_Millers dunkler Traum_
|Frank Miller gilt als Garant für knallharte Action. Daredevil bricht dem Kingpin die Nase, Batman prügelt den Joker durch ein Schaufenster – immer geht es handfest zur Sache. Die Werke aus der Feder des amerikanischen Autoren und Zeichners haben inzwischen Comic-Geschichte geschrieben. Nicht wegen ihrer Brutalität, sondern wegen ihrer Kohärenz und Tiefe. Jetzt legt Cross Cult nach und präsentiert Frank Millers Klassiker Sin City neu, in einer Luxus-Edition.|
Eigentlich ist Dwight McCarthy gerade dabei, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Er hat ein kleines Appartement, arbeitet als Privatdetektiv und ist seit geraumer Zeit trocken. Seine Vermieterin weiß, dass er Probleme mit Alkohol hatte und hofft für ihn das Beste. Dwights Chef Agamemnon kann mehr dazu sagen. Zwei Dinge haben Dwight immer die sichere Bahn verlassen und durchdrehen lassen: Alkohol und Frauen. Und im Augenblick sieht es so aus, als hätte er sein Leben einmal wieder gegen die Wand gefahren. Besoffen war er dabei nicht.
Der Grund für sein Unglück hat die Traummaße 90-60-90 und heißt Ava. Ihr Körper wirkt wie ein Vorgeschmack auf das Paradies und verwandelt Männer in winselnde Hündchen. Obwohl Dwight ihretwegen schwere Zeiten durchgemacht und sich gerade wieder gefangen hat, kommt er nicht von ihr los. Als eines Abends das Telefon läutet und Ava am Apparat ist, klingt ihre Stimme aufgewühlt, hilflos und verzweifelt. Der Grund ihres Anrufs lässt das Blut des Privatdetektivs aufwallen. Avas Mann, ein reicher Snob aus der Nachbarschaft, foltere und martere sie. Die Ehe mit ihm sei die Hölle, Ava fürchtet um ihr Leben. Noch wehrt sich Dwight und versucht, der einfühlsamen Schönheit nicht auf den Leim zu gehen. Nach einer exzessiven Liebesnacht ist es jedoch um seinen Verstand geschehen. Er muss Ava helfen und sie vor ihrem Ehemann beschützen – koste es, was es wolle.
Der Leser ahnt, dass die Sache nicht ganz koscher ist. Aber tragische Geschichten nehmen ihren Lauf, ob das Publikum nun will oder nicht. Vielleicht entwickelt man deswegen von Anfang an Mitleid mit Dwight McCarthy, der eigentlich nichts weiter als ein einfacher Kerl mit einem großen Herzen ist. Bald muss er erkennen, dass sich hinter Avas hilfesuchender Miene finstere Absichten verbergen. Doch da ist es bereits zu spät. Dwight liegt am Boden, blutet wie ein Schwein und ist sich sicher, dass sein letztes Stündlein geschlagen hat …
Frank Millers Geschichte über den liebeskranken Dwight McCarthy und die Femme fatal Ava ist schlicht und gradlinig. Eigentlich handelt es sich um eine gewöhnliche hard-boiled Kriminalgeschichte, ohne große Schnörkel oder Rafinessen. Die Handlung rückt nach mehreren Seiten in den Hintergründ, und der Leser beginnt zu ahnen, dass stattdessen für etwas anderes Platz gemacht wird. Ein Trip durch die dunkle Hölle von Sin City.
Millers schneller, harter, punktgenauer Erzählstil verwebt sich mit den klaren Linien seiner Zeichenkunst. Rasant wechselnde Perspektiven in Schwarzweiß und dynamische, fließende Bilderfolgen leisten genau das, wozu Comics in der Lage sind: zu überzeichnen und zu stilisieren, um das Wesentliche herauszuarbeiten. Heraus kommt ein Werk, das genau auf der Grenze zwischen Comic und Graphic Novel liegt. Millers Geschichte heizt das Adrenalin an und ist spannend bis zur letzten Seite. „Eine Braut, für die man mordet“ ist absehbar, gradlinig und arbeitet mit Stereotypen. Dennoch zieht die Geschichte den Leser in ihren Bann. Man driftet von Detail zu Detail und versinkt in Millers dunklem Traum. Kohärenz und Tiefe beweisen sich auch hier als das Markenzeichen der amerikanischen Comic-Legende.
Zu guter Letzt sei den Herausgebern der deutschen Luxus-Edition von Sin City gedankt. Die Reihe besticht durch eine hohe Qualität. Darüber hinaus wurde die Gelegenheit wahrgenommen, Hintergrundmaterial zu Frank Miller und seiner Stadt der Sünde zu veröffentlichen. Im Anschluss an „Eine Braut, für die man mordet“ findet der Leser ein Interview zur Serie, das Miller im März 1993 gab. So sollten Comics sein. Da kann man nur viel Spaß beim Lesen wünschen.
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