Kastenholz, Markus – Bleichgesicht

Frank Kroll führt im Rheingau das zurückgezogene Leben eines Außenseiters. Er ist ein Albino, lichtempfindlich und nachtaktiv. Mit seiner hellen Haut, den weißen Haaren, der obligatorischen Sonnenbrille und dem zusätzlichen Übergewicht bietet er einen befremdlichen Anblick. Dank finanzieller Unabhängigkeit arbeitet er sporadisch als Graphiker, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg.

Eines Tages trifft er in seiner eigenen Kneipe eine alte Freundin wieder, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Franziska war nicht nur seine Schulkameradin, und sondern auch seine damalige Liebe. Inzwischen ist sie mit dem schwerreichen Georg Fentz verheiratet, der seine Geschäfte über das Privatleben stellt. Doch der Grund für Franziskas Rückkehr an den Ort ihrer Jugend ist trauriger Natur: Ihre Tochter Eva wurde im hiesigen Internat Adlerhorst, das seinerzeit auch Franziska und Kroll besuchten, tot aufgefunden. Die Vierzehnjährige hat sich die Pulsadern aufgeschnitten und stürzte anschließend aus dem Fenster. Die Polizei vermutet Selbstmord oder einen Unfall im Drogenrausch, aber Franziska glaubt an Mord.

Kroll entschließt sich, seiner alten Freundin zu helfen, und verwickelt sich immer tiefer in den Fall und in die Erinnerungen an seine Schulzeit. Einer seiner Anknüpfungspunkte ist ein weiterer ehemaliger Freund, Thorwald Melchior, der als Lehrer im Internat arbeitet und Eva gut kannte. Unterstützung erhält Kroll von seinem Freund Ingo Schuster, dem ermittelnden Kriminalbeamten. Die Motive für Evas Selbstmord bleiben rätselhaft, und schon bald entdeckt Kroll Hinweise darauf, dass sich ein Verbrechen hinter ihrem Tod verbirgt. Eine Spur führt ihn auf den Weg zum Drogendealer Mühlberg, der kurz darauf auf bestialische Weise getötet wird. Es folgen weitere grausame Morde, die die Region erschüttern. Auf der Suche nach den Zusammenhängen verstrickt sich Kroll immer weiter in einen Strudel aus Gewalt, verwirrten Gefühlen und Rache …

Auch wenn dem Leser hier ein bodenständiger Krimi geboten wird – dass der Autor aus dem Phantastik-Bereich kommt, ist nicht zu übersehen. Zwar ist „Bleichgesicht“ frei von übernatürlichen Elementen, aber der Horror schmeckt deutlich durch die Handlung hindurch. Bei den geschilderten Morden wird kaum ein Blatt vor den Mund genommen und empfindliche Leser sollten ihre Magentabletten bereithalten. Die Beschreibungen der Tatorte und der Opfer werden zwar nicht extrem ausufernd, aber doch recht detailliert beschrieben. Nicht nur Kroll und sein Freund Ingo Schuster müssen bei den Anblicken schwer schlucken, auch dem Leser erscheinen vor dem geistigen Auge Bilder, wie man sie aus brutalen Horrorfilmen kennt. Die Themen kreisen um Kindesmissbrauch, Drogenhandel und Mord. Es ist kein sauberer britischer Krimi, in dem die Ermordeten mit Gifttabletten sanft entschlafen wurden, sondern harte Realität, die keine Rücksicht auf Würde oder Schonung nimmt. Und nicht nur die Ereignisse sind hart und kompromisslos, sondern auch die Worte der Charaktere, die auf vornehme Zurückhaltung verzichten. Hier wird beschmipft, geflucht und verteufelt, in Gedanken wie in offener Rede, glücklicherweise ohne dabei allzu vulgär zu werden. Mag man angesichts des deftigen Vokabulars mancher Personen anfangs noch etwas irritiert sein, gewöhnt man sich schnell an die ungeschönten Ausdrucksweisen, die den Dialogen obendrein den nötigen Realismus verleihen.

|Außergewöhnlicher Protagonist|

Gut gelungen ist die Darstellung des Protagonisten. Frank Kroll, der sich am liebsten nur mit dem Nachnamen anreden lässt, ist ein ungewöhnlicher Charakter, und das nicht nur, aber natürlich auch wegen seiner Albinokrankheit. Er lebt menschenscheu, ist Hänseleien und irritierte Blicke gewohnt und besitzt keine Aussicht auf eine erfüllte Partnerschaft. Da ist es kein Wunder, dass das unerwartete Auftauchen seiner alten Liebe Franziska für emotionale Verwirrung sorgt. Auch wenn man in seinem Alltag und seinen Problemen kaum das eigene Leben wiedererkennt, gelingt es doch recht bald, sich mit ihm zu identifizieren und diese eigenwillige Person zu mögen – obwohl oder gerade weil Kroll alles andere als ein Durchschnittsbürger ist. Erzählt wird überwiegend aus seiner personalen Perspektive. Einerseits merkt man, dass es sich bei ihm um einen schwierigen Menschen handelt, andererseits fühlt man mit ihm und interessiert sich zunehmend für sein Schicksal. Besonders deutlich wird das in der Mitte der Handlung, als er zum ersten Mal eine sehr persönliche Episode aus seiner Vergangenheit offenbart, die zwar recht klischeehaft ist, aber dennoch betroffen macht. Im übertragenen Sinne blasser als der Albino Kroll bleiben dagegen die anderen Charaktere, allen voran Franziska Fentz. Während in der ersten Hälfte noch eine gewisse Spannung besteht aufgrund ihrer früheren Verbindung zueinander, geht Franziska im weiteren Verlauf regelrecht unter und wird zur Statistin degradiert. An ihre Stelle tritt eine andere Frau, für die Kroll Empfindungen aufbaut. Anja Ahlers ist die Leibwächterin von Georg Fentz und mit ihrer Durchsetzungskraft und ihrer schlagfertigen Art kein uninteressanter Charakter, aber doch im Vergleich zur Hauptfigur nicht lebendig genug – vor allem angesichts der Rolle, die sie für den Roman spielt.

|Schwarzer Humor und straffe Handlung|

Trotz aller Härte und aller dargebotenen Grausamkeiten der Handlung besitzt der Roman eine ordentliche Portion Humor, die weitestgehend adäquat eingebunden wird. Vor allem Kroll ist es, der fast jedes Ereignis, entweder laut oder in Gedanken, mit einem zynischen Spruch kommentiert, der ein Schmunzeln beim Leser hervorruft, z. B. wenn Anja Skepsis empfindet „als melde sich beim Papst Saddam Hussein mit dem Anliegen zu konvertieren“ und sich Kroll beim Aufwachen fühlt „wie eine Henne in einer Legebatterie aussah“. Allerdings sind nicht alle Vergleiche gleich gut gelungen; störend wird es beispielsweise dann, wenn abgegriffene Formulierungen wie „fiel es ihm wie Schuppen aus den Haaren“ bemüht werden, die schon bei ihrer Erfindung nicht wirklich komisch waren.

Sehr positiv zu vermerken ist die Geradlinigkeit des Romans, die keinerleih Längen oder Abschweifungen zulässt. Die Handlung ist dicht gefasst, die Ereignisse geschehen innerhalb kurzer Zeiträume und der Leser hat keine Mühe, den Ermittlungen zu folgen. Sowohl die Örtlichkeiten als auch die Personen sind überschaubar gehalten, sodass keine Verwirrungsgefahr gegeben ist. Dabei bleibt dennoch Zeit für ruhige Momente, in denen vor allem Kroll in Nachdenklichkeit verfällt und Vergangenes Revue passieren lässt – allerdings stets in angemessener Kürze, sodass der Handlungsbogen die ganze Zeit über straff gespannt bleibt. Bis zum Ende bleibt Spannung erhalten, auch nach der Klärung der Täterfrage, da nicht nur die Verbrechen, sondern auch zwischenmenschliche Fragen geklärt werden wollen. Das Ende bietet einen perfekten Abschluss, der im passenden Maß Raum zum Reflektieren und Weiterdenken lässt und dabei zugleich den Leser zufrieden stellt. Schade ist jedoch, dass das eigentliche Motiv und seine Hintergründe sehr spät und wie aus heiterem Himmel eingeführt werden. Die Lösung wirkt eher aufgesetzt und hätte diverse subtile, frühere Andeutungen verdient, um beim Leser besser akzeptiert zu werden.

|Flüssiger, aber eigenwilliger Stil|

Das Schriftbild und der Stil überraschen hin und wieder durch Eigenwilligkeit. So fehlt grundsätzlich das Leerzeichen vor den Auslassungspunkten, was eine Eigenheit des Verlags zu sein scheint. Der Stil ist sicher, überzeugt durch kurze, übersichtliche Sätze ohne Verschachtelungen; allerdings stört der bisweilen exzessive Gebrauch von Ausrufezeichen. Auffallend ist zudem, dass scheinbar um jeden Preis das Wort „sagte“ vermieden wurde; stattdessen finden sich immer abenteuerlichere Umschreibungen, die teilweise nichts mit Reden zu tun haben. An manchen Stellen enden wörtliche Reden demzufolge mit „sah er betrübt auf die Tischplatte“ oder „machte er“, woran man sich zwar mit der Zeit gewöhnt, was sich aber eher unbeholfen liest. Ein weiteres Merkmals des Autors ist die ebenfalls übertrieben anmutende Vermeidung von mit „dass“ eingeleiteten Nebensätzen. Stattdessen herrscht ein parataktisch dominierter Stil vor, in dem Nebensätze umgangen und durch aneinandergereihte Hauptsätze ersetzt werden. Davon abgesehen liest sich der Roman flüssig, vor allem die zweite Hälfte läd dazu ein, in einem Rutsch verschlungen zu werden.

_Als Fazit_ bleibt ein solider Kriminalroman mit starken Horroreinflüssen, der vor allem Lesern, die nicht vor plastischen Schilderungen und brutalen Geschehnissen zurückschrecken, gefallen dürfte.

_Der Autor_ Markus Kastenholz, Jahrgang 1966, ist (gemeinsam mit Timo Kümmel) Herausgeber des phantastischen Magazins NOCTURNO und der EDITION NOCTURNO im Virpriv-Verlag. Er veröffentlichte mehrere Beiträge in Anthologien sowie diverse Einzeltitel, darunter die Serie „Tiamat – Im Auge des Drachen“ und die Horror-Anthologie „Dämonium“.

http://www.betzelverlag.de/

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