In bislang drei Romanen ([„Das letzte Ritual“ 5891 , „Das gefrorene Licht“ und „Das glühende Grab“) konnte man der Reykjaviker Anwältin Dóra Gudmundsdóttir bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Nun legt Yrsa Sigurdardóttir den vierten Roman ihrer Island-Krimireihe vor. Es waren in der Vergangenheit stets recht ungewöhnliche Fälle, die Dóra immer wieder aus dem beschaulichen Büroalltag herausgerissen haben. Dem steht auch ihr neuester Fall in Nichts nach.
Diesmal verschlägt es Dóra sogar nach Grönland. Diesen Ausflug hat sie ihrem Lebensgefährten Matthias zu verdanken, der als Sicherheitschef bei einer isländischen Bank arbeitet, die nun um ihre Finanzierung eines Forschungscamps in Grönland fürchtet. Dort ist eine Bergbaufirma mit Probebohrungen betraut, da aber zwei isländische Arbeiter spurlos aus dem Camp verschwinden und der Rest der Truppe sich weigert, ins Camp zurück zu kehren, gerät der Zeitrahmen und damit das ganze Projekt in Gefahr.
Dóra und Matthias sollen nun herausfinden, was vor Ort vorgefallen ist. Zusammen mit einem sachkundigen Team machen sie sich auf den Weg und stoßen schon bald auf viele Ungereimtheiten: Da wäre ein verschwommenes Video, aufgenommen mit einer Webcam, das möglicherweise einen Mord zeigt. Dann wären da noch die so feindlichen Einheimischen, die keinerlei Hilfestellung bei der Aufklärung der Vorkommnisse bieten. Von wem stammen die menschlichen Knochen, die das Team in den Schreibtischschubladen der Mitarbeiter der Bergbaufirma findet und wohin sind die beiden verschollenen Mitarbeiter verschwunden? Schon bald sind Dóra und ihr Team wegen eines heraufziehenden Schneesturms von der Außenwelt abgeschnitten und ganz auf sich allein gestellt …
Yrsa Sigurdardóttir scheint sich diesmal wieder recht viel versprechender Krimizutaten zu bedienen. Mit Grönland greift sie auf einen recht unverbrauchten Handlungsort zurück und ein von der Außenwelt abgeschnittener Ort sorgt eigentlich so gut wie immer für einen kräftigen Ruck an der Spannungsschraube.
Mit Dóra hat Sigurdardóttir sich obendrein über drei Romane eine sympathische Figur aufgebaut, die der Leser an sich schon gleich im ersten Band ins Herz schließen muss. Dóra ist eine liebenswerte Chaotin, deren turbulentes Durcheinander zwischen Kanzlei und Familie auch immer wieder zum Schmunzeln anregt. Sie ist nicht nur alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, sondern hat obendrein auch noch einen mittlerweile 18-jährigen Sohn, der sie schon sehr früh zur Großmutter gemacht hat. Und da Dóra nebenbei auch noch die Kanzlei schaukeln muss, verläuft ihr Leben oft genug chaotisch.
Ein schöner Gegensatz ist da ihr deutscher Lebensgefährte Matthias, der inzwischen in Reykjavik wohnt. Stets akkurat und wohlorganisiert, stellt er ein schönes Kontrastprogramm zu der chaotischen Dóra dar, was immer wieder zu scherzhaften Kabbeleien zwischen den Beiden führt. Dieses Duo wird spätestens seit dem letzten Roman „Das glühende Grab“ ergänzt durch Bella, Dóras unfähige und sozial eher wenig kompetente Sekretärin. So hat man mit Blick auf die Protagonisten schon mal eine durchaus unterhaltsame Konstellation.
Der Einstieg in „Die Eisblaue Spur“ verspricht zunächst viel Spannung. Die ungewisse Situation im Forschungscamp nach der Ankunft von Dóras Team, die seltsame, zurückweisende Art der Einheimischen, die merkwürdigen Funde menschlicher Knochen und mysteriöser Artefakte – das alles trägt erheblich zur Spannung bei. Dóra und ihre Mitreisenden können sich kein klares Bild von der Situation machen, die dazu geführt haben könnte, dass zum einen Menschen verschwunden sind und sich zum anderen der Rest der Truppe der Rückkehr ins Camp widersetzt. Der Ort an dem das Camp liegt, scheint für die Einheimischen eine tiefere Bedeutung als ein Ort zu haben, den man auf keinen Fall betreten darf. Über das Warum schweigen sie sich aus und so hat Dóra auch hier keinen rechten Ansatzpunkt für Nachforschungen.
Erst als sie eine weitere grausige Entdeckung machen und sie die Polizei einschalten, kommt Bewegung in die Geschichte, aber dann sind Dóra und ihr Team auch ganz schnell aus den Ermittlungen raus, weil die Polizei sie kalt stellt. So stagniert ab diesem Moment auch die Spannung ein wenig. Was anfangs noch nach einem viel versprechenden Spannungsbogen aussieht, verliert im Laufe der Geschichte ein wenig an Intensität.
Auch die Auflösung kommt dann etwas plötzlich. Sigurdardóttir schmeißt unterwegs viele Andeutungen in den Raum, verwebt das Ganze mit der Inuit-Kultur und alten Mythen, berichtet vom Mobbing der Mitarbeiter der Bergbaufirma untereinander in der Abgeschiedenheit des Forschungscamps, das sie schön plastisch darzustellen vermag, und streut viele Hinweise aus. Dennoch strebt der Spannungsbogen nicht so stetig aufwärts, wie man es sich wünschen würde.
Die Ansätze sind wunderbar, auch die Komplexität des Falls hat so ihre Vorzüge, dennoch entwickelt sich die Geschichte in ihrem Verlauf eher zu einem mittelmäßigen Krimi. Durch die Abgeschiedenheit in der grönländischen Einöde kommt logischerweise auch Dóras mitunter so unterhaltsam chaotisches Familienleben viel zu kurz. Auch die Personenentwicklung, die Sigurdardóttir in den vorangegangenen Romane gerade auch mit Blick auf Dóra und Matthias stetig vorangetrieben hat bleibt ein wenig auf der Strecke.
Sprachlich weiß die Isländerin zwar immer noch insofern zu überzeugen, dass sich das Buch flott und locker runterlesen lässt, dennoch hat sie auch schon mal gezeigt, dass sie es eigentlich besser kann. Insbesondere ihre ersten beiden Krimis „Das letzte Ritual“ und [„Das gefrorene Licht“ 4547 gefielen mir insgesamt besser.
Unterm Strich hat „Die Eisblaue Spur“ sicherlich so einige Vorzüge, zu denen vor allem auch der grönländische Handlungsort mit der dazugehörigen Atmosphäre gehört, dennoch macht Sigurdardóttir es sich mit diesem Roman, wie auch schon mit dem Vorgänger „Das glühende Grab“ zunehmend im Mittelmaß gemütlich. Sie hat schon bewiesen, dass sie es besser kann. Bleibt also zu hoffen, dass sie sich mit dem nächsten Roman wieder auf alte Qualitäten besinnt, denn dann kann wieder ein erstklassiges Krimivergnügen daraus werden.
|Broschiert: 352 Seiten
ISBN-13: 978-3596183432
Originaltitel: |Auðnin (Veins of Ice)|
Übersetzt von Tina Flecken|