brave Bürger anstecken, die planmäßig wie die Fliegen umfallen und für Massenpanik sorgen.

Als die Lumpen ihre schmutzigen Klauen auch gen USA ausstrecken, wird der stets wachsame Geheimdienst CIA aufmerksam. Letzte Klarheit schafft ein Ultimatum der „Bruderschaft“, die einen vollständigen Rückzug der westlichen Truppen aus dem arabischen Raum fordert. Natürlich gedenkt sich die letzte Supermacht auf Erden nicht von dreisten Schurkenstaaten auf der Nase herumtanzen zu lassen. In Zusammenarbeit mit der Bioterrorismus-Abwehr in der Abteilung für Zivilschutz denkt man über einen Militärschlag in Somalia nach. Mit von der Partie ist wiederum Dr. Haldane, der vor Ort nach Hinweisen auf das weitere Vorgehen der Terroristen fahnden soll, was nur gut ist, denn inzwischen hat der endgültig übergeschnappte Major Sabri die Macht übernommen. Seine Virenschmiede haben einen neuen Erreger gebastelt, der noch wesentlich gefährlich ist als der Vorgänger. Mit diesem Virus will die „Bruderschaft“ den Westen endgültig in die Knie zwingen …

Spannender Thriller vor realistischer Kulisse und lachhafte Spukgeschichte auf Privatfernsehniveau – „Pandemie“ ist beides und in dieser Kombination ein Idealbeispiel für jene Instant-Bestseller, die heutzutage als leicht verdauliches Lesefutter palettenweise in die Filialen der Buchhandelsketten geschoben werden. Zur Abwechslung geht es nicht um den heiligen Gral, die Tempelritter oder vatikanische Munkeleien, sondern um das ebenfalls aktuelle Thema Vogelgrippe. Wenn man den Medien Glauben schenken möchte, sitzt diese als moderne Weltpest in den Startlöchern und ist schon längst überfällig. Daniel Kalla gehört zu denjenigen medizinischen Spezialisten, die ebenfalls dieser Meinung sind. Außerdem hat er offensichtlich bemerkt, dass viele unterbeschäftigte und/oder schlecht bezahlte Wissenschaftler und Journalisten sich ein hübsches Zubrot damit verdienen, ihr Fachwissen in Romanform einem zahlenden Publikum zu vermitteln.

Für den schriftstellernden Anfänger ergibt sich das Problem, dass ein Roman etwas ganz anderes als ein Sachbuch oder Aufsatz für eine Fachpublikation ist. Kalla, der hier sein Debütwerk vorlegt, muss erst noch lernen, seinen Hang zum Dozieren in den Griff zu bekommen bzw. in den Dienst der Handlung zu stellen. Es ist lobenswert, dass er an den medizinischen Laien denkt und die Mechanismen einer Epidemie allgemeinverständlich darlegt. Wer viel weiß, dem wohnt freilich in der Regel auch der Drang inne, seine Mitmenschen zu belehren – und es dabei zu übertreiben. (Wer sich ohne literarische Klimmzüge über Epidemien und Pandemien informieren möchte, greife zum modernen Seuchen-Sachbuchklassiker [„Influenza. Die Jagd nach dem Virus“ 2594 von Gina Kollata, erschienen im |Fischer|-Taschenbuchverlag; es ist übrigens das besser geschriebene Buch.)

Mit mehr Hirnschmalz hätte Kalla die eigentliche Story schmieren sollen. Statt eines Plots erdachte er sich eine Plotte. Auch hier gibt die Unerfahrenheit des Verfassers den Ausschlag für diese Negativkritik. Sogar die guten Thriller glänzen selten durch Originalität, die Kreuzung von Katastrophen- und Terroristenmär war schon oft da, sie wird auch noch oft zurückkehren, da sie eingängig und aktuell ist und wohl auch bleiben wird. Ein bisschen Logik darf trotzdem sein. Wie schaffen es beispielsweise Al Kabaals Virenschmuggler, zum richtigen Zeitpunkt exakt dort zu sein, wo die Gansu-Grippe entsteht? Halten sich Terroristen überall bereit, wo eine pandemietaugliche Krankheit auftauchen könnte? Außerdem scheint sich die „Bruderschaft“ über die Bedeutung des Wortes Pandemie nicht klar zu sein: Eine weltweit wütende Seuche würde natürlich auch die islamischen Länder nicht aussparen, was kaum im Sinn der Glaubenskrieger sein dürfte.

So gelingt Kalla nur ein Szenario auf Kasperletheater-Niveau. Die Welt des internationalen Terrors schildert er so, wie sie von der US-Regierung Bush gesehen wird: als Verschwörung menschenverachtender Schurkengruppen, deren Mitglieder entweder Fanatiker oder Irre oder beides sind. Zwar bemüht er sich sichtlich um Objektivität, doch letztlich läuft alles auf ein finales Simpelduell zwischen Gut & Böse hinaus.

Ständig arbeitet Kalla mit billigen Tricks. Der Haupthandlung fügt er einen Nebenstrang ein, der die Recherchen eines ägyptischen Polizisten gegen die Terroristen schildert. Diese Geschichte ist ohne Belang, Kalla erzählt sie, weil er unbedingt zeigen möchte, dass es in der muslimischen Welt neben verrückten Fundamental-Islamisten auch ’normale‘ Menschen gibt. Deshalb muss der arme Sergeant Achmed Eleish im Namen der guten Indianer – halt: Araber sind es hier ja – dem schäumenden Terror-Scheich Hassan eine flammende Anklage ob seiner kriminellen Aktivitäten in die zahnfaulige Fratze schleudern, bevor er, der seinen Dienst damit getan hat, von einem weiteren Burnus-Unhold dramatisch zu Tode gebracht wird.

Ziemlich aufdringlich sind ebenfalls die Anbiederungen an ein möglichst großes US-Publikum. Kalla ist Kanadier, wünscht sich für seinen Erstling jedoch verständlicherweise zahlreiche Käufer. Also schildert er einen Einsatz von US-Rangern in Somalia, der so abläuft, wie es Dabbeljuh Bush sicherlich gern seinen Enkeln als Gute-Nacht-Geschichte erzählen würde: Schneidig hinein geht’s in den Schurkenstaat, das Terrornest wird besetzt und ausgehoben, mit chirurgischer Präzision der Feind ausgeschaltet und ansonsten kein Grashalm gekrümmt. Damit noch der Dümmste begreift, was diese absurde, zudem unbeholfen in Szene gesetzte Episode (bei deren Lektüre sich ein Tom Clancy wahrscheinlich vor Lachen gekrümmt hat) bewirken soll, setzt Kalla auf Seite 406 noch eins drauf:

|“‚Mr. President‘, sagte Gwen, die auf halber Höhe des Tisches saß, und alle Köpfe drehten sich nach ihr um, „Ich habe einem Kameraden der Gefallenen versprochen, Ihnen zu sagen, dass die US-Ranger, die in Somalia gestorben sind, große Amerikaner waren. Jeder Einzelne von ihnen.‘ Er starrte sie mehrere Augenblicke an, bevor ein väterliches Lächeln auf seinem Gesicht erschien. ‚Und ich verspreche Ihnen, dass ich sie als solche ehren werde. Jeden Einzelnen von ihnen.'“| (Im Film hier weihevolle Musik inklusive Trommelwirbel einspielen!)

Dem holzschnittartigen Handlungsverlauf entspricht die Figurenzeichnung. Da haben wir beispielsweise Dr. Haldane, Ende 30, aber immer noch „jungenhaft aussehend“; ein Idealist und Vollblutmediziner, der in Sachen Gesundheit unermüdlich um den Globus jettet und in seiner knappen Freizeit Ehefrau und Töchterlein vergöttert. Aber, ach, die Gattin versteht das nicht, fordert Vollzeit-Balz, betrügt ihn gar – und das auch noch mit einer Frau! Wie gut, dass es Kollegin Gwen Savard gibt, die ebenso idealistisch und gleichaltrig ist, sich jedoch sogar noch besser gehalten hat. Seite an Seite jagt man Viren und Terroristen und kommt sich stetig näher dabei, bis die Neu-Geliebte im Finale klischeegerecht dem Ober-Unhold in die würgenden Hände fällt und vom plötzlich zum Nahkämpfer mutierenden Haldane gerettet werden muss.

Wenn man die Schar der Bösewichte mustert, so scheint Kalla ursprünglich eine gewisse Ausgewogenheit im Sinn gehabt zu haben. Sein Hazzir Al Kabaal ist kein Bin-Laden-Double, sondern wirkt durchaus hin- und hergerissen zwischen tiefer Frömmigkeit und weltlichen Genüssen, zwischen Terrorismus und Schrecken, da Gewalt – so begreift Al Kabaal schließlich – nie die gewünschten Paradiesfrüchte eines Gottesstaats auf Erden hervorbringen wird. Gleichzeitig bleibt er ein Weißkragen-Terrorist, der den Schrecken nur befiehlt und gar nicht wissen will, was er damit in Gang setzt.

Bald beschleicht Kalla Furcht vor der eigenen Courage. Ein Terrorist mit Selbstzweifeln? Das könnte sein Publikum ihm übelnehmen! Also rückt Major Abdul Sabri an die Spitze der Virenschurken. Er ist endlich von jener glasklaren Bösartigkeit, die von den braven Zeitgenossen verstanden wird, welche einfache Freund-Feindbilder favorisieren und sich vor den Fremden aus Nahost fürchten, denen ein grausames Schicksal die ertragreichsten Ölquellen zugespielt hat. Sabri ist nicht nur ein Mörder, sondern – viel schlimmer – ein Heuchler und als solcher eine Schande für seine abscheuliche Zunft: Er terrorisiert nicht, um den Glauben zu verteidigen, sondern weil man ihn einst nicht befördern wollte. Schnöde Rache und andere niedere Beweggründe treiben ihn folglich um. Übergeschnappt ist er außerdem, so dass es völlig legitim ist, ihn wie einen tollen Hund abzuknallen.

Ähnlich gepolte Handlager wuseln um die beiden Zentralschurken herum. Auch sie entgehen ihrem gerechten Urteil nicht. Bis es so weit ist, ergehen sie sich in Hasstiraden gegen die unmoralischen Christenhunde, lassen sich zum Wohl ihrer Sache jede Scheußlichkeit antun, fiebern einem Ende als Märtyrer entgegen und treiben auch sonst viel von jenem stereotypen Unfug, für den der islamische Modellfanatiker in Funk & Fernsehen, Weißem Haus & Hollywood bekannt ist.

Über solche Simplifizierungen und Unterstellungen könnte man lachen oder sie als unvermeidbar für ein Stück Remmidemmi-Literatur wie „Pandemie“ hinnehmen, würde nicht so offenbar, dass es Verfasser Kalla ernst meint. Das ist schade, denn unter allen Dämlichkeiten geht fast verloren, dass ihm eines zu vermitteln gelingt: Eine Seuche wird heute schneller denn je zur Pandemie, weil es auf dieser Welt keine Grenzen mehr gibt, die einem Virus Einhalt gebieten könnten. Prinzipiell jeder Punkt des Erdballs ist per Flugzeug erreichbar, der interkontinentale Fernverkehr längst so intensiv geworden, dass sich die Ausbreitung von Epidemien auf diesem Weg womöglich nicht mehr kontrollieren lässt. Es gibt keine Inseln oder anderen Orte mehr, auf oder an denen man sich in Sicherheit wiegen kann.

Solche Passagen versöhnen zwischenzeitlich mit einem Roman, der ansonsten herzlich wenig bzw. meist das Falsche aus seiner Ausgangsidee macht. Da braucht es keine Terroristen, doch leider traut Kalla seinem eigenen Stoff nicht wirklich. (Haftbar machen sollte man übrigens die zum Teil recht prominenten Schützenhelfer, die „Pandemie“ auf den Umschlagseiten allen Ernstes zum Meisterwerk hochstilisieren; sie sind entweder skrupellos und wurden für ihre Lobhudeleien gut bezahlt oder haben dieses Buch nie gelesen.)

_Autor_

Viel ist nicht über Daniel Kalla bekannt; es lohnt nach der Lektüre von „Pandemie“ ehrlich gesagt auch nicht, im Internet nach Informationsbrocken zu sieben. Also beschränken wir uns auf die kargen Angaben des Verlags. Kalla wurde demnach 1966 geboren und arbeitet als Notarzt im kanadischen Vancouver. Als dort 2003 eine SARS-Epidemie drohte, gehörte er zum Team der Mediziner, die vor Ort für eine Eindämmung der Krankheit sorgen sollten. Die gewonnenen Erfahrungen setzte Kalla 2005 in seinem Romanerstling „Pandemic“ um.

http://www.heyne.de

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