Roberson, Jennifer – Kind des Raben (Cheysuli 4)

Band 1: [„Dämonenkind“ 4409
Band 2: [„Wolfssohn“ 4868
Band 3: [„Tochter des Löwen“ 4961

Mit „Kind des Raben“ erschien nun der letzte Teil der |Cheysuli|-Neuausgabe; er umfasst die Bände „Der Flug des Raben“ und „Ein Gobelin mit Löwen“.

Aidan hat Alpträume von einer zerfallenden Goldkette, schon seit er ein kleiner Junge ist. Seine Eltern haben sie nicht weiter ernstgenommen, er aber weiß, dass sie von Bedeutung sind. Denn abgesehen von den Träumen hat er auch ganz ungewöhnliche Begegnungen, nicht nur mit einigen seiner toten Vorfahren, sondern auch mit noch weit seltsameren Leuten wie dem Jäger, der Weberin oder dem Krüppel. Aber gerade, als er glaubt, das Rätsel gelöst zu haben, wird er von einer grausamen Realität eingeholt …

Kellin hat ebenfalls Alpträume. Seit einer unbedachten Äußerung seines Großonkels Ian fürchtet er sich vor Löwen, selbst jenen auf dem Wandteppich in der großen Halle oder dem geschnitzten Löwen des Throns. Weit mehr als das leidet er allerdings darunter, dass sein Vater ihn verlassen hat. Als er auch noch andere, ihm nahestehende Menschen verliert, wird seine Verlustangst zur Phobie. Kellin versucht, seine Ängste mit Alkohol, Hurerei und Gewalt zu verdrängen, doch es gelingt ihm nicht. Erst als er nach einem unfreiwilligen Bad in einem reißenden Gebirgsfluss sein Gedächtnis verliert, scheint er in der Lage, seinen eigenen Weg zu finden …

_Aidan_ war mir ehrlich gesagt der weitaus sympathischere von beiden. Die ständig wiederkehrenden Alpträume, denen er sich nicht verweigern kann, lassen Aidan ernstlich an seinem Verstand zweifeln. Außerdem besitzt er die erinnische Gabe des Kivarna, die Fähigkeit, die Gefühle anderer zu spüren. Deshalb weiß er, dass seine Eltern genau dieselben Zweifel hegen. Er versucht, Antworten von seinen magischen Begegnungen zu bekommen, doch die scheinen nicht geneigt, ihm irgendetwas zu verraten, und bestehen stattdessen darauf, dass er es selbst herausfindet. Aidans Verwirrung treibt ihn fast zur Verzweiflung.

Kellin ist ebenfalls verzweifelt, was durchaus nachvollziehbar ist, allerdings ist er im Gegensatz zu Aidan vollkommen blind für das, was er selbst anrichtet, als hätten seine Verluste ihm das Recht verliehen, seinerseits andere zu verletzen. Die Risiken, die er eingeht, übersteigen selbst alles, was Hart jemals ausgefressen hat; er ist eigensinnig, selbstgerecht und zeigt nicht die geringste Bemühung um Selbstbeherrschung, ja nicht einmal die Bereitschaft dazu, es auch nur zu versuchen. In der Szene, in der er mit Burr, dem Shar Tal, aneinandergerät, hätte ich ihn am liebsten geohrfeigt.

Natürlich braucht die Geschichte nach Strahans Tod auch einen neuen Gegenspieler. Und so schwer es ist, aber Lochiel scheint seine Vorgänger an Bosheit sogar noch zu übertreffen. Was er mit Aidans Frau anstellt, stellt einen neuerlichen Höhepunkt in der Verruchtheit der Ihlini dar, und mit seinen eigenen Familienangehörigen geht er auch nicht gerade freundlich um.

Abgesehen davon aber, ob mir die Charaktere nun sympathisch waren oder nicht, sie waren alle ausgesprochen glaubhaft und lebendig beschrieben. Da blieb nichts zu wünschen übrig.

_Was die Handlung anging_, so hat mir auch hier die Geschichte um Aidan besser gefallen als die um Kellin. Zur Abwechslung ging es tatsächlich mal nicht darum, den geeigneten Ehepartner für die richtige Blutmischung zu finden oder zuzusehen, wie die nächste Generation in eine Falle der Ihlini tappt und sich dann wieder rauswindet. Aidan fällt in jeder Hinsicht aus dem Rahmen, was ich als sehr wohltuend empfand. Sein Versuch, den richtigen Weg durch die Flut von Andeutungen und Halbinformationen zu finden, war erfrischend neu.

Der Wermutstropfen war dagegen Lochiel. Eigentlich ist er ja nicht dumm. Aber nach so vielen gescheiterten Versuchen seiner Vorgänger, die Prophezeiung in eine falsche Richtung zu lenken, und mit dem Wissen, dass den Ihlini die Zeit davonläuft, muss er sich schon die Frage gefallen lassen, warum in aller Welt er Aidans Sohn entführt hat, anstatt ihn einfach umzubringen. Zumal er seiner eigenen Aussage nach ja wusste, dass Aidan keine weiteren Kinder haben würde. Da wäre ein schlichter Mord eine wesentlich sicherere Methode gewesen, die Prophezeiung zu vernichten, als eine neuerliche, verwickelte Intrige. Natürlich hat es dramaturgische Gründe, sonst wäre ja schließlich kein Happy -End mehr möglich gewesen. Das macht es aber nicht unbedingt logischer.

Kellins Geschichte birgt natürlich den Reiz, dass auf irgendeine Weise die Verbindung mit den Ihlini hergestellt werden muss. Das ist der Autorin tatsächlich auf geschickte Weise gelungen. Leider beginnt Kellin sich erst ab dem Moment in die richtige Richtung zu bewegen, nachdem er den Schoß der Erde aufgesucht hat, und bis dahin ist mehr als die Hälfte des Buches gelesen. Außerdem empfand ich auch den Schluss des Zyklus als ein wenig unbefriedigend. Der Leser erfährt weder, was es mit diesen Erstgeborenen, deren Rückkehr so hart erkämpft und so teuer erkauft wird, eigentlich genau auf sich hat, noch, warum sie so dringend zurückgebracht werden müssen. Asar-Suti ist ein Gott, und ein Gott kann nicht endgültig besiegt werden. Es wird also weiterhin Böses und Übles in der Welt geben, selbst wenn die Erstgeborenen mächtiger sein sollten als Asar-Sutis Anhänger, von denen es ja mehr gibt als nur Tynstars Nachkommen.

Ein wenig enttäuschend fand ich auch, dass die A’saii, die einen interessanten Aspekt hätten darstellen können, so sang- und klanglos im Hintergrund verschwunden sind. Tiernan war ein vielversprechender Charakter, der für einen Menge echte Turbulenzen hätte sorgen können, wenn er denn mal richtig zum Zug gekommen wäre. Dass er seinen Lir verloren hat, empfand ich ein wenig als Verschwendung. Andererseits wäre angesichts der Dicke der letzten beiden Bände wohl einfach nicht mehr genügend Platz gewesen, um ihm wirklich gerecht zu werden. Auch die Lirs haben nicht zu der Bedeutung zurückgefunden, die ich mir erhofft hatte. Aidan und Kellin und ihre Lirs sprechen nicht halb so viel miteinander, wie ich es zum Beispiel von Donal in Erinnerung habe, und nicht halb so freundlich.

_Am Ende_ hab ich das Buch mit gemischten Gefühlen zugeklappt. Ich hätte durchaus gern gewusst, wie die Zukunft der Welt unter der Herrschaft der Erstgeborenen ausgesehen hätte, wenigstens ein kleines bisschen. Und bei Kellins rüden Eskapaden trotzdem weiterzulesen, hat mich einiges an Geduld gekostet. Trotzdem fand ich auch die letzten beiden Teile des Zyklus nicht wirklich schlecht, vor allem dank Aidans ausgefallener Rolle innerhalb der Prophezeiung und der Tatsache, dass die Autorin auf so gelungene Weise die letzte heikle Kurve hin zu den Ihlini genommen hat. Ich bin aber auch nicht unglücklich, dass der Zyklus jetzt zu Ende ist, denn noch eine oder zwei weitere Generationen, und ich hätte endgültig den Überblick darüber verloren, wer denn nun eigentlich wer war.

_Jennifer Roberson_ studierte englische Geschichte und war zunächst als Journalistin tätig, ehe sie Bücher zu schreiben begann. Der |Cheysuli|-Zyklus war ihr erstes Werk, seither hat sie eine ganze Reihe von Zyklen, Einzelromanen und Kurzgeschichten geschrieben, darunter die |Schwerttänzer|-Saga sowie die Historienromane „Lady of the Forest“ („Herrin der Wälder“, dt. 1996) und „Lady of Sherwood“ („Die Herrin von Sherwood“, dt. 2002). Die Autorin lebt mit einem Rudel Hunde und Katzen in Flagstaff/Arizona.

|Originaltitel: Flight of the Raven / A Tapestry of Lions
Überarbeitete Neuausgabe
Übersetzung: Karin König
990 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52487-3|
http://www.cheysuli.com
http://www.heyne.de

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