Dooling, Richard – Tagebuch der Eleanor Druse, Das

Eleanor Druse ist eine 75-jährige emeritierte Professorin für Esoterische Psychologie und stammt aus Maine. Sie schickt im Jahre 2003 eine Art Tagebuch an den Schriftsteller Stephen King, der ja auch aus Maine stammt, weil sie glaubt, dass der berühmte Phantastikschriftsteller ihrer Erzählung Glauben schenken wird.

So erzählt sie vom Tod einer alten Bekannten, die nach einem missglückten Selbstmordversuch ins alte |Kingdom Hospital| in Lewiston, Maine, eingeliefert wird. Als Eleanor Druse die alte Frau besuchen will, begegnet sie einem merkwürdigen alten Mann, der ihr seltsam bekannt vorkommt. Als sie dann zusammen mit einer Schwester das Krankenzimmer betritt, ist ihre alte Bekannte tot und Ameisen krabbeln aus ihrem Körper.

Eleanor fällt in Ohnmacht und wacht erst Tage später in einer Klinik in Boston wieder auf, wo sie den arroganten Chefarzt Dr. Stegman kennen und hassen lernt. Dieser möchte Eleanor am liebsten gleich operieren, hält ihre Beobachtungen für einen epileptischen Anfall.
Indem Eleanor brav bei einer medikamentösen Therapie mitwirkt, erreicht sie ihre Rückverlegung nach Lewiston, wo sie den rätselhaften Geschehnissen auf den Grund gehen will, was nicht ganz ungefährlich zu sein scheint, denn die Schwester, die sie ins Krankenzimmer der alten Bekannten begleitet hatte, ist inzwischen durch äußerst merkwürdige Umstände ums Leben gekommen …

Stephen Kings neueste Schöpfung ist das Begleitbuch zu einer amerikanischen TV-Serie, in dem der Autor zwar einerseits einige nette Seitenhiebe und Anspielungen eingebaut hat, welches aber andererseits auch phasenweise sehr nervig wirkt und vor allem zu Beginn (in den Sequenzen, die leider ziemlich ausgedehnt in der Bostoner Klinik spielen) den Leser auf eine harte Probe stellt.

So wird die Geisterjagd im alten Kingdom Hospital erst einmal zurückgestellt zugunsten der intensiven Vorstellung zweier Protagonisten, wie sie enervierender kaum sein könnten.

Da ist zum einen der überaus arrogante, völlig von sich selbst überzeugte Chefarzt der Klinik in Boston. Dr. Stegman, seines Zeichens Gott in Weiß, dabei dermaßen überheblich, dass er reihenweise Patienten zu Tode operiert, weil er aus Selbstüberschätzung mehrere Operationen quasi gleichzeitig durchführt, hat schon viele Gehirntote auf dem Gewissen, ist jedoch jedweder Selbstzweifel abhold. Die hier eingeführte Figur ist dermaßen überzogen bösartig und arrogant, dass sie sogar in einem Comic lächerlich wirken würde.

Dabei wird nicht klar, wer eigentlich widerwärtiger ist, der arrogante Chefarzt oder die spleenige Protagonistin, die weitaus mehr als nur einen Sprung in der Schüssel hat. Denn Eleanor Druse ist überzeugte Esoterikerin, spricht regelmäßig in Gebeten und Meditationen mit dem kosmischen Strom, hat sich selbst vom Krebs geheilt und formuliert angesichts einer gehirntoten Mutter von drei Kindern auf der Intensivstation der Krankenschwester gegenüber Sätze wie: |“Wissen Sie, meine Liebe, mit solchen Tragödien können wir nicht alleine fertig werden, die müssen wir in die Hand Gottes legen. Sie glauben doch an Gott, nicht wahr?“| (Seite 100).

Den arroganten Dr. Stegman erkennt sie in ihrer unendlichen religiösen Weisheit schnell als das, was er ist, nämlich: |“… dass der physische Leib dieses Mannes nichts anderes als eine Hülle für einen abgrundtief bösen Geist darstellt“| (Seite 106). Da kann man ja wohl nur von einer „Achse des Bösen“ reden oder doch vielleicht eher von der „Achse der Blöden“? Wie gut, dass die Protagonistin nicht zu Dämonisierungen und Schwarz-Weißer-Weltsicht neigt!

Während Frau Druse noch ihre Chakren sortiert und alles Böse an die Wand betet, begeht Dr. Stegman eine Schurkerei nach der anderen und der verzweifelte Leser fragt sich händeringend, wann die Handlung endlich wieder ins gespenstische Kingdom Hospital zurückkehrt. Erst auf Seite 129 wird der Leser erlöst, und hätte es King nicht geschafft, zu Anfang der Geschichte ein gerüttelt Maß Spannung aufzubauen, der Rezipient hätte das Werk wahrscheinlich längst frustriert in die nächste Flohmarktkiste gedroschen.

Andererseits muss festgestellt werden, dass es King meisterhaft gelingt, die primitive Sichtweise der Welt durch seine Protagonistin darzustellen. Die religiöse Beschränktheit der Weltsicht vieler Menschen in den USA (vor allem im sogenannten „Bible Belt“) ist auch bei uns mittlerweile bekannt und Stephen King selbst hat z. B. in seinen Werken „Carrie“ und „Children of the Corn“ diesen Hintergrund immer wieder in genialer Weise als Nährboden für unendliches Grauen genutzt. So weiß man als Leser nicht, ob man Kings Ausarbeitung bewundern soll, oder der enervierenden Charaktere wegen die Lektüre sofort beenden sollte.

Dass es dem Autor in der zweiten Hälfte der Geschichte gelingt, die Spannungsschraube wieder anzuziehen, spricht ebenso für ihn wie die eine oder andere köstliche Anspielung. So heißt eine der Schwestern im bespukten Kingdom Hospital z. B. Carrie von Trier (wobei „Carrie“ Kings erster verkaufter Roman war, Lars von Trier wiederum jener Regisseur ist, der bereits eine Fernsehserie über ein gruseliges Krankenhaus gedreht hat, in dem übernatürliche Dinge vor sich gehen).

Vollends bizarr wird es dann auf Seite 187, wo folgendes steht: |“Später erfuhr ich, dass Brick und Liz gerade in die Notaufnahme beordert worden waren, wo höchste Alarmstufe herrschte. Ein berühmter Künstler – einer der bedeutendsten Bürger Maines – war beim Joggen auf der Route 7 bei Warrington’s Inn von einem Kleinbus erfasst und schwer verletzt ins Kingdom Hospital eingeliefert worden, wo sich, mochte es nun Zufall oder eine Fügung des Schicksals sein, bereits die Hauptakteure eines bevorstehenden Dramas sammelten wie von einem Magneten angezogene Eisenspäne.“|

Wer von Stephen Kings schwerem Unfall weiß, der wird unschwer erkennen, wer da gerade eingeliefert worden ist. Während diese Stelle einerseits eine makabere Art von Humor darstellt und zeigt, dass die vorliegende Geschichte wohl auch eine Art Traumabewältigung für den Autor darstellt, so sprechen die hier gewählten aufgesetzten und klischeehaften Metaphern ebenfalls für sich. Sie machen das vorliegende Buch ebenfalls eher schwer zugänglich, wobei andererseits der schlechte Stil der Erzählung eine gewisse Authentizität verleiht, so als habe tatsächlich eine alte Dame mit erheblichem Dachschaden den ganzen Unsinn verzapft und dabei sprachlich immer wieder ganz tief in die Klischeekiste gegriffen.

Genau dies macht die Beurteilung des vorliegenden Werkes so schwer: Ist es nun einfach genial oder einfach nur genial daneben? Wie dem auch sei, das unbefriedigende offene Ende lässt befürchten, dass Fortsetzungen geplant sind. Wie auch nicht anders zu erwarten bei einem Roman von Stephen King mit nur 287 Seiten, sind wir doch vom Meister sicherlich ganz andere Seitenzahlen gewöhnt.

_Gunther Barnewald_ © 2004
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|