Johler, Jens – Kritik der mörderischen Vernunft

Die Philosophie an sich scheint eine recht friedliche Disziplin zu sein. Man schwafelt über Leid und Leben, tangiert vielleicht einmal den Tod, doch mit Mord hat die Philosophie eher weniger zu tun. Oder doch nicht? Schriftsteller Jens Johler verbindet in seinem Thriller „Kritik der mörderischen Vernunft“ Emmanuel Kant mit einer haarsträubenden Mordserie.

Der Berliner Wissenschaftsjournalist Troller erhält eines Abends eine E-Mail von einem Unbekannten, der sich Kant nennt. Darin gibt er an, im Gehirn von Dr. Ritter, einem renommierten Hirnforscher, nach Spiegelzellen gesucht zu haben. Troller ist alarmiert, denn er weiß, dass dieser merkwürdige Ausdruck sich auf Ritters Forschungstätigkeiten bezieht, bei denen er Tierversuche an Affen vornimmt. Sein Verdacht bestätigt sich. Als er Ritter einen Besuch abstatten will, trifft er dort nur die Kriminalpolizei, die ihn für den neuen Profiler hält.

Troller spielt dieses Spiel mit und erfährt einige pikante Details zum Mord. Er rätselt, wer der Täter sein könnte, als ein Briefbombenattentat die Tochter eines weiteren Hirnforschers tötet. Wieder meldet sich Kant per Botschaft, und Troller wird klar, dass er noch weitere Morde plant. Es muss eine Verbindung zwischen den Wissenschaftlern geben, nur welche?

Ehe er sich versieht, geschieht ein dritter Mord, auch dieses Mal ein Hirnforscher. Der Täter hinterlässt jedoch eine Spur: Er gibt sich als Troller aus, was dazu führt, dass der echte Troller in Gewahrsam genommen wird. Er hat kein Alibi, doch seine Freundin Jane, eine Kriminalreporterin, setzt alles daran, um seine Unschuld zu beweisen …

Tote Wissenschaftler, ein mordender Philosoph – das klingt nicht gerade spannend. Jens Johler schafft es jedoch, ein Gleichgewicht zwischen Wissen und Kriminalfall zu schaffen und dabei das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommen zu lassen. Auf der einen Seite stehen die häufig etwas längeren Ausführungen zur Hirnforschung sowie einige Gesprächsabende von Troller und seinem philosophischen Zirkel. Der Autor wird hier stellenweise etwas langatmig. Nicht jeder wird mit den Diskussionen des Gesprächszirkels etwas anfangen können, während die Einblicke in die Arbeit von Hirnforschern sehr interessant und aufschlussreich sind. Johler nimmt den Leser mit auf eine Reise in ein zukunftsträchtiges, stark umstrittenes Gebiet der Wissenschaft und legt gekonnt Pro und Kontra dar, ohne Stellung zu beziehen.

Er vernachlässigt dabei allerdings nicht den eigentlichen Kriminalfall, bei dem der Leser lange Zeit im Dunkeln tappt. Die Spuren sind rar gesät, obwohl Jane und Troller in alle Richtungen ermitteln. Gleichzeitig findet ein Wettrennen mit dem Täter statt: Wird er nochmal zuschlagen und wenn ja, wen wird es treffen? Einen weiteren Höhepunkt stellt Trollers Verhaftung und sein fehlendes Alibi dar. Der Autor lässt einige Zeit vergehen, bevor er auflöst, was Troller an diesem Abend gemacht hat, und so zweifelt der Leser plötzlich an der sympathischen Hauptfigur, die von der ersten Seite an alles andere als mörderisch gewirkt hat.

Wenn man es genau nimmt, besitzt das Buch eine dritte Handlungsebene: die des Zwischenmenschlichen. Troller und Co. sind sehr lebendig gezeichnet und alles andere als statisch. Sie entwickeln sich stetig weiter, was zu unvermeidlichen Kollisionen führt. Neben seiner Liebesbeziehung hat der grüblerische Troller vor allem an dem Verhältnis zu seiner Tochter Sarah zu knabbern, um die er sich nicht genug kümmert. Darüber hinaus nimmt die Beziehung zwischen Jane und Troller sehr viel Raum ein und wird außerdem von beiden Seiten beleuchtet. Jane, eine kompetente, junge Journalistin, tritt ebenfalls als Erzählperspektive auf, was dem Buch sehr viel Tiefe verleiht und bestimmte zwischenmenschliche Entwicklungen sehr breit beleuchtet. Dabei nehmen diese Entwicklungen der eigentlichen Handlung keinen Platz weg. Vielmehr stehen sie gleichberechtigt nebeneinander.

Das einzige Manko, das man dem Buch anlasten kann, ist der stellenweise etwas trockene Schreibstil. Gerade die theoretischen Teile werden dadurch etwas langatmig. Johler verzichtet auf Humor und Stilmittel. Er erzählt sehr geradlinig und niveauvoll, flicht dabei immer wieder Gedanken ein und setzt weniger auf Action als auf akribisches Nachdenken.

„Kritik der mörderischen Vernunft“ ist sicherlich keine Lektüre für jedermann. Dank der gelungenen Balance zwischen Theorie, Handlung und Beziehungen der Hauptpersonen ist der Thriller nicht so wissenschaftlich, wie man bei Titel und Cover befürchtet. Im Gegenteil gibt es durchaus spannende Momente und die wissenschaftlichen Einschübe sind glücklicherweise so aufgearbeitet, dass sie interessant statt trocken sind. Wer Interesse an ein wenig Bildung |und| Spannung hat, ist mit diesem Thriller sehr gut beraten.

|ISBN-13: 978-3-548-26954-2
538 Seiten, Taschenbuch|
http://www.ullstein-taschenbuch.de

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