Moore, Alan / Lloyd, David – V wie Vendetta

Vor gut zwei Monaten kam ein Film namens „V For Vendetta“ in die deutschen Kinos. Dieser basiert auf der Comicserie „V For Vendetta“ von Alan Moore (Autor) und David Lloyd (Zeichner), welche später als vollständige Graphic Novel wiederveröffentlicht wurde. Allerdings wurde der Film vom Autor jedoch nicht als werkgetreue Buchverfilmung abgesegnet.

Ich finde den Film als solchen zwar gelungen, doch stellt er in der Tat einiges anders dar als das Buch, und auch die Charakterzeichnungen sowohl der Hauptfigur als auch ihres obersten Widersachers wurden für den Film geändert und durch eine weniger profilierte Darstellung entschärft. Vor allem die Hintergrundgeschichte der Hauptperson „V“ tritt in der Literaturvorlage stärker hervor, obgleich seine Herkunft offen bleibt. Denn „V For Vendetta“ ist die Geschichte eines anonymen Mannes, der an der Gerechtigkeit bzw. deren Abwesenheit verzweifelt ist und sich nun selbst Rache für ein ihm angetanes Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verschaffen trachtet.

Diese Geschichte spielt in einem faschistischen England der (bei erscheinen der Serie ab 1982) Zukunft, sie beginnt nämlich im Jahre 1997. Wir haben es mit einer Welt zu tun, in der Faschisten nach dem dritten, nuklear ausgetragenen Weltkrieg und der katastrophalen Lage danach „wieder für Ordnung gesorgt“ haben und so an die Macht gekommen sind, dabei allerdings auch mit der Kirche kooperieren.

Im Vergleich mit dem stellenweise satirisch überspitzten und dadurch aufgelockerten Film erscheint „V For Vendetta“ im Original düsterer und grausamer, was unter anderem sowohl die Rücksichtslosigkeit der Regierung als auch die Kaltblütigkeit von „V“ betrifft, der den Sturz des Regimes plant. Da er den Wandel von der Demokratie zum Faschismus selbst miterleben musste, somit auch, wie Gerechtigkeit und Menschenwürde korrumpiert und schließlich mit Füßen getreten wurden, nimmt seine Desillusionierung kaum Wunder. Als Mann von Bildung, der am eigenen Leib Zeuge wurde, wie schwach die Demokratie in entscheidender Stunde gewesen war, flüchtet er sich in die Theaterwelt einer kulturellen Enklave, die er sich irgendwo im Untergrund angelegt hat, die „Schattengalerie“. Von dort aus plant er sein Vorgehen gegen den Staat. Und zwar gegen den Staat als solchen, denn ständig zwischen den beiden Polen Phantasie und Politik sowie zwischen ganz unten und ganz oben, zwischen musealer Bewahrung und gewaltsamer Zerstörung pendelnd, findet er Trost im utopischen Ideal der Anarchie, welcher er sich in einem eindrucksvollen, symbolischen und theatralischen Akt verschreibt.

Symbolik und Theatralik ziehen sich denn auch als roter Faden durch die gesamte Geschichte, ebenso wie Zitate aus Literatur und Musik (durch „V“ immerzu aufs Neue theatralisch inszeniert). Diese Theatralik wertet den Comic ungemein auf, was sowohl Stil als auch Spannung der Geschichte anbelangt. Von der Düsternis nimmt sie ihm indes nur wenig.

Zweifellos ist „V“ nicht ganz normal, das wäre von einem Folteropfer auch nicht zu erwarten. Alleine die Idee, im Alleingang einen Rachefeldzug von dieser Größenordnung zu starten (es wird einige hohe Tiere erwischen – dieser Begriff passt hier ausgezeichnet) ist nahezu verrückt; aber „V“ will mehr: die gesamte Gesellschaftsordnung zum Teufel jagen. Und dabei geht er äußerst geschickt vor …
Wie weit sein Wahnsinn und sein Genie jedoch fortgeschritten sind, bleibt in der Schwebe; lange Zeit übrigens auch, inwieweit sich Rache- und politisches Motiv bedingen, bzw. welches der beiden überwiegt.
Immer wieder verschanzt sich „V“ hinter seiner starren Maske. Als Gewandung hat er die Bürgertracht aus der Zeit des „Gunpowder Plot“ gewählt, als Auftakt seiner terroristischen Aktionen den Guy Fawkes Day und als Waffe, neben dem unumgänglichen Sprengstoff, das Wort, die Folter sowie eine Anzahl von Dolchen und einmal sogar eine Giftspritze. Es handelt sich also um einen Mann, der durchaus mit Hinterlist und Tücke vorgeht.

Im gleichen Maße, indem man als Leser die idealistischere Seite des Protagonisten kennen lernt, begibt man sich auch tiefer in den Abgrund der Grausamkeit „V“s. Diese Ambivalenz wird in der Graphic Novel noch deutlicher als im Film. Wo dort etwa der Diktator kaum mehr als eine sinistre Folie des Faschismus in Person ist, vor der „V“ seinen gewalttätig-aufklärerischen Ein-Mann-Feldzug entwickelt, fällt sein Porträt im Buch deutlich stärker aus und lässt sich auch gut als Kritik an der funktionshörigen Maschinenvergötzung des modernen Menschen lesen. „V“ dagegen fordert ohne jegliches Maß die Emporhebung des Menschen als freies Individuum ein, das einzig und allein seinem Willen unterworfen sei. Dies erfordert Mut, und – wie „V“ selbst es einmal indirekt eingesteht – die Erkenntnis, dass wahre Freiheit immer erkämpft werden muss, auch und vor allem der eigenen Behaglichkeit zum Trotz.

Die von „V“ angestrebte Welt wird folglich alles andere als eine Verwahrstation für Mitläufer sein, und so hat er keinerlei Skrupel, Menschen dieses Schlages zu töten, wenn sie sich seiner Idee in den Weg stellen, oder sie als Spielfiguren zu gebrauchen; wem es an eigenem Willen gebricht, der hat schon verloren. Auch manipuliert er Menschen mit verabscheuungswürdigen Methoden. Aber anders als die Faschisten will er ihnen keine falsche Sicherheit suggerieren.
Doch dies wird im Buch lediglich angedeutet.

Beleuchtet wird am Charakter „V“s vor allem das Rachemotiv, der einzige Teil seiner Persönlichkeit, der sich aus der (hier im Gegensatz zum Film mehr als nur angedeuteten) Gefangenschaft und Flucht herleitet. Dass dies nicht alles gewesen sein kann, was eine solche Entschlossenheit möglicherweise erklärt, macht die Figur mysteriöser, als sie ohnehin schon ist. Einen Innenkampf des Protagonisten bekommen wir nie zu sehen, und einmal bezeichnet er sich sogar selbst als Idee.

Neben der dichteren Atmosphäre ist der Comic dem Film auch darin überlegen, dass er eine weibliche Perspektive miteinbringt; und zwar nicht nur in der Figur von Evey, einer Waise, die durch die faschistischen Verfolgungen erst zu einer solchen geworden ist, und derer sich „V“ animmt, ihr Asyl in seiner Schattengalerie bietet und sie schließlich (oder bereits von Anfang an?) auch zum Teil seines Planes macht. Ebenso die Frauen der Nebenfiguren – nein, das ist falsch; es muss heißen: die Frauen als Nebenfiguren – bekommen hier einen der vorgezeichneten Welt angemessen Part, müssen sehen, wo sie in einer von Männern dominierten Welt bleiben, und wie sie sich in unschönen Zeiten am besten durchschlagen: Die zweifelbehaftete Heldin, die schwache Mitläuferin, die starke Intrigantin – alles vertreten.

Im Film ebenfalls zensiert: Drogen. LSD spielt dagegen im Comic eine zentrale Rolle, um das Unvorstellbare vorstellbar zu machen. Dem Polizisten Finch, der dem Terroristen „V“ auf der Spur ist und der ihn schließlich für seine Untaten aus persönlichen Gründen nur noch töten will, gerät im Verlaufe der Handlung immer mehr in Zweifel an der Richtigkeit – nicht seiner Arbeit, wohl aber des Staates, der ihn beschäftigt. Ironischerweise sind in einer zutiefst pervertierten Gesellschaft Drogen für ihn die einzige Möglichkeit, sich seiner inneren Stimme zu stellen, alle Propaganda- und Lebenslügen abzuschütteln, und in einer Art Vision der Wahrheit immerhin ein Stück näher zu kommen. Eine abschließende Deutung von „V For Vendetta“ zur Frage „Verherrlichung der Anarchie – ja oder nein?“ lässt sich nicht geben. So bleibt denn auch am Ende der Geschichte vor allem der Zweifel. Aber der ist ja bekanntlich hin und wieder auch ein Neubeginn.

Man muss schon ein unrettbarer Zyniker sein, um von „V For Vendetta“ gänzlich kalt gelassen zu werden. Die Lektüre empfiehlt sich schon alleine aufgrund der spannenden und nachdenklich stimmenden Geschichte Lesern aller Sprachen und politischen Standpunkte. Hinzu kommen die stimmungsvollen Zeichnungen von David Lloyd, die wie von alten Filmpostern und Roman-Illustrationen, vor allem aber von klassischen Noir-Comics und Film-Storyboards inspiriert wirken, und die das Betrachten ebenfalls zum Genuss machen. Aufgrund der zahlreichen Wortspiele rund um den Buchstaben V sollte man das Werk jedoch nach Möglichkeit auch im englischen Original lesen.

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