Arthur Conan Doyle – Silberblesse (Sherlock Holmes 23)

Das Rätsel der verschwundenen Edelmähre

Das Rennpferd Silberblesse verschwindet unter mysteriösen Umständen in einer Nacht- und Nebelaktion – und das ausgerechnet vor einem wichtigen Rennen! Zurück bleiben ein betäubter Stattbursche und der tote Trainer im Moor. Wird es Sherlock Holmes gelingen, das hoch dotierte Tier bis zum Rennen wiederzufinden…? (Verlagsinfo)

Dieser Fall ist Nr. 13 auf der Liste der liebsten Holmes-Geschichten, die der Autor aufstellte. Das bedeutet: Diese Story landet unter den 56 veröffentlichten Storys ganz weit vorne.

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 12 Jahren.

Die Serie wurde mit dem „Blauen Karfunkel“ der Deutschen Sherlock Holmes-Gesellschaft ausgezeichnet.

Der Autor

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen ca. 60 Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um sein Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: „The Lost World“ erwies sich enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt. Schon 1913 ließ Doyle eine Fortsetzung unter dem Titel „The Poison Belt“ (dt. als „Im Giftstrom“, 1924) folgen.

Hinweis: Jede einzelne SHERLOCK-HOLMES-Erzählung ist auf der englischen Wikipedia gewürdigt worden. Ein Blick lohnt sich: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Adventure_of_Silver_Blaze.

Marc Gruppe ist der Autor, Produzent und Regisseur der erfolgreichen Hörspielreihe GRUSELKABINETT, die von Titania Medien produziert und von Lübbe Audio vertrieben wird.

Folge 1: Im Schatten des Rippers
2: Spuk im Pfarrhaus
3: Das entwendete Fallbeil
4: Der Engel von Hampstead
5: Die Affenfrau
6: Spurlos verschwunden
7: Der Smaragd des Todes
8: Walpurgisnacht
9: Die Elfen von Cottingley
10: Der Vampir von Sussex / Das gefleckte Band / Der Fall Milverton / Der Teufelsfuß (Neuausgabe)
11: Das Zeichen der Vier (Neuausgabe)
12: Ein Skandal in Böhmen
13: Der Bund der Rotschöpfe
14: Eine Frage der Identität
15: Das Rätsel von Boscombe Valley
16: Der blaue Karfunkel
17: Die fünf Orangenkerne
18: Der Mann mit der entstellten Lippe
19: Der Daumen des Ingenieurs
20. Der adlige Junggeselle
21. Die Beryll-Krone
22. Das Haus bei den Blutbuchen
23. Silberblesse (6/16)
24. Das gelbe Gesicht (6/16)
25. Der Angestellte des Börsenmaklers (7/16)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Joachim Tennstedt: Sherlock Holmes
Detlef Bierstedt: Dr. John Watson
Jürgen Thormann: Colonel Ross
Claus Thull-Emden: Inspektor Gregory
Julia Stoepel: Edith Baxter
Marc Gruppe: Fitzroy Simpson
Pascal Breuer: Stallbursche Hunter
Anita Lochner: Mrs. Straker
Johannes Raspe: Stallbursche Dawson
Matthias Lühn: Silas Brown
Florian Jahr: Stallbursche Craig
Louis Friedemann Thiele: Jockey Jimmy
Herbert Schäfer: Renn-Ansage
Eckart Dux: Kutscher

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio, Planet Earth Studios und im Fluxx Tonstudio statt. Alle Illustrationen – im Booklet, auf der CD – trugen Ertugrul Edirne und Firuz Askin bei.

Handlung

Watson begleitet Holmes an den Ort, wo sich der neueste Fall ereignet hat, mit dem der Meisterdetektiv betraut worden ist: das finstere Dartmoor. Das wertvolle Rennpferd Silberblesse wurde offenbar aus dem Rennstall Colonel Ross in King’s Pyland entführt und ist seitdem spurlos verschwunden. Dabei sollte das hoch dotierte Tier nächste Woche am lukrativen Wessex Cup teilnehmen. Nicht genug damit, hat die Polizei unter Leitung von Inspektor Gregory auch noch die schwerverletzte Leiche des Trainers John Straker im Moor gefunden.

„Höchst mysteriös!“, brummt Watson. In der Tat: Der Fall war in sämtlichen Gazetten der Londoner Sensationspresse. Wäre es abwegig anzunehmen, Holmes wäre ebenfalls an der ausgesetzten hohen Belohnungssumme interessiert? Wäre es nicht. Also fahren die beiden stante pede von Paddington nach Exeter und von dort noch weitere nach Travistock, wo Ross und Gregory sie in Empfang nehmen.

Dartmoor

In der Gegend von Travistock liegen zwei konkurrierende Rennställe, der von Col. Ross und der von Lord Blackmore, welcher Cappleton genannt wird. Natürlich habe er Cappleton schon längst nach Silberblesse abgesucht, leider vergeblich, sagt der Inspektor. Dabei fiel doch sein früh sein Verdacht auf jenen mysteriösen Rennspion Fitzroy Simpson, dessen Halstuch bei der Leiche des Trainers gefunden wurde.

Kurz bevor Silberblesse verschwand, versuchte Simpson nämlich, erst das Hausmädchen Edith Baxter und dann den wachhabenden Stallburschen Hunter mit einer Zehn-Pfund-Note (damals für Bedienstete eine astronomische Summe) zu bestechen. Und was hat es mit der Tatsache auf sich, dass, kaum dass Simpson verjagt worden war, Hunter ohnmächtig vor dem leeren Stall des Pferdes aufgefunden wurde? Er wurde mit Opiumpulver betäubt, das man ihm ins Hammelfleisch-Curry getan hatte, welches ihm Edith Baxter kurz zuvor gebracht hatte.

Der Tatort

Strakers Leiche ist längst geborgen worden, als sich Holmes an den Fundort führen lässt. Auf Anhieb findet er eine Streichholz, das den scharfen Augen der Polizisten entgangen ist. Damit muss der Trainer eine Laterne angezündet haben, aber zu welchem Zweck? Hat er das Pferd bereits gesucht, als ihn der Tod ereilte? Sein Schädel wies eine schwere Schlagverletzung auf, und sein Bein war verletzt. Unter den Habseligkeiten des Toten findet sich ein ziemlich scharfes Ärztemesser und eine exorbitant hohe Schneiderrechnung.

Doch zu Watsons Verwunderung stellt Holmes auch recht merkwürdige Fragen. Was es beispielsweise mit den drei lahmenden Schafen auf sich habe? Warum der Hund nicht gebellt habe? Und ob er Mrs. Straker nicht neulich in Plymouth gesehen habe? Watson ist nun vollends verwirrt. Doch am Tag des Rennens traut Oberst Ross seinen Augen nicht: Silberblesse tritt zum Start an…

Mein Eindruck

Dass ein Meisterdetektiv mit einem völlig andersartigen, um nicht zu sagen: fremdartigen Verstand ausgestattet ist, belegt der folgende, legendäre Dialog aus dieser Erzählung:

Gregory (Scotland Yard detective): „Is there any other point to which you would wish to draw my attention?“
Holmes: „To the curious incident of the dog in the night-time.“
Gregory: „The dog did nothing in the night-time.“
Holmes: „That was the curious incident.“

Dieser Dialog ist ob seiner – nun ja, ungewöhnlichen – Denkweise geradezu beispielhaft für das Denken um die Ecke geworden. Der Autor Mark Haddon hat seinen Roman „ the curious incident of the dog in the night-time” danach benannt.

Aber die Inszenierung verschont den Hörer mit solchen verwirrenden Details. Zunächst erfahren wir aus Holmes‘ Mund alles, was über den prominenten Fall bislang in der Presse stand. Dieser Teil ist recht langweilig, aber notwendig, um die verschiedenen Rückblenden einzuleiten, die uns das Geschehen in der regnerischen Tatnacht nahebringen.

Anders als „Der Hund von Baskerville“ zeigt sich das düstere Dartmoor nicht von tödlichen Geschöpfen der Nacht bevölkert, sondern von unbekannten Schrecken erfüllt. Das gilt aber nur für die Nacht, denn am Tage beschäftigt das geschehen in viktorianischen Rennställen unseren Detektiv und seinen Freund. Es dauert nicht lange, bis deutlich wird, dass nicht jeder Besucher willkommen ist, sondern vielmehr rasch verjagt wird. Dazu sind die Hunde da, die eine unauffällige, aber eine wichtige Rolle spielen – siehe den Dialog oben.

Dass die Besitzer der Rennställe eifersüchtig auf den Erfolg ihrer Tiere wie auch auf deren Zucht bedacht sind, spielt eine wichtige Rolle. Die Entführung eines Pferdes kommt fast schon einem Bankraub gleich. Deshalb die misstrauischen Wachen, die scharfen Hunde – und die Renn-Spione. In einem kompetitiven Milieu wie dem Renngeschäft spielen Rennspione die Rolle von Wirtschaftsspionen und, wenn’s drauf ankommt, von Saboteuren. Kein Wunder also, dass Inspektor Gregrorys erster Verdacht auf Fitzroy Simpson fällt, zumal dieser schon das dritte Mal bei Silberblesse aufkreuzt.

Mit der Erkenntnis, dass es aber auch noch ganz andere Erklärungsmöglichkeiten gibt, verblüfft und empört der Detektiv seine Auftraggeber – und nicht zuletzt den Leser bzw. Hörer. Denn nicht jeder Trainer mit einem tadellosen Ruf hat diesen auch verdient…

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Dr. Watson nimmt die Stelle des zweifelnden gesunden Menschenverstandes gegenüber Holmes ein, welcher ein getriebener Junkie der Vernunftarbeit zu sein scheint. Watson ist der Gemütsmensch, ein Jedermann mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Holmes jedoch ist nicht nur Kopfarbeiter, sondern auch Schauspieler und Manipulator von Menschen.

Sherlock

Es gibt mehrere Hauptfiguren, die auch stimmlich herausragen. Am besten gefällt mir Joachim Tennstedt als Sherlock, denn was er in diese Figur hineinlegt, ist sehr sympathisch und humorvoll – so als würde ein strahlender John Malkovich völlig entspannt aufspielen (liegt’s am Koks?). Holmes‘ einziger Fehler ist seine Ablehnung des weiblichen Geschlechts oder vielmehr des Umgangs mit dessen Vertretern. Das soll aber weniger an latenter Homosexualität liegen, als vielmehr an seiner Abneigung gegen jede Art von emotionaler Sentimentalität.

Aber Holmes ist auch ein ausgezeichneter Schauspieler und engagierter Boxer. Ab und zu treibt er sich als aktiver Detektiv in Londons Sauwetter herum und kehrt völlig ausgehungert ins Hauptquartier zurück. Dann darf Mrs. Hudson, die auch hier moralisches Zentrum auftritt, ihm Essen kredenzen.

Watson

Dr. John H(amish) Watson, 36, ist das genaue Gegenteil seines Freundes: jovial, höflich, frauenfreundlich und durchweg emotional, außerdem glücklich verheiratet. Leider sind seine logischen Schlüsse von dementsprechend unzulänglicher Qualität. Das war zu erwarten und dürfte keinen überraschen.

Nebenfiguren

Die bemerkenswertesten Nebenrollen sind wohl Inspektor Gregory und Colonel Ross. Jürgen Thormann ist bereits viele Male in Sherlock-Holmes-Hörspielen aufgetreten, nicht nur bei Titania, sondern auch bei Maritim. Er verkörpert die Autorität des älteren Gentleman, meist aufrichtig, manchmal aber auch zwielichtig. Als solcher fällt es ihm leicht, sowohl Adlige und Militärangehörige als auch Polizeimitarbeiter zu verkörpern.

Claus Thull-Emden stellt Inspektor Gregory als fähigen, ehrlichen Beamten der Polizei dar, dem nur leider eines völlig abgeht, wenn wie Holmes glauben dürfen: Phantasie. Von ganz anderem Kaliber ist da schon Silas Brown, ein potentiell fieser Schurke, der den Stall von Cappleton leitet. Ihm dürfen wir alles zutrauen. Aber wieso nimmt ihn dann Holmes in Schutz?

Geräusche

Eine schier unglaubliche Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Papierrascheln, klappernde Teetassen, knisterndes Kaminfeuer – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln.

Im vorliegenden Fall wird viel gereist: von London nach Dartmoor, dann weiter nach Travistock – und alles wieder zurück. Züge und Kutschen rumpeln stilecht, Pferde wiehern und Hunde bellen. Ganz klar ist „Silberblesse“ ein ländliches Abenteuer, wie es heute wieder bestens ankommt. Am Schluss tritt das titelgebende Pferd höchstpersönlich auf. Der Hengst schnaubt ins Mikrofon, als wolle er uns etwas mitteilen…

Die Musik

Das Intro, eine Art flott-dezente Teemusik, bildet den heiter-beschwingten Auftakt des Hörspiels und deutet die häusliche Idylle von Baker Street 221B an. Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung sehr dezent von Szene zu Szene.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die Szene, in der Edith Baxter, das Hausmädchen der Strakers, dem mysteriösen Rennspion Fitzroy Simpson begegnet. Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet sowie Werbung für den verstorbenen Illustrator Firuz Askin zu finden. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf. Die CD und der Einleger sind mit den Sherlock-Holmes-Motiven versehen, die die Reihe von Anfang an begleitet haben.

Unterm Strich

Der Fall des entführten Rennpferdes und seines getöteten Trainers gehört zu den besten und unterhaltsamsten Abenteuern des Meisterdetektivs. Bevor der Hörer jedoch an den Tatort im Moor gelangt, muss er viel Geduld aufbringen: Holmes klärt Watson über die bisher bekannten Fakten des Falles auf, die ihn allesamt nicht zufriedenstellen, denn zusammengenommen ergeben sie keinerlei Sinn.

Der Verdächtige Nummer eins, der Renn-Spion, kann es nicht gewesen sein, doch welche Alternativen dann bleiben, muss sich erst vor Ort ergeben. Das spannt den Hörer ziemlich auf die Folter. Wer von jeher ein Freund britischer Kriminalermittler gewesen ist, dürfte in diesem Fall nichts Neues mehr finden, doch Einsteiger ins Holmes-Universum bekommen hier immer noch einen Fall, der mit zwei unerwarteten Lösungen aufwartet.

Das Hörspiel

Die Handlung ist gespickt mit Rätseln, die erst ganz am Schluss von Holmes erklärt werden. Der Hörer wird also lange auf die Folter gespannt. Für eine Riesenüberraschung sorgt auch die unerwartete Rückkehr des titelgebenden Rennpferds, rechtzeitig zum Rennen um den Wessex Cup. (Dass die Grafschaft Wessex nicht existiert, ist einer der vielen Insiderwitze der Erzählung. Wessex ist eine fiktive Landschaft, die sich der viktorianische Romanautor Thomas Hardy ausgeliehen hat – so hieß ein frühmittelalterliches Königreich der westlichen Sachsen.)

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars wie John Malkovich (Tennstedt) und George Clooney (Bierstedt). Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars Clooney und Malkovich vermitteln das richtige Kino-Feeling.

Länge: 66:52 Minuten
Info: The Memoirs of Sherlock Holmes: Silver Blaze, 1892
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titania-medien.de

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