Sterling, Bruce – Inseln im Netz

Irgendwie macht es dieser Roman dem Leser richtig schwer, sich mit ihm anzufreunden. Vermutlich liegt das an der Protagonistin. Laura Webster, so heißt sie, will beides: einerseits eine steile Karriere bei Rizome, einem der multinationalen Konzerne, welche den Nationalstaaten längst die Macht aus den Händen gerissen haben, andererseits ein rührseliges, intaktes Familienleben. Dank ihres Mannes David, eines mehr oder weniger gutmütigen Trottels, der brav zurücksteckt und wenig eigenen Ehrgeiz entwickelt, so lange es ihm gut geht, funktioniert das auch leidlich. Wenngleich sie es in der Konzernhierarchie noch nicht so weit nach oben gebracht hat wie ihre unverheiratete Freundin Emily Donato. Zumindest deutet sich aber der nächste Karrieresprung schon an, als ihr von höchster Stelle der Auftrag gegeben wird, eine Bande mysteriöser Datenpiraten zu beherbergen, mit denen der Konzern insgeheim kooperieren will, um allzu ärgerliche Verluste künftig zu vermeiden. Doch in dem Ferienheim, das Laura in Galveston leitet, wird einer der Piraten direkt neben ihr erschossen. Schlecht für die Karriere, auch wenn sie nichts dafür kann, und schlecht vor allem für ihr weiteres Schicksal.

Denn jetzt beginnt Laura erst so richtig, sich in den Trubel zu stürzen, mitten hinein in die undurchsichtigen Geschehnisse in Grenada oder Singapur. Beides sind so genannte Steueroasen, die Inseln im Netz, die der Titel des Romans meint, die der Macht der Konzerne noch trotzen können und sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt haben. Natürlich wäre Laura besser zu Hause geblieben und das ist das eigentliche Ärgernis mit dieser Frau. Sie schleppt Tochter und Mann mitten ins erste Krisengebiet, lässt sich von den schlechten Erfahrungen dort und ihrer allgemeinen Deplatziertheit aber nicht belehren, sondern muss auch noch nach Singapur. Diesmal allein, dafür gerät sie aber richtig in die Patsche.

Damit erlischt das Interesse an Laura Webster, denn alles, was jetzt noch kommt, hat sie mehr als verdient, möglicherweise kommt sie am Ende sogar zu glimpflich weg. Dem Autor Sterling gelingt es nicht, beim Leser (zumindest nicht beim Rezensenten) Sympathie für Lauras Schicksal und Leidensweg zu wecken. Es kann zwar sicher auch interessant sein, eine Person zu verfolgen, die falsch macht, was sie falsch machen kann. Andererseits wäre es dann wünschenswert, zumindest deren Intention nachvollziehen zu können. Allein schon krankhaft zu nennender beruflicher Ehrgeiz reicht da nicht aus, definitiv nicht, wenn man sich dermaßen ins Unglück stürzt. Sprich: Wäre Lauras Handeln besser und schlüssiger motiviert, wäre dieser Roman auch angenehmer zu lesen und könnte richtig Spaß machen.

Das Ideenpotenzial, das Bruce Sterling in „Inseln im Netz“ verpackt, ist nämlich gewaltig und eigentlich äußerst interessant. 1988 im Original und 1990 erstmals in deutscher Übersetzung (Heyne 06/4702) veröffentlicht, entfernt sich der Autor von seinen Cyberpunk-Wurzeln – ohne diese völlig zu leugnen – hin zu einem Weltentwurf, der sich in eine Reihe mit Romanen von etwa Greg Bear oder Nancy Kress stellen lässt. Politik, Wirtschaft und Ökologie spielen nicht zu vernachlässigende, tragende Rollen und werden zu einem stimmigen Szenario verwoben. So weit scheint das alles gar nicht weg zu sein, was Sterling hier im Jahr 2020 geschehen lässt. Demzufolge liest sich die Geschichte auch so lange spannend, wie noch am Hintergrund gefeilt wird, dieser sich nach und nach vor dem Leser ausbreitet und mit immer neuen, überraschenden und vor allem intelligent ausgearbeiteten Details aufwartet. Dann aber ist alles gesagt, die Story (und natürlich Laura) jedoch noch immer nicht an ihrem Ende angelangt. Schade. Bruce Sterling hat auch schon Besseres geschrieben, wie etwa „Heiliges Feuer“ (Heyne 06/6361) oder „Schwere Wetter“ (Heyne 06/5490).

_Armin Rößler_ © 2002
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|