Sheri S. Tepper – Die Schöne


Dornröschens Erdenabenteuer und Höllenfahrt

Dornröschen hätte eigentlich durch den Fluch der bösen Tanten in einen hundertjährigen Schlaf fallen sollen. Stattdessen trifft der Bann jedoch ihre Zwillingsschwester. Fortan irrt Dornröschen durch die Zeiten, bis sie letzten Endes durch Oberons Verrat in Teufels Küche landet. Nun ist guter Rat teuer, doch sie hat Freunde unter den Elfen und Kobolden…

Die Autorin

Sheri S. Tepper wurde am 16. Juli 1929 als Shirley Stewart Douglas in der Nähe von Littleton (Colorado) geboren. Sie heiratete zum ersten Mal im Alter von 20 Jahren; diese Ehe wurde 1955/1956 geschieden, wodurch sie zur alleinerziehenden Mutter ihrer zwei Kinder wurde. Sie schlug sich jahrelang mit den verschiedensten Jobs durch, unter anderem arbeitete sie für die internationale Hilfsorganisation CARE.

Zur Ruhe kam sie erst mit ihrer Arbeit für die Rocky Mountain Planned Parenthood, eine Klinik für Familienplanung und Geburtenkontrolle in Denver, wo sie von 1962 bis 1986 beschäftigt war. In den späten sechziger Jahren heiratete sie Gene Tepper. Sie betrieb unter anderem eine Gästeranch in Santa Fe, New Mexico. Sie starb am 22. Oktober 2016. (Quelle: Wikipedia)

Sheri Tepper ist eine Bestsellerautorin von Fantasy, Science-Fiction, Horror, Krimi und Lyrik. Wie John Crowley und Dan Simmons vermischt Tepper souverän Elemente und Erzähltechniken aus beiden Genres. Zu ihren Hauptwerken gehört die neunteilige Serie um das Wahre Spiel und um die Monströsen Welten.

Für „Die Schöne“ erhielt die Autorin den „Locus Award for Best Fantasy Novel“ im Jahr 1992. Mehr zur Autorin: https://en.wikipedia.org/wiki/Sheri_S._Tepper.

Handlung

Beautys Geschichte beginnt im Jahr 1417 irgendwo in England, und zwar mit dem Übereintreffen einer bösen Stiefmutter, Beautys Geburtstag und dem Inkrafttreten des Bannfluches, den die vermeintlich bösen Tanten unseres Dornröschens verhängt haben: Beautys Zuhause wird in einen unbegrenzt langen Schlaf fallen und die Burg Westfaire alsbald von einer unüberwindlichen Hecke aus Rosensträuchern umschlossen.

Da kann man nur auf den Prinzen hoffen, der da nach 100 Jahren kommen soll. Doch nicht Beauty, sondern ihre Zwillingsschwester liegt schlafend als Opfer des Banns im Schloss, und Beauty macht sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Mutter, der Fee Elladine. Siebenmeilenstiefel tragen sie ins Feenreich, und kehrt sie in unsere Welt zurück, macht ein Feenmantel sie für Menschen unsichtbar.

So gewappnet, besteht Beauty ein Abenteuer nach dem anderen. Dies ist jedoch nicht mit Action zu verwechseln, sondern mit den Wechselfällen des Lebens – so etwa Entführung, Vergewaltigung, Heirat und Geburt usw.- sowie den damit verbundenen Gefühlen. Beauty hat Freunde unter den Erdgeistern, Bogles genannt, und den Feen und Engeln.

Ihr Feind ist der stolze Fürst der Feen, Oberon, den Shakespeare-Freunde aus dem „Mittsommernachtstraum“ kennen. Titania taucht nur in einer Nebenrolle auf, dafür ist jedoch Puck, der Erdkobold, ständig in der Nähe. Oberon lässt sich von Satan dazu verleiten, diesem Beauty als Tribut zu opfern, und so landet unsere Heldin gegen Ende des Buches gar noch in der Hölle.

SPOILER!

Es stellt sich heraus, dass die Menschen – und darunter insbesondere die Horrorschriftsteller – die besten Handlanger des gefallenen Engels Luzifer sind, da ihre menschenfeindlichen Phantasien in Teppers Augen dazu beitragen, die Empfindungen der Lebenden gegen den alltäglichen Horror – Krieg, Mord, Vergewaltigung usw. – abzustumpfen. In der Hölle wird ein Horrorautor sein bestes Opfer, da er Luzifer die Horrorszenen seiner Bücher vorspielen „darf“. Beauty trifft hier auch ihren Vergewaltiger wieder.

Schließlich gelingt ihr mit Hilfe einer List und eines „zauberhaften“ Gedichts die Flucht. Damit erreicht sie, ohne es zu wissen, ein wichtiges Ziel, nämlich erstens die Bestrafung Oberons durch den „Allerhöchsten“, weil Oberon den Pakt zum Schutz aller Menschen gebrochen hatte, und zweitens den Kriegszug aller Feen gegen den Herrn der Finsternis. Im zarten Alter von 116 Erdenjahren – Zeitreisen nicht mitgezählt – beendet Beauty ihren Lebensbericht.

Mein Eindruck

Wir alle kennen die Märchen der Brüder Grimm: Dornröschen, Froschkönig, Schneewittchen und Aschenputtel. Nun, dieser umfangreiche Roman enthält sie alle, einfach aus dem Grund, dass die Geschichten, die die Grimms gesammelt hatten, offenbar einer realen Grundlage nicht entbehrten. Die Autorin bindet diese Geschichten alle in ihr Geflecht aus bekannten Motiven ein. Dazu gehört auch der mittelalterliche Mythos vom Feenreich, hier Feery genannt. Dieser Mythos war in England – siehe Edmund Spenser und Shakespeare – besonders verbreitet. Auch die irischen und walisischen Kelten hatten ihr Gutteil an Material dazu beigetragen. Diese zwei Geschichtenkreise entsprechen den zwei Abstammungen der Hauptperson des Romans „Die Schöne“, Beauty, da sie die Tochter einer Fee und eines menschlichen Herzogs ist.

In „Die Schöne“ vereint Tepper die genannten bekannten Fantasy-Stoffe mit einer harschen Kritik an den Verfallserscheinungen unserer Zeit: die Zerstörung der Umwelt, die Abstumpfung des Gewissens bei immer mehr Menschen und das Verschwinden des Schönen allgemein, sei es in der Natur, sei es in der Kunst, sei es im menschlichen Miteinander.

Das Kapitel, das Beautys Aufenthalt im 20 Jahrhundert, genauer 1991 bis 1994, schildert, ist eines der schmerzlichsten des Buches, denn der Leser kann nicht leugnen, dass die geschilderten üblen Zustände bereits Teil der amerikanischen Realität sind. Das Ende der bekannten Menschheit findet seine Darstellung dann im 22. Jahrhundert, wenn Filmteams die letzten Wale/Bäume/Radieschen filmen, um sie den eingepferchten Milliarden von Menschen wenigstens als Erinnerung zu erhalten.

Unterm Strich

Tepper ist eine ausgezeichnete Erzählerin, und „Die Schöne“ gehört in die Bibliothek jedes Fantasy-Fans als eines der originellsten und engagiertesten Werke des Genres. Das einzige, was mich persönlich störte, war die ausschließlich weibliche Sicht der Dinge und der manchmal zu hoch erhobene Zeigefinger der Hauptgestalt – aber das lässt sich verschmerzen. Als Hardcover-Ausgabe eignet sich das Buch für jede Bücherei.

Hardcover: 668 Seiten
Originaltitel: Beauty, 1991
Aus dem US-Englischen v. Biggy Winter.
ISBN-13: 978-3453085374

www.heyne.de

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