Speer Morgan – Das Erbe von Spiro Mound

Das geschieht:

Fort Smith, ein kleiner Ort im US-Staat Oklahoma, gleicht in diesem heißen Sommer des Jahres 1934 einem Pulverfass. Die Wirtschaftskrise hält das Land im Würgegriff. Weil es kein soziales Netz gibt, droht den zahlreichen Arbeitslosen eine Hungersnot. Niemand fühlt sich für sie verantwortlich, jeder meidet die Unglücklichen, um nicht daran erinnert zu werden, wie nah das Elend ist. Aufruhr liegt in der Luft. Sündenböcke werden gesucht. Der Ku-Klux-Klan tritt offen auf. Rassismus ist geduldete Alltäglichkeit. Die Gesetzeshüter sind korrupt, sie werden von prominenten ‚Geschäftsleuten‘ wie Will Mackey oder Bill J. Goback geschmiert.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat es doppelt schwer: Tom Freshour ist ein „Halbblut“, wie man in diesen Tagen sogar in der Zeitung schreiben darf – ein halber Indianer, der dem Establishment zudem übel aufgefallen ist, weil er gegen diverse Missstände vorgegangen ist.

Richter Stone ist Freshour durchaus gewogen. Er zieht ihn ins Vertrauen, als sich unweit der Stadt ein grausamer Mord ereignet. Lee Guessner, ein Antiquitätenhändler und Sammler, wurde erschlagen, seine kostbare Sammlung indianischer Artefakte geraubt. Guessners Erbin, die junge Lorraine Davis, weiß von fer Besessenheit, die Guessner den Mound Spiro, eine indianische Kultstätte, durchsuchen ließ. Mehrfach zeigte er kurz vor seinem Tod Relikte eines bisher völlig unbekannten Stammes, deren archäologischer und auch finanzieller Wert unerhört ist.

Tom Freshour und Lorraine Davis begeben sich gemeinsam auf die Suche nach dem verschwundenen Schatz. Guessners Mörder gedenken nicht, sich von einer neugierigen Frau und einem ‚Mischling‘ ein Geschäft verderben zu lassen, das über simplen Antiquitätenraub weit hinausgeht. Die Wüste ist weit und einsam, Menschen verschwinden dort leicht, ohne Spuren zu hinterlassen …

Zeitkolorit und Spannung in perfekter Ausgewogenheit

Schatzjagd! Gibt es ein besseres Thema für einen handlungsrasanten Unterhaltungsroman? Puristen mögen es bestreiten; wir glauben ihnen nicht. Niemand kann sich dem Zauber versunkener Kulturen, geheimer Kavernen, tückischer Todesfallen und unheimlicher Wächter entziehen! Vor allem gilt dies, wenn sich ein echter Fachmann des Stoffes annimmt. Speer Morgan darf sich dieses Ehrentitels mit Recht rühmen. „Das Erbe von Spiro Mound“ bietet Lese-Spaß (fast) ohne Fehl und Tadel!

Da fragt sich der Rezensent, wo er sein Loblied einsetzen lässt. Mit der Story? Morgan erzählt nicht bloß von der gefährlichen Suche nach einem verlorenen Schatz. Er schreibt gleichzeitig einen historischen Kriminalroman, der die oft vernachlässigten Anforderungen dieses Genres mehr als erfüllt.

1934 scheint nicht weit in der Vergangenheit zu liegen. Speer Morgan beweist uns das Gegenteil. Da lebt ein waschechter Revolverheld aus alten Wildwest-Tagen in Fort Smith. Er gehört zu den Zeugen einer wüsten Zeit, genannt „Wilder Westen“, die in diesem Teil der USA längst nicht abgeschlossen ist. Die Realität von 1934 bietet sogar den idealen Anlass für den Rückfall in die Anarchie der Grenzregion. Es ist kein glückliches Jahr für Fort Smith oder für die USA überhaupt: Der „Schwarze Freitag“ von 1929 und eine Reihe niederschlagsarmer Jahre hat die Vereinigten Staaten in eine Wirtschaftskrise gestürzt.

Nur ein toter Indianer …

Für eine solche Herausforderung ist das System nicht gerüstet. Ganze Bevölkerungsschichten verelenden, ohne dass sie Hilfe oder auch nur Mitleid erwarten können: Die USA waren und sind ein Land der Starken & Tüchtigen. Wer dort scheitert, hat es sich selbst zuzuschreiben. Ein soziales Netz, wie es hier in Deutschland gerade aufgelöst wird, ist dort (nicht nur) 1934 völlig unbekannt. Die Polizei vertreibt Bettler und Landstreicher mit dem Gummiknüppel; wer nicht spurt und anderenorts verendet, verschwindet womöglich endgültig. Niemand fragt nach ihnen.

Ähnlich unbekannt ist die Gleichberechtigung von Mann & Frau. Auch Rassendiskriminierung ist an der Tagesordnung. Der Plot basiert auf diesen Voraussetzungen. In der Gegenwart angesiedelt, könnte er nicht funktionieren. Das System der „Vormundschaft“ („Guardianship“), das die Ureinwohner zu „Mündeln“ privater (und selbstverständlich weißer) ‚Vormünder‘ degradierte, die sie nicht frei über ihr Eigentum verfügen ließen bzw. sie kriminell darum brachten, ist endlich abgeschafft. Morgan lässt es noch einmal auferstehen und beschreibt seine unerhörte Ungerechtigkeit, die er als inoffizielle Fortsetzung der Indianerfeldzüge und -ausrottung brandmarkt.

Fort Smith ist ein wahrer Höllenpfuhl, in dem redliche Gesetzeshüter – gäbe es sie denn – keinen Einfluss haben. Die Geschichte spielt in einer Landschaft, die eine Schatz- und Mörderjagd geradezu heraufbeschwört. „Das Erbe von Spiro Mound“ profitiert von der Tatsache, dass Verfasser Morgan über eine reale Stadt schreibt, in der er geboren wurde und aufwuchs. Eine permanente Hitze, welche das Hirn ausdörrt und die Nerven blank liegen lässt, liegt über einem dürren und trotzdem schönen Land, das bereits latent lebensfeindlich ist, ohne dass habgierige Menschen seine Gefahren noch vermehren.

Oder noch besser: gar kein Indianer!

Tom Freshour ist eigentlich ein wandelndes Klischee: Wie viele von Vorurteilen gebeutelte Helden haben wir in der Literatur oder im Film bereits bei ihrem Kampf um Gleichheit & Gerechtigkeit beobachtet? Solange politisch korrekte Jammergesänge keine stabil strukturierte Story ersetzen, sondern das Diskriminierungs-Element diese stützen soll, ist der daraus resultierende Verdruss weiterhin wirksam.

Freshour ist ein Wanderer zwischen zwei Welten. Als ‚halber Weißer‘ wird er in deren Welt geduldet, als „Halbblut“ freilich nie wirklich integriert. Dagegen hat er in jungen Jahren aufbegehrt und ist gescheitert; für seine derzeitige, nicht wirklich geliebte Stelle muss er dankbar sein. In Fort Smith ist Freshour auf die Unterstützung ihm gewogener Männer angewiesen – und die sind jederzeit weiß. Seine Tüchtigkeit sichert ihm die Dankbarkeit eines wenig ehrgeizigen oder arbeitswütigen Chefs. Der Stadtrichter kann ihn leiden. Aber diese Kontakte geben Freshour keine Sicherheit. Sie sind brüchig, und vor allem sind da seine Gegner.

Für den brutalen, von Geld und Angst in seiner Position gefestigten Sheriff ist Freshour ein minderwertiger Indianer, der es gewagt hat, sich ihm in den Weg zu stellen. Noch stärker gilt dies für seinen Spießgesellen Will Mackey, einen Brutal-Kapitalisten aus der Raubritterzeit der jungen USA, der sich nimmt, was er will, ohne sich um Gesetz oder Rücksicht zu scheren. Auch er wird Freshour niemals verzeihen. Die Konsequenzen sorgen in diesem Roman nachdrücklich für Spannung.

Frauen und andere Mitbürger

Lorraine Davis ist die weibliche Hauptperson. Hier geht Autor Morgan auf Nummer Sicher: Davis ist jung und hübsch, für ihre Zeit recht selbstbewusst. Selbstverständlich verliebt sie sich in den deutlich älteren Freshour (obwohl der schon ein Verhältnis mit ihrer Mutter hatte). Sie demonstriert Unterstützung, vermittelt Freshour diverse archäologische Grundkenntnisse, flickt ihn zusammen, wenn ihn wieder einmal Schläge oder Schüsse trafen, schläft spektakulär mit ihm, fährt sogar einmal einen Fluchtwagen. Dennoch ist Lorraine Davis eine zweidimensionale Figur, mit der Morgan vor allem dem alten Grundsatz „Eine (schöne) Frau muss unbedingt mitspielen!“ huldigt.

Die übrigen Figuren fallen vor allem durch ihre Unfreundlichkeit auf. Arkansas ist 1934 ein raues Land, in dem niemandem etwas geschenkt wird. Das hat die Menschen misstrauisch, verschlossen und bösartig werden lassen. Wer Arbeit und damit Sicherheit hat, hält daran fest, selbst wenn dies bedeutet, die weniger Glücklichen niederzutrampeln. Alle Mitspieler im Mound Spiro-Drama haben Dreck am Stecken; Tom Freshour ist da keine Ausnahme. Diese Ambivalenz veredelt einen ohnehin gelungenen Roman, der wohl zumindest hierzulande zu gut für die Leserwelt war: „Das Erbe von Spiro Mound“ wurde nur einmal veröffentlicht und erschien auch nicht als Taschenbuch.

Autor

Speer Morgan wurde am 25. Januar 1946 in Fort Smith, Arkansas, geboren. In dieser Stadt wuchs er auf, und auch dem Staat blieb er treu: Morgan studierte u. a. an der University of Arkansas. Seit den späten 1960er Jahren veröffentlichte er journalistische Beiträge und Kurzgeschichten im „Atlantic Monthly“ und anderen Magazinen sowie in Anthologien. 1972 promovierte Morgan an der Stanford University in Kalifornien. Ein erster (historischer) Roman erschien 1979.

Morgan lehrt neben seiner Schriftstellertätigkeit Englisch an der University of Missouri.
Er war Gastprofessor an den Universitäten von Texas (1982) und Arkansas (1997). In diversen Workshops gab und gibt er sein Wissen als Autor weiter. Er hat außerdem 23 Jahre das literarische Magazin „The Missouri Review“ herausgegeben.

Gebunden: 349 Seiten
Originaltitel: The Freshour Cylinders (Denver : MacMurray & Beck 1998)
Übersetzung: Monika Blaich u. Klaus Kamberger

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