Safier, Daniel – Mieses Karma

Das Leben nach dem Tod birgt schon seit Urzeiten eine Faszination, der sich kaum jemand entziehen kann. Die Anhänger der unterschiedlichen Religionen haben verschiedene Vorstellungen vom Leben nach dem Tod – aber dass die Möglichkeit besteht, als Ameise wiedergeboren zu werden, um genug Karma für das Nirwana zu sammeln, das kann man sich wohl nur schwer vorstellen; umso größer ist Kim Langes Überraschung, als ihr genau das widerfährt.

Kim ist eine berühmte Talkshowmoderatorin, die auf dem Gipfel ihrer Karriere steht, als sie zum Deutschen Fernsehpreis fährt. Auch wenn sie durch die Verleihung den fünften Geburtstag ihrer Tochter Lilly verpasst und Kim sich endgültig eingestehen muss, dass ihre Ehe zu Alex gescheitert ist, und auch wenn sie von Versace versehentlich das falsche Kleid für die Preisverleihung zugeschickt bekommt (und dann einen hochnotpeinlichen Moment überstehen muss), so hat dieser denkwürdige Tag doch immerhin (im wahrsten Sinne des Wortes) einen Höhepunkt, nämlich den großartigen Sex mit ihrem gutaussehenden Kollegen Daniel Kohn.

Doch als Kim nach dem Sex auf das Dach des Hotels steigt, um dort frische Luft zu schnappen, passiert das Undenkbare: Das Waschbecken einer russischen Raumstation fällt ihr auf den Kopf und Kim stirbt bei diesem Unfall.

Doch damit ist die Geschichte noch lange nicht vorbei, denn nachdem ihr Leben an ihr vorbeigezogen ist und sie ein helles Licht gesehen hat, von dem sie zurückgestoßen wurde, steht sie Buddha gegenüber, der ihr in Form einer Ameise erscheint und ihr eröffnet, dass nun ihr Leben nach dem Tod begonnen hat – als Ameise. Denn Kim war zu Lebzeiten alles andere als nett zu ihren Mitmenschen, und so bleibt ihr das Nirwana verschlossen, bis sie genug gutes Karma gesammelt hat, um schlussendlich ins Nirwana aufsteigen zu können.

So findet sich Kim plötzlich inmitten einer Horde fleißiger Ameisen wieder, die gerade dabei sind, ein klebriges Gummibärchen zu transportieren. Doch ganz so leicht ist das Leben als Ameise nicht, denn Kim stirbt einige Tode als Ameise, wird aber immer wieder neugeboren. Langsam gewöhnt sie sich fast an das ständige Sterben und Wiedergeborenwerden, zumal sie im berühmten Casanova einen Leidgenossen gefunden hat, der ebenfalls seine Sünden als Ameise abarbeiten muss. Gemeinsam beschließen sie, gutes Karma zu sammeln, um die Reinkarnationsleiter aufzusteigen.

Und tatsächlich, bald werden sie wiedergeboren – als Meerschweinchen. Passenderweise leben die beiden als Meerschweinchen bei Kims Familie, die noch in tiefer Trauer wegen Kims Tode ist. Doch muss Kim erkennen, dass ihre ehemals beste Freundin Nina, die schon immer ein Auge auf Alex geworfen hatte, bereits in den Startlöchern steht, um Kims Platz einzunehmen. Die Zeit eilt also, denn Kim möchte auf jeden Fall verhindern, dass Nina sich in ihre Familie einschleicht. Ein guter Plan muss also her, was aber gar nicht so einfach ist als Meerschweinchen …

Daniel Safier erzählt eine Geschichte, wie sie schräger und absurder kaum sein könnte. Wir lernen die rücksichtslose Kim Lange kennen, die für ihre Karriere über Leichen geht und diese Sünden im Tode büßen muss. Besonders herzerfrischend ist allerdings die Figur des Casanova, der inzwischen seit etwa 200 Jahren sein Nach-Leben als Ameise fristet und gar nicht daran denkt, gutes Karma zu sammeln. Doch als er Kim kennen lernt, wird sein Ehrgeiz plötzlich angestachelt und die beiden schließen sich als grandioses Karma-Sammel-Team zusammen, auch wenn sie noch gar nicht wissen, was am Ende der Reinkarnationsleiter auf sie warten wird, denn Buddha hält sich mit seinen Informationen sehr bedeckt, wenn er nach erneutem Ableben bei den beiden auftaucht und ihnen einen guten Spruch für den weiteren Weg mitgibt.

So ganz kann Casanova sich an die merkwürdigen Zeiten ohne Kutsche nicht gewöhnen, vieles ist ihm fremd, aber als er sich dann in Kims Widersacherin Nina verliebt, ist er wieder ganz in seinem Element und unterstützt Kim bei ihren Racheplänen mit voller Kraft. Allerdings sind Rachepläne natürlich schwer vereinbar mit dem Sammeln von gutem Karma, und so sterben die beiden einen Tod nach dem anderen und müssen sich immer spitzfindigere Pläne ausdenken, um ihr zwischendurch gewonnenes Karma nicht wieder zu verlieren.

Safiers Geschichte wird immer abgedrehter, immer witziger und immer erfrischender, denn obwohl Kim und Casanova meist aus ziemlich eigennützigen Motiven handeln, so wünscht man ihnen doch von ganzem Herzen Erfolg bei ihrer Mission. Denn obwohl Nina merkwürdigerweise – wie Kim zähneknirschend eingestehen muss – ihrer Familie offensichtlich besser tut als sie selbst, sammelt sie beim Leser doch kaum Sympathiepunkte, weil Casanova und Kim absolut im Mittelpunkt der gesamten Romanhandlung stehen.

Mit großem Tempo, viel Wortwitz und ohne Atempause erzählt Safier die Geschichte von Kim Lange und Casanova, die sich beherzt auf den Weg die Reinkarnationsleiter hinaufmachen und dabei die kuriosesten Abenteuer zu überstehen haben. Denn wer hätte sich vorher wohl ausmalen können, dass sie als Versuchsmeerschweinchen in einem Tierlabor landen und dort einen Affenaufstand anzetteln würden, oder dass Kim als Kuh dafür sorgt, dass alle ihre „Mit-Kälber“ eingeschläfert werden und sie dadurch wieder einiges Karma verliert. Am abgefahrensten wird die Geschichte aber, wenn Kim und Casanova als tierisches Duo Infernale versuchen, die Hochzeit zwischen Alex und Nina zu verhindern.

Selten habe ich bei einem Roman so sehr geschmunzelt, gelacht und mich königlich amüsiert wie bei diesem. Daniel Safier beweist unglaublich viel Einfallsreichtum, Wortwitz, Ironie, Humor und Sprachgefühl, dass es ein absolutes Vergnügen ist, „Mieses Karma“ zu verschlingen. Und auch wenn manche Szenen vielleicht etwas weichgespült sind, so bin ich schon jetzt sehr gespannt auf den nächsten Roman von Daniel Safier, den ich mit Sicherheit wieder lesen und dann hoffentlich genauso gut unterhalten werde wie dieses Mal.

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