Bella Bathurst – Leuchtfeuer. Die außergewöhnliche Geschichte vom Bau der schottischen Leuchttürme

Im 19. Jh. entwickelt sich die schottische Familie Stevenson zu einer Dynastie, die sich auf den Leuchtturm-Bau spezialisiert. Die Autorin schildert die enormen technischen Herausforderungen, bezieht dabei das historische Umfeld ein und entwirft eine Familiengeschichte, die durch Perfektionsdrang und Patriarchen-Zwang verdunkelt wurde und trotzdem einen Schriftsteller von Weltruf hervorbrachte. Inhalt und Form stehen in perfektem Einklang und sorgen für ein Sachbuch von hoher erzählerischer Qualität.

Romantische Röhren an klippenreichen Küsten

Leuchttürme sind Symbolgestalten der Meeresküsten. Jeder Mensch kennt und liebt sie, und man sieht es ihnen in der Regel an – kein Turm gleicht dem anderen, und obwohl es doch reine Zweckbauten sind, findet sich stets Zierrat, der verrät, wie stolz der Erbauer auf sein Werk war. Dazu kommen die faszinierenden Geschichten von harten Leuchtturmwärtern, die der rauen See und der Einsamkeit trotzten, während sie notfalls um den Preis des eigenen Lebens das Licht hüteten, nach dem die Seeleute auf ihren Schiffen in der Dunkelheit angstvoll spähten.

Von nautischer Romantik und nostalgischer Rührseligkeit dieser Art ist in „Leuchtfeuer“ nur am Rande die Rede. Realismus bestimmt stattdessen die Lektüre, aber wie das so ist mit meisterlich geschriebenen Büchern, lässt man sich gern als Leser gern an die Hand nehmen und über literarisches Neuland führen. Bella Bathurst, freie Journalistin, Autorin und Fotografin, wie man ihrer Website entnehmen kann, erzählt in diesem fabelhaften Sachbuch die Geschichte der „Leuchtturm-Stevensons“, einer Familie schottischer Baumeister, die im 19. Jahrhundert an den unwirtlichen Küsten der britischen Insel Leuchttürme aufpflanzte. Niemand konnte das besser als sie, die dieses seltsame Geschäft viele Jahrzehnte mit Leidenschaft und Meisterschaft betrieben.

Türme mit eigener Vorgeschichte

Bevor Bathurst anhebt, Robert Stevenson, den Urvater des Clans, zu würdigen, setzt sie uns kenntnisreich und unterhaltsam über grundsätzliche Fakten in Kenntnis. So erfahren wir, dass Leuchttürme keine Erfindung der Neuzeit sind. Seit mehr als 2000 Jahren kennt der Mensch den Vorteil von Leuchtmarken, die vor Riffen und Untiefen warnen. Auch in Schottland wurden solche Feuer betrieben, doch sie waren gering an der Zahl und von beklagenswert geringer Effizienz; oft nur offene Kohlenpfannen auf einem behelfsmäßigen Gerüst, in Gang gehalten (oder auch nicht) von schlecht bezahlten alten Seebären oder Tagelöhnern, die eher schlecht als recht wussten, was sie da eigentlich taten. Wenig hilfreich war auch der ausgeprägte Fatalismus der zeitgenössischen Seefahrer, die einen Schiffbruch mit anschließendem Tod in den Wogen als Berufsrisiko oder Fingerzeig Gottes werteten, der damit seiner Unzufriedenheit über dreiste Sünder Ausdruck verlieh, weshalb man ihm dabei gefälligst nichts ins Handwerk zu pfuschen hatte.

Auf der Landseite herrschten ähnliche Vorurteile. Während die in der Ferne regierende und den Mühen des schnöden Arbeitslebens enthobene Obrigkeit die Bau- und Unterhaltskosten von Leuchttürmen schreckten, waren es vor Ort die Strandräuber, die um ihre Pfründen fürchten mussten: Ganze Dörfer bestritten an den Küsten der britischen Meere ihren Lebensunterhalt damit, havarierte Schiffe zu plündern. Ging das Geschäft schlecht, wurde gern auch nachgeholfen; an den Schwanz eines Pferdes gebunden, suggerierte beispielsweise eine simple Sturmlaterne die Einfahrt in einen sicheren Hafen, der sich dann als Sandbank entpuppte, auf der schon die Strandräuber lauerten – und Überlebende (= Zeugen) gab es selten …

Schottischer Starr- und Realitätssinn

Kaum ideale Arbeitsbedingungen für jene, die solchen Missständen ein Ende setzen wollten, aber Robert Stevenson war aus dem richtigen Holz geschnitzt – ein eisenharter, sturer, unermüdlicher Schotte, den gar nichts von seinem Ziel abbringen konnte, die besten Leuchttürme der Welt zu bauen! Wie es ihm gelang, praktisch aus dem Nichts die dafür erforderlichen Bautechniken zu entwickeln, ist spannend wie ein Thriller zu lesen, denn Robert lernte auf die harte Tour, d. h. auf sturmumtosten Klippen, ob er mit seinen Methoden richtig lag – mit den zu erwartenden Zwischenfällen, die ihn in seiner Meinung bestärkten, dass dem Tüchtigen das Glück winke – und nur diesem, während Politikern, arbeitsscheuen Grundbesitzern und vor allem Intellektuellen prinzipiell zu misstrauen sei.

Das bringt uns zum zweiten Erzählstrang dieses Sachbuches: Bathurst erzählt nicht nur von den ersten schottischen Leuchttürmen, sondern beschreibt auch das Drama des Stevenson-Clans, dessen übermächtiger Patriarch seine Nachfahren quasi dazu verdammte, mehr als Jahrhundert im Familiengeschäft zu verharren. Vier Söhne hat Robert Stevenson in die Welt gesetzt, die alle ursprünglich nicht darauf brannten, eine Ingenieurslaufbahn unter einem überehrgeizigen, nie zufriedenen Lehrmeister – dem eigenen Vater – zu beginnen, sondern sogar künstlerisches Talent erkennen ließen.

Doch Robert, ein liebevoller Tyrann, radierte solche Anlagen rigoros aus. Als er nach einem Leben, das nur die Arbeit kannte, hoch betagt und viel betrauert starb, hinterließ er ein perfekt eingespieltes Team nicht unbedingt glücklicher aber gnadenlos tüchtiger, selbstverleugnender Leuchtturm-Stevensons (die ausgesprochen gut in die globalisierte Spaß-ist-vorbei-Gegenwart des 21. Jahrhunderts gepasst hätten).

Eine schrecklich konsequente Familie

An dieser Stelle verändert sich „Leuchtfeuer“ zum Psychogramm einer Sippe, die ihre Selbstzweifel und Wünsche so lange unterdrückt, bis sich diese schließlich mit Macht und unter zerstörerischen Nebenwirkungen zur Oberfläche zurückkämpfen. Spätestens Roberts Enkel lassen sich nicht mehr ins Korsett der Leuchtturm-Stevensons pressen. Einer von ihnen, Robert Louis, ein kränklicher, kluger junger Mann mit schriftstellerischem Ehrgeiz, wagt den Aufstand und verweigert die Ingenieurslaufbahn; er setzt sich durch, aber die Differenzen, die er mit der liebenden Familie auszufechten hat, verdüstern sein gesamtes, ohnehin nur kurzes Leben: Dies ist der brillante, aber innerlich zerrissene Schriftsteller Robert Louis Stevenson, Verfasser der „Schatzinsel“, Schöpfer von „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ und vieler anderer unsterblicher Werke.

Dass dieser Stevenson beileibe nicht der erste berühmte oder der prominenteste Vertreter seiner Familie war, ist heute kaum bekannt. Aber er war ein waschechter Leuchtturm-Stevenson, und er hat es unter Beweis gestellt. Aus seiner Feder stammt eine zwar nie fertiggestellte aber meisterhaft geschriebene Geschichte seiner Leuchttürme bauenden Vorfahren, aus der Bathurst immer wieder zitiert.

Sie profitiert weiterhin von den Schriften der älteren Stevensons, die zwar freiwillig oder gezwungenermaßen jeglicher klassischer (= brotloser) Bildung entsagten, aber nichtsdestotrotz überaus mitteilungsbedürftige Männer waren. Robert schätzte, dass er in manchen Jahren durchschnittlich 30000 Briefe schrieb oder empfing – für einen Historiker Himmel und Hölle zugleich.

Turm-Geschichte ohne Tunnelblick

Bella Bathurst hat sich durch den Wust der Stevenson-Korrespondenz gearbeitet, die Fakten geordnet sowie gegliedert, und vor allem hat sie ausgewählt. Immer wieder löst sie sich dort, wo es der besseren Verständlichkeit wegen nötig ist, vom eigentlichen Thema und liefert Hintergrundfakten. Die Geschichte der Leuchtturm-Stevensons ist gleichzeitig die bewegte Geschichte Schottlands im 19. Jahrhundert, einer Ära gewaltiger Veränderungen, die das Land recht abrupt aus einem verlängerten Mittelalter in die viktorianische Moderne katapultierten. Diese Historie, die wahrlich mehr zu bieten hat als verlogene Highlander-Romantik, ist deprimierend aber sehr interessant, und sie spiegelt sich wider in Roberts härtesten Kämpfen – nicht mit dem Meer, sondern den lieben Kollegen, die ihm, dem Emporkömmling, den ersehnten beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg und damit seinen Platz an der Sonne, die in britischen Empire nie unterging, verwehren wollten.

Ergänzt wird das über die gesamte Distanz lesenswerte Werk durch wenige aber klug ausgewählte Abbildungen. Sie zeigen die Stevenson-Leuchttürme und vermitteln einen deutlichen Eindruck davon, welche Meisterleistung ihre Realisierung darstellte. Die deutsche Ausgabe wurde sorgfältig übersetzt und ist ausgesprochen hübsch aufgemacht. Wie Bathurst in ihrem Nachwort selbst feststellt, ist „Leuchtfeuer“ weder Biografie noch Geschichtsschreibung: Vier Generationen ausgesprochen arbeitswütiger Stevensons zu würdigen, hätte wohl jeden vernünftigen Rahmen gesprengt. So belässt es die Verfasserin bei einem Überblick – und tut recht daran. Den Kern dessen, was die Leuchtturm-Stevensons zu etwas ganz Besonderem macht, hat sie jedenfalls gefunden, und es gelingt ihr eindrucksvoll, dies ihren Lesern zu vermitteln.

Und natürlich wird’s letztlich doch romantisch – das bleibt nicht aus, wenn Namen wie Bell Rock, Muckle Flugga oder Butt of Lewis (!) ins Spiel gebracht werden.

Gebunden: 351 Seiten
Originaltitel: The Lighthouse Stevensons (London : HarperCollins Publishers 1999)
Übersetzung: Jobst-Christian Rojahn
bellabathurst.com

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