Birgit Reß-Bohusch (Hg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin 8. Folge

Classic SF: Durchwachsene SF-Mischung vom Ende der 70er Jahre

Dieser Auswahlband aus dem Jahr 1991 enthält Erzählungen von Joan D. Vinge, John M. Ford, Gene Wolfe, Kevin O’Donnell jr., Somtow Sucharitkul – und von Peter K. Spies, der diesmal den obligatorischen deutschen Beitrag beisteuert.

Die Herausgeber

Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte. Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell.

Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Storys. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien.

Birgit Reß-Bohusch ist seit vielen Jahren für den Heyne-Verlag als Übersetzerin und Herausgeberin tätig.

DIE ERZÄHLUNGEN

1) Joan D. Vinge: Der Sturmkönig (The Storm King)

Das Dorf Wyddon schlägt sich im Schatten eines erloschenen Vulkans durch, den ein feuerspeiender Drache besetzt hält, den alle den Sturmkönig nennen. Seit dessen Ankunft herrscht mieses Wetter, und viele Menschen sind krank. Hinzu kommen die gelegentlichen Beuteflüge des Drachen. Ausgerechnet hierher verschlägt es einen als Bettler verkleideten Prinzen im Exil.

Trotz seiner Verkleidung wird er doch alsbald anhand seiner Sprach als einer aus Kansai, dem Königreich der Eroberer und Unterdrücker, erkannt. Die Hilfe fällt dementsprechend spärlich aus und kommt nur von einem Mädchen, das sich einfach „Nichts“ nennt. Sie führt den Fremden zur einer Hexe, die in einer Hütte am Hang des Vulkanbergs lebt. Die Hexe erwidert die Verachtung des Prinzen mit gleicher Münze. Sie fragt ihn nach seinem Begehr.

Der verbannte Prinz will den Drachen bezwingen, um mit dessen Macht in seinem verlorenen Königreich, das rechtmäßig ihm zusteht, Vergeltung zu üben und die Macht zu übernehmen. Na, wenn’s weiter nichts ist! Nach einem religiösen Streit mit der Hexe verschwindet diese, und der Prinz muss sich mit dem Mädchen Nichts begnügen. Aber sie ist bei der Hexe in die Lehre gegangen und ist bereit, dem Prinzen zu helfen: Sie lehrt ihn den Regenzauber und die Erdmagie. Der Preis für ihren Beistand ist, wie sich herausstellt, eine Liebesnacht.

Am nächsten Morgen führt sie ihn durch eine Spalte an der Rückwand der Hütte durch den Berg hinauf zu jener Höhle, in der der Drache die meiste Zeit schläft. Dort verlässt sie ihn, denn vor Drachen hat sie gehörigen Respekt. Wenig später erklettert der Prinz den Zugang zur Drachenhöhle und gelangt schließlich zum Untier selbst. Doch er gebietet mithilfe der Erdmagie dem Wasser und leitet es auf das Lager des Drachen, der alsbald zu ertrinken droht. In seiner Not gewährt ihm der Drache mehrere Wünsche, warnt den kühnen Prinzen aber vor den Folgen seines Tuns.

Sobald der Prinz dem Drachen gebietet, wandelt sich sein Schicksal. Doch die macht, die er gewinnt, hat für ihn unerwartete Auswirkungen, und als er nach Wyddon zurückkehrt, muss er den Folgen seiner Liebe zu Nichts ins runde Auge blicken…

Mein Eindruck

Die Autorin hat viel von Hans Christian Andersens Märchen gelernt und deren Kniffe u.a. für ihren Zyklus um die Schneekönigin mit großem Erfolg verwendet. In der vorliegenden Geschichte wendet sie den Märchenton und das Fantasy-Ambiente um den Drachenbezwinger aus Kansai an, um eine Lehre zu übermitteln. In dieser Variante des Sigurd-Stoffes aus den nordischen Sagen und dem Nibelungenlied erweist sich die macht des Drachen als Fluch. Äußerlich obsiegt der Prinz zwar und wird König, doch seine Seele leidet schweren Schaden.

Wo zu Anfang Zorn und Hass die Magie der Erdmutter bezwingen konnten, herrscht nach Erlangen der weltlichen Macht gähnende Leere, denn jede Art von Liebe wird ihm von seinem Volk versagt. Als er sich an seine Liebesnacht mit Nichts erinnert, kehrt er zurück. Er muss sich demütigen, um seine Menschlichkeit, die er an den Drachen verloren hat, zurückzugewinnen. Nur dann ist er der Liebe der Mutter seiner Tochter würdig. Doch wie das gehen soll, weiß auch Nichts nicht…

2) John M. Ford: Mandalay (dito)

Die Alternities Corporation bietet Reisen in alternativen Wirklichkeiten an, doch etwas ist schief gelaufen. Durch den sogenannten „Bruch“ ist die Verbindung zur Heimaterde der Reisenden abgebrochen. Nun suchen sie den Weg zurück, marschieren von Einstieg zu Einstieg durch den „Schlauch“, einen flexiblen Verbindungsgang zwischen den Einstiegen. Jeder Einstieg kommt etwa alle hundert Kilometer und hält den Weg zu einer alternativen Welt bereit. Seltsamerweise sind alle Welten, die sie betreten können, für Menschen geeignet.

Die ältesten Mitreisenden von Charlie Brunners Truppe – etwa zwei Dutzend Leute – sind schon seit 300 Einstiegen dabei. Charlie ist ein Sicherheitsmann und hat sowohl den Schlüssel, um Einstiege von innen zu öffnen, als auch den Betäubungsstab, mit dem er sich gegen renitente frustrierte Reisende zur Wehr setzen kann. Solche etwa wie den ehemaligen Panzerkommandanten Günter Niemöller, der statt des Marschliedes „Der Weg nach Mandalay“, das Rudyard Kipling dichtete, immer „Lilli Marleen“ anstimmt.

Diesmal erfolgt der Ausstieg auf eine Welt, die verdächtig nach Colorado aussieht, wo die Alternities Corp. ihren Sitz hat. Die beiden Scouts, die Ex-Superheldin Laura Sands, und Sung Ho Kim, retten Alwin Lermontow vor den Kriegern dieser Welt und klären ihn auf. Er sagt ihnen seinerseits, dass es nur noch ein Einstieg bis zur Basis im echten Colorado ist. Sie schöpfen Hoffnung. Doch Charlie Brunner verrät er hinter vorgehaltener Hand, dass er und sein Forscherteam nur herumexperimentierten.

Der nächste Einstieg: Und wahrhaftig ist es ein paradiesisches Bergpanorama, das sich ihnen bietet. Haben sie endlich die Heimaterde erreicht? Doch dann fällt ihr Blick auf den Mond. Ihm fehlt ein Stück, als wäre es aus der Scheibe herausgebissen worden…

Mein Eindruck

Wozu braucht man Sternenschiffe, wenn man doch einen begehbaren Schlauch hat, durch den man fremde Welten und alternativen Realitäten besuchen kann? Das haben sich wohl auch die Reisenden gesagt, als sie diesen Ausflug gebucht haben. Doch wie einst bei den britischen Soldaten, die von Indien auf die burmesische Hauptstadt Mandalay durch den Dschungel marschieren mussten, haben auch die Reisenden jedes Gefühl vor ihren Ort verloren. Sehnsuchtsvoll singen sie Kiplings Lied vom Burmamädchen, das auf den Liebsten wartet, oder eben „Lilli Marleen“, das deutsche Gegenstück.

Verlorenheit und Suche nach Heimat sind die bestimmenden Themen dieser Erzählung. Dabei findet der von der Fantasy kommende Autor eine neue Definition dafür, was Heimat ausmacht. Sie ist etwas anderes als ein Zuhause. Die Heimat ist der Ort, wohin man gehört, zum Beispiel eine Reisegruppe, aber auch eine Rolle, die man sinnvoll erfüllen kann. So kommt es, dass sich „Charlie Brunner“ gegenüber Laura Sand als der fünfzehnte „Brunner“ outet und ihr durch Übergabe des Schlüssels die Rolle des „Charlie Brunner“ überträgt. Jetzt ist sie der Leitwolf.

Die Story ist konventionell erzählt, und es mangelt ihr an Emotionalität. Dass in der Übersetzung alle Leerzeilen zwischen den Szenen gestrichen wurden, trägt auch nicht gerade zum besseren Verständnis bei. Die Szenen folgen übergangslos aufeinander, bis einem schwindelig wird.

3) Gene Wolfe: Der Gott und sein Mensch (The God and His Man, 1980)

Und es begab sich, dass der Gott Isid mit seinem Sternenschiff zur Welt Zed kam und sah, dass hier Männer und Frauen lebten – wenn auch nicht nach seinem Gesetz. Also sandte er seinen Menschen von Urth aus, um die Menschenvölker zu prüfen, welche wohl die besten seien. Isid gab seinem Spion den Tarnmantel Tarnung und das Schwert Maser mit und setzte ihn auf einem heißen Hochland ab.

Es dauert nicht allzu lange, bis es der Mann von Urth geschafft hat, alle Gruppen auf der Hochebene mit seinen Söldnern und Banditen zu besiegen und eine Trutzburg zu errichten. Soweit, so gut. Der Gott schickt ihn ins heiße Sumpfland, wo Nebelbewohner voller Giftpfeile lauern. Hier erweist sich die Tarnung als sehr nützlich. Bald schon ist der Mann von Urth König der Könige. Daraufhin schickt ihn der Gott weiter ins Land der Kälte.

Hier gibt es weder Freiheit noch Ehre, aber sehr viele Gesetze. Als er beginnt, an Wegkreuzungen von Freiheit und Ehre zu predigen, will man ihn schleunigst packen und aus dem Weg schaffen, doch Tarnung und Maser sorgen immer dafür, dass er dem Kerker entgeht. Schließlich holt ihn der Gott auf sein Schiff, damit der Mann von Urth über die Menschen von Zed urteile. Als der Gott sagt, es sei besser, dass ein Mensch sterbe, als dass er in Sklaverei lebe, erschlägt ihn der Mann, denn das ist es ja, was ihm Isid empfahl. Und wenn er nicht gestorben, herrscht der Urth-Mann noch heute über Zed.

Mein Eindruck

Die im hohen, aber einfachen Ton von Bibellegenden vorgetragene Erzählung zeigt die Relativität dessen auf, was einen Gott ausmacht. Er ist sterblich und kann von einem Menschen erschlagen werden. Er ist dumm, weil er den Menschen herausfordert, den er in Sklaverei gehalten hat. All die Lektionen, die sein Mensch gelernt hat, missachtet er.

Der Mensch von Urth (in der Übersetzung „Ert“) ähnelt weder Moses noch Noah oder einem anderen Propheten, sondern eher einem Konquistador und Selfmademan à la Francisco Pizarro, einem ehemaligen Schweinehirten. Seinen Aufstieg zu verfolgen ist unterhaltsam – bis er dann wieder „gen Himmel fährt“, um woanders abgesetzt zu werden. Er ist auch nicht wie Jehoschua von Nazareth, obwohl er wie dieser an Orten von hohen Werten predigt. Immer wieder werden Klischees – etwa über Götter – durch Ironie unterminiert, und das macht auch diese Geschichte auf witzige Weise unterhaltsam. Hinweis: Im Originaltext wird der Tarnmantel tatsächlich mit dem deutschen Wort „Tarnung“ benannt.

4) Kevin O’Donnell jr.: Was vermag ein Regentropfen? (The Raindrop’s Role)

Henry hat sich vom Nachrichtendienst anwerben lassen, zwei Jahre auf einer Fremdwelt zu verbringen, um die Bevölkerung auszuspionieren. Seine Tarnung: Englischlehrer. Der Auftrag bringt ihn an seine Grenzen, aber er hält tapfer durch. Bis er nach etwa einem Jahr begreift, worauf das Kastensystem der Mnemtorianer basiert: auf konsequenter Auslese – jeder muss sich seinen Rang erkämpfen. Der Rang ist sofort an der Farbe des Pelzes sichtbar: grün ist ganz unten (Diener), blau in der Mitte (Aufseher) und rot ganz oben (Herrscher)

Diese Methoden werden von Jenny von der Terra-Botschaft als „grausam“ empfunden und ihr Interesse an Henry schwindet immer mehr, je mehr er sich mit den Einheimischen anfreundet. Allmählich beginnt er sich einsam zu fühlen, und er trinkt noch intensiver mit den „Eingeborenen“.

Als er merkt, dass er die Fehler in seinem eigenen Englisch nicht mehr bemerkt, lässt er sich ablösen. Nach Monaten der Heimreise zur Erde rät er seinem Anwerber vom Geheimdienst, doch vielleicht die Mnemtorianer den Weltraum erobern zu lassen. Das würde eine Menge Mühe sparen…

Mein Eindruck

Die Story zeichnet den typischen Irrweg des „Going Native“ eines Agenten nach: Entfremdet von den eigenen Leuten (Terranern), freundet sich der Protagonist immer stärker mit den Einheimischen an, obwohl diese eigentlich Aliens sind. Doch der Englischlehrer ist eine Brücke zwischen den Welten, und je mehr er seinen Schülern beibringt, desto mehr lernt er wiederum über sie. Schließlich ist sein Verständnis so groß, dass er sie nicht mehr verurteilen kann, wie es noch Jenny tut.

Die Story ist sowohl komisch im „Culture Clash“, als auch ein wenig erotisch, wenn Jenny Henry verführt, doch vor allem beschäftigt sie sich mit den Gegensätzen, die manchmal ziemlich blutig aussehen können. Der Titel bezieht sich auf den unmerklichen Erfolg, den Henrys Bemühen über zwei Jahre hinweg hat: Von völligem Unverständnis für Henrys Fragen gelangen die Schüler schließlich dazu, selbst ein „Warum?“ zu fragen, und das sogar zu ihrer eigenen Kultur, die sie „Das Gesetz“ nennen. Steter (geistiger) Tropfen höhlt eben doch den Stein.

5) Somtow Sucharitkul: Ein Tag in Mallwelt (A Day in Mallworld)

Die junge Erzählerin Zoe McOmar ist eine Ausreißerin und fliegt zur Mallwelt, die sich über 30 km erstreckt. Hier will die Alandpomeranze endlich einen der gottähnlichen Selespridar zu finden. Die Selespridar haben das innere Sonnensystem ab der Umlaufbahn des Saturn mit einer Sperrzone umgeben. Seitdem leiden die Menschen unter Klaustrophobie. Da die Aliens auch die Erde zerbombt haben, mussten die Erdlinge auf kleine künstliche Welten an den L5-Punkten ausweichen. Zoe stammt von der Bibelwelt, die am rückständigsten und konservativsten gilt. Überflüssig zu erwähnen, dass der Patriarch bzw. sein Hologramm, alle Aliens verteufelt. Zoe hingegen findet die blauhäutigen, purpurhaarigen Humanoiden verteufelt sexy.

Ihr Glücksmoment auf der Mallwelt kommt, als sich ein Selespridon an sie wendet und sie um einen großen Gefallen bittet. Er habe das Verbrechen der Erbarmungslosigkeit begangen und zur Strafe werde er bald in ein Schwarzes Loch geworfen. Er könne die Strafe nur abwenden, wenn er den Sinn des Lebens finde. Seit Jahrhunderten befinde er sich auf der Suche, doch bisher vergebens. Nachdem sie ihr Sprachlosigkeit überwunden hat, hilft Zoe dem Alien natürlich.

Die Mallwelt hat vieles zu bieten. Doch auf eines wäre Zoe nie gekommen, wenn es nicht einen Stromausfall gegeben hätte: Dass hier niemand mehr LESEN kann, geschweige denn ein Selespridon. Allerdings stellt es sich als sehr schwierig heraus, noch ein Buch aus echtem Papier aufzutreiben, und sie müssen in die älteste Ebene hinunter, in ein uraltes Antiquariat. In einem Wörterbuch aus dem 21. Jahrhundert, also aus der fernen Antike, entdecken sie die Definition für den Sinn des Lebens…

Mein Eindruck

Auch hier geht um den Zusammenprall zweier Kulturen und Geisteshaltungen. Zoe, die erzkonservative Amish-Tochter aus gutem Hause, gerät sozusagen in den Sündenpfuhl – doch der wird in ferner Zukunft ganz anders definiert. Nahezu nackt hält sie sich für konservativ und prüde gekleidet, wohingegen Kleider als obszön gelten. Von fern erinnern solche Umkehrungen von Wertesystemen an Jonathan Swifts „Gulliver“.

Schlüpfrigkeiten, wie sie noch 1980 erlaubt waren, gibt es dergleichen genug, auch wenn manchmal drei Pünktchen andeuten müssen, was wirklich passiert. Die Reise in die Vergangenheit geht sogar so weit, dass Zoe mit ihrem Freund Zhangif einen LSD-Trip einwerfen, mit schwerwiegenden Folgen für seine Gesundheit – aber Acid war schon Anfang der 1970er verboten und „out“. Hier irrt der Autor etwas stark von der Plausibilität seiner Hauptfigur Zoe ab. Sie muss zwar konservativ und bibelfest sein, damit sie die Brücke zur Zeit des Lesers baut, aber dass sie sich noch an „Acid“ erinnert, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich erscheint mir indes, dass bald niemand mehr lesen, geschweige denn schreiben kann – dank Spracheingabe per Alexa und Co.

6) Peter K. Spies (D): Triebe wie Glas

Die letzten Tage der Menschheit sind gekommen. Ihre letzte Stadt wird täglich enger von der schwarzen Zone der Erstarrung eingegrenzt, und Wissenschaftler messen den Kreis täglich. Die Zahl der Kinder ist ebenfalls merklich zurückgegangen, sie werden synthetisch erzeugt und von Maschinen instruiert. Deshalb ist es kein Wunder, dass Hester 13 Jahre braucht, bis er merkt, dass er einen Anzug trägt, der ihn völlig umschließt. Was darunter zum Vorschein kommt, ist weich und warm. Das muss er sofort seiner Freundin Escha mitteilen. Vielleicht trägt auch sie einen Anzug.

Doch als sich beide davon überzeugt haben, dass sie eine empfindsame, warme Haut tragen, werden sie von Eschas Eltern ertappt. Hester landet wieder in seiner Wohnzelle, die wie ein Gefängnis wirkt. Doch er verfällt auf einen Weg auszubrechen und wieder zu Escha zu gelangen: Er opfert seinen überflüssigen Anzug, indem er ihn verbrennt und einen Feueralarm auslöst. Escha ist ungeschützt und kommt mit ihm mit. Der einzige Weg, der ihnen offensteht, führt in die schwarze Zone…

Mein Eindruck

Stellenweise erinnert die amateurhaft geschriebene Geschichte an die biblische Genesis: Adam und Eva entdecken, dass sie nackt sind und verfallen der Sünde – wie sie von Gott oder anderen Obrigkeiten definiert wird. Sie werden aus dem Paradies der Unschuld vertrieben und in die Wüste verbannt – hier in die schwarze Zone. Doch diese Zone bedeutet nicht das Ende für das Paar, sondern einen neuen Anfang. Eine positive Deutung für eine Grenzüberschreitung. Warum diese Story in diese Auswahl aufgenommen wurde, ist mir ein Rätsel, spiegelt das Niveau doch keineswegs das durchschnittlich professionelle Niveau der deutschen SF-Szene um 1980 wider.

Die Übersetzung

S. 85: Stilfehler. In einem Klassenzimmer gibt es üblicherweise keinen „Tresen“ – den gibt es in einer Bar oder Kneipe. Passender wäre „Pult“.

S. 87: Stilfehler. „..sich einen Schiefer aus dem Handballen zog.“ Gemeint ist hier kein Stein (Schiefer), sondern Holz. Daher müsste es „Spreißel“ heißen. Zumindest in Süddeutschland.

S. 126: Der einzige Druckfehler. „ich muß[t]e nun raus hier.“ Das T fehlt.

Unterm Strich

Im Rückblick ist die Auswahl ein Beleg für den desolaten Zustand, in dem sich das SF-Genre in den anglophonen Ländern Ende der siebziger Jahre befand. Joan D. Vinge bedient sich der Erzählkniffe des Kunstmärchens à la Anderson, um ihre moralisierende Fantasy zu erzählen. Von Amazonen und aufmüpfigen Rittern findet sich noch keine Spur, aber dafür die Erlösung eines Tyrannen, der große Ähnlichkeit mit Siegfried, dem Drachentöter, aufweist.

Gene Wolfe bedient sich des Tonfalls einer biblische Legende, um eine Emanzipation zu schildern, nämlich die des Menschen von seinen Göttern. Sucharitkul hingegen erzählt eine parodistische Komödie, in der die gottähnlichen Aliens ihre Achillesferse offenlegen: Sie können – ebenso wie die meisten Menschen – nicht mehr lesen. Wie das zur Erkenntnis des „Sinns des Lebens“ beitragen soll? Nun, wer liest, kann noch hoffen, Offenbarungen zu erlangen. Auch diese nette Story ist eine kleine Fabel – für Teens.

Für bittere Zwischentöne und Intermezzi sorgen Fords Story von der intergalaktischen Reisegruppe, die den Tunnel zu den Sternen buchstäblich entlangmarschiert, ohne jedoch jemals wieder zur Heimaterde zurückzufinden. Ebenso verloren wirkt der junge, naive Englischlehrer, der auf einer Alien-Welt für den Nachrichtendienst spionieren soll und auf einheimische Abwege gerät – die Amis nennen das entweder „going native“ oder going AWOL“ (AWOL = American Way of Life). Eine paar gut herausgearbeitete Kontraste sorgen für ironische Seitenhiebe.

Die abschließende Story von einem angehenden deutschen Autor ist ein Amateur-Erzeugnis und verdient allenfalls Achtung für die Bemühung, ansonsten bietet sie nach Gene Wolfes Story ein weiteres Bibelzitat, nämlich die Vertreibung aus dem – bedrohten – Paradies. Immerhin endet sie optimistisch, aber das ist das Vorrecht der – realen wie fiktiven – Jugend.

Alles in allem bietet der schmale Band eine durchwachsene Mischung. Hier haben mir v.a. die Erzählungen von Joan D. Vinge und Gene Wolfe gefallen, Autoren, die bis heute schreiben. Vinge kann süffig erzählen, Wolfe pointiert. Seine Story findet sich in dem voluminösen Story-Band „Endangered Species“ wieder, der alle seine Storys vom Ende der sechziger bis zum Anfang der achtziger Jahre zusammenfasst.

Taschenbuch: 152 Seiten
Info: aus dem US-Englischen von Birgit Reß-Bohusch und Michael Nagula
www.heyne.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)