Alfred Hitchcock präsentiert: Verrammelt die Türen

Zwar gab Alfred Hitchcock nur seinen werbewirksamen Namen für diese Sammlung her, die nichtsdestotrotz acht klassische Storys bündelt, in denen es manchmal tatsächlich aber meist nur scheinbar übernatürlich umgeht; in der Regel ist es der Mensch selbst, dem das gestörte Hirn Schreckensbilder vorgaukelt, denen fürchterliche Taten folgen: auch ohne Hitchcock-Faktor angenehm gruselige Lektüre.

Inhalt:

– McKnight Malmar: Der Sturm (The Storm, 1944): Als Janet, die mit Ehemann Ben in ein Haus weit draußen auf dem Land gezogen ist, von einer Reise etwas früher als geplant heimkehrt, um den Gatten zu überraschen, erfährt sie endlich, wieso dieser Ruhe und Abgeschiedenheit so sehr schätzt..

– DuBose Heyward: Die Medizinflasche (The Half-Pint Flask, 1927): Ein ebenso reicher wie dünkelhafter Sammler alter Glasfläschchen muss erfahren, dass es sich rächt, ein Grab zu plündern – oder Voodoo für Aberglauben zu halten.

– F. Marion Crawford: Die obere Koje (The Upper Berth, 1894): Auf einer Schiffsfahrt über den Atlantik lernt ein Handelsreisender des Nachts einen ganz besonderen Kabinengenossen kennen.

– Alfred Noyes: Mitternachtsexpreß (Midnight Express, 1935): Seit Jahren fürchtet Mortimer, dass sich ein ewiger Albtraum als wahr erweisen könnte; als der Tag dann tatsächlich kommt, stellt sich das allerdings als seine geringste Sorge heraus.

– August Derleth: Das Metronom (The Metronome, 1934): Die böse zweite Ehefrau hat sich des ungeliebten Stiefsohns entledigt, doch dieser begreift im Tode, wie übel ihm mitgespielt wurde, und kehrt zurück, um sich zu rächen.

– Martin Armstrong: Der Pfeifenraucher (The Pipe-Smoker, 1932): Ein Geist aus dem Spiegel kommt sich sehr schlau vor, als er in einen Menschen fährt, doch er hätte sich vorher besser über die Gesundheit seines Gastgebers informieren sollen.

– Wilbur Daniel Steele: Die Frau auf Seven Brothers (The Woman at Seven Brothers, 1917): Ein alter Mann, seine deutlich jüngere Frau und ein stattlicher Jüngling auf einem einsamen Leuchtturm: keine glückliche Kombination für ein harmonisches Zusammenleben.

– Margaret Irwin: Das Buch (The Book, 1930): Wer hätte gedacht, dass der verstorbene Erbonkel ein Teufelsanbeter war? Sein Neffe erfährt es, als er im Nachlass zufällig auf ein Buch mit Zaubersprüchen stößt. Der eigentliche Besitzer begrüßt die Gelegenheit, einen neuen Jünger zu rekrutieren.

Sie kommen zu dir – auch aus dem eigenen Hirn!

„Verrammelt die Türen“- der Titel ist zur Abwechslung einmal nicht auf dem Mist eines zwanghaft originellen Übersetzers gewachsen – ist ein ungewöhnliches Buch, das eigentlich nicht verdient hat, in Vergessenheit zu geraten: als Sammlung hierzulande meist unbekannter Autoren mit einigen frühen und raren, ‚psychologisch‘ angelegten Horrorstorys, die man in Deutschland außerhalb dieses Bändchens in der Mehrzahl nicht mehr gelesen hat.

„Die obere Koje“ von F(rancis) Marion Crawford (1854-1909) ist eine Ausnahme als zu Recht wieder und wieder abgedruckte Story; ein Klassiker der unheimlichen Literatur und gewiss eine der besten Gespenstergeschichten aller Zeiten. Hier fällt sie ziemlich aus dem Rahmen; zeitlich liegt sie deutlich vor den übrigen Beiträgen, und es tritt ein richtiger und sehr handfester Spuk in Erscheinung, der sich keinesfalls als Sinnestäuschung auflösen lässt.

Dagegen gibt „Der Sturm“ von (Mary) McKnight Malmar (1903-1985) den Tenor für „Verrammelt die Türen“ vorbildlich vor: eine Geschichte irrationalen – eine Frau allein in einem einsam gelegenen Haus, belagert von einem Sturm, der wie ein übernatürliches, böses Wesen wirkt – wie rationalen Terrors – sie ist womöglich mit einem Serienmörder verheiratet -, als Plot heute ein wenig angestaubt, da in tausend meist schlechten Kino- und TV-Filmen bis zum Überdruss durchgespielt aber in Kritikerkreisen noch immer gut angesehen, weil kein Gespenst in Sicht ist und der Horror hauptsächlich in den Köpfen der Leser entsteht; aus unerfindlichen Gründen gilt dies als literarisches Gütesiegel.

Literaten und Handwerker

DuBose Heyward (1885-1940) leistete seinen Beitrag zur populären Kunst als Autor des Theaterstücks „Porgy“ (1927), eines gefühlvoll-kitschigen Dramas um einen unglücklich verliebten, schwarzen Bettler aus Charleston, das später als Oper und schließlich als Musical „Porgy and Bess“ mit der Musik von George Gershwin Unsterblichkeit erlangen sollte. Heyward gilt als einer der ersten (weißen) Künstler, die unvoreingenommen die schwarze Südstaaten-Kultur mit ihrer reichen Tradition porträtierten. Dass man dieses Urteil aus heutiger Sicht relativieren muss, dürfte kaum überraschen. „Die Medizinflasche“ ist eine stimmungsvolle Gruselgeschichte, in der die „Neger“ (wie man 1965 bzw. 1977 noch politisch korrekt sagen durfte) dennoch nur als gesichtsloser, latent dämonischer Hintergrundchor auftreten dürfen.

Alfred Noyes (1880-1958) ist (legt man Wert auf diese Differenzierung) weniger als Genreautor denn als Literat schweren Kalibers bekannt geworden. Ein britischer Poet und anerkannter Literaturwissenschaftler, dessen Übertritt zum Katholizismus allerlei gedankenschwere Gedichte, Essays und parabelhafte Geschichten hervorbrachte, adelt scheinbar eine Sammlung schnöder Gruselstorys so sehr, dass der Herausgeber dafür auch eine mittelmäßige Doppelgänger-Geschichte wie „Mitternachtsexpreß“ in Kauf nahm.

August (William) Derleth (1909-1971) ist den Freunden der phantastischen Literatur in erster Linie als Herausgeber bekannt, der es erfolgreich unternahm, das Werk seines Freundes und Mentors H. P. Lovecraft (1890-1937) vor dem Vergessen zu bewahren. Darüber hinaus war Derleth ein Pionier als Herausgeber unheimlicher Geschichten und Entdecker wie Förderer mancher Nachwuchstalente. Derleth war kein überragender Autor. Dennoch wäre es falsch, ihn an Lovecraft zu messen, denn sobald er sich von seinem Vorbild lösen konnte, leistete er durchaus Lesenswertes.

Ins Ziel gerettet

Martin (Donisthorpe) Armstrong (1882-1974) erleidet ziemlich Schiffbruch mit seiner Geschichte vom düpierten Geist. Vielleicht liegt es hauptsächlich daran, dass sich die Pointe für den gruselerfahrenen Leser von heute gar zu deutlich und vor allem zu früh abzeichnet.

Wilbur Daniel Steele (1886-1970) gehört wie Margaret Irwin (s. u.) zu jenen vergessenen Autoren, die einst überaus erfolgreich waren; er gewann den renommierten „O.-Henry-Award“ für die beste amerikanische Kurzgeschichte des Jahres zwischen 1918 und 1931 nicht weniger als elf Mal. (Hemingway gelang dies – wie auch Stephen King oder Woody Allen – nur einmal) Liest man „Die Frau auf Seven Brothers“, weiß man, wieso er vom Radar der Leser verschwunden ist, obwohl diese (ähnlich wie „Der Sturm“ psychologisch angelegte) Geschichte atmosphärisch dicht und streckenweise durchaus gruselig ist aber eben auch 1917 nicht gerade neu gewesen sein dürfte.

Margaret Irwin (d. i. Emma Faith Monsell) (1889-1967) gewann in den 1930er Jahren ihr Publikum hauptsächlich durch eine Reihe historischer Romane – der wohl bekannteste rankt sich um Elizabeth I. von England -, an die sich heute kaum jemand erinnern mag. „Das Buch“ ist aber guter, handfester Horror, der effektvoll durch knochentrockenen, schwarzen Humor abgerundet wird und dieser Sammlung einen würdigen Abschluss beschert.

Buch als doppelte Mogelpackung

Nicht täuschen lasse man sich vom großen Namen des ‚Herausgebers‘. Alfred Hitchcock (1899-1980) hat zwar die Filmwelt über ein halbes Jahrhundert mit visuell genialen Thrillern bereichert, aber er war weder fähig noch willens, sich auch schriftlich als „Master of Suspense“ zu etablieren. Allerdings war Hitchcock sehr geschäftstüchtig und hatte keine Skrupel, sich als angeblicher Herausgeber oder gar Autor für Magazine oder Buchanthologien vermarkten zu lassen, solange die Bezahlung stimmte und die äußere Form gewahrt blieb: jener Hitchcock nämlich, der spätestens als Gastgeber der legendären TV-Serie „Alfred Hitchcock Presents“ (1955-1962) zur Ikone wurde – ein dicker Mann von unverwechselbarer Statur, der in bizarrer Kulisse schauerliche Geschichten mit ironischer Pointe erzählte, ohne dabei eine Miene zu verziehen.

Diese Auftritte wurden Hitchcock auf den Leib geschrieben; er spielte dann seine Rolle. Daher dürfte es nicht überraschen, dass der Meister auch das Vorwort für „Verrammelt die Türen“ höchstens gesehen hat, als man es ihm zur Absegnung vorlegte. Ganz sicher hat er die hier präsentierten Stories nicht selbst gesammelt. „Verrammelt die Türen“ fällt aus dem Rahmen jener Sammlungen, für die Hitchcock seit den frühen 1960er Jahren angeblich verantwortlich zeichnete und die tatsächlich von Robert Arthur zusammengetragen wurden, denn dieser Band erschien bereits 1946, als Hitchcock in Hollywood gerade erst richtig Fuß zu fassen begann. Wieso man ihn als Galionsfigur holte, während sich seine Prominenz noch in Grenzen hielt, bleibt unklar. Doch Don Ward (1911-1984), der ihn ‚vertrat‘ (und auch für Orson Welles einsprang, wenn dieser Storys ‚sammelte‘), bewies eine glückliche Hand.

Die deutsche Fassung war wie so oft ein Rumpf. Aufgrund der lange üblichen Seitennormierung (128 – 144 – 160 Seiten) wurden Storys der Vorlage einfach unterschlagen. In diesem Fall waren das:

– Speaking of Terror by Alfred Hitchcock
– H. G. Wells Pollock and the Porroh Man
– Alexander Woollcott: Moonlight Sonata
– Peter Fleming: The Kill
– Ambrose Bierce: The Damned Thing
– Dorothy K. Broster: Couching at the Door
– Samuel Hopkins Adams: The Corpse at the Table

Taschenbuch: 155 Seiten
Originaltitel: Bar the Doors (New York : Dell Publishing 1946)
Übersetzung: Hans P. Thomas
www.randomhouse.de/heyne

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