Meyer, Kai – Herrin der Lüge

_Story:_

Gemeinsam mit ihrem Bruder Faun und ihrem strengen Vater reist die junge Saga von Stadt zu Stadt, um mit ihrem Gauklerzirkus ihren Lebensunterhalt einzustreichen. Auf der Burg Lerch hat die Reise jedoch ein jähes Ende: Faun wird für eine Gaunerei eingekerkert, seine Schwester ebenfalls für schuldig erklärt. Doch die Herrscherin Violante erfährt alsbald von Sagas besonderer Fähigkeiten, die Menschen mit ihren Lügen zu vereinnahmen. Der ihr eigene Lügengeist soll dazu dienen, neue Mitstreiter zu manipulieren und ein Heer von Jungfrauen anzuwerben, mit denen Violante schnellstmöglich ins Heilige Land einmarschieren will, um ihren schmerzlich vermissten Gatten zu suchen. Saga soll die neue ‚Magadalena‘ werden, eine ganze Armee anführen und schließlich als Machtwerkzeug der Gräfin zur Geheimwaffe werden.
Ohne jegliche Alternative lässt sich das junge Mädchen auf den Pakt ein und führt tatsächlich in wenigen Tagen eine kleine Streitmacht zusammen, die gemeinsam mit ihr und Violante nach Jerusalem ziehen soll. Allerorts schließen sich neue Frauen dem Lügenmarsch an, lassen sich verführen und von der vermeintlich edlen Motivation beeindrucken. Doch die Reise ist beschwerlich und fordert nicht nur Durchhaltevermögen, sondern auch das Geschick in der Schlacht. Eine Menge Blut muss fließen, bis das feminine Heer im Land der Kreuzzüge Station machen kann, nur um dort eine furchtbare Wahrheit anzuerkennen …

Derweil hat sich Faun aus dem Kerker der Burg befreien und die Verfolgung aufnehmen können. Unterwegs trifft er die geheimnisvolle Tiessa, mit der er die Reise, immer dicht auf den Fersen seiner Zwillingsschwester, fortsetzt. Lediglich der Wunsch und der unbändige Wille, Saga aus den Klauen ihrer neuen Vorgesetzten zu befreien und weiteres Unheil abzuwenden, treibt ihn weiter an. Doch auch er muss feststellen, dass eine Menge Opfer gebracht werden müssen, um dem Pfad der Jungfrauen weiter folgen zu können – und dass Saga inzwischen nicht mehr die Person ist, die seinerzeit mit ihm von Burg zu Burg gewandert ist …

_Persönlicher Eindruck:_

Dass Kai Meyer zu den wohl bedeutsamsten Autoren auf dem hiesigen Markt zu zählen ist, bedarf sicher keiner expliziten Erwähnung mehr. Seine Romane, die immerzu von einer Kombination aus düsteren Fantasy-Elementen, historischer Grausamkeit und einer immensen Abenteuerlust gezeichnet sind, finden regelmäßig ihre Position in den Bestseller-Listen und sind längst mehr als Geheimtipps für geschichtlich interessierte Buchliebhaber.

„Herrin der Lüge“ reiht sich nun perfekt in die Anthologie des Schreibers ein und gehört zu den ambitioniertesten, aber auch heftigsten Werken, die seiner Feder bis dato entsprungen sind. Die Geschichte ist fiktiv, wenn auch in einem realen Setting platziert, bewahrt sich aber diese typische Härte und diese dichte Atmosphäre, für die sein Werk in all den Jahren immerzu gerühmt wurde. Und dennoch: Irgendwie ist das 800 Seiten starke Mammut-Stück im Katalog eines Kai Meyer immer noch etwas Besonderes.

Wirklich hervorzuhaben sind hier zu aller erst die feinen Charakterzeichnungen, die sich in „Herrin der Lüge“ auch über die offenkundigen Protagonisten hinweg bewegen. Natürlich sind es Faun und besonders Saga, dazu die tyrannische Violante und die schüchterne, undurchdringliche Tiessa, die mit viel Liebe zum Detail ihr Profil gemalt bekommen. Aber überdies gibt sich Meyer auch unheimlich viel Mühe, all die Weggefährten, Randfiguren und Streckenpartner in Szene zu setzen, die allesamt eine mehr oder weniger elementare Rolle in der Geschichte einnehmen. Der Autor erzielt durch diese personenverliebte Darstellung schnell individuelle Sympathiewerte, selbst bei denjenigen Charakteren, deren Motive eher anrüchig oder gar egoistisch und abstoßend sind, schlichtweg, weil man sich schnell in deren eingängige Positionen hineinversetzen kann. Selbst Violante, zu der man aufgrund ihrer selbstverliebten Züge und ihrer kompromisslosen Vorgehensweisen schnell eine Abneigung entwickeln sollte, findet eine gewisse Identifikation, da ihr handeln jederzeit nachvollziehbar bleibt und zwischenzeitlich auch menschliche Züge ausgegraben werden, die man bei einer offensichtlich bösen Persönlichkeit nicht dringend vermutet.

Ähnlich umfangreich gestaltet Meyer daher auch die Schauplätze und die teilweise sehr kontrastreichen Szenarien. Obschon Saga und Faun mit ihrer jeweiligen Anhängerschaft die gleichen Orte bereisen und identische Stationen antreffen, weicht die Beschreibung und Präsentation der einzelnen Stätten dank einer völlig anderen Schwerpunktgestaltung doch immens voneinander ab. Der Autor gibt einem nie das Gefühl, zwei gleiche Begebenheiten ein zweites Mal zu erleben, wenngleich dies rein logistisch betrachtet permanent auf der Hand liegt. Doch mit viel Fantasie, der Gabe, jedes kleinste Detail sehr markant und einprägsam zu gestalten, und schließlich dem Umstand, sehr ausschweifend zu werden, ohne den Kern aus den Augen zu verlieren, entwickeln sich selbst die kleinen Dinge in „Herrin der Lüge“ zu einem atemberaubenden Erlebnis, welches auch abseits des inhaltlichen Themenschwerpunkts viele Highlights postiert. Was dies betrifft, ist Kai Meyer erwartungsgemäß wieder sehr souverän und gerade zum Schluss unantastbar.

Bleibt noch der enorme Umfang des Buches, der auch im Hinblick auf das nicht wirklich komplexe Storyboard, viele Tücken in sich birgt, über die der Autor aber niemals stolpert. Vermeintliche Längen werden durch rasante Wechsel und spektakuläre Wendungen umschifft, zunächst weniger bedeutsam anmutende Entwicklungen behalten ihre Spannung dank der angesprochenen Detailverliebtheit, die bereits zu Beginn sehr komplett erscheinenden Charaktere liefern dennoch immer wieder Raum für Wachstum, und da die Geschichte bis zur letzten Seite auch nicht durchschaubar ist, sind die Aufregung und das Abenteuer in jedem kleinen Fetzen des Buches garantiert. Damit ist Meyer mal wieder das gelungen, woran ein mittlerweile recht hoher Teil der historisch motivierten Schreiber scheitert: Die Vergangenheit lebendig zu machen, die Phantastik real erscheinen zu lassen und darüber hinaus Figuren zu erschaffen, die auch nachhaltig in Erinnerung bleiben. Ob „Herrin der Lüge“ daher Meyers bestes Werk ist, mag man angesichts seines hochwertigen Katalogs nun nicht behaupten. Fakt ist jedoch, dass der deutsche Autor wiederholt eine Geschichte kreiert hat, die zur saisonalen Spitze gehört, aber auch darüber hinaus als zeitloses Werk Gewicht haben wird. Stark! Einfach nur sehr stark!

|Broschiert: 848 Seiten
ISBN-13: 978-3404158911|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

|Die Sieben Siegel|:
01 [„Die Rückkehr des Hexenmeisters“ 6209
02 [„Der schwarze Storch“ 6210
03 [„Die Katakomben des Damiano“ 6211
04 [„Der Dornenmann“ 6212
05 [„Schattenengel“ 6213
06 [„Die Nacht der lebenden Scheuchen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6580
07 [„Dämonen der Tiefe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6581
08 [„Teuflisches Halloween“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6582
09 [„Tor zwischen den Welten“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=6583

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