Molist, Jorge – Hüter des Tempels

Verschiedene Glaubensrichtungen, unsere Vorstellungen von Gott und seinen Gesetzen werden seit Menschengedenken nicht unbedingt friedlich interpretiert. Leider ist es so, dass Religion immer schon ein Mittel war, um Macht über die Bevölkerung auszuüben, sei es des Geldes wegen oder um den politischen Einfluss in der Region zu auszubauen. Das Negative der Religionen geht immer mit ihren positiven Auswirkungen einher, und da Menschen immer nach Macht und Einfluss streben, sind die unzähligen modernen Kommunikationsmöglichkeiten geradezu der beste Kanal, um auch die entferntesten (Un-)Gläubigen zu beeinflussen.

Nichtchristliche Sekten und auch christliche Splittergruppen werden oft skeptisch beobachtet, nicht nur von uns selbst, sondern auch von Politikern und kontrollierten staatlichen Institutionen immer genauer unter die Lupe genommen. In den Grundgesetzen ist zwar eine freie Ausübung der Religion, des Glaubens verankert, aber auch solche Glaubensgemeinschaften unterstehen rechtlich den Gesetzen des Landes, und das nicht ohne Grund.

Im Namen des Glaubens wurden und werden Kriege geführt, Menschen gezielt beeinflusst, verfolgt und getötet; dass alles geschieht dann im Namen eines Gottes. Vor Jahrhunderten waren es die Kreuzzüge, später dann Religionskriege zwischen Protestanten und Katholiken und jetzt werden erneut Kriege und Konflikte zwischen Christen und Moslems geschürt. Gerade die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften und Gruppen bilden eine gefährliche Basis für leicht beeinflussbare Menschen, die sich schnell als Fisch zwischen den Maschen des Netzes wiederfinden können, das ein Menschenfischer ausgeworfen hat.

Der Thriller „Die Hüter des Tempels“ von Jorge Molist greift eine solche Konfrontation verschiedener Glaubensrichtungen auf und öffnet dadurch eine Parallele, die, obschon Fiktion, bald Wirklichkeit werden könnte.

_Die Geschichte_

In dem wichtigsten und mächtigsten Medienkonzern der USA laufen alle Kommunikationskanäle zentral zusammen und bilden ein nicht zu unterschätzendes Macthpotenzial aus, um Menschen zu informieren und zu beeinflussen – auf die eine oder andere Art und Weise. Auf diesen Medienkonzern wird ein Bombenanschlag verübt, bei dem eine der höchsten Führungspersonen des Unternehmens getötet wird. Dieser wurde schon als Nachfolger des alternden Konzernchefs gehandelt, war zudem sein bester Freund und hinterlässt nicht nur als Angestellter ein Vakuum in der Führungsetage.

Doch bald steht fest, dass der Anschlag gezielt und erst der Anfang einer großangelegten Unterwanderungsaktion einer Sekte gewesen ist, die sich die „Hüter des Tempels“ nennen. Dem FBI, das die Ermittlungen aufnimmt, ist diese Sekte scheinbar unbekannt, und zudem steht die Behörde auch unter den Druck des Konzernchefs, der Rache für seinen getöteten Freund erstrebt. Laut dem FBI möchte diese Sekte den Medienkonzern unterwandern und darüber ihre eigenen sehr religiösen und radikalen Ansichten verbreiten, um noch mehr Macht und Einfluss zu gewinnen. Doch es gibt noch eine weitere Interessengemeinschaft, eine andere sehr alte Glaubensgemeinschaft, die versucht, den Konzern zu beeinflussen und führende Positionen zu erlangen, um die „Hüter“ an ihren Plänen zu hindern – die Katharer.

Das alles interessiert den erfolgreichen Jaime Bernguer in seiner führender Position innerhalb der Rechnungsprüfung überhaupt nicht. Sein Leben erscheint ihm nach der Trennung von seiner Frau ohne wirklichen Sinn oder ein Ziel, das er erreichen könnte. Bei einem Mittagessen lernt er scheinbar zufällig die attraktive Konzernanwältin Karen Jansen kennen und verliebt sich in sie, allerdings ohne zu ahnen, dass die Gründe ihrer Zuneigung viel tiefer und weiter reichen als eine gegenseitige Sympathie, aus der eine Partnerschaft entstehen könnte.

Karen ist eine Katharerin. Am Anfang ihrer Beziehung scheint sie ihn nur benutzt zu haben und fügt sich nicht unbedingt in die Vorstellungen einer Liebe, wie sie Jaime empfindet. Jaime, ohnehin auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens, lässt sich aus Liebe zu ihr beeinflussen und willigt ein, sich an einem Ritual der Katharer zu beteiligen, welches ihm ermöglicht, unter Hypnose den Schritt in ein früheres Leben zu gehen. Laut dem katharischen Glauben ist die Reinkarnation der Seele ein notwendiger Prozess, um sich immer weiter zu entwickeln, um später ein spiritueller, vollkommener Teil Gottes zu werden. Ihren Körper betrachten diese als Gefäß, das der Teufel geschaffen hat, um die Seele binden und daran zu hindern, Vollkommenheit zu erlangen.

Jaime hat in der Hypnose wirklich ein entsprechendes Erlebnis. Im 12. Jahrhundert war er Pedro I., der König von Aragon, und verliebt in die Katharerin Corba, in der die frühere Verkörperung von Karen erkennt. Immer schneller wird Jaime in die Machenschaften der sich bekämpfenden „Hüter des Tempels“ und der Katharer verwickelt, und bald stellt er fest, dass eine Aufgabe aus seinem früheren Leben auf ihn wartet, der er sich nicht mehr zu entziehen vermag.

Als eine Mitarbeiterin des Konzerns auf einer Geschäftsreise brutal gefoltert und ermordet wird, die ebenfalls eine Anhängerin der Katharer war, wird Jaimes Rolle immer gewichtiger. Er muss den Konzernchef davon überzeugen, dass die Firma in Gefahr ist, überlaufen zu werden, und sammelt zusammen mit Karen Beweise, um dafür zu sorgen, dass die Hüter des Tempels aus den Führungsetagen entfernt werden.

Die Situation spitzt sich für beide Lager zu und die Hüter, die ihre Pläne in Gefahr sehen, entschließen sich zu einem brutalen Schritt. Ein Angriff auf den Chef des Medienkonzerns mitsamt seinen Getreuen soll ausgeführt werden; die Morde, die Schuld soll den Katharern zugeschoben werden. Jaime muss sich schnell entscheiden und seinerseits seine auch aus seinem letzten Leben stammenden Getreuen um sich scharren, um zu beenden, was vor Jahrhunderten begann …

_Kritik_

Ich gebe zu, die Handlung klingt an den Haaren herbeigezogen und unglaubwürdig, aber der Roman hat durchaus seine angenehmen Passagen und bietet dem Leser einen ersten Einblick in das Gedankengut katharischen Glaubens.

Jorge Molist schreibt ein wenig unstrukturiert; besonders die Rückblenden von Jaime erschweren es, der Handlung zu folgen, und weisen erzählerische Längen auf, die man sich manches Mal hätte ersparen können. Für die Handlung selbst im Grunde erlässlich, möchte man doch die Zusammenhänge der hier auftauchenden Protagonisten verstehen und verliert dabei die übergeordnete Handlung aus den Augen; zum anderen tauchen hier Fragen auf, die auch am Ende des Romans nicht beantwortet werden können.

Jaimes Charakter wird dabei noch am besten vom Autor interpretiert und hinterfragt. Leider bleibt hier das Zusammenspiel mit den anderen Figuren ein wenig auf der Strecke. Durch viele Wirrungen und Überraschungen in den Handlungen und der Positionen der Charaktere liest sich der Roman durchaus recht spannend und unterhaltsam. Allerdings empfinde ich viele Handlungsweisen der Hauptpersonen einfach unglaubwürdig und naiv. Liebe macht bekanntlich blind, aber dass sie den Bezug zur Realität völlig vernebelt, möchte man dem Autor nicht zwingend abkaufen.

Die Grundzüge der Religion des katharischen Glaubens spiegelt Jorge Molist recht gut wider. Auch wenn es sich nur um ein Grundgerüst handeln mag, wird hier die Definition von Freiheit und Achtung gegenüber Mitmenschen allzu glaubhaft geschildert, fast schon werbewirksam. Die Botschaft der Katharer und die Unterschiede zum katholischen oder allgemein christlichen Glauben werden vom Autor zwar in der Handlung beschrieben, aber nicht in ihrem Innersten erklärt. Ebenso bleibt der Ursprung und Hintergrund des katharischen Glaubens schlichtweg unerwähnt. Sicherlich haben solche Erklärungen und Interpretationen in einem Thriller nicht viel zu suchen und deshalb kann man hier auch nur bedingt kritisieren, aber wenn schon ein derart wichtiges Kapitel der Religionsgeschichte aufgegriffen wird, erwartet man schon etwas mehr Substanz. Jorge Molist nimmt sich selbst viele historische Freiheiten heraus und legt viel mehr Wert auf eine spannende, aber seichte Unterhaltung im Thriller-Genre.

_Fazit_

„Die Hüter des Tempels“ von Jorge Molist ist im Grunde ein spannender Thriller, der besonders im letzten Teil fesselt. Alleine die Überraschungen im Handeln der Personen lassen den Leser zügig durch die Seiten blättern. Der Roman weiß zu unterhalten, ohne aber nennenswert das Nachdenken anzuregen. Im Genre Thriller ist „Die Hüter des Tempels“ bestens aufgehoben. Historisch überzeugt er dagegen überhaupt nicht, weder in den Rückblenden noch in den Botschaften des katharischen Glaubens.

Der Roman ist, fassen wir es unter dem Strich zusammen, empfehlenswert für Leser, die sich gerne mit Verschwörungstheorien unterlegt mit Actioneinlagen unterhalten lassen möchten. Ein guter Roman, der eine spannende Geschichte zu erzählen weiß, ohne dass er jedoch in der Erinnerung lange präsent bleibt.

_Der Autor_

Jorge Molist wurde 1951 in Barcelona geboren. Als Ingenieur verbrachte er viele Jahre in den USA und anderen europäischen Ländern. Seine Begeisterung und Kenntnisse für Geschichte brachten ihn zum Verfassen historischer Romane. Sein Debüt „Das zweite Testament“ wurde über 150.000-mal verkauft. Heute lebt Jorge Molist als Unternehmensleiter in Madrid.

|Originaltitel: El retorno cataro
Aus dem Spanischen von Antoinette Gittinger
Taschenbuch, 512 Seiten|
http://www.heyne.de
[Wikipedia: Katharer]http://de.wikipedia.org/wiki/Katharer

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