Henry S. Whitehead – Die Falle (Gruselkabinett 95)

Teuflische Herausforderung: Die Falle des Zauberspiegels

Ben Canevin ist Lehrer an einer Privatschule in Connecticut, USA. Sein wertvollster Besitz und von seinen Schülern am meisten bewunderter Besitz ist ein alter, prächtig verzierter Spiegel, den er auf den Jungferninseln aus einem verlassenen Herrenhaus mitgenommen hat…. (Verlagsinfo) Kurz vor Weihnachten verschwindet darin einer seiner Schüler…

 

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor

Henry S. Whitehead (1882-1932) war Erzdiakon auf den Virgin Islands, deren Kultur und Bevölkerung er genau beschrieb. Er gehörte zum engeren Zirkel um H. P. Lovecraft und veröffentlichte mehrere unheimliche Erzählungen, nicht nur über die Karibik und Voodoo, sondern auch über griechische Anbeter des Gottes Pan (vgl. auch Arthur Machen).

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Frank Schaff: Ben Canevin
Lutz Riedel: Axel Holm
Daniel Schlauch: Robert Grandison
Sascha Wussow: Julian Browne
Andreas Mannkopff: Schuldiener Mayer
Cornelia Meinhardt: Mrs. Grandison
Jannik Endemann: Brian, Schüler
Timmo Niesner: Clark, Schüler
Jacques Breuer: Magnus, Bens Freund

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand bei Titania Medien Studio und in den Planet-Earth-Studios statt. Die detailreiche Illustration stammt von Ertugrul Edirne.

Hörprobe: http://www.titania-medien.de/audio/hoerspiele/ (ohne Gewähr)

Handlung

Ben Canevin, der aus der Karibik stammt, ist 1926 Lehrer an einer Privatschule in Connecticut geworden, wo er u. a. Drama lehrt. Aufgrund der Exklusivität dieses Fachs hat er nur drei Schüler: Robert, Brian und Clark. Da wieder mal die Heizungsanlage ausgefallen ist, fragt er den Schulleiter Julian Browne um Erlaubnis, den Unterricht an diesem letzten Donnerstag vor den Weihnachtsferien in seinen Privaträumen abhalten zu dürfen. Dort wärmt wenigstens ein Kaminofen das Zimmer. Draußen liegt der Schnee ziemlich hoch, so dass es bis zur Reparatur der Heizung durch Techniker aus der Stadt eine Weile dauern dürfte. Natürlich gibt der stets freundliche Browne sein Placet.

Der Spiegel

Zunächst sind nur Ben und Robert im Wohnzimmer, und als erstes machen sie Feuer im Ofen. Robert Grandisons Blick fällt auf den prächtigen Spiegel, den Ben an einer Wand aufgehängt hat. Ben erzählt, er habe ihn aus einem verlassenen Herrenhaus auf einer der Jungferninseln mitgenommen, wo er mit der Vorderseite zur Wand aufgehängt und mit Spinnweben bedeckt war. Merkwürdig, dass keiner einen Spiegel mit so reich verziertem Rahmen mehr haben wollte.

Zunächst fällt Ben nicht auf, dass sein Schüler den Spiegel „hypnotisch“ und „mächtig“ nennt. Er ist von der Ankunft der anderen beiden Schüler abgelenkt. Nach dem Unterricht bittet Robert darum, noch ein wenig in der Wärme des Zimmers bleiben zu dürfen. Er berührt die Oberfläche des Spiegelglases – und ruft um Hilfe! Ben eilt alarmiert herbei. Roberts Finger steckt im Glas fest! Zusammen ziehen sie ihn wieder heraus.

Manno, das ist ja komplett irrational, findet Ben. Darauf erstmal eine starke Tasse Tee für Robert! Als er aus der Küche zurückkehrt, findet sich von besagtem Robert keine einzige Spur mehr. Es sieht seinem Musterschüler nicht gleich, ohne Abschiedsgruß zu gehen, findet Ben etwas angepisst.

Verschwunden

Es dauert nicht lange, bis Roberts Verschwinden auch anderen Orts vermerkt wird. Die entsprechende Suchaktion in der Schule und in der unmittelbaren Umgebung verläuft ergebnislos. Schließlich beginnt sich Ben Sorgen zu machen. Er entdeckt Roberts Ranzen und Jacke in seinem Zimmer. Wieso hat Robert sie zurückgelassen? Zu guter Letzt trifft auch noch Mrs. Grandison ein und dreht das Besorgtheits-Level um einige Grade höher: Ihr Sohn ist einziger lebender Verwandter. FALLS er noch lebt.

Zwei Tage später. Die Weihnachtsferien haben begonnen, und alle Schüler sowie die meisten Lehrer sind fortgefahren, aber Ben hält die Stellung. Das ist gut so, denn gerade als er zu Bett gehen will, vernimmt er eine vertraute Stimme: „Mister Canevin! Der Spiegel!“ Es ist Robert, aber seine Stimme klingt sonderbar verzerrt, als käme sie aus einer Gruft. Es muss ein Traum sein.

Als Ben die Stimme am nächsten Morgen erneut vernimmt, schaut er nach und erblickt im Spiegel Roberts Gesicht statt seines eigenen. Sein Schüler sieht aus, als stehe er Todesangst aus. „Kommen Sie dem Spiegel nicht zu nah!“ warnt Robert. „Er ist eine Falle…!“

Mein Eindruck

Im Spiegel befindet sich die Welt des Schwarzmagiers Axel Holm, eines dänischen Glasbläsers, der sie im Jahre 1687 betreten hat und seitdem unsterblich ist. Da ihm nur zwei Sklaven Gesellschaft leisten, ist er nun, da sich der Spiegel in neuer Umgebung befindet, erpicht darauf, weitere Sklaven einzufangen, die ihm zu Willen sind.

Die Insel St. Thomas, von der Ben den Spiegel gestohlen hat, befand sich vor ihrem Verkauf an die USA in dänischem Kolonialbesitz. Die Bewohner des Herrenhauses, das er leer vorfand, sind nun Bewohner von Axel Holms Spiegelwelt. Im Connecticut des Jahres 1926, so hofft Axel Holm, steht ihm ein endloses Reservoir potentieller Sklaven zur Verfügung. Ben gedenkt ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Schichten

Axel Holm bildet in der Abfolge der Zeiten die älteste Schicht, nämlich die längst vergessen geglaubte Vergangenheit, als es noch Sklaverei gab. Ben stellt die mittlere Generation dar, die als Mittler zwischen Vergangenheit und Zukunft fungiert. Robert, die junge Generation, stellt die hoffnungsvolle, aber leider sehr naive Gestalterin der Zukunft dar: eine Verkörperung der neugierigen Wissenschaft. Um diese Zukunft zu retten, muss Ben die Vergangenheit vernichten. Sein Kampf gegen Axel Holm beginnt.

Leichter gesagt als getan. Denn Holms Machtinstrument, der Spiegel, ist keineswegs eine Einheit. Er besteht, wie die Abfolge der Zeiten und das dreiteilige Personal, aus drei Schichten. Da wäre der prachtvoll verzierte Rahmen, der als letzter Bestandteil hinzugefügt wurde, um den Spiegel zu fassen. Dieser Spiegel ist wiederum zweiteilig. Der eigentlich zauberkräftige Teil ist das sogenannte „Auge des Loki“, ein ovaler Baustein, um den Holm den Rest gestaltet hat. Es soll den Blick in die Zukunft ermöglichen und seinem Besitzer Unsterblichkeit verleihen.

Schon bald versteht Ben mit Hilfe der zusätzlichen Hintergrundinformationen seines Freundes Magnus, dass er sich dieses „Auges des Loki“ zuallererst annehmen muss. Wer weiß, ob nicht doch die Magie der altnordischen Götter noch darin gespeichert ist? Nun ist es allerdings eine leichte Übung, einen Spiegel zu zerstören: Man wirft ihn aus dem Fenster in die Tiefe. Ob das wohl hilft?

Religion und Freiheit

Loki, der altnordische Gott des Betrugs und Verrats – Thor kann ein Lied davon singen -, steht für die heidnische Gesellschaft, in der Sklaverei ein fester Bestandteil von Gesellschaftsordnung und Wirtschaft darstellte. Dass auch der Christ Axel Holm um 1687 Sklaverei praktiziert, stellt daher einen Rückfall in heidnische Zeiten dar. Das macht ihn ja gerade so gefährlich.

Bens Raub des Spiegels ist ein weiterer Rückfall in die Vergangenheit: Die Insel war eine Kolonie, und das Herrenhaus sollte von modernen Menschen gemieden werden. Nun hat er den Salat: Die kalte Hand der Vergangenheit macht seinen Schützling zu ihrem Sklaven. Bens Aufgabe ist nun die des Erlösers von heidnischer Sklaverei. Dazu muss er Robert nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit befreien.

Erst wenn ihm dies gelingt, ist die Gegenwart frei von den heidnischen Ketten der Sklaverei und die christliche Zukunft in Freiheit gewonnen. Erst wenn die Wissenschaft (Robert) die Risiken erfahren hat, ist sie auch berechtigt, in der Vergangenheit zu forschen: Dann kennt sie ihre Verantwortung – ganz im Gegensatz zur verantwortungslosen Aneignung, die Ben praktiziert hat.

Natürlich hat der Magier einiges gegen diesen Befreiungsversuch einzuwenden. Wie die Sache schließlich ausgeht, darf hier nicht verraten werden. Aber ich fand es sehr interessant, wie der die drei Schichten angeordnet und den drei Figuren zugeordnet hat. Ich bin sicher, dass er sich etwas dabei gedacht hat.


Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass sich der Kampf Bens und Roberts gegen den Magier äußerst dramatisch gestaltet. Frank Schaff spricht ben Canevin als zwar jungen, aber integren und verlässlichen Lehrer. Daniel Schlauch als Robert Grandison ist leichtgläubig, unerfahren und reichlich wehrlos, aber keineswegs blöd.

Lutz Riedel tritt als Axel Holm als die Verkörperung des Bösen auf. Er ist nicht nur Roberts Kerkermeister, sondern plant auch schon den nächsten Coup. Was er mit dem Jungen anstellt, wird uns vorenthalten – vorerst nutzt er den Schüler als Informationsquelle. Ich hätte eine Entwicklung in entweder Holm oder Robert erwartet, aber die Beziehung bleibt statisch. Das ist etwas schade. Nur am Schluss gibt es noch eine kleine Pointe. Etwas mehr Grusel hätte hier nicht geschadet.

Die anderen fünf Nebenfiguren sind nur wichtig, um der zentralen Handlung den Anstrich von realistischer Plausibilität zu verleihen. Besonders Mrs Grandison ist von Bedeutung, um ihrer Beziehung zum verlorenen Sohn emotionale Dramatik zu verleihen.

Geräusche und Effekte

Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in den meisten Szenen mit geschickten Andeutungen aufgebaut. Stets knistert ein Kaminfeuer oder ein Ofen, heult der Wind durch die Ritzen und ab und zu tickt eine Uhr. Das obligatorische Käuzchen, der unheilvolle Donnerschlag dürfen nicht fehlen.

Da diese Geschichte aber im Jahr 1926 spielt, vernehmen wir durchdringendes Telefonklingeln, einen Automotor, eine Hupe und schließlich das ominöse Kratzgeräusch eines Glasschneiders. Dass das Ende des Spiegels von entsprechenden Geräuschen begleitet ist, dürfte klar sein.

Sehr interessant fand ich die Gestaltung der Stimmen ja nach Entstehungsort. Telefonstimmen etwa sind entsprechend gefiltert und klingen verzerrt. Aber es gibt ja auch Stimmen aus dem Spiegel. Diese sind zwar mit leichtem Hall versehen, aber auch dumpf, gerade so, als befänden sich die Sprecher in einem kleinen Raum, der wie eine Zelle wirkt. Robert erwähnt mehrfach, wie stickig die Jahrhunderte alte Luft in seiner Zelle ist. Wenn Axel Holm, der Schwarzmagier, spricht, wird der Hall um einiges kräftiger.

Musik

Die Musik entspricht nur selten dem Score eines klassischen Horrorfilms, sondern wird vor allem durch eine Klangkulisse auf elektronisch erzeugten Sounds bestritten. Diese unheimlichen Klänge verfehlen ihre Wirkung keineswegs, muss ich zugeben. An einer Stelle ist eine heiter klingende akustische Gitarre zu hören, an einer späteren Stelle ein recht verspielt wirkendes Piano. Auf diese entspannenden Harmonien folgen aber schon bald Grauen und Schrecken.

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher.

Im Booklet finden sich Verweise auf die kommenden Hörspiele aufgeführt:

Nr. 94: Charles Rabou: Tobias Guarnerius (November)
Nr. 95: Henry S. Whitehead: Die Falle (November)
Nr. 96/97: Abraham Merritt: „Madame Mandilips Puppen“
Nr. 98: Theodor Storm: „Der Schimmelreiter“
Nr. 99: Leopold von Sacher-Masoch: „Die Toten sind unersättlich“

Auf www.titania-medien.de wird das Hörspiel zum Jubiläum der Reihe genannt:

Nr. 100: H.P. Lovecraft: Träume im Hexenhaus
Nr. 101: M.R. James: „Verlorene Herzen“

Unterm Strich

Nach einem harmlosen Auftakt beginnt das Grauen: Der Schüler Robert wurde per Magie in einem Zauberspiegel gefangen und soll von einem Magier versklavt werden – als erster von vielen. Dass es überhaupt soweit kommen konnte, ist die Schuld seines Lehrers, der verantwortungslos dieses mächtige Instrument des Zauberers an sich genommen und in die Neue Welt verfrachtet hat. Nun streckt sich die kalte Hand der Vergangenheit aus, um junge Menschen in heidnisch-nordische Sklaverei zu entführen. Ein Akt der Befreiung muss Roberts Seele erlösen. Doch wie und mit welchem Ergebnis das vonstatten geht, darf hier nicht verraten werden.

Die kurze, recht komprimierte Handlung der Geschichte eines wichtigen Mitglieds des LOVECRAFT-Zirkels verarbeitet geschickt eine warnende Botschaft. Die Zukunft der Jugend lässt sich nur sicherstellen, wenn die Vertreter der Gegenwart lernen, verantwortungsvoll zu handeln und die Fesseln der Vergangenheit bekämpfen. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Spiegel für Ben Canevin (= der Autor) auch eine Frage der eigenen Weiterentwicklung und Läuterung: Er muss Verantwortung für den Jungen und dessen Mutter übernehmen – oder er hat bald selbst keine Zukunft mehr.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Synchronstimmen von Schauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Mit Lutz Riedel konnte diese Inszenierung einen herausragenden Synchronsprecher des Kinos verpflichten.

Lutz Riedel ist ein hochkarätiger Synchron-Regisseur und die deutsche Stimmbandvertretung von „James Bond“ Timothy Dalton. Er war auch „Jan Tenner“ in der gleichnamigen Hörspielserie. Ich schätze besonders seine Interpretation von H.P. Lovecrafts Schauergeschichten wie etwa „Das Ding auf der Schwelle“. Er zeigt hier seine herausragenden Sprecher-Qualitäten, die den Hörer mit schauriger Gänsehaut verzaubern.

Der Berliner Schauspieler hat u. a. Timothy Dalton (James Bond) und Richard Hatch (Kampfstern Galactica) synchronisiert. Auch Richard Gere, Samuel L. Jackson und Christopher Walken hat er schon gesprochen. Lutz Riedel ist mit seiner Kollegin Marianne Groß verheiratet.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Sprecher vermitteln das richtige Kino-Feeling.

Audio-CD
Spieldauer: ca. 51 Min.
Info: The Trap, VÖ 1944 oder 1946

www.titania-medien.de

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