Lawrence Block – Falsches Herz

Zwei Betrüger und eine schöne Frau planen einen geldgierigen Spekulanten auszunehmen. Der Coup scheint zu gelingen, aber mindestens einer der Beteiligten spielt falsch, um die Beute für sich allein zu gewinnen … – Typischer „Pulp“-Krimi der 1960er Jahre: schnörkellos, schnell und ohne Furcht vor Klischees, die sich hier vor allem um die weibliche Figur ranken; trotzdem und wegen des überraschenden Endes gut lesbar.

Das geschieht:

Nachdem er sieben lange Jahre als Betrüger im Gefängnis absitzen musste, wollte John Hayden eigentlich ehrlich bleiben. Ohne das nötige Startkapital wird sich sein Traum vom Neuanfang als Hotelier allerdings nicht erfüllen. Deshalb lässt er sich von Douglas Rance, einem alten Freund und Ex-Komplizen, zu einem letzten Coup überreden. Sie wollen den Immobilienspekulanten Wallace Gundermann ausnehmen. Der hat sein Büro in der Kleinstadt Olean, gelegen im Westen des US-Staates New York. Seit Jahren erwirbt er im großen Stil und billig wertloses Land und wartet geduldig, bis Bodenschätze entdeckt werden oder Bauprojekte anstehen, um es dann teuer zu verkaufen. Damit ist er bisher ausgezeichnet gefahren und ein steinreicher Mann geworden.

Allerdings hat sich Gundermann eine erbitterte Feindin gemacht: Seine Sekretärin, die hübsche Evelyn Stone, wurde seine Geliebte, nachdem er ihr die Ehe versprochen hatte. Dies wird er nie halten, wie ihr inzwischen klargeworden ist. Nun suchte und fand sie mit Rance und Hayden Gauner, die ihr zu Gundermanns Geld und zur Rache verhelfen sollen.

Das Duo gründet im kanadischen Toronto eine Scheinfirma, die anscheinend so viel brachliegendes Waldland wie möglich aufkauft. Auch Gundermann besitzt eine „Elchweide“ in Kanada. Gern wäre er sie wieder los, doch ihn lockt noch stärker die Aktivität besagter Firma, deren Inhaber offenbar über Insider-Kenntnisse verfügen, die darauf hindeuten, dass besagtes Brachland begehrter ist als allgemein gedacht.

Genau das wollen Hayden und Rance Gundermann vorgaukeln, ihm ihre Firma letztlich für 100.000 Dollar verkaufen und sich mit der Beute aus dem Staub machen. Zunächst scheint alles zu klappen, aber dann bricht Hayden mit einer ungeschriebenen Gauner-Regel: Trenne stets Geschäft und Privatleben! Er verliebt sich in Evelyn und beginnt eine Affäre mit ihr – ein fataler Fehler, denn die junge Frau gedenkt sich nicht mit einem Teil der Beute zufriedenzugeben und treibt ihr eigenes Spiel …

Vom Groschenheft zum Literatur?

Der letzte große Coup soll genug Geld einbringen, mit dem der alternde und erfahrene, aber bisher erfolglose und vom Leben tüchtig gebeutelte Gangster ehrbar neu beginnen will. Natürlich missglückt auch dieser Fischzug, denn zu den üblichen Tücken des (kriminellen) Objekts gesellt sich der vielleicht mächtigste Chaos-Faktor überhaupt: die Liebe zu einer verführerischen Frau, die der echte Profi abgeblockt hätte, was dem im Grunde seines Herzens romantischen Helden unserer Geschichte jedoch misslingt.

Damit lässt sich die Quintessenz von „Falsches Herz“ in wenigen Worten zusammenfassen. Als Spoiler darf man das nicht auffassen, denn dieser Plot ist klassisch und Rückgrat jener Sparte des Kriminalromans, den man als „Noir“ bezeichnet und der auf der Prämisse „Die Welt ist schlecht“ basiert. Die schöne, aber herzlose Frau und der ausgebuffte, aber seelenschwache Gauner sind ein Gespann, das in unzähligen Krimis der „schwarzen Serie“ aufeinandertrifft.

„The Girl with the Long Green Heart“, wie recht pompös der Originaltitel des hier vorgestellten Romans lautet, erschien 1965 in der legendären „Gold Medal“-Reihe, die einst für den schnellen Lektüre-Verbrauch konzipierte „Pulp“-Krimis auf den US-Taschenbuchmarkt warf, die heute nostalgisch als Meisterwerke verklärt sowie ehrfürchtig neu veröffentlicht werden. Das Prädikat verdienen sie nicht, was aber nur zum Teil negativ gemeint ist. „Falsches Herz“ ist ein typisches Beispiel: kein Klassiker, sondern ein ökonomisch geplotteter und flott geschriebener Reißer, der damals wie heute einfach ’nur‘ unterhaltsam ist.

Liebe und Verbrechen passen nicht zueinander

„Falsches Herz“ ist ein Frühwerk des Großmeisters Lawrence Block. 1965 gelang ihm noch nicht die individuell gefärbte Tiefe seiner späteren Romane. Er hielt sich deshalb strikt und durchaus erfolgreich an die gerade skizzierten Vorgaben. Dass John Hayden zum Untergang verdammt ist, wissen wir, als er von ’seinem‘ Hotel träumt: Harte Jungs geben sich solchen spießbürgerlichen Visionen nicht hin! Schon zu diesem frühen Zeitpunkt legt sich ein melancholischer Hauch angekündigter Tragik über das Geschehen. Es wird nicht funktionieren, und aus der Ahnung wird Gewissheit, als die schöne Evelyn die Szene betritt.

Frauen sind im „Noir“-Krimi gefährliche Geschöpfe – eher durchtrieben als intelligent, und vor allem verfolgen sie ihre Pläne unter Einsatz körperlicher Anziehungskräfte. Dadurch gerät ein Gefühlsmoment ins Geschehen, das mit dem Verbrechen nicht korrespondiert. Hier sind ein kühler Kopf und nüchterne Planung gefragt. John Haydon ist grundsätzlich ein Profi. Nun wird er durch die Liebe zu Evelyn mit gefährlichen Folgen abgelenkt.

Allerdings dreht uns Block im Finale eine ganz lange Nase. Die Aufdeckung von Evelyns Verrat erfolgt, aber die unausweichlich darauf folgende und tödliche Schlussabrechnung, die wir nunmehr erwarten, ist Blocks Sache nicht. Einzelheiten werden an dieser Stelle nicht verraten, denn es wäre schade, dem potenziellen Leser die Überraschung zu verderben. Block findet tatsächlich eine alternative Lösung und stellt unsere Erwartungen auf den Kopf.

Manchmal knirscht es im Getriebe

Bis es so weit ist, lesen sich manche Kapitel etwas zäh. Block nimmt sich viel Zeit, einen bis ins Detail ausgeklügelten Betrug zu inszenieren. Das Einfädeln und die Realisierung eines kriminellen Streiches ist – dem Leser wird es klar – manchmal ebenso kompliziert und öde wie der legale Geschäftsalltag. Hayden und Rance verfügen über ein Hintergrundwissen, das es ihnen ermöglichen würde, einen echten Immobilienhandel aufzuziehen. Faktisch wollen sie das gar nicht: Das Verbrechen ist für sie nicht nur Geschäft, sondern auch eine Lebensart. Vor allem Hayden, der sich für abgeklärt und geläutert hielt, muss sich selbst eingestehen, dass er nicht das Geld, sondern den Kick vermisst hatte, den ihm ein gut geplanter (und gewaltfreier) Betrug verschafft.

Vor allem im 21. Jahrhundert ist der trickreiche Gundermann-Coup höchstens unter nostalgischen Gesichtspunkten goutierbar. Die moderne Kommunikationstechnik hat solche Schurkenstücke längst unmöglich gemacht. Unabhängig davon geht Block zu sehr in die Breite, wenn er jeden Schachzug der Gauner beschreibt: Es geht zu spät etwas schief, was endlich die Spannung des Unerwarteten in die Handlung bringt.

Verfügt ein 27-jähriger Vielschreiber über die Lebenserfahrung oder die Muße, Figuren mit echter Gefühlstiefe zu schaffen? In „Falsches Herz“ regiert diesbezüglich – es klang weiter oben bereits an – das Klischee. Hayden und Rance, natürlich Evelyn, aber auch Gundermann handeln und reden, wie wir es aus vielen, vielen Buch- und Filmkrimis kennen. Block timt und schreibt gut, aber richtig wach weil verblüfft werden wir erst im Finale. Das versöhnt mit den beschriebenen Schwächen, zumal „Falsches Herz“ ein Krimi aus der guten, alten Zeit ist, der nur 200 Seiten benötigt, um seine Geschichte zu erzählen.

Autor

Lawrence Block, geboren am 24. Juni 1938 in Buffalo (US-Staat New York) gehört zu den Schriftstellern, die nicht zwischen „Literatur“ und „Krimi“ unterscheiden und trotzdem – oder gerade deshalb – ein Werk von bemerkenswert konstanter Qualität vorlegen. Das ist umso erstaunlicher, als Block ein ungemein fleißiger Autor ist und Kunst und Qualität sich angeblich ausschließen.

Noch während seines Studiums veröffentlichte Block 1957 erste Kurzgeschichten. Ab 1959 arbeitete er u. a. als Kolumnist und sichtete für einen Verlag eingehende Manuskripte, bevor er freier Schriftsteller wurde. In einem halben Jahrhundert entstanden mehr als 50 Romane und 100 Kurzgeschichten. Block schrieb unter Pseudonymen wie Jill Emerson, Chip Harrison, Paul Kavanagh oder Sheldon Lord und schuf bisher fünf Serien, unter denen die um den Regierungsagenten Evan Tanner (1966-1998), den auf Kunstraub spezialisierten Dieb und unfreiwilligen Privatdetektiv Bernie Rhodenbarr (ab 1977) und vor allem die um den Privatdetektiv und (nicht immer) trockenen Alkoholiker Matthew Scudder (ab 1976) feste Bestandteile der Kriminalliteratur sind.

Für seine Arbeit wurde Block mit allen wichtigen Preisen ausgezeichnet. Neben seinen Kriminalromanen verfasst er auch Softpornos, Artikel und Sachbücher (u. a. über das Schreiben) und hat das Drehbuch zum Tobe-Hooper-Splatter „The Funhouse“ (1981, dt. „Kabinett des Schreckens“) geschrieben.

Über seine Arbeit informiert Lawrence Block auf der ausgezeichneten Website.

Taschenbuch: 219 Seiten
Originaltitel: The Girl with the Long Green Heart (New York : Dorchester Publishing/Hard Case Crime 2004)
Übersetzung: Andreas C. Knigge
Cover: Robert McGinnis
http://www.rotbuch.de

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