Vaughan, Brian K. / Guerra, Pierra / Marzan jr., José – Y: The Last Man 1 – Entmannt

_Story_

Yorick lebt in Brooklyn, verdient sich seinen Unterhalt mit dem Zurschaustellen von Entfesselungskünsten und denkt den lieben langen Tag fast nur an seine Freundin Beth, die derzeit im australischen Outback verweilt. Gerade noch telefoniert er mit der jungen Dame und ringt sich auf eine ganz unromantische Weise dazu durch, ihr einen Heiratsantrag zu machen, als plötzlich die Verbindung getrennt und auf der ganzen Welt ein wahrhaftiges Horror-Szenario eingeleitet wird: Der gesamte männliche Teil der Bevölkerung wird mit einem Schlag ausgelöscht.

Zwei Monate später haben sich die verbliebenen Frauen mit dem Ausnahmezustand halbwegs arrangiert. Zwar herrschen in allen Landstrichen immer noch großes Chaos und Zustände völliger Verwüstung, doch man hat sich damit abgefunden, dass eine Resignation die falsche Reaktion wäre. Yoricks Mutter, eine angesehene Frau im Senat, ist der Rangfolge nach die neue First Lady und soll das Land wieder auf Vordermann bringen; dies erfährt sie jedoch erst von der geheimnisvollen Agentin 355, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Zukunft des Landes zu sichern. Während die Damen die politischen Umstände regeln und dabei Zeuginnen einer totalen Eskalation werden, taucht plötzlich Yorick auf. Aus unerklärten Gründen hat er das tragische Ereignis überlebt und gilt nun als Hoffnungsträger für die Zukunft der gesamten Rasse.

_Meine Meinung_

Auf dem Backcover der neuen Comic-Reihe aus dem Hause |Vertigo| prangt das Zitat „… ein Comic, der danach schreit, verfilmt zu werden.“ Genau diesen Gedanken hatte ich im Anschluss an diese ungewöhnliche, allerdings auch absolut fabelhafte Lektüre auch, denn was Brian K. Vaughn in „Y: The Last Man“ entworfen hat, ist wirklich einzigartig und in diesem Sinne auch absolut überragend. Man stelle sich das mal vor: Mit einem Mal wird die gesamte männliche Bevölkerung dahingerafft und bricht an Ort und Stelle ohne Vorwarnung tot zusammen. Na klar, so etwas kann nur in einer düsteren Science-Fiction-Saga oder eben in einem Comic passieren und erscheint als Idee jetzt gar nicht mal so besonders abgehoben, doch die Gedanken, die Vaughn im Anschluss an dieses Schlüsselereignis spinnt, machen das Ganze zu einer makaberen Comic-Erzählung mit Sonderstatus.

Dem Autor standen dabei sehr viele Wege offen, um den Plot im Folgenden weiterzuentwickeln. Man stelle sich nur mal selber die Frage, was man tun würde, falls dieses Ereignis für das andere Geschlecht in Kraft treten würde. Wie geht man mit dem Schockzustand um? Kann man überhaupt trauern? Wie bewältigt man langfristig das entstandene Chaos? Und wohin mit all den Leichen? Brian K. Vaughn hat sich mit diesen Themen erst einmal nur untergeordnet beschäftigt und vorrangig die Entwicklung des Plots um den Hauptcharakter Yorick in den Vordergrund gestellt. Dieser sympathische junge Mann will nämlich in dieser übergeordneten Misere nichts anderes, als in Australien bei seiner Freundin nach dem Rechten sehen, wo doch nun auch die Telefonleitungen zerstört bzw. unterbrochen sind. Er möchte mit ihr den Grundstein für eine neue Generation setzen, eine Art moderner Adam mit Eva werden, ist sich aber eigentlich gar nicht bewusst, welche Verantwortung ihm zukommt. Er ist der letzte Mann und damit auch die wichtigste Persönlichkeit auf Erden, und glücklicherweise haben bislang nur ausgewählte Personen von seinem Überleben Kenntnis genommen – ansonsten wäre es wohl schon um ihn geschehen, weil er sich vor hoffenden Interessierten gar nicht mehr hätte retten können. Doch wie kann man damit umgehen? Forderungen nach einer raschen Lösung und der Nutzung von Yoricks Fruchtbarkeit werden laut, während sich die männerfeindliche Gruppe der Amazonen, die sich über den Tod von Vergewaltigern, Korrupten und Mördern freut, danach sehnt, Yorick schnellstmöglich abzuschlachten. Und ausgerechnet die von Yorick und dessen Mutter gesuchte Hero, seine Schwester, wird in Unkenntnis ihrer Familienzugehörigkeit ebenfalls eine dieser Amazonen. Brisant bis zum Abwinken!

Bei den neu entflammten Machtkämpfen verschiedener Gruppierungen und den radikalen Umgangsformen unter den Überlebenden wird dabei ganz vergessen, dass die Ursache von Yoricks glücklichem(?) Schicksal weiterhin ungeklärt ist. Warum haben er und sein ebenfalls männlicher Hausaffe Ampersand diesen Akt der totalen Auslöschung überlebt? Einig ist man sich lediglich darüber, dass Yorick von einer anerkannten Wissenschaftlerin geklont werden soll, um so zu verhindern, dass die aktuelle Generation die letzte in der Geschichte der Menschheit ist. Mit einem Mal entwickeln sich hier Aspekte und Standpunkte für das Weiterbetreiben der Gentechnik, denn Yorick alleine kann den Erhalt der Rasse nicht gewährleisten. Doch schon im nächsten Kapitel ergeben sich einige berechtigte Zweifel, die darauf schließen lassen, was und wer für das Ganze verantwortlich ist.

So kompliziert und verworren, wie es hier mitunter erscheinen mag, ist der erste Part von „Y: The Last Man“ aber gar nicht. Die einzelnen Inhalte der Handlung werden recht breit ausgeschmückt, und die Erzählung schreitet ebenfalls ziemlich linear und zielgerichtet voran. Trotz mehrerer parallel laufender Stränge erlaubt sie sich keine gravierenden Schlenker, gibt aber dennoch immer wieder Denkanstöße und Anlässe, einige unbestätigte Vermutungen zu äußern, die sich auf Fortschritt und Personen der Handlung beziehen. Für einen Comic mit derart außergewöhnlichem Inhalt liest sich „Y: The Last Man“ allerdings erstaunlich gut. Vaughn packt das Ganze teilweise auch von einer sehr ironischen Seite an und lässt zwischenzeitlich auch mal seinen finsteren Humor spielen, ist aber fernab davon, die Story ins Lächerliche zu ziehen. Die Stimmung und auch die Charaktere sind vollkommen ernst und werden lediglich durch so manch überspitzte Darstellung relativiert. Damit bleibt jedoch auch die Glaubwürdigkeit bewahrt, denn auch wenn alles so weit hergeholt klingt, kann man sich auf Anhieb sehr gut in die Situation hineinversetzen und den Schrecken miterleben.

All dies summiert, ergibt einen wahrlich wunderbaren Comic mit einigen erfrischenden Themen und einem sehr makaberen Unterton. „Y: The Last Man 1“ ist für den |Panini|-Verlag ein echter Glücksgriff, der die Firma einmal mehr darin bestätigt, die Comics von |Vertigo| zu vertreiben. Mit dem Auftakt dieser neuen Serie offenbart sich dies sogar so deutlich wie noch nie zuvor.

http://www.paninicomics.de

Schreibe einen Kommentar