Indridason, Arnaldur – Tödliche Intrige

Seit zwei seiner Bücher mit dem Nordischen Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet wurden, hat Arnaldur Indridason sich (zu Recht!) international einen Namen im Krimigenre gemacht. Durch das exotische Lokalkolorit Islands strahlen seine Bücher eine besondere Faszination aus, sodass Indridason sich keineswegs hinter seinem berühmten schwedischen Kollegen verstecken muss. Mit „Tödliche Intrige“ hat er einen Thriller vorgelegt, der alles andere als alltäglich ist …

_Eine Stimme, die zu uns sprach_

Der gesamte Roman ist aus der Sicht eines Ich-Erzählers geschrieben, der im Gefängnis sitzt, seine Gedanken zu Papier bringt und die vergangenen Geschehnisse Revue passieren lässt. Der Erzähler nimmt uns an die Hand und bringt uns zu den verschiedenen Stationen des Verbrechens. Früh ist uns klar, dass etwas Schreckliches geschehen sein muss und dass der Angeklagte unschuldig im Gefängnis zu sitzen scheint; auf jeder Seite werden seine Verzweiflung und Ratlosigkeit deutlich. Nur ganz allmählich setzt sich das Bild des Verbrechens zusammen. Zunächst erfahren wir allerdings mehr über Bettý und den Beginn der Geschichte.

Der Ich-Erzähler arbeitet als Anwalt und begegnet Bettý nach einem Vortrag. Bettý lebt mit dem steinreichen Reeder Tómas Ottósson Zoega (kurz: Tozzi) zusammen und möchte den Ich-Erzähler für die Firma ihres Lebensgefährten engagieren. Nach kurzem Zögern nimmt dieser das Jobangebot tatsächlich an und ahnt dabei nicht, dass er dadurch der Spinne bereits ins Netz gegangen ist. Es dauert nicht lange, bis die schöne und berechnende Bettý Tozzis neuen Anwalt verführt und eine leidenschaftliche Affäre mit ihm beginnt. Wie aus der Geschichte des Ich-Erzählers deutlich wird, verfällt er Bettý immer mehr, vergöttert sie und merkt gar nicht, dass sie ihn für ihre eigenen Zwecke missbrauchen will.

Tozzi schlägt seine Freundin, immer wieder taucht Bettý mit kleinen Verletzungen bei ihrer neuen Liebe auf, sie spricht von Trennung, aber auch davon, dass Tozzi sie nie gehen lassen würde. Vermeintlich nur aus Spaß erwähnt sie dabei einen möglichen Mord, und der Ich-Erzähler ahnt nicht, dass aus Spaß ganz schnell Ernst werden kann …

_Liebe macht blind_

Arnaldur Indridason spinnt einen interessanten Plot und versetzt uns in die Gedankenwelt eines des Mordes Angeklagten. Aus der Retrospektive erfahren wir nach und nach die Vorgeschichte, die zu einem schrecklichen Verbrechen geführt hat. Wohldosiert bekommen wir dabei immer nur kleine Informationshäppchen vorgeworfen, aus denen wir uns die Ereignisse zusammenreimen können, doch führt uns der Autor geschickt an der Nase herum. In die Mitte des Buches platziert er eine inhaltliche Wendung, mit der der Leser sicherlich so nicht gerechnet haben kann. In diesem Moment ist man einfach nur baff und rekapituliert das bisher Gelesene in Gedanken erneut, um zu überprüfen, ob diese Überraschung wirklich Sinn ergibt – aber sie tut es!

„Tödliche Intrige“ ist ein Buch, wie man es nur selten zu lesen bekommt; der Autor schafft es auf jeder Seite, seine Leser an seine Erzählung zu fesseln, obwohl streckenweise auf inhaltlicher Ebene nicht viel passiert, doch entwickelt Indridason eine dermaßen dichte Atmosphäre, dass einem kalte Schauer über den Rücken laufen. Der Spannungsbogen hinkt an mancher Stelle, da der Autor sich in einigen Passagen wiederholt und somit trotz der Kürze des Buches nicht immer etwas Neues zu berichten hat. Dennoch ist dieser Thriller ähnlich klug inszeniert wie ein typischer Kriminalfall aus der Feder Agatha Christies. Am Ende wird schließlich die ganze Niederträchtigkeit der Femme fatale deutlich und offenbart tiefe menschliche Abgründe.

Schon von der ersten Seite an entführt uns dieser Roman in die düsteren Gedanken eines Inhaftierten, der selbst nicht recht verstehen kann, was eigentlich vorgefallen ist. Indridason beweist hier eindrucksvoll, dass er die Verzweiflung des Hereingelegten authentisch beschreiben und den Schmerz und die Enttäuschung über diese List zum Ausdruck bringen kann. Realistisch führt der Autor uns vor Augen, an welchen Gedanken man sich in dieser Situation festhalten muss, um nicht völlig zu verzweifeln. Diese realistischen Beschreibungen führen dazu, dass wir uns trotz der offenkundigen Naivität des Ich-Erzählers in ihn hineinversetzen und mit ihm fühlen können. Wir empfinden Mitleid angesichts der Ungerechtigkeit, dass unser Erzähler unschuldig im Gefängnis sitzt, und wir empfinden Wut gegenüber denjenigen, die ihm das angetan haben, und gegenüber all den Menschen, die ihm nun keinen Glauben schenken. Als Leser wird man in ein Wechselbad der Gefühle hineingeworfen, denn auf der einen Seite lernen wir Bettý aus den Erzählungen über die aufkeimende Liebe zwischen ihr und dem Ich-Erzähler kennen, auf der anderen Seite ahnen wir bald, dass sie hinter der tödlichen Intrige steckt.

_Nicht jedermanns Geschmack_

Trotz der schnörkellosen und leicht verständlichen Sprache erfordert dieses Buch einiges an Aufmerksamkeit. Die Erzählung ist durchsetzt von etlichen Zeitsprüngen, von einem Moment auf den anderen wechselt die Handlung in die Vergangenheit und der Ich-Erzähler berichtet von seiner Kindheit oder auch von seiner Affäre mit Bettý, kurz darauf wohnen wir vielleicht schon einem Verhör im Gefängnis bei, welches in der Gegenwart stattfindet. Die zeitlichen Wechsel erfolgen hierbei unangekündigt und plötzlich; aus dem Zusammenhang wird immer klar, wo wir uns gerade befinden, doch könnten diese Gedankensprünge manch einen Leser irritieren. Für mich hatten sie einen besonderen Reiz, da sie den Spannungsaufbau vorantrieben. Nie konnte ich das Buch beruhigt aus der Hand legen, da immer wieder entscheidende Informationen eingestreut wurden, die zum Miträtseln animierten.

Der allseits bekannte Erlendur taucht in diesem Buch nur in einer Art Nebensatz auf und weist dabei auf einen anderen Kriminalfall hin. Doch das Fehlen dieses Krimihelden störte mich nicht, überaus schade fand ich es vielmehr, dass „Tödliche Intrige“ den Bezug zu Island fast völlig vermissen ließ. Dieser Thriller hätte praktisch überall spielen können, jegliches faszinierendes Lokalkolorit wurde ausgelassen, nur Namen isländischer Städte führten dazu, dass man den Roman geographisch einordnen konnte.

Ein wenig vergaloppiert hat sich Indridason in der Zeichnung seiner Charaktere, die zum Teil zu viele Klischees in sich vereinigen und dadurch unrealistisch erscheinen. So übertreibt er es nicht nur in der Darstellung des Ich-Erzählers, sondern insbesondere in der Figur der Femme fatale Bettý und ihres Lovers Tozzi, die beide praktisch dem „Denver-Clan“ entsprungen sein könnten:

|“Ich konnte nicht sehen, dass sie irgendetwas gemeinsam hatten. Sie so schön, so feminin und irgendwie auch so einsam und verwundbar, aber manchmal auch wie ein Raubtier, wenn ihr der Sinn danach stand. Er dagegen war ein typisch männliches Testosteronpaket, aggressiv und ungezügelt.“|

_Ungewöhnlich_

Insgesamt ist „Tödliche Intrige“ mehr als unterhaltsam und lesenswert, das Buch fesselt seine Leser auf jeder einzelnen Seite und führt uns dabei an der Nase herum. Der Plot ist geschickt inszeniert und entführt uns in die verzweifelte Gedankenwelt eines unschuldig inhaftierten Ich-Erzählers. Arnaldur Indridason beweist mit diesem Thriller, dass er Gefühle glaubwürdig und realistisch umschreiben kann (auch wenn dies nicht für die Charaktere gilt) und dass er auch im Thrillergenre ein Autor ist, den man im Auge behalten sollte. An einigen Stellen hätte Indridason seine Erzählung noch etwas straffen können, auch hätte ich mir mehr Bezüge zu Island gewünscht, die in Indridasons anderen Büchern das gewisse Etwas ausgemacht haben, dennoch kann ich diesen ungewöhnlichen Thriller guten Gewissens weiterempfehlen.

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