Robert M. Edsel/Bret Witter – Monuments Men. Die Jagd nach Hitlers Raubkunst

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„Früher schien mir die Sache doch verhältnismäßig einfacher zu sein. Da nannte man das plündern. Das stand dem Betreffenden zu, das wegzunehmen, was man eroberte. Nun, die Formen sind humaner geworden. Ich gedenke trotzdem zu plündern, und zwar ausgiebig.“

So sprach Reichsmarschall Hermann Göring am 6. August 1942 vor der Reichskommission für die besetzten Gebiete Klartext und gab damit zu, was längst Usus war: Nazi-Deutschland stand der Sinn nicht nur nach „Lebensraum im Osten“. Die per Blitzkrieg überrollten Länder wurden außerdem und buchstäblich ausgeraubt. Wie einst die Herrscher der Antike rissen Hitlers Paladine unter Ausnutzung und Missbrauch ihrer Privilegien an sich, was ihr Gefallen erregte. Eigentumsverhältnisse blieben dabei höchstens lästige Nebensache. Das Recht des Stärkeren regierte. Lächerliche ‚Kaufsummen‘ sollten den nackten Raub kaschieren.

Güterwaggonweise wurde das Plündergut heim ins Reich gekarrt. In Görings Räuberhöhle „Carinhall“ hingen die Bilder schon übereinander an den Wänden. Der „Führer“ ging mit schlechtem Beispiel voran. Er plante ein gigantomanisches Museum, das nach dem – natürlich für Nazi-Deutschland siegreichen – Ende des Krieges in Linz seine Pforten öffnen sollte.

Binnen weniger Jahre war die Plünderung mit deutscher Gründlichkeit organisiert. Ein weit verzweigtes und fein verästeltes Netz rankte wie giftiger Efeu um die Kunstzentren des Kontinents. Die Räuber rafften nicht einfach an sich. Sie schickten bald Sachverständige, die vor Ort nach den Wunschlisten ihrer Auftraggeber sortierten. Die Räder von Eisenbahnen und Lastwagen rollten keineswegs ausschließlich für den Sieg – die Fracht bestand aus Kunstschätzen aller Art und jeglicher Größe. Ein besonders düsteres Kapitel stellte die Beraubung der europäischen Juden dar, denen erst der Besitz abgepresst und schließlich das Leben genommen wurde.

Das Blatt wendet sich

Die nazideutsche Niederlage in der Schlacht um Stalingrad leitete Anfang 1943 den Untergang des „Dritten Reiches“ ein. Mit der Invasion in der Normandie verlagerte sich im Sommer 1944 der Krieg nach Europa. Die Alliierten rückten im Westen und Süden vor, im Osten sammelten sich die Sowjets. Das Reich stand mit dem Rücken zur Wand, der Rückmarsch löste den Vorstoß ab.

Geplündert wurde nach wie vor. Tatsächlich gingen die Räuber jetzt rücksichtsloser vor: Sie wussten, dass sich die Nazi-Herrschaft dem Ende zuneigte, und gedachten, bis dahin so viel Wertvolles wie möglich aus den bald nicht mehr besetzten Gebieten herauszuholen. In Deutschland begann parallel dazu das große Verstecken: Nicht nur das Raubgut, auch die eigenen Kunstschätze wurden ausgelagert. In aufgelassenen Bergwerksstollen, geheimen Depots und Lagerhäusern oder tiefen Kellern türmten sich Milliardenwerte. Man hoffte, sie so den Siegern – denen man die eigenen niederen Triebe unterstellte – vorenthalten zu können.

Stattdessen schlug die Stunde der „Monuments Men“. Seit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 hatten sich Kunsthistoriker, Architekten, Gelehrte, Museumskuratoren und andere Sachverständige Gedanken über Europas Kunstschätze gemacht. Dies betraf nicht nur das Raubgut, sondern auch das Schicksal historisch bedeutender Schlösser oder Kirchen, die zwar aufgrund ihrer Größe nicht gestohlen aber zerstört werden konnten. Die Expertengruppe stellte eine vorläufige Liste entsprechender Objekte zusammen und legte Verhaltensmaßregeln für den Umgang mit entdeckten Kunstwerken fest.

Das Militär war nicht begeistert von dem Plan, waffenlose, für den Kampf nicht ausgebildete Akademiker in seine Reihen aufzunehmen oder sich gar von diesen Vorschriften machen zu lassen. Wenn sich Nazis in einer alten Kirche verschanzten, wurde diese traditionell mit Granaten dem Erdboden gleichgemacht. Das sollte nun anders werden?

Hartnäckigkeit zahlt sich aus

Doch die Kunstfreunde ließen nicht locker. Sie fanden Befürworter in hohen Regierungsposten und das Ohr des Präsidenten. Schließlich wurde die Sektion „Monuments, Fine Arts and Archive“ (MFAA) 1943 gegründet. Aller Anfang war mühsam, und einfacher wurde die Arbeit nie. Zunächst kam ein knappes Dutzend „Monuments Men“ mit den alliierten Truppen über den Englischen Kanal. Ihre Arbeitsplatzbeschreibung formulierten die Kunstexperten vor Ort selbst. Das Militär ignorierte sie tunlichst und unterstützte sie kaum. Die „Monuments Men“ mussten Improvisationstalent an den Tag legen und organisieren, was sie benötigten.

Bis Kriegsende (Mai 1945) waren ca. 60 „Monuments Men“ aktiv. Ihr Einsatzgebiet erfasste nun ganz Europa. Bis 1951 stieg der Personalbestand der MFAA auf 350 Männer und Frauen, doch in den sechs Kriegsjahren widmete sich nur eine Handvoll Menschen einer Sisyphusarbeit, die sie manchmal sogar das Leben kostete.

Meist waren es Amerikaner und Briten, die für die MFAA tätig waren. In den ehemals besetzten Gebieten wurden sie von einheimischen Spezialisten oder Kunstfreunden unterstützt. Das schloss Deutschland ausdrücklich ein. Dort sprangen viele „Volksgenossen“ über ihren brauen Schatten, als die Grenzen fielen. Zudem gab es unbescholtene Fachleute und Bürger, die ungeachtet der eigenen Not den „Monuments Men“ halfen, Europas Kunstschätze zu bewahren.

Die überschaubare Schar der „Monuments Men“ ermöglichte dem Historiker Robert M. Edsel eine individualisierte Art der Darstellung. Vor allem für die Frühzeit der MFAA konnte er den Viten jedes einzelnen Mannes nachforschen. Für die Zeit nach 1944 musste sich Edsel aufgrund der Fülle der Informationen einschränken. Er konzentrierte sich auf die MFAA-Aktivitäten im nordwestlichen Europa (Frankreich, Niederlande, Deutschland, Österreich), während die Arbeit der „Monuments Man“ in Italien außen vor bzw. einem weiteren Buch vorbehalten bleiben musste. (Es erschien 2013 unter dem Titel „Saving Italy: The Race to Rescue a Nation’s Treasures from the Nazis“.)

Kontinent der Abenteuer

Edsel schrieb sein Buch gewissermaßen im letzten Augenblick. Nur noch wenige „Monuments Men“ lebten noch, als er 65 Jahre nach Kriegsende mit seinen Recherchen begann. Zwar hatten viele Mitarbeiter der MFAA ausführliche Berichte geschrieben sowie Tagebücher geführt und Briefe nach Hause geschickt. Dennoch halfen die Aussagen unmittelbarer Zeitzeugen dem Verfasser, den permanenten Ausnahmezustand zu begreifen, in dem diese Männer lebten und arbeiteten.

Eine kleine aber entschlossene Gruppe gegen eine große, gut organisierte und rücksichtslose Gaunerbande: Die Geschichte der „Monuments Men“ ist eine reale Kriminalgeschichte. Als solche spitzt Edsel sie mit dramaturgischen Hilfsmitteln zu. Er entwirft Handlungs- und Spannungsbögen, springt kapitelweise von Schauplatz zu Schauplatz, arbeitet mit „Cliffhangern“ und setzt Dialoge als Stilmittel ein. Auf diese Weise will er über das belegbare Geschehen hinausgehen, um „den Persönlichkeiten und Sichtweisen der betroffenen Menschen gerecht zu werden und zu zeigen, wie sie selbst die Ereignisse jeweils wahrgenommen haben“ (S. 16).

Dieses Vorgehen lässt sich kritisieren. Störender ist allerdings Edsels Tendenz, die „Monuments Man“ gleichsam zu verherrlichen. Sie reiben sich für die edle Sache auf, verlassen Heimat und Familie, hungern, frieren, werden beschossen, bekommen keinen Schlaf, müssen mit widerlichen Nazis verhandeln und wagen sich in rauchende Ruinen, um ein altes Ölbild zu retten. Dennoch nehmen sie sich die Zeit, rührende Briefe an ihre Angehörigen zu schreiben, die bereits für eine spätere Verwendung in den Geschichtsbüchern tauglich sind. Man kann Edsels Bewunderung angesichts der außergewöhnlichen Leistungen dieser „Monuments Men“ verstehen. Dennoch dürften sie keine Heiligen gewesen sein.

Weiterhin neigt Edsel dazu, mit den Tatsachen zu ‚arbeiten‘. Er verdreht sie nicht, aber er gestaltet sie um der Spannung willen. So zieht sich die Jagd nach der Brügger Madonna von Michelangelo als roter Faden durch das Buch, während diese Skulptur tatsächlich nur eines von unzähligen, ähnlich prominenten Raubgütern war: Edsel will der Geschichte ‚Gesichter‘ geben, wobei er die Objektivität nicht immer wahren kann. Sehr deutlich zeigt dies auch die ‚Beziehung‘ zwischen MFAA-Lieutenant James Rorimer und der französischen Kunsthistorikerin und Widerstandskämpferin Rose Valland, der Edsel eine hollywoodgerechte Richtung gibt.

Möglicherweise hat ihn der Stoff in seiner Fülle einfach überwältigt. Obwohl Edsel den Fokus auf Nordwesteuropa eingegrenzt hat, wird er der recherchierten Fakten offenbar nicht Herr. Immer wieder verliert er sich dort in Details, wo er eine klare Linie wahren sollte. Die Sprunghaftigkeit der Darstellung macht es ohnedies schwierig, das Thema in seiner Komplexität zu verstehen. Dass Edsel dies durch zahlreiche Wiederholungen ausgleichen möchte, wirkt für den Lese- und Verständnisfluss zusätzlich kontraproduktiv.

Da steckt doch ein Film drin!

Diese kritischen Einwände ändern nichts daran, dass Edsel eine jener Geschichten erzählt, die nur das Leben selbst schreiben kann. Dass er sich formal am Kriminalroman orientiert, um diese Geschichte einem möglichst zahlenstarken Publikum nahezubringen, ist verständlich.

Ihm gelang es sogar, einen kapitalen Hecht an Land zu ziehen: Hollywood-Schauspieler George Clooney, der auch als Regisseur erfolgreich ist und sich als solcher gern mit historischen Themen beschäftigt, hat Edsels Buch 2013 in Deutschland – im Studio Babelsberg, Potsdam – als „Monuments Men – Ungewöhnliche Helden“ verfilmt und dabei neben Matt Damon, Bill Murray und John Goodman selbst eine der Hauptrollen übernommen.

Zumindest in Deutschland dürfte dem Filmstart nützlich sein, dass im Frühjahr 2012 im Münchener Stadtteil Schwabing ca. 1300 Kunstwerke entdeckt wurden, die der Aufmerksamkeit der „Monuments Men“ einst entgangen waren. Bei knapp der Hälfte dieser Werke soll es sich um NS-Raubgut handeln, was unterstreicht, dass dieses Thema mehr als sieben Jahrzehnte seit Kriegsende keineswegs ad acta gelegt werden kann.

Nur fast ein gutes Buch

Deshalb ist es schade, dass „Monuments Men“ nicht das Buch ist, das es hätte werden können. Robert Edsel ist einer jener begüterten Laien, die sich für die Wissenschaft begeistern und ihr auch ohne Studium und Titel viel Gutes tun. So gründete er 2007 die „Monuments Men Foundation for the Preservation of Art“.

Andererseits lässt er sich nicht in seine Arbeit hineinreden. Zwar wurde er als Verfasser unterstützt von Sachbuchautor Bret Witter, der sich jedoch nicht energisch genug einbringen konnte. Auch sonst lässt Edsel offenbar niemand neben sich stehen: Er ist keineswegs auf die Geschichte der „Monuments Men“ gestoßen oder hat sie als erster damit beschäftigt. Seine Vorgänger nennt er freilich nicht.

Das Nachsehen hat der Leser, der sich fragt, inwieweit er Edsels Schilderung Vertrauen schenken darf. Vielleicht fährt man am besten, wenn man den Krimi-Charakter im Hinterkopf behält und den Fakten mit einer gewissen Vorsicht begegnet.

Website zum Buch
Website zur Stiftung

Taschenbuch: 541 Seiten
Originaltitel: Monuments Men. Allied Heroes, Nazi Thieves, and the Greatest Treasure Hunt in History (New York : Center Street 2009)
Übersetzung: Hans Freundl
www.heyne-verlag.de

Gebunden: 541 Seiten
ISBN-13: 978-3-7017-3304-0
www.residenzverlag.at

eBook: 1528 KB
ISBN-13: 978-3-7017-4333-9
www.residenzverlag.at

Hörbuch-Download: 17 h 1 min. (ungekürzt), gelesen von Detlef Bierstedt
ISBN-13: 978-3-8445-1224-3
www.randomhouse.de/hoerverlag

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