Ruckley, Brian – Winterwende (Die Welt aus Blut und Eis 1)

Wir schreiben das Jahr 1102 des Dritten Zeitalters. Der Clan des Schwarzen Pfads, vertrieben aus seiner Heimat, durchquert das Land Car Criagar. Verfolgt von Stämmen der Wahren Geschlechter tritt der abtrünnige Clan die Flucht in den Norden an. Doch der Weg ist beschwerlich und nur die Stärksten haben eine Chance. Verwundete und Schwache müssen zurückgelassen werden, damit die letzten standhaften Krieger den Frauen und Kindern die Zuflucht in den Norden, in das Tal der Steine ermöglichen können. Viele tapfere Männer lassen ihr Leben, und als der Clan endlich sein Ziel erreicht, ist er auf wenige hundert Männer, Frauen und Kinder dezimiert.

150 Jahre später. Es ist viel passiert, die Länder und Herrschaftshäuser haben sich stark verändert. Die Wanderung des Schwarzen Pfads ist zur Legende geworden, die Geschichte wird nur noch am Kamin erzählt. Das Reich ist nun aufgeteilt in große Stämme, über die der Hoch-Than Gryvan oc Haig herrscht. Wer es wagt, seinen Herrschaftsanspruch in Frage zu stellen, muss mit einer harten Strafe rechnen. Wer sich nicht seinem Willen beugt, muss um sein Leben fürchten. Der Clan des Schwarzen Pfades jedoch ist längst aus dem Blickfeld des Thans und seiner Häuser geraten. Die einst Vertriebenen haben ihr Exil im hohen Norden angenommen. Seitdem herrscht Ruhe, an den nördlichen Grenzen zumindest ein stabiler Waffenstillstand.

Doch die Zeichen stehen auf Sturm und eine Rückkehr des Clans, der sich für die Vertreibung in den Norden nach all den Jahren rächen will, steht kurz bevor. Der Than hat die Exilanten aus dem Blickfeld verloren und bemerkt erst viel zu spät, dass sie sich erheben – aus einem Land aus Stein, Schnee und Eis.

„Winterwende“ nennt sich der Auftakt der neuen Saga „Die Welt aus Blut und Eis“, das schriftstellerische Debüt des Autors Brian Ruckley. Ganz im Stil George R. R. Martin versucht sich Ruckley an einer epischen Erzählung, die rau, brutal und erbarmungslos daherkommt. Doch kann „Winterwende“ dem Vergleich zum Genrekönig „Das Lied von Eis und Feuer“ standhalten?

_Inhalt_

Orisian nan Lannis-Haig ist zu Besuch bei seinem Onkel Croesan auf der Burg Anduran, als er zusammen mit seinem Neffen Naradin auf die Jagd geht. Orisian ist erst 16 Jahre alt, doch bereits ein geschickter Jäger und gewandt auf dem Rücken eines Pferdes. Mit der Erfahrung seines Neffen, der erst kürzlich geheiratet und einen Sohn gezeugt hat, der eines Tages als auf der Burg Anduran herrschen soll, kann es der Junge aber noch nicht aufnehmen. Doch auch Naradin hat sich den Kampf mit dem Eber, den er und Orisian schließlich stellen, wesentlich einfacher vorgestellt. Denn das Tier sucht nicht, wie üblich, sein Heil in der Flucht, sondern geht zum Angriff über. Als Naradin es schließlich erlegt, entdeckt dieser den Grund für dessen eigenartiges Verhalten. Eine abgebrochene Pfeilspitze, die noch im Fleisch steckt, muss es zum aussichtslosen Kampf getrieben haben. Auch die Pfeilspitze gibt Rätsel auf, denn Naradim kann sie den Kyrinin zuordnen, den Waldelfen. Doch es ist lange her, dass sie sich so weit in die Nähe der Menschen gewagt haben. Was muss in dem rauen, schneebedeckten Land hoch im Norden vor sich gehen, dass sich Tiere wie auch Kyrinin so dicht an die Grenzen der Menschen heranwagen?

Orisian kehrt einige Tage später wieder nach Kolglas zu der Burg seines Vaters zurück. Dort beginnen bereits die Vorbereitungen für das große Fest zur Winterwende. Um Orisians Vater Kennent steht es allerdings schlecht. Denn seit vor vielen Jahren eine Krankheit Kennets Ehefrau und seinen ältesten Sohn dahinscheiden ließ, hat der Herrscher über Kolglas jeden Lebenswillen verloren. Orisian und Anyara, seine Tochter, sind das Einzige, was Kennet noch geblieben ist. Das Winterfest, so hoffen Orisian und seine Schwester, wird nicht nur die Stadt und die Burg, sondern auch Kennet, zumindest für ein paar Tage, die dunklen Stunden der Trauer vergessen lassen. Doch es kommt zu einem unerwarteten Angriff, bei dem die Burg in Schutt und Asche gelegt wird und Orisian und Anyara gefangen genommen werden.

Zur selben Zeit belagert Hoch-Than Gryvan oc Haig weit im Süden die Feste An Caman, um Abtrünnige des Dargannan-Clans, die sich seiner Herrschaft widersetzt haben, auszubluten. Mit Männern aller ihm unterstehenden Häuser hat er die besten Kämpfer aus den nördlichen Landen abgezogen. Und während der Hoch-Than kurz davorsteht, einen leichten, aber unbedeutenden Sieg einzufahren, bemerkt er nicht, wie der Norden überrannt wird.

_Bewertung_

Brian Ruckley fährt mit „Winterwende“ ein wahrlich beachtliches Debüt auf. Der Prolog zieht den Leser direkt in die Geschehnisse hinein und lässt ihn bis zum Schluss nicht mehr los. „Winterwende“ ist grausam und brutal ist, ergeht sich allerdings nicht in blutigen Schilderungen, sondern lässt den Leser durch die raue und umbarmherzige Umgebung am harten Leben der Protagonisten teilhaben. Sprachlich versiert vermischt Ruckley den rauen Ton der Geschichte mit der eisigen Winterwelt. Die Kombination gelingt und ergibt ein stimmungsvolles Ganzes.

Obwohl Ruckley darauf achtet, nur kleine Ausschnitte zu zeigen, wird die Welt bereits nach wenigen Seiten plastisch, als wäre sie historisch mit der Zeit gewachsen. Das gelingt den meisten Autoren selbst nach seitenlangen Beschreibungen über historische Hintergründe nicht. Wo andere sich verzweifelt bemühen, ihre Geschichte plausibel rüberzubringen, aber lediglich die Welt um die viel zu konstruiert wirkende Handlung anlegen, schafft es Ruckley, seine Geschichte als Teil eines großen Ganzen darzustellen. Gerade dadurch vermittelt „Winterwende“ Realismus, der zu fesseln weiß, ohne die fantastischen Elemente in den Hintergrund zu drängen.

Ruckley richtet seine Erzählung, obwohl er keine geringe Anzahl an Personen einführt und die Schicksale vieler Charaktere über die Grenzen ihrer Völker hinweg miteinander verbindet, auf einige wenige Personen und Schauplätze. Er lässt bewusst weiße Flecken auf der Landkarte, die er erst mit der Zeit (und vermutlich erst mit den nächsten Bänden) allmählich gestalten wird. Im Gegensatz zu George R. R. Martin, der aufgrund der epischen Breite und Erzählstruktur tatsächlich als Referenz herangezogen werden kann, erzählt Ruckley jedoch nicht aus der Sicht vieler Personen, sondern beschränkt sich auf zentrale Figuren. Gerade dadurch wird ihr Überlebenskampf im hereinbrechenden Winter(krieg) umso deutlicher und bietet Identifikationsmöglichkeiten für den Leser.
Ruckley nimmt keine Einteilung in Gut und Böse vor, schafft es jedoch noch nicht, seine Charaktere so bunt und tiefgründig zu zeichnen, wie es ein Martin vermag. Das fällt aber nicht weiter ins Gewicht, vor allem nicht angesichts eines bis zum Ende hin steigenden Spannungsbogens, der bis zum Finale gehalten wird.

Weniger geglückt, aber nicht dem Autor zuzuschreiben ist die eher zweckmäßig zu bezeichnende Karte, welche die Länder und Orte abbildet. Die wichtigsten Städte, Burgen und Regionen sind eingezeichnet, hübsch sieht das allerdings nicht aus. Hilfreich ist sie trotzdem, ebenso wie die Zeittafeln und Namensregister, die die Orientierung erleichtern. Vor allem die Namen sind anfangs gewöhnungsbedürftig, tragen jedoch unweigerlich zur Atmosphäre der miteinander in Verhältnissen stehenden Herrschaftshäusern bei.

Bewusst verzichtet wurde auch auf die klassischen Fantasyelemente. Fantastische Wesen gibt es schon einmal gar nicht. Obwohl Elfen auftauchen, allerdings in der Bezeichnung der Kyrinin, unterscheiden sie sich deutlich von ihren herkömmlichen Artgenossen. Dem Grundtenor des Romans angemessen sind sie ebenso unbarmherzig, rau und kalt wie die Wälder um sie herum. Magie wirken die Kyrinin daher ebenso wenig, und wenn überhaupt von Magie die Rede ist, dann in einer unklaren, mysteriösen Form, die eher unserem weltlichen, im Mittelalter üblichen Verständnis für Zauberei nahekommt.

Brian Ruckley gelingt mit „Winterwende“ ein rundum gelungenes Debüt. Die Erzählung ist vielschichtig, die Welt komplex und nicht einfach in Schwarz und Weiß eingeteilt und die Charaktere besitzen Profil. Hie und da merkt man dem Autor an, dass es sein Erstlingswerk ist, doch das fällt angesichts der überzeugenden Gesamtleistung kaum ins Gewicht. Bis zum Ende mag man das Buch nicht mehr aus der Hand legen und hofft darauf, dass diesem Werk möglichst bald weitere aus der Feder Ruckleys folgen. Diesen Autor sollte man im Auge behalten – sein Stil ist frisch, klar und stimmungsvoll.

http://www.piper-verlag.de/fantasy

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