Filz, Sylvia – Kirschklößchen

Hanna ist 29, allein und verzweifelt: Nach drei gemeinsamen Jahren hat ihr Freund Reinhold sie einfach abserviert – wegen einer anderen. Und dann muss Hanna auch noch feststellen, dass es sich dabei um die platinblonde Tochter von Reinholds Chef handelt, die ja so wundervoll parlieren kann, wie Reinhold ihr bei der Trennung doch glatt unter die Nase gerieben hat! Eine Frau von Welt sei die andere, während Hanna so blöd war, ihre Karriere als Journalistin für Reinhold hintenanzustellen, damit er beruflich weiterkommt. Glücklicherweise hat Hanna das „Casa Regina“, einen kleinen, aber feinen Geschenkeartikelladen, bei dem sie Teilhaberin ist. Und nicht nur das: Die Besitzerin des Ladens, Regine, ist für Hanna zu einer guten Freundin geworden, und so versucht diese nun, die verzweifelte Hanna mit gemeinsamen weinseligen Abenden wieder aufzubauen.

Aber eines Tages geschieht etwas, das Hannas gesamtes Leben unverhofft auf den Kopf stellt: Wieder einmal hastet sie in Eile die Treppe hoch und ärgert sich über die weißhaarige Dame aus der Wohnung über ihr, die vor ihr schleicht. Doch dann strauchelt die Rentnerin und kippt nach hinten. Ohne nachzudenken, lässt Hanna alles fallen und fängt die Dame auf und rettet ihr damit womöglich das Leben. Hanna bietet noch an, die alte Dame – Frau Spitzer, wie Hanna am Türschild ablesen kann – in ihre Wohnung zu begleiten.

Auf den Schreck lädt Frau Spitzer ihre Retterin auf einen Likör ein. Schon von der Wohnungseinrichtung ist Hanna, die am liebsten gleich wieder in ihre eigene Wohnung geeilt wäre, überrascht, denn die ist gar nicht so altbacken, wie sie das gedacht hätte, und auch der Likör schmeckt nicht wie der typische Oma-Fusel. Die beiden Frauen kommen ins Plaudern. Ein Foto in Frau Spitzers Wohnung ist es dann, das Hannas Blicke auf sich zieht und sie fasziniert. Kaum ist ihre Neugierde geweckt, ist auch der Fluchtinstinkt verschwunden, denn nun möchte Hanna mehr über die Personen auf dem Foto erfahren. Überrascht stellt sie fest, dass Frau Spitzer viele spannende und bewegende Dinge aus ihrem über neunzig Jahre langen Leben zu erzählen hat. Ganz unverhofft wird die „nervige alte Schachtel“ aus der Wohnung über ihr zu „Omi Spitzer“, die sie gar nicht häufig genug besuchen kann.

Die größte Überraschung wartet aber noch auf Hanna, nämlich Frau Spitzers Enkel, der ihr auf den ersten Blick mehr als sympathisch ist. Nur leider wohnt Nils hunderte von Kilometern entfernt und arbeitet als Tierarzt auf dem platten Land. Und das ist nun wirklich nichts für die Stadtfrau Hanna – oder doch? Und natürlich ist auch die Geschichte mit Reinhold längst nicht ausgestanden …

Sylvia Filz erzählt die Geschichte von Hanna, die an einem Wendepunkt in ihrem Leben angekommen ist: Ende zwanzig beginnt die Suche nach dem Mann ihres Lebens erneut, auch wenn sie eigentlich gedacht hatte, mit Reinhold bereits den Richtigen gefunden zu haben. In Hannas Umfeld freuen sich allerdings alle über die Trennung, da niemand Reinhold ausstehen konnte. Schon auf den ersten Seiten wird Hanna zu einer guten Freundin, deren Trennungsschmerz man fast schon zu gut nachfühlen kann, aber man ahnt als Leser natürlich bereits, dass ein neuer Mann auf Hanna wartet.

Als Nils Hansen, Frau Spitzers Enkel aus Norddeutschland, dann endlich seinen ersten richtigen Auftritt hat, verteilt Amor großzügig seine Pfeile. Doch Hanna und auch Nils sind unsicher – fühlt der andere das Gleiche? Und passen sie überhaupt zusammen? Beide haben schwere Enttäuschungen erlitten; Nils ist von seiner ersten Frau geschieden, die ein anderes Leben führen wollte als jenes, das er als Tierarzt ihr bieten konnte. So dauert es ein wenig, bis die beiden sich zaghaft annähern, und tatsächlich sind einige Hürden und Distanzen aus dem Weg zu räumen, zumal auch Reinhold später noch den einen oder anderen denkwürdigen Auftritt haben wird …

Die zweite Lebensgeschichte, die wir zu hören bekommen, ist die von Omi Spitzer. Frau Spitzer hat viel in ihrem langen Leben erlebt, sie erzählt vom Krieg, ihrem geliebten Mann Alfons und natürlich von einem ihrer Lieblingsrezepte – den Kirschklößchen! Eigentlich ist es ein Arme-Leute-Rezept, doch Hanna würde es am liebsten gleich nachkochen, aber Omi Spitzer wehrt – zunächst! – ab, weil sie meint, dass man Kirschklößchen nur mit frischen Kirschen machen könne, und nun steht bereits Weihnachten vor der Tür. Auch mir ist beim Lesen das Wasser im Mund zusammengelaufen – schade, dass ich keine Omi Spitzer habe, die mir zeigen könnte, wie man Kirschklößchen zubereitet!

Mit Hanna und Omi Spitzer hat Sylvia Filz zwei starke Frauencharaktere gezeichnet, die uns durch das gesamte Buch begleiten und schnell ans Herz wachsen. Die liebe Omi Spitzer, die zwar schon über 90 Jahre alt, aber noch längst nicht eingerostet ist, erzählt ihre Lebensgeschichte dermaßen mitreißend, dass ich mitunter selbst einen Kloß im Hals hatte. Aber auch die Nebencharaktere – angefangen von der Geschäftsfrau Regine, die selbst noch auf der Suche nach der Liebe ihres Lebens ist, über die Wegmanns, die ebenfalls häufig bei Omi Spitzer zu Gast sind, bis hin zu Nils, der in seinem großen Traumhaus mit zahlreichen Tieren in Norddeutschland lebt – überzeugen auf ganzer Linie und bleiben stets authentisch. Die Sympathien sind dabei stets klar verteilt, denn Reinhold kann das ganze Buch über keinen einzigen Sympathiepunkt sammeln. Dennoch bereichert er das Buch durchaus mit seinen denkwürdigen Auftritten …

Mit viel Esprit und Liebe zum Detail und zu den Tieren erzählt Sylvia Filz eine Geschichte, die wie aus dem Leben gegriffen scheint. Die Autorin schafft es, uns in jede Situation hineinzuziehen, sodass wir das Gefühl haben, immer mittendrin zu sein. Trotz des geringen Buchumfangs von nur 185 Seiten erfahren wir viel über die Charaktere, ihr Leben und ihre Gedanken. Als Leser sind wir dabei allwissend, denn wir können nicht nur Hannas Gedanken lauschen, sondern kennen auch Nils‘ widerstreitende Gefühle. Wir wissen, was sich Nils erhofft, welche Überraschungen er Hanna bereiten will, und von Hanna wissen wir, wie sehr sie sich wünscht, mit Nils gemeinsam Weihnachten zu feiern, und zwar in allen noch folgenden Jahren. Nur leider trauen sie beiden sich oftmals nicht, ihre Gefühle offen auszusprechen, und so fiebern wir immer mehr mit ihnen mit.

Die Geschichte in „Kirschklößchen“ ist herzerfrischend, ergreifend und einfach nur schön. Bei der Lektüre fühlte ich mich ins Rheinland entführt, und bei Hannas Besuchen im hohen Norden konnte ich die frische Landluft förmlich schnuppern und hörte im Hintergrund das Bellen der Hunde und das Schnurren der Katzen. Sylvia Filz‘ Schreibstil ist dermaßen lebendig und erfrischend, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag und immer das Gefühl hat, sich von seinen Freunden zu verabschieden. Und so hoffe ich natürlich sehr, dass es noch ein Wiederlesen mit Omi Spitzer und Hanna geben wird!

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