Horror-Spezialist Derleth sammelt in dieser Anthologie acht Kurzgeschichten, in denen harmlose Zeitgenossen mit brodelndem Wahnsinn und den Bewohnern eher unterirdischer als übernatürlicher Welten konfrontiert werden, was sie selten überleben. Obwohl es heftig zur gruseligen Sache geht, bestechen diese Erzählungen durch Stil, Stimmung oder rabenschwarzen Humor: ein Tipp für die Freunde des ‚kurzen‘ aber kräftigen Horrors.
Inhalt:
– William Hope Hodgson: Das Wrack am Höllengrund (The Habitants of Middle Islet): Nach sechs Monaten wird die „Happy Return“ auf den Klippen einer einsamen Insel im Südatlantik entdeckt, aber Passagiere und Besatzung sind nicht so spurlos verschwunden, wie sich der unglückliche Retter bald wünscht.
– Ramsey Campbell: Im Tempel des Horrors (The Church in the High Street): Richard Dodd besucht einen alten Freund und Privatgelehrten, der einer Kreatur namens Cthulhu auf der Spur ist; wie Dodd vor Ort feststellt, hat er sie gefunden – und sie ihn.
– Carl Jacobi: Das Untier aus der Tiefe (The Aquarium): Die junge Malerin mietet erstaunlich günstig ein schönes Haus. Einzige Bedingung: Sie muss ein Aquarium übernehmen, das der verschwundene Vorbesitzer in der Bibliothek aufstellen ließ. Das Becken ist riesig, weshalb sein ungebetener Gast zunächst verborgen bleibt.
– H. P. Lovecraft [u. August Derleth]: Die Schlucht der Dämonen (Witches‘ Hollow): Ein pflichtbewusster Lehrer macht sich auf den Weg zur einsamen Potter-Farm, um nach dem Verbleib eines Schülers zu fragen; dass dieser zu einer Brut von Hexen und Zauberern gehöre, wie man ihn warnte, ist natürlich nur dummes Geschwätz.
– Dennis Roidt: Der Sarg (The Green Vase): Vincent erwirbt das Lanceford-Haus, obwohl auf dem Dachboden der Sarg des vor Jahren unter sorgfältig vertuschten Umständen ums Leben gekommenen Stephen steht. Er soll auch dessen Lieblings-Vase nie von ihrem Platz entfernen, woran sich Vincent neugierig und mit spektakulären Folgen nicht hält.
– George Wetzel: Die Wendeltreppe ins Nichts (Caer Sidhi): Auf ihrem Leuchtturm vor der englischen Küste im heftigen Sturm gefangen, stellen die Wärter Neil und O‘Malley fest, dass gewisse Sagen über nächtliche Besucher aus sehr fremden Welten mehr als einen wahren Kern besitzen.
– Mary Elizabeth Counselman: Die Todesbibliothek (Hargrave‘s Fore-Edge Book): Als Buchwurm Hargrave hört, dass seine Tante die Bibliothek ihres verstorbenen Mannes unter den Hammer bringen will, erleidet diese einem ‚Unfall‘, und auch zukünftig sollte sich niemand zwischen den glücklichen Erben und seine Bücher stellen.
– David H. Keller: Ein Totenschädel zur Erinnerung (In Memoriam): Als die geliebte Gattin des Pathologen Moyer starb, behielt der trauernde Witwer ein ganz besonderes Andenken an sie zurück.
Diesem Rendezvous ist schwer zu widerstehen
Zwischen 1973 und 1980 erschienen im Erich-Pabel-Verlag die „Vampir“-Taschenbücher, ein „Spin Off“ zur gleichnamigen Heftroman-Serie. Während sich diese dem vordergründig-plumpen Holzhammer-Horror verschrieben hatte, den vorzugsweise deutsche Autoren (wohlweislich unter Pseudonym) wie am Fließband produzierten, gab es unter den 81 Taschenbüchern echte Perlen. Zwar dominierten auch hier Zweitklassiges und Routine, doch übersetzte Werke aus dem anglo-amerikanischen Raum drängten die Zeilenschinder aus Germany zurück, und vor allem erschienen zahlreiche Sammelbände mit Kurzgeschichten!
Die Kurzgeschichte hat es hierzulande nicht leicht. Gegenüber dem Roman fristet sie sogar ein ausgesprochenes Schattendasein, was traurig und schwer verständlich ist, macht sie es doch dem Leser möglich, in kurzer Zeit viele verschiedene Welten zu entdecken. Der vorliegende Band stellt dies eindrucksvoll unter Beweis. Hinter dem marktschreierischen deutschen Titel und der reihentypisch grellen Aufmachung (heute schon wieder nostalgisch/schaurig-schön) versteckt sich wahrlich Hochkarätiges.
William Hope Hodgson (1874-1918) ist sicherlich der beste Erzähler klassischer Spukgeschichten, die auf hoher See spielen. In Deutschland erschienen die meisten seiner Novellen und Kurzgeschichten in der „Phantastischen Bibliothek“ des Suhrkamp-Verlags. Daher ist die Entdeckung einer Story, die bisher nicht übersetzt wurde, eine kleine Sensation. War „Das Wrack am Höllengrund“ den strengen Herausgebern nicht originell genug? Tatsächlich stützt sich Hodgson ausgiebig auf Motive und Bilder aus früheren Geschichten, was aber keineswegs heißt, dass er hier mittelmäßige oder gar schlechte Arbeit abgeliefert hat!
Junge Talente und unbekannte Routiniers
Ramsey Campbell (geb. 1946) gehört zu den Großmeistern der modernen unheimlichen Literatur. Hier erleben wir einen noch blutjungen Campbell, der mehr als offensichtlich auf den Spuren seines Idols H. P. Lovecraft wandelt. Das hat er später noch mehrfach und mit wesentlich größerem Geschick getan. „Im Tempel des Horrors“ ist ein Pastiche hart an der Grenze zum Plagiat, aber es hat durchaus seine Momente!
Wer Carl Richard Jacobi (1908-1997) war, kann Ihnen dieser Rezensent nicht sagen; es verbirgt sich jedenfalls kein Klassiker der Phantastik hinter diesem Autor. „Das Untier aus der Tiefe“ ist eine schlichte „Monster-in-the-Closet“-Story, die nach bekanntem Muster und mit lange voraussehbarem Ende aber sauber und witzig präsentiert wird.
In einer von August Derleth zusammengestellten Sammlung darf eine Geschichte seines Idols und Mentors H. P. Lovecraft (1890-1937) nicht fehlen. Dennoch ist „Die Schlucht der Dämonen“ eigentlich eine Mogelpackung, stammt sie doch nicht vom Meister selbst, sondern ist eine der vielen postumen ‚Zusammenarbeiten‘, in denen Derleth die mehr oder wenigen rudimentären Geschichten, Entwürfe und Geistesblitze, die er in Lovecrafts Nachlass fand, im Geiste des toten Freundes fortschrieb. „Die Schlucht …“ ist tatsächlich Lovecraft, aber eine Skizze, die offensichtlich nie zur Veröffentlichung bestimmt war. Lovecraft selbst hat diverse Handlungselemente später wieder aufgegriffen und weitaus besser entwickelt. Dennoch gehört „Die Schlucht …“ zu den besseren Lovecraft/Derleth-Kollaborationen.
Schöne …
„Der Sarg“ ist genau jene Art von Geschichte, die den gestrengen Literaturkritiker ärgern muss: Das Übernatürliche tritt weder auf Samtpfoten noch so unbemerkt in die reale Welt ein, dass es auch Einbildung sein könnte. Stattdessen fällt ein rachsüchtiges Gespenst über seine Opfer her – und es hält sich nicht einmal an die Geisterstunde! Aber „Der Sarg“ wird so stilvoll, spannend und mit genau der richtigen Dosis schwarzen Humors erzählt, dass man durchaus meinen könnte, ein bisher unbekanntes Mitglied der „James-Gang“ kennenzulernen, das eine klassische Gespenstergeschichte im Stil von Montague Rhodes James (1864-1936) erzählt, der berühmt für seine bösartigen Nachtmahre war. Doch Dennis Roidt (geb. 1942) schrieb seine Geschichte als kaum 20-jähriger Student der „University of Wyoming“. Über seinen weiteren Lebensweg ist nichts bekannt; er veröffentlichte Jahre später mindestens eine Sammlung unheimlicher Erzählungen in einem Kleinverlag.
Nur wenige Seiten hat die Story „Ein Totenschädel zur Erinnerung“, und Geister treten auch nicht auf – jedenfalls keine, die man sehen könnte. Dennoch wirkt der leise Horror des David H. Keller (1880-1966) außerordentlich nachdrücklich. Professor Moyer und sein Besuch sitzen beisammen und unterhalten sich, und allmählich wird Dr. Brown zusammen mit dem Leser klar, dass der Forscher wahnsinnig ist.
Auf diesem Niveau bewegt sich George Wetzel (1921-1983) sichtlich nicht. Er gibt aber sein Bestes, und wie wir nicht erst seit „The Fog – Nebel des Grauens“ wissen, ist ein Leuchtturm stets für eine Gruselgeschichte gut!
… und weniger angenehme Überraschungen
So ist es ausgerechnet die einzige weibliche Autorin dieser Sammlung, die mit ihrem Beitrag gänzlich enttäuscht. Mary Elizabeth Counselman (1911–1995) bietet eine wenig inspirierte und vor allem kaum überzeugende Studie vom allmählichen geistigen Verfall eines Außenseiters an, die sich über weite Strecken wie eine (schlechte) Mischung von Edgar Allan Poes „Metzengerstein“ und „Das verräterische Herz“ liest und der schon lange vor dem schwachen Ende die Luft ausgeht.
Den Schwarzen Peter behält letztlich jedoch der deutsche Verlag: Um den normierten Umfang von 146 Seiten zu halten, der für die „Vampir“-Taschenbücher vorgegeben war, wurden neun (!) Erzählungen der Originalsammlung (sowie ein Vorwort von August Derleth) gestrichen. Diesem Massaker fielen Storys von Robert E. Howard, Robert Bloch oder H. R. Wakefield zum Opfer, die dem oder den Verantwortlichen hoffentlich noch heute im (Alb-) Traum erscheinen!
Herausgeber
August William Derleth wurde am 24. Februar 1909 in Sauk City (US-Staat Wisconsin) geboren. Schon als Schüler begann er Genre-Geschichten zu verfassen; ein erster Verkauf gelang bereits 1925. Die zeitgenössischen „Pulp“-Magazine zahlten zwar schlecht, aber sie waren regelmäßige Abnehmer. 1926 nahm Derleth ein Studium der englischen Literatur an der „University of Wisconsin“ auf. Nach dem Abschluss (1930) arbeitete in den nächsten Jahren u. a. im Schuldienst und als Lektor. 1941 wurde er Herausgeber einer Zeitung in Madison, Wisconsin. Diese Stelle hatte Derleth 19 Jahre inne, bevor er 1960 als Herausgeber ein poetisch ausgerichtetes (und wenig einträgliches) Journal übernahm.
Obwohl August Derleth ein ungemein fleißiger Autor war, basiert sein eigentlicher Nachruhm auf der Gründung von „Arkham House“ (1939), des ersten US-Verlags, der speziell phantastische Literatur in Buchform veröffentlichte. Der junge Derleth war in den 1930er Jahren ein enger Freund des Schriftstellers H. P. Lovecraft (1890-1937). Dass dieser heute als Großmeister des Genres gilt, verdankt er auch bzw. vor allem Derleth, der (zusammen mit Donald Wandrei, 1908-1987) das Werk des zu seinen Lebzeiten fast unbekannten Lovecraft sammelte und druckte.
Lovecraft hinterließ eine Reihe unvollständiger Manuskripte und Fragmente. Derleth nahm sich ihrer an, komplettierte sie in „postumer Zusammenarbeit“ und baute den „Cthulhu“-Kosmos der „alten Götter“ eigenständig aus. Die Literaturkritik steht diesem Kollaborationen heute skeptisch gegenüber. Als Autor konnte Derleth seinem Vorbild Lovecraft ohnehin nie das Wasser reichen. Er schrieb für Geld und erlegte sich ein gewaltiges Arbeitspensum auf, unter dem die Qualität zwangsläufig litt; einer Tatsache, der er sich selbst durchaus bewusst war.
Solo war Derleth mit einer langen Serie mehr oder weniger geistvoller Kriminalgeschichten um den Privatdetektiv Solar Pons erfolgreich, der deutlich als Sherlock-Holmes-Parodie angelegt war. Insgesamt veröffentlichte Derleth etwa 100 Romane und Sachbücher sowie unzählige Kurzgeschichten, Essays, Kolumnen u. a. Texte; hinzu kommen über 3000 Gedichte.
Nach längerer Krankheit erlag August Derleth am 4. Juli 1971 im Alter von 62 Jahren einem Herzanfall. Zum zweiten Mal verheiratet, lebte er inzwischen wieder in Sauk City, wo er auf dem St. Aloysius-Friedhof bestattet wurde.
Taschenbuch: 145 Seiten
Originaltitel: Dark Mind, Dark Heart (Sauk City, Wisconsin : Arkham House 1962)
Übersetzung: Werner Gronwald
Der Autor vergibt: